Ohne Häßler kein WM-Titel

Direkte Qualifikation oder nervenaufreibende Play-off-Spiele? In Moskau geht es am Samstag (ab 17 Uhr, live im ZDF) gegen Russland für die deutsche Nationalmannschaft um das Ticket zur WM 2010 nach Südafrika.

Es ist nicht das erste Mal, dass eine DFB-Auswahl vor einem so entscheidenden WM-Qualifikationsspiel steht. In einer sechsteiligen Serie erinnert DFB.de-Autor Udo Muras an die spektakulärsten und legendärsten Spiele in der WM- und EM-Qualifikation der DFB-Geschichte.

Teil 5: Deutschland - Wales, 15. November 1989

Wohl nie fiel es einer deutschen Nationalmannschaft schwerer, sich auf ein entscheidendes Spiel zu konzentrieren wie in jenen Novembertagen 1989. Es war ein deutscher Herbst, unvergessliche Schicksalstage in der Geschichte der Nation. Die Mauer öffnete sich am 9. November einen Spalt und war fortan nicht mehr zu schließen. Eine friedliche Revolution in der DDR führte Ost und West nach 40 Jahren Trennung zusammen, und auf den westdeutschen Straßen fuhren plötzlich Trabbis. Der Anfang vom Ende der DDR.

Diesen Eindrücken konnte und wollte sich niemand entziehen. Teamchef Franz Beckenbauer hat erst neulich wieder betont, es sei für ihn „die schwierigste Woche überhaupt“ gewesen, „denn die Mauer fiel, und es war unmöglich, die Konzentration hochzuhalten“.

Die 21 Nationalspieler, die in der Sportschule Hennef zusammengezogen waren, um sich auf den finalen Gruppenkampf gegen Wales vorzubereiten, spürten den Windhauch der Geschichte, der von Berlin übers ganze Land wehte.

Mauerfall das beherrschende Thema im Team

Stefan Reuter erinnert sich im Gespräch mit DFB.de: „Jeder hatte ja irgendwie Kontakt zu Freunden und Familie und hat telefoniert.“ Rudi Völler fragte damals: „Das Spiel gegen Wales, was ist das schon gegen dieses Ereignis?“ Thomas Häßler, im Berliner Wedding groß geworden, sah als Kind von seiner Schule aus immer auf die Mauer. Er gab zu: „Ich habe die Geschehnisse im Fernsehen mit einer Gänsehaut verfolgt. Ich wäre jetzt gern in Berlin gewesen, um dies alles ganz persönlich mitzuerleben.“



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Direkte Qualifikation oder nervenaufreibende Play-off-Spiele? In Moskau geht es am Samstag (ab 17 Uhr, live im ZDF) gegen Russland für die deutsche Nationalmannschaft um das Ticket zur WM 2010 nach Südafrika.

Es ist nicht das erste Mal, dass eine DFB-Auswahl vor einem so entscheidenden WM-Qualifikationsspiel steht. In einer sechsteiligen Serie erinnert DFB.de-Autor Udo Muras an die spektakulärsten und legendärsten Spiele in der WM- und EM-Qualifikation der DFB-Geschichte.

Teil 5: Deutschland - Wales, 15. November 1989

Wohl nie fiel es einer deutschen Nationalmannschaft schwerer, sich auf ein entscheidendes Spiel zu konzentrieren wie in jenen Novembertagen 1989. Es war ein deutscher Herbst, unvergessliche Schicksalstage in der Geschichte der Nation. Die Mauer öffnete sich am 9. November einen Spalt und war fortan nicht mehr zu schließen. Eine friedliche Revolution in der DDR führte Ost und West nach 40 Jahren Trennung zusammen, und auf den westdeutschen Straßen fuhren plötzlich Trabbis. Der Anfang vom Ende der DDR.

Diesen Eindrücken konnte und wollte sich niemand entziehen. Teamchef Franz Beckenbauer hat erst neulich wieder betont, es sei für ihn „die schwierigste Woche überhaupt“ gewesen, „denn die Mauer fiel, und es war unmöglich, die Konzentration hochzuhalten“.

Die 21 Nationalspieler, die in der Sportschule Hennef zusammengezogen waren, um sich auf den finalen Gruppenkampf gegen Wales vorzubereiten, spürten den Windhauch der Geschichte, der von Berlin übers ganze Land wehte.

Mauerfall das beherrschende Thema im Team

Stefan Reuter erinnert sich im Gespräch mit DFB.de: „Jeder hatte ja irgendwie Kontakt zu Freunden und Familie und hat telefoniert.“ Rudi Völler fragte damals: „Das Spiel gegen Wales, was ist das schon gegen dieses Ereignis?“ Thomas Häßler, im Berliner Wedding groß geworden, sah als Kind von seiner Schule aus immer auf die Mauer. Er gab zu: „Ich habe die Geschehnisse im Fernsehen mit einer Gänsehaut verfolgt. Ich wäre jetzt gern in Berlin gewesen, um dies alles ganz persönlich mitzuerleben.“

Und doch war es für das ganze Land ein Segen, dass der kleine Dribbelkünstler, den alle nur "Icke" nannten, in diesen Tagen bei der Mannschaft geblieben ist. Denn der Abend von Müngersdorf sollte seine Sternstunde im DFB-Trikot werden.

Kaum jemand weiß es heute noch: Die deutsche Mannschaft, die ein halbes Jahr später Weltmeister werden sollte, gewann 1989 nicht mal ihre Gruppe – das schafften die Niederlande – und musste hoffen, als einer von zwei punktbesten Zweiten noch zur WM fahren zu können. Als nachmittags bekannt wurde, dass Rumänien die Dänen 3:1 geschlagen hatten, stand fest: Nur ein Sieg hilft!

Beckenbauer: "Wichtigstes Spiel meiner Laufbahn"

Teamchef Beckenbauer sprach vom „wichtigsten Spiel in meiner Laufbahn“ und hatte für den Fall des Scheiterns schon seinen Rücktritt angekündigt. Dass er dennoch an ein gutes Ende glaubte, zeigt schon die Tatsache, dass er 21 Spieler nominierte, obwohl nur 16 auf den Spielberichtsbogen durften. Die kaiserliche Begründung: „Wir wollten schon mal das Zusammenleben bei der WM üben.“ Der verletzte Kapitän Lothar Matthäus komplettierte als Nummer 22 die Delegation. Genau so groß war damals ein WM-Kader.

Beckenbauer war nervös wie selten, er wollte nicht als erster Nationaltrainer eine Weltmeisterschaft verpassen. Im Testspiel gegen eine Amateurauswahl fielen die Tore zwar wie reife Früchte (14:0), doch der "Kaiser" zeterte: „Einige haben wohl zu viel zu Mittag gegessen, andere haben sich bewegt wie beim Waldspaziergang.“ Er drohte, die Aufstellung zu überdenken, aber als es am 15. November vor 60.000 Zuschauern in Köln endlich losging, spielte doch die erwartete Elf.

"Im Fußball entscheiden oft Kleinigkeiten" - oder die Kleinsten

Nur dass Beckenbauer Jürgen Kohler mangels Fitness gar auf die Tribüne setzte, verblüffte manchen Experten. Für ihn verteidigte Guido Buchwald. Neuralgischer Punkt schien das Mittelfeld zu sein, wo mit Häßler, Andreas Möller und Hansi Dorfner gleich drei unerfahrene Spieler aufliefen, die zusammen auf nur 19 Länderspiele kamen.

Auch der rechte Verteidiger Stefan Reuter war mit 23 Jahren noch kein alter Hase, und prompt unterlief ihm in der 11. Minute ein kapitaler Fehler, den die Waliser durch Allen zum 0:1 ausnutzten. War es die besondere Nervosität in einem Alles-oder-nichts-Spiel?

Reuter sagt 20 Jahre später dazu im Gespräch nur süffisant: „Die unangenehmen Dinge verdrängt man immer“. Überhaupt habe er von der besonderen Spannung, die in der Luft lag, nicht so viel gemerkt. „Das realisiert man immer erst hinterher, was gewesen wäre, wenn. Gerade weil wir dann Weltmeister wurden, wurde ja noch immer oft an dieses Wales-Spiel erinnert und wie knapp es gewesen war. Aber im Fußball entscheiden eben oft Kleinigkeiten.“ Oder die Kleinsten.

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"Zauberzwerge" buchen das WM-Ticket

Nach Völlers schnellem Ausgleich im Anschluss an eine Ecke (25.) ging es mit 1:1 in die Kabinen. Dann kam in der 48. Minute der große Moment der Kölner Zauberzwerge Pierre Littbarski (1,68 Meter) und Thomas Häßler (1,66).

Littbarski flankte von links, der Ball wurde wurde von Verteidiger Melville noch verlängert und fiel Häßler quasi vor die Füße. Mit links schoss er ihn volley und flach ins Tor. Es war sein erster Treffer für Deutschland, und einen besseren Augenblick hätte er dafür nicht wählen können. „Das sind so Momente, die wird man nie vergessen“, so Reuter.

Weil Littbarski, an diesem Tag Kapitän, in der 77. Minute einen Elfmeter an den Pfosten schoss, an den sich Reuter übrigens heute schon nicht mehr erinnert, blieb es aber bis zuletzt ein Zitterspiel. Dass ein junger Mann namens Pascoe vom FC Sunderland beinahe noch gewendet hätte – doch der Joker der Waliser köpfte in der 88. Minute nur knapp am Tor von Bodo Illgner vorbei. Um exakt 21. 57 Uhr war es dann endlich geschafft: Abpfiff!

Nachher: ein Mix aus Erleichterung und Skepsis

Am Ende stand ein verdienter Sieg, dem man nicht ansah, wie verdient er war. Das Presseecho war ein Mix aus Erleichterung und Skepsis: „Trotz lähmender Selbstzweifel ans Ziel gelangt“, titelte die Süddeutsche Zeitung, und die Auslandsgazetten bemühten wieder die Legende vom deutschen Schlachtenglück im Fußball: „Deutschland ist durch ein Nadelöhr gekrochen. Das Tor von Häßler bewahrt Beckenbauer vor dem Psychiater!“ schrieb De Telegraaf aus Holland.

Im Bus der Mannschaft, den Matthäus noch mit einem Fan-Schal an der Frontscheibe ausstattete, herrschte pure Erleichterung. Beckenbauer sah man tief durchatmend in seinen Sitz fallen. „Das war ein Hitchcock“, sagte Völler, und Thomas Häßler prophezeite: „So ein wichtiges Tor werde ich in meiner Laufbahn kaum noch schießen.“

Es sollte ihn zum Weltmeister machen, denn Beckenbauer stellte ihn am 8. Juli 1990 in Rom beim 1:0 im WM-Finale gegen Argentinien auch deshalb auf, wie er später zugab. Auch im Fußball gibt es Dankbarkeit.

Deutschland: Illgner – Reuter, Augenthaler (46. Reinhardt), Buchwald, Brehme – Möller (82. Bein), Häßler, Dorfner, Littbarski – Völler, Klinsmann.