Nowotny übers Haching-Drama 2000: "Wir waren in Schockstarre"

Für die Fans von Bayer Leverkusen glich die Achtelfinalauslosung im DFB-Pokal einer Zeitreise. Als ihnen Schlagersängerin Vanessa Mai ein Spiel beim Regionalligisten Spielvereinigung Unterhaching bescherte, erinnerten sich viele an jenes denkwürdige Duell am 20. Mai 2000. Damals trat Bayer zum Saisonabschluss im Sportpark an. Ein Punkte hätte den Rheinländern zur ersten Deutschen Meisterschaft gereicht. Doch Leverkusen unterlag 0:2, der Titel ging an den FC Bayern München, der ein paar Kilometer weiter 3:1 gegen Werder Bremen gewann.

Jens Nowotny erlebte den bitteren Moment im Sportpark Unterhaching hautnah mit. Er war in jener Saison und bei dieser Niederlage Leverkusens Abwehrchef. Im DFB.de-Interview mit Mitarbeiter Denis de Haas spricht der 48-malige Nationalspieler und WM-Dritte von 2006, der inzwischen im Kuratorium der DFB-Stiftung Sepp Herberger sitzt, über die Niederlage in Unterhaching, die Häme von Bayern-Spieler Stefan Effenberg und die aktuelle Entwicklung seines Ex-Vereins unter Trainer Roger Schmidt.

DFB.de: Herr Nowotny, Bayer Leverkusen spielt mal wieder in Unterhaching. Haben Sie nach der Auslosung direkt an das Spiel vor 15 Jahren gedacht?

Jens Nowotny: Ehrlich gesagt, nicht. Direkt nach der Auslosung ging es für Bayer ja Schlag auf Schlag. Die Mannschaft hatte wichtige Spiele in der Champions League und in der Bundesliga. Deshalb habe ich mich mit dem DFB-Pokal gar nicht beschäftigt. Das Spiel in Unterhaching hatte ich erst Anfang Dezember auf dem Schirm. Ich saß im Auto und habe mir gedacht: Da kommt doch bestimmt noch was...

DFB.de: So ist es. Wir wollen über das Spiel im Mai 2000 reden. Wie war Ihr Gefühl, als Sie damals den Platz im Sportpark Unterhaching betreten haben?

Nowotny: Eigentlich so wie immer. Es war nicht so, dass wir etwas Dramatisches gefühlt haben. Deshalb haben wir versucht, das Spiel anzugehen wie jedes andere auch.

DFB.de: Spätestens nach Michael Ballacks Eigentor dürfte sich das geändert haben.

Nowotny: Damit ging das Ganze los. Wir wussten, dass wir was zu verlieren haben, und sind ins Schwimmen geraten. Dann hat man sich gefragt, warum ausgerechnet bei Unterhaching alles so gut läuft und warum bei uns nichts klappt. Trotzdem haben wir versucht, uns auf das Wesentliche zu konzentrieren und Fußball zu spielen.

DFB.de: Der FC Bayern hat rund 15 Kilometer entfernt gegen Bremen gespielt. Haben Sie mitbekommen, was damals zeitgleich in München ablief?

Nowotny: Ja, die Zwischenstände wurden durchgesagt. Den Jubel nach den Bayern-Toren haben viele als unsportlich eingestuft. Aber so was kommt nun mal im Fußball vor.

DFB.de: Markus Oberleitner hat nach der Pause für Unterhaching erhöht. Haben Sie noch an den Punkt geglaubt, der zum Titelgewinn gereicht hätte?

Nowotny: Ich habe nicht sofort gedacht: So, das war es jetzt. Allerdings hatte ich auch nicht das Gefühl, dass wir das Spiel noch drehen könnten. Ganz aufgegeben haben wir uns nicht, sonst wären mit Sicherheit noch mehr Tore für Unterhaching gefallen. Trotzdem: Wir befanden uns in einer Art Schockstarre.

DFB.de: Was war nach dem Abpfiff los?

Nowotny: Es herrschte eine riesengroße Traurigkeit. Die Fans im Stadion hatten Tränen in den Augen. Manche haben richtig geschluchzt. Ich war abends noch mit Manager Reiner Calmund für das Fernsehen in Leverkusen. Da haben wir die Häme von Bayern-Kapitän Stefan Effenberg mitbekommen. Ich weiß nicht, ob so etwas dazugehören muss. Aber man muss solche Momente ertragen können, wenn man im Profigeschäft tätig ist.

DFB.de: Haben Sie noch Kontakt zu den Spielern, die 2000 mit Ihnen im Kader waren?

Nowotny: Mit Carsten Ramelow habe ich regelmäßig Kontakt. Und Anfang Dezember gab es auf dem 50. Geburtstag von Ulf Kirsten das große Wiedersehen. Da waren auch Oliver Neuville, Bernd Schneider und Boris Zivkovic eingeladen. Auch anderen Spielern laufe ich oft über den Weg. Es ist immer wieder schön, alte Weggefährten zu sehen.

DFB.de: War die Niederlage in Unterhaching die schwerste in Ihrer Karriere?

Nowotny: Auf dem Platz definitiv. Eine weitere schwere Niederlage habe ich von der Bank aus miterlebt: Die Erfahrungen nach dem 0:2 gegen Italien bei der WM 2006 waren auch schon grenzwertig. Von dieser Niederlage im Halbfinale war schließlich die ganze Nation betroffen.

DFB.de: Sie haben ein halbes Jahr nach diesem Turnier Ihre Karriere beendet. Wie verfolgen Sie aktuell die Spiele von Bayer Leverkusen?

Nowotny: Wenn Partien anstehen, schaue ich mir die schon an. Ich werde auch oft auf Bayer angesprochen. Deshalb ist es wichtig, stets informiert zu sein. Man will schließlich nicht als Ahnungsloser dastehen.

DFB.de: Wie gefällt Ihnen die Art und Weise, mit der Bayer aktuell Fußball spielt?

Nowotny: Phasenweise gefällt sie mir ganz gut. Aber manchmal ist auch Sand in Getriebe, weil die Mannschaft die Philosophie von Trainer Roger Schmidt nicht umsetzen kann. Wenn wichtige Spieler wie Ömer Toprak, Tin Jedvaj oder Lars Bender fehlen, dann stockt es. Das zermürbt auch die Fans. Wenn ich mir Spiele wie gegen Schalke 04 anschaue, wo die Mannschaft durch ein Eigentor noch einen glücklichen Punkt einfährt, dann muss ich sagen: Das ist vom Anspruch her einfach zu wenig.

DFB.de: Inwieweit bestimmt heutzutage noch Fußball ihr Leben?

Nowotny: Ich bin noch als Spielerberater tätig und arbeite mit dem Ex-Nationalspieler Bernd Cullmann zusammen. Dann habe ich für den DFB das Projekt "Anstoß für ein neues Leben" unterstützt und in diesem Zusammenhang auch die Justizvollzugsanstalten in Heinsberg und Siegburg besucht. Darüber bin ich ins Kuratorium der Sepp-Herberger-Stiftung berufen worden. Ich glaube, dass man dort mit den richtigen Partnern gute Projekte anstoßen kann. Und dann bin ich in meinem Verein, dem JFC Biesfeld/Kürten/Olpe, noch als Aushilfstrainer und Betreuer tätig.

DFB.de: Findet sich bei den ganzen Terminen noch Zeit, nach Unterhaching zu fahren und sich dort das Achtelfinale anzuschauen?

Nowotny: Vielleicht werde ich mir das Spiel im Münchner Stadion angucken. Nur nach Unterhaching werde ich nicht fahren. Wenn die Termine sich nicht so ergeben, gucke ich mir das Spiel auf jeden Fall zu Hause vor dem Fernseher an.

DFB.de: Wie lautet Ihr Tipp für das Pokalduell?

Nowotny: Leverkusen wird mit 3:0 gewinnen.

[dd]

Für die Fans von Bayer Leverkusen glich die Achtelfinalauslosung im DFB-Pokal einer Zeitreise. Als ihnen Schlagersängerin Vanessa Mai ein Spiel beim Regionalligisten Spielvereinigung Unterhaching bescherte, erinnerten sich viele an jenes denkwürdige Duell am 20. Mai 2000. Damals trat Bayer zum Saisonabschluss im Sportpark an. Ein Punkte hätte den Rheinländern zur ersten Deutschen Meisterschaft gereicht. Doch Leverkusen unterlag 0:2, der Titel ging an den FC Bayern München, der ein paar Kilometer weiter 3:1 gegen Werder Bremen gewann.

Jens Nowotny erlebte den bitteren Moment im Sportpark Unterhaching hautnah mit. Er war in jener Saison und bei dieser Niederlage Leverkusens Abwehrchef. Im DFB.de-Interview mit Mitarbeiter Denis de Haas spricht der 48-malige Nationalspieler und WM-Dritte von 2006, der inzwischen im Kuratorium der DFB-Stiftung Sepp Herberger sitzt, über die Niederlage in Unterhaching, die Häme von Bayern-Spieler Stefan Effenberg und die aktuelle Entwicklung seines Ex-Vereins unter Trainer Roger Schmidt.

DFB.de: Herr Nowotny, Bayer Leverkusen spielt mal wieder in Unterhaching. Haben Sie nach der Auslosung direkt an das Spiel vor 15 Jahren gedacht?

Jens Nowotny: Ehrlich gesagt, nicht. Direkt nach der Auslosung ging es für Bayer ja Schlag auf Schlag. Die Mannschaft hatte wichtige Spiele in der Champions League und in der Bundesliga. Deshalb habe ich mich mit dem DFB-Pokal gar nicht beschäftigt. Das Spiel in Unterhaching hatte ich erst Anfang Dezember auf dem Schirm. Ich saß im Auto und habe mir gedacht: Da kommt doch bestimmt noch was...

DFB.de: So ist es. Wir wollen über das Spiel im Mai 2000 reden. Wie war Ihr Gefühl, als Sie damals den Platz im Sportpark Unterhaching betreten haben?

Nowotny: Eigentlich so wie immer. Es war nicht so, dass wir etwas Dramatisches gefühlt haben. Deshalb haben wir versucht, das Spiel anzugehen wie jedes andere auch.

DFB.de: Spätestens nach Michael Ballacks Eigentor dürfte sich das geändert haben.

Nowotny: Damit ging das Ganze los. Wir wussten, dass wir was zu verlieren haben, und sind ins Schwimmen geraten. Dann hat man sich gefragt, warum ausgerechnet bei Unterhaching alles so gut läuft und warum bei uns nichts klappt. Trotzdem haben wir versucht, uns auf das Wesentliche zu konzentrieren und Fußball zu spielen.

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DFB.de: Der FC Bayern hat rund 15 Kilometer entfernt gegen Bremen gespielt. Haben Sie mitbekommen, was damals zeitgleich in München ablief?

Nowotny: Ja, die Zwischenstände wurden durchgesagt. Den Jubel nach den Bayern-Toren haben viele als unsportlich eingestuft. Aber so was kommt nun mal im Fußball vor.

DFB.de: Markus Oberleitner hat nach der Pause für Unterhaching erhöht. Haben Sie noch an den Punkt geglaubt, der zum Titelgewinn gereicht hätte?

Nowotny: Ich habe nicht sofort gedacht: So, das war es jetzt. Allerdings hatte ich auch nicht das Gefühl, dass wir das Spiel noch drehen könnten. Ganz aufgegeben haben wir uns nicht, sonst wären mit Sicherheit noch mehr Tore für Unterhaching gefallen. Trotzdem: Wir befanden uns in einer Art Schockstarre.

DFB.de: Was war nach dem Abpfiff los?

Nowotny: Es herrschte eine riesengroße Traurigkeit. Die Fans im Stadion hatten Tränen in den Augen. Manche haben richtig geschluchzt. Ich war abends noch mit Manager Reiner Calmund für das Fernsehen in Leverkusen. Da haben wir die Häme von Bayern-Kapitän Stefan Effenberg mitbekommen. Ich weiß nicht, ob so etwas dazugehören muss. Aber man muss solche Momente ertragen können, wenn man im Profigeschäft tätig ist.

DFB.de: Haben Sie noch Kontakt zu den Spielern, die 2000 mit Ihnen im Kader waren?

Nowotny: Mit Carsten Ramelow habe ich regelmäßig Kontakt. Und Anfang Dezember gab es auf dem 50. Geburtstag von Ulf Kirsten das große Wiedersehen. Da waren auch Oliver Neuville, Bernd Schneider und Boris Zivkovic eingeladen. Auch anderen Spielern laufe ich oft über den Weg. Es ist immer wieder schön, alte Weggefährten zu sehen.

DFB.de: War die Niederlage in Unterhaching die schwerste in Ihrer Karriere?

Nowotny: Auf dem Platz definitiv. Eine weitere schwere Niederlage habe ich von der Bank aus miterlebt: Die Erfahrungen nach dem 0:2 gegen Italien bei der WM 2006 waren auch schon grenzwertig. Von dieser Niederlage im Halbfinale war schließlich die ganze Nation betroffen.

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DFB.de: Sie haben ein halbes Jahr nach diesem Turnier Ihre Karriere beendet. Wie verfolgen Sie aktuell die Spiele von Bayer Leverkusen?

Nowotny: Wenn Partien anstehen, schaue ich mir die schon an. Ich werde auch oft auf Bayer angesprochen. Deshalb ist es wichtig, stets informiert zu sein. Man will schließlich nicht als Ahnungsloser dastehen.

DFB.de: Wie gefällt Ihnen die Art und Weise, mit der Bayer aktuell Fußball spielt?

Nowotny: Phasenweise gefällt sie mir ganz gut. Aber manchmal ist auch Sand in Getriebe, weil die Mannschaft die Philosophie von Trainer Roger Schmidt nicht umsetzen kann. Wenn wichtige Spieler wie Ömer Toprak, Tin Jedvaj oder Lars Bender fehlen, dann stockt es. Das zermürbt auch die Fans. Wenn ich mir Spiele wie gegen Schalke 04 anschaue, wo die Mannschaft durch ein Eigentor noch einen glücklichen Punkt einfährt, dann muss ich sagen: Das ist vom Anspruch her einfach zu wenig.

DFB.de: Inwieweit bestimmt heutzutage noch Fußball ihr Leben?

Nowotny: Ich bin noch als Spielerberater tätig und arbeite mit dem Ex-Nationalspieler Bernd Cullmann zusammen. Dann habe ich für den DFB das Projekt "Anstoß für ein neues Leben" unterstützt und in diesem Zusammenhang auch die Justizvollzugsanstalten in Heinsberg und Siegburg besucht. Darüber bin ich ins Kuratorium der Sepp-Herberger-Stiftung berufen worden. Ich glaube, dass man dort mit den richtigen Partnern gute Projekte anstoßen kann. Und dann bin ich in meinem Verein, dem JFC Biesfeld/Kürten/Olpe, noch als Aushilfstrainer und Betreuer tätig.

DFB.de: Findet sich bei den ganzen Terminen noch Zeit, nach Unterhaching zu fahren und sich dort das Achtelfinale anzuschauen?

Nowotny: Vielleicht werde ich mir das Spiel im Münchner Stadion angucken. Nur nach Unterhaching werde ich nicht fahren. Wenn die Termine sich nicht so ergeben, gucke ich mir das Spiel auf jeden Fall zu Hause vor dem Fernseher an.

DFB.de: Wie lautet Ihr Tipp für das Pokalduell?

Nowotny: Leverkusen wird mit 3:0 gewinnen.

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