Nationalkeeper Adler: "Neue Spieler erweitern unsere Möglichkeiten"

Im Jahr 2012 gehörte die Geschichte von René Adler zu den Sport-Comebacks des Jahres. Nach vielen Verletzungen kämpfte sich der Torhüter nach dem Wechsel von Leverkusen nach Hamburg auf sein altes Niveau zurück. Gekrönt wurde sein Aufstieg durch die Nominierung für die Nationalmannschaft im November zum Spiel gegen die Niederlande.

Ein halbes Jahr später ist der 28-Jährige fester Bestandteil des DFB-Teams, bei der USA Reise ist der Torhüter des HSV die deutsche Nummer eins. Im DFB.de-Interview mit Redakteur Steffen Lüdeke spricht Adler vor den Länderspielen in Boca Raton gegen Ecuador am Mittwoch (ab 20.30 Uhr, live in der ARD) und in Washington gegen Gastgeber USA am Sonntag (ab 20.30 Uhr, live im ZDF) über das Torwarttraining im Verein und bei der Nationalmannschaft, die Konkurrenz unter den Torhütern und seine Methoden, sich optimal auf ein Spiel vorzubereiten.

DFB.de: Herr Adler, im Training am Dienstag haben Sie die Spieler zur Verzweiflung getrieben, Sie haben kaum Tore zugelassen.

René Adler: Na ja. Ich mag diese Übungen, Spielformen an deren Ende Flanken und Torschuss stehen. Es ergeben sich dann Situationen, in denen man mit den Stürmern ein bisschen spielen kann, eins gegen eins. Gestern hat es das eine oder andere Mal geklappt, das stimmt. Ganz generell habe ich hier einfach sehr viel Spaß im Training. Wir können bei 30 Grad trainieren, der Platz ist in einem Topzustand. Und wenn man seine Arbeit mit Freude erledigen kann, dann wirkt sich das auch auf die Leistung aus.

DFB.de: Wie wichtig sind gute Trainingsleistungen für Ihr Selbstbewusstsein und damit für Ihr Spiel?

Adler: Ich gehe in jedes Training mit der Ambition, mein Bestes zu geben. Es wäre für mich völlig undenkbar, während der Woche nur mit halber Kraft zu trainieren und dann am Wochenende zu versuchen, den Schalter umzulegen. Mein Ziel ist es bei jeder Einheit, mich ein kleines Stück weiterzuentwickeln. Das klappt nicht immer, manchmal hat man einfach einen schlechten Tag. Aber die Intention bei jeder Einheit ist es, das eigene Spiel zu verbessern. Deswegen arbeite ich immer sehr konzentriert und bemühe mich um die richtige Einstellung. Nur wenn man mit der richtigen Einstellung trainiert, kann man auch mit der richtigen Einstellung ins Spiel gehen.

DFB.de: Wie sehr unterscheidet sich das Torwarttraining bei der Nationalmannschaft von dem im Verein?

Adler: Es gibt Unterschiede, aber es ist nicht so, dass wir im Verein nach Schema X trainieren und bei der Nationalmannschaft nach Schema Y. Mit Ronny Teuber arbeite ich beim HSV über einen langen Zeitraum jeden Tag intensiv zusammen. Wir haben unsere Repertoire an Übungen, das zwar variiert wird, sich aber doch wiederholt. Bei aller Abwechslung, die Ronny wirklich sensationell gestaltet - diese Wiederholungen sind ein wichtiger Aspekt des Torwarttrainings. Neben der klassischen Abwehr von Schüssen und dem Verhindern von Toren liegen die Schwerpunkte auf der Spieleröffnung, auf Ballan- und mitnahme, auf Beidfüßigkeit und Athletik. Diese Inhalte gehen wir einzeln durch. Bei der Nationalmannschaft ist es ähnlich, nur dass wir meistens viel weniger Zeit haben und sich dies natürlich auf die Trainingsgestaltung auswirkt. Aber ganz grundsätzlich ist nahezu identisch, was im Verein und in der Nationalmannschaft vom Torwartspiel erwartet wird. Die Philosophie und die Anforderungen an die Torhüter sind beinahe gleich.

DFB.de: In Leverkusen hat Sie Rüdiger Vollborn zu Deutschlands Nummer eins geformt, in Hamburg haben Sie mit Hilfe von Ronny Teuber zu alter Stärke gefunden. Wie wichtig für Ihre Karriere ist die Arbeit mit Andreas Köpke, dem Torwarttrainer der DFB-Auswahl?

Adler: Sehr wichtig. Er präpariert uns, er bereitet uns vor. Andi schafft es sehr gut, den Torhütern Sicherheit zu geben. Ich arbeite jetzt schon lange mit "Köppi" zusammen, und das funktioniert hervorragend. Er sorgt dafür, dass wir immer top auf die Gegner vorbereitet sind. Das Training ist abwechslungsreich, macht Spaß und bringt mich weiter. Grundsätzlich kann man sagen, dass die Nationalmannschaft die Spieler, die sie erleben dürfen, verbessert. Schon weil das Trainingsniveau extrem hoch ist. Wir haben uns zu einer der weltbesten Mannschaften entwickelt, eine Mannschaft, in der viele Spieler stehen, die schon jetzt Weltklasse verkörpern oder auf dem Weg dorthin sind. Losgelöst vom Torwarttraining, ist dies in vielen kleinen Spielformen zu sehen. Das bedeutet für alle Spieler, dass sie sich extrem konzentrieren und immer fokussiert bleiben müssen. Das ist ein Unterschied zum Verein, beim DFB trainiert und spielt man mit den besten Spielern des Landes Fußball. Für die Torhüter bedeutet dies, dass sie gedanklich, mental, in jedem Training voll präsent sein müssen. Und das ist gut für die Entwicklung.

DFB.de: Deutschland gilt als das Land der Torhüter. Zu Beginn Ihrer Karriere haben Sie sich dennoch eher an ausländischen Torhütern orientiert. Peter Schmeichel und Rinat Dassajew haben Sie als Vorbilder genannt. Warum gerade die beiden?

Adler: Es ist nicht so, dass ich mich nicht für den Fußball in Deutschland interessiert hätte. Natürlich habe ich die Bundesliga verfolgt und speziell auf die Torhüter geachtet. Wie sie reagieren, welche Art des Torwartspiels sie verkörpern. Auch von deutschen Torhütern habe ich mir einiges abgeschaut und versucht, in mein Spiel zu integrieren. Und dennoch würde ich die beiden nennen. Schmeichel ist zwar ein komplett anderer Torhütertyp, und ich werde nie so spielen wie er. Aber mir haben seine Kraft, seine Aggressivität und seine Power imponiert. Er war wahrlich nicht leicht und konnte trotzdem enorm springen. Auf die Sprungfähigkeit habe ich immer besonders geachtet, weil sie den Unterschied ausmacht. Deswegen schaue ich, ob ein Torhüter springen kann oder ob er sich nur fallen lässt. Mir hat auch Schmeichels Strafraumbeherrschung imponiert, genauso wie seine Bereitschaft, Risiken einzugehen.

DFB.de: Und Dassajew?

Adler: Seine Zeit war ja noch ein bisschen früher. Und doch war und bin ich immer noch von ihm begeistert. Noch heute schaue ich mir auf Youtube Videos mit seinen Spielen an. Es ist faszinierend zu sehen, mit welcher Ruhe, mit welchem Selbstverständnis und welcher Eleganz er gespielt hat.

DFB.de: Zu Beginn Ihrer Karriere musste man Sie fast zwingen, ins Tor zu gehen. Sie wollten eigentlich Feldspieler werden. Wie froh sind Sie gerade hier in Miami darüber, dass Sie sich damals nicht durchgesetzt haben?

Adler: Warum sollte ich gerade hier froh darüber sein?

DFB.de: Weil die Spieler vom Bundestrainer in den Trainingseinheiten ziemlich gescheucht werden. Gepaart mit der brütenden Hitze ergibt dies eine ordentliche Belastung. Die Spieler sind nach den Einheiten regelmäßig ziemlich verausgabt.

Adler: Ach so, das stimmt natürlich. Wobei ich das eigentlich anders sehe. Man hat immer die Möglichkeit, die Dinge von verschiedenen Seiten zu betrachten. Natürlich ist es warm, natürlich ist das Training anstrengend. Aber es wäre geradezu grotesk, sich über die Bedingungen hier zu beklagen. Das macht auch niemand. Die Nationalmannschaft ist immer eine absolute Auszeichnung. Hier dabei zu sein, ist für jeden Spieler eine Ehre, und deswegen sind alle mit großer Freude dabei. Außerdem können wir in Florida bei 30 Grad trainieren, in Deutschland frieren die Leute bei zehn Grad. Wobei auch klar ist, dass das hier alles andere als eine Urlaubreise ist.

DFB.de: Wie sehr ärgert es Sie dann, dass in Deutschland in Bezug auf die USA-Reise der Nationalmannschaft oft von Urlaub gesprochen wird?

Adler: Im Fußball geht es um Ergebnisse, und daran wird die Reise gemessen werden. Wir sollten uns ein bisschen davon freimachen, dass es Kritik im Vorfeld gegeben hat. Ich kann diese auch nicht nachvollziehen, denn es ist doch ausschließlich positiv, dass zwei deutsche Mannschaften das Champions-League-Finale erreicht haben. Das ist für den gesamten Fußball in Deutschland gut, auch für die Nationalmannschaft. Dies gibt Spielern eine Chance, sich in dem Kreis hier zu bewähren, die sonst eventuell nicht dabei wären. Und wer das Training hier beobachtet, hat gesehen, dass das Niveau sehr hoch ist. Neue Spieler erweitern die Möglichkeiten - auch im Hinblick auf die WM, bei der man viele Spieler braucht. Daran kann ich nichts Negatives finden.

DFB.de: Sie arbeiten hier zum ersten Mal in der Konstellation mit Ron-Robert Zieler und Marc-André ter Stegen. Wie würden Sie das Miteinander beschreiben?

Adler: Absolut positiv, wobei ich im Verhältnis der Torhüter untereinander bei der Nationalmannschaft noch nie Probleme hatte. Nicht mit Manuel neuer, auch nicht mit Tim Wiese oder früher mit Jens Lehmann. Dass wir miteinander konkurrieren, ist völlig klar und muss auch so sein. Wir schenken uns nichts und sind alle extrem ehrgeizig. Diese Rivalität ist wichtig und gut, sie fördert jeden einzelnen von uns. Das geht aber nicht auf Kosten des Spaßes, der Fairness und der Kollegialität. Wichtig ist, und darauf legen die Trainer auch großen Wert, dass wir alle ein gemeinsames Ziel verfolgen.

DFB.de: Zur Spielvorbereitung schreiben Sie am Vorabend der Partie immer auf einen Zettel, was Sie im Spiel von sich erwarten. Wissen Sie schon, was Sie heute Abend notieren werden?

Adler: Ich habe das früher gemacht, das stimmt, zuletzt allerdings nicht mehr so häufig. Ich befasse mich sehr intensiv mit Möglichkeiten, meine Entwicklung voranzutreiben. Das gehörte dazu. Es hat mir geholfen, mir gezielt bewusst zu machen, worauf ich mich speziell konzentrieren will. Allerdings ist nicht wichtig, ob man sich das im Kopf notiert oder zu Papier bringt. Meine Spielvorbereitung ist relativ akribisch. Sich keine Gedanken machen, einfach rausgehen und spielen - das ist nicht meins. Eigentlich ist die ganze Woche darauf ausgelegt, am Wochenende eine gute Leistung zu bringen.

DFB.de: Das klingt nach einem relativ unentspannten Leben.

Adler: Gar nicht, weil Entspannung und Regenration Teil der Vorbereitung sind. Dazu gehört es auch, mal abzuschalten, mal an andere Dinge zu denken, mal rauszugehen und einen Spaziergang zu machen. Für mich ist all das ein Bestandteil, um eine gute Leistung zeigen zu können. So wie eben auch, sich am Vorabend des Spiels noch einmal mit seinen Zielen und Aufgaben für das Spiel zu beschäftigen.

DFB.de: Sind diese nicht jedes Mal die gleichen?

Adler: Nein, schon deswegen nicht, weil man sich nicht in jedem Spiel und auch nicht vor jedem Spiel gleich fühlt. Mal ist man nervöser, dann muss man Methoden finden, mit der Nervosität umzugehen. Mal ist man euphorischer und fühlt sich sehr stark. Dann nehme ich mir vor, möglichst einfach zu spielen und den Impuls zu unterdrücken, etwas Besonderes zu machen. Mal hat man das Gefühl, alles läuft von selbst, dann muss man verhindern, die Konzentration zu verlieren. Wenn man sich mit diesen Konstellationen befasst, kann man im Vorfeld steuern, wie man sich im Spiel verhalten wird.

DFB.de: Wie sehr haben Sie sich schon mit den Stürmern Ecuadors befasst? Wissen Sie, wer mit welchen Fuß schießt und wer welche besonderen Fähigkeiten hat?

Adler: Man darf es mit der Vorbereitung auch nicht übertreiben. Es ist nicht so, dass ich schon Tage vorher alle erdenklichen Informationen haben will und damit alle verrückt mache. Wir haben am Sonntag angefangen, die Mannschaft Ecuadors zu studieren. Am Montag hatten wir die intensive Videoanalyse mit Urs Siegenthaler, die immer sehr detailliert und aufschlussreich ist. Und ich habe mein Playbook dabei, auf dem Videosequenzen aufgespielt sind mit Standardsituationen, Elfmeterschützen und anderen Informationen. Die werde ich mir heute im Bus auf dem Weg nach Boca Raton das erste Mal intensiv anschauen. Für mich ist es wichtig zu wissen, wie sich die Stürmer bewegen, ob sie irgendwelche typischen Abläufe haben. Und ganz generell, wie sich die Mannschaft bei Standardsituationen verhält, auch bei Flanken und in Kontersituationen.

DFB.de: Bei Ihrem Comeback für die Nationalmannschaft haben Sie unter Flutlicht vor 80.000 Zuschauern im Stade de France gegen Frankreich gespielt. Am Mittwoch wird bei der Zuschauerzahl wohl eine Null fehlen, zudem findet das Spiel um 14.30 Uhr amerikanischer Zeit statt. Wie schwer ist es, sich angesichts dieser Umstände auf die Aufgaben zu konzentrieren?

Adler: Unter dem Strich spielt es für mich keine große Rolle, ob ich vor 8000 oder vor 80.000 Zuschauern spiele. In der Regel bin ich so konzentriert, dass das Drumherum keine große Bedeutung hat. Mir ist wichtig, dass mein Siel stimmt, darauf konzentriere ich mich in gleicher Intensität, unabhängig von der Bedeutung und der Kulisse des Spiels. Das fällt vielleicht ein bisschen leichter, wenn das Ambiente stimmt. Aber gerade bei einem Länderspiel müssen wir uns nicht darüber unterhalten, ob es schwer ist, sich für das Spiel zu motivieren.

DFB.de: Sie haben nach dem Frankreich-Spiel gesagt, dass Sie die Partie nicht richtig genießen konnten, weil Sie dafür zu lange nicht mehr auf diesem Niveau gespielt hatten. Wie groß ist die Hoffnung, dass dies im Rahmen der USA-Reise anders sein wird?

Adler: Ich hoffe das sehr. Der Druck im Frankreich-Spiel war aus vielen Gründen sehr groß. Es war mein Comeback, und wenn ich schon die Möglichkeit bekomme, wieder für Deutschland zu spielen, dann sollte ich auch einigermaßen passabel agieren. Hinzu kam die besondere Situation mit der langen Durststrecke gegen Frankreich. Im Spiel gelingt es, diese Gedanken beiseite zu schieben. Aber: Es kostet Energie, das alles von ich fernzuhalten. Und daran muss man sich erst wieder gewöhnen. Wenn man im Alltag ein Spiel pro Woche auf "normalen" Bundesliganiveau bestreitet, ist das etwas anderes, als wenn man - wie gegen Frankreich - auf eine Mannschaft mit Weltklasseformat trifft. Nach dem Schlusspfiff habe ich gemerkt, wie platt ich war.

Das meinen DFB.de-User:

"Ich möchte mich für diesen guten Bericht bedanken. Herr Adler ist ein außergewöhnlich guter Torwart. Ich kann nur meine Hochachtung für Ihn aussprechen und wünsche Ihm weiterhin Erfolg und Gesundheit. Er wird sicher seine sehr guten Fähigkeiten auch nach seiner Torwartzeit positiv einsetzen können! Grüße auch an die Mannschaft!" (Wilhelm Schäfer, Leverkusen)

"Ich habe mich sehr über das Interview mit René Adler gefreut und finde seine Gedankengänge klar. Ich lese und höre gerne von ihm. Und möchte rückmelden: 'Lieber René Adler, scheint geklappt zu haben, mit dem Abgucken der "Ruhe" vom Vorbild Dassajew.' ;-) Ich wünsche dem gesamten Team viel Spaß und Erfolg in Miami. Und grüße herzlich aus Freiburg im Breisgau." (Bärbel Rapparlie)

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Im Jahr 2012 gehörte die Geschichte von René Adler zu den Sport-Comebacks des Jahres. Nach vielen Verletzungen kämpfte sich der Torhüter nach dem Wechsel von Leverkusen nach Hamburg auf sein altes Niveau zurück. Gekrönt wurde sein Aufstieg durch die Nominierung für die Nationalmannschaft im November zum Spiel gegen die Niederlande.

Ein halbes Jahr später ist der 28-Jährige fester Bestandteil des DFB-Teams, bei der USA Reise ist der Torhüter des HSV die deutsche Nummer eins. Im DFB.de-Interview mit Redakteur Steffen Lüdeke spricht Adler vor den Länderspielen in Boca Raton gegen Ecuador am Mittwoch (ab 20.30 Uhr, live in der ARD) und in Washington gegen Gastgeber USA am Sonntag (ab 20.30 Uhr, live im ZDF) über das Torwarttraining im Verein und bei der Nationalmannschaft, die Konkurrenz unter den Torhütern und seine Methoden, sich optimal auf ein Spiel vorzubereiten.

DFB.de: Herr Adler, im Training am Dienstag haben Sie die Spieler zur Verzweiflung getrieben, Sie haben kaum Tore zugelassen.

René Adler: Na ja. Ich mag diese Übungen, Spielformen an deren Ende Flanken und Torschuss stehen. Es ergeben sich dann Situationen, in denen man mit den Stürmern ein bisschen spielen kann, eins gegen eins. Gestern hat es das eine oder andere Mal geklappt, das stimmt. Ganz generell habe ich hier einfach sehr viel Spaß im Training. Wir können bei 30 Grad trainieren, der Platz ist in einem Topzustand. Und wenn man seine Arbeit mit Freude erledigen kann, dann wirkt sich das auch auf die Leistung aus.

DFB.de: Wie wichtig sind gute Trainingsleistungen für Ihr Selbstbewusstsein und damit für Ihr Spiel?

Adler: Ich gehe in jedes Training mit der Ambition, mein Bestes zu geben. Es wäre für mich völlig undenkbar, während der Woche nur mit halber Kraft zu trainieren und dann am Wochenende zu versuchen, den Schalter umzulegen. Mein Ziel ist es bei jeder Einheit, mich ein kleines Stück weiterzuentwickeln. Das klappt nicht immer, manchmal hat man einfach einen schlechten Tag. Aber die Intention bei jeder Einheit ist es, das eigene Spiel zu verbessern. Deswegen arbeite ich immer sehr konzentriert und bemühe mich um die richtige Einstellung. Nur wenn man mit der richtigen Einstellung trainiert, kann man auch mit der richtigen Einstellung ins Spiel gehen.

DFB.de: Wie sehr unterscheidet sich das Torwarttraining bei der Nationalmannschaft von dem im Verein?

Adler: Es gibt Unterschiede, aber es ist nicht so, dass wir im Verein nach Schema X trainieren und bei der Nationalmannschaft nach Schema Y. Mit Ronny Teuber arbeite ich beim HSV über einen langen Zeitraum jeden Tag intensiv zusammen. Wir haben unsere Repertoire an Übungen, das zwar variiert wird, sich aber doch wiederholt. Bei aller Abwechslung, die Ronny wirklich sensationell gestaltet - diese Wiederholungen sind ein wichtiger Aspekt des Torwarttrainings. Neben der klassischen Abwehr von Schüssen und dem Verhindern von Toren liegen die Schwerpunkte auf der Spieleröffnung, auf Ballan- und mitnahme, auf Beidfüßigkeit und Athletik. Diese Inhalte gehen wir einzeln durch. Bei der Nationalmannschaft ist es ähnlich, nur dass wir meistens viel weniger Zeit haben und sich dies natürlich auf die Trainingsgestaltung auswirkt. Aber ganz grundsätzlich ist nahezu identisch, was im Verein und in der Nationalmannschaft vom Torwartspiel erwartet wird. Die Philosophie und die Anforderungen an die Torhüter sind beinahe gleich.

DFB.de: In Leverkusen hat Sie Rüdiger Vollborn zu Deutschlands Nummer eins geformt, in Hamburg haben Sie mit Hilfe von Ronny Teuber zu alter Stärke gefunden. Wie wichtig für Ihre Karriere ist die Arbeit mit Andreas Köpke, dem Torwarttrainer der DFB-Auswahl?

Adler: Sehr wichtig. Er präpariert uns, er bereitet uns vor. Andi schafft es sehr gut, den Torhütern Sicherheit zu geben. Ich arbeite jetzt schon lange mit "Köppi" zusammen, und das funktioniert hervorragend. Er sorgt dafür, dass wir immer top auf die Gegner vorbereitet sind. Das Training ist abwechslungsreich, macht Spaß und bringt mich weiter. Grundsätzlich kann man sagen, dass die Nationalmannschaft die Spieler, die sie erleben dürfen, verbessert. Schon weil das Trainingsniveau extrem hoch ist. Wir haben uns zu einer der weltbesten Mannschaften entwickelt, eine Mannschaft, in der viele Spieler stehen, die schon jetzt Weltklasse verkörpern oder auf dem Weg dorthin sind. Losgelöst vom Torwarttraining, ist dies in vielen kleinen Spielformen zu sehen. Das bedeutet für alle Spieler, dass sie sich extrem konzentrieren und immer fokussiert bleiben müssen. Das ist ein Unterschied zum Verein, beim DFB trainiert und spielt man mit den besten Spielern des Landes Fußball. Für die Torhüter bedeutet dies, dass sie gedanklich, mental, in jedem Training voll präsent sein müssen. Und das ist gut für die Entwicklung.

DFB.de: Deutschland gilt als das Land der Torhüter. Zu Beginn Ihrer Karriere haben Sie sich dennoch eher an ausländischen Torhütern orientiert. Peter Schmeichel und Rinat Dassajew haben Sie als Vorbilder genannt. Warum gerade die beiden?

Adler: Es ist nicht so, dass ich mich nicht für den Fußball in Deutschland interessiert hätte. Natürlich habe ich die Bundesliga verfolgt und speziell auf die Torhüter geachtet. Wie sie reagieren, welche Art des Torwartspiels sie verkörpern. Auch von deutschen Torhütern habe ich mir einiges abgeschaut und versucht, in mein Spiel zu integrieren. Und dennoch würde ich die beiden nennen. Schmeichel ist zwar ein komplett anderer Torhütertyp, und ich werde nie so spielen wie er. Aber mir haben seine Kraft, seine Aggressivität und seine Power imponiert. Er war wahrlich nicht leicht und konnte trotzdem enorm springen. Auf die Sprungfähigkeit habe ich immer besonders geachtet, weil sie den Unterschied ausmacht. Deswegen schaue ich, ob ein Torhüter springen kann oder ob er sich nur fallen lässt. Mir hat auch Schmeichels Strafraumbeherrschung imponiert, genauso wie seine Bereitschaft, Risiken einzugehen.

DFB.de: Und Dassajew?

Adler: Seine Zeit war ja noch ein bisschen früher. Und doch war und bin ich immer noch von ihm begeistert. Noch heute schaue ich mir auf Youtube Videos mit seinen Spielen an. Es ist faszinierend zu sehen, mit welcher Ruhe, mit welchem Selbstverständnis und welcher Eleganz er gespielt hat.

DFB.de: Zu Beginn Ihrer Karriere musste man Sie fast zwingen, ins Tor zu gehen. Sie wollten eigentlich Feldspieler werden. Wie froh sind Sie gerade hier in Miami darüber, dass Sie sich damals nicht durchgesetzt haben?

Adler: Warum sollte ich gerade hier froh darüber sein?

DFB.de: Weil die Spieler vom Bundestrainer in den Trainingseinheiten ziemlich gescheucht werden. Gepaart mit der brütenden Hitze ergibt dies eine ordentliche Belastung. Die Spieler sind nach den Einheiten regelmäßig ziemlich verausgabt.

Adler: Ach so, das stimmt natürlich. Wobei ich das eigentlich anders sehe. Man hat immer die Möglichkeit, die Dinge von verschiedenen Seiten zu betrachten. Natürlich ist es warm, natürlich ist das Training anstrengend. Aber es wäre geradezu grotesk, sich über die Bedingungen hier zu beklagen. Das macht auch niemand. Die Nationalmannschaft ist immer eine absolute Auszeichnung. Hier dabei zu sein, ist für jeden Spieler eine Ehre, und deswegen sind alle mit großer Freude dabei. Außerdem können wir in Florida bei 30 Grad trainieren, in Deutschland frieren die Leute bei zehn Grad. Wobei auch klar ist, dass das hier alles andere als eine Urlaubreise ist.

DFB.de: Wie sehr ärgert es Sie dann, dass in Deutschland in Bezug auf die USA-Reise der Nationalmannschaft oft von Urlaub gesprochen wird?

Adler: Im Fußball geht es um Ergebnisse, und daran wird die Reise gemessen werden. Wir sollten uns ein bisschen davon freimachen, dass es Kritik im Vorfeld gegeben hat. Ich kann diese auch nicht nachvollziehen, denn es ist doch ausschließlich positiv, dass zwei deutsche Mannschaften das Champions-League-Finale erreicht haben. Das ist für den gesamten Fußball in Deutschland gut, auch für die Nationalmannschaft. Dies gibt Spielern eine Chance, sich in dem Kreis hier zu bewähren, die sonst eventuell nicht dabei wären. Und wer das Training hier beobachtet, hat gesehen, dass das Niveau sehr hoch ist. Neue Spieler erweitern die Möglichkeiten - auch im Hinblick auf die WM, bei der man viele Spieler braucht. Daran kann ich nichts Negatives finden.

DFB.de: Sie arbeiten hier zum ersten Mal in der Konstellation mit Ron-Robert Zieler und Marc-André ter Stegen. Wie würden Sie das Miteinander beschreiben?

Adler: Absolut positiv, wobei ich im Verhältnis der Torhüter untereinander bei der Nationalmannschaft noch nie Probleme hatte. Nicht mit Manuel neuer, auch nicht mit Tim Wiese oder früher mit Jens Lehmann. Dass wir miteinander konkurrieren, ist völlig klar und muss auch so sein. Wir schenken uns nichts und sind alle extrem ehrgeizig. Diese Rivalität ist wichtig und gut, sie fördert jeden einzelnen von uns. Das geht aber nicht auf Kosten des Spaßes, der Fairness und der Kollegialität. Wichtig ist, und darauf legen die Trainer auch großen Wert, dass wir alle ein gemeinsames Ziel verfolgen.

DFB.de: Zur Spielvorbereitung schreiben Sie am Vorabend der Partie immer auf einen Zettel, was Sie im Spiel von sich erwarten. Wissen Sie schon, was Sie heute Abend notieren werden?

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Adler: Ich habe das früher gemacht, das stimmt, zuletzt allerdings nicht mehr so häufig. Ich befasse mich sehr intensiv mit Möglichkeiten, meine Entwicklung voranzutreiben. Das gehörte dazu. Es hat mir geholfen, mir gezielt bewusst zu machen, worauf ich mich speziell konzentrieren will. Allerdings ist nicht wichtig, ob man sich das im Kopf notiert oder zu Papier bringt. Meine Spielvorbereitung ist relativ akribisch. Sich keine Gedanken machen, einfach rausgehen und spielen - das ist nicht meins. Eigentlich ist die ganze Woche darauf ausgelegt, am Wochenende eine gute Leistung zu bringen.

DFB.de: Das klingt nach einem relativ unentspannten Leben.

Adler: Gar nicht, weil Entspannung und Regenration Teil der Vorbereitung sind. Dazu gehört es auch, mal abzuschalten, mal an andere Dinge zu denken, mal rauszugehen und einen Spaziergang zu machen. Für mich ist all das ein Bestandteil, um eine gute Leistung zeigen zu können. So wie eben auch, sich am Vorabend des Spiels noch einmal mit seinen Zielen und Aufgaben für das Spiel zu beschäftigen.

DFB.de: Sind diese nicht jedes Mal die gleichen?

Adler: Nein, schon deswegen nicht, weil man sich nicht in jedem Spiel und auch nicht vor jedem Spiel gleich fühlt. Mal ist man nervöser, dann muss man Methoden finden, mit der Nervosität umzugehen. Mal ist man euphorischer und fühlt sich sehr stark. Dann nehme ich mir vor, möglichst einfach zu spielen und den Impuls zu unterdrücken, etwas Besonderes zu machen. Mal hat man das Gefühl, alles läuft von selbst, dann muss man verhindern, die Konzentration zu verlieren. Wenn man sich mit diesen Konstellationen befasst, kann man im Vorfeld steuern, wie man sich im Spiel verhalten wird.

DFB.de: Wie sehr haben Sie sich schon mit den Stürmern Ecuadors befasst? Wissen Sie, wer mit welchen Fuß schießt und wer welche besonderen Fähigkeiten hat?

Adler: Man darf es mit der Vorbereitung auch nicht übertreiben. Es ist nicht so, dass ich schon Tage vorher alle erdenklichen Informationen haben will und damit alle verrückt mache. Wir haben am Sonntag angefangen, die Mannschaft Ecuadors zu studieren. Am Montag hatten wir die intensive Videoanalyse mit Urs Siegenthaler, die immer sehr detailliert und aufschlussreich ist. Und ich habe mein Playbook dabei, auf dem Videosequenzen aufgespielt sind mit Standardsituationen, Elfmeterschützen und anderen Informationen. Die werde ich mir heute im Bus auf dem Weg nach Boca Raton das erste Mal intensiv anschauen. Für mich ist es wichtig zu wissen, wie sich die Stürmer bewegen, ob sie irgendwelche typischen Abläufe haben. Und ganz generell, wie sich die Mannschaft bei Standardsituationen verhält, auch bei Flanken und in Kontersituationen.

DFB.de: Bei Ihrem Comeback für die Nationalmannschaft haben Sie unter Flutlicht vor 80.000 Zuschauern im Stade de France gegen Frankreich gespielt. Am Mittwoch wird bei der Zuschauerzahl wohl eine Null fehlen, zudem findet das Spiel um 14.30 Uhr amerikanischer Zeit statt. Wie schwer ist es, sich angesichts dieser Umstände auf die Aufgaben zu konzentrieren?

Adler: Unter dem Strich spielt es für mich keine große Rolle, ob ich vor 8000 oder vor 80.000 Zuschauern spiele. In der Regel bin ich so konzentriert, dass das Drumherum keine große Bedeutung hat. Mir ist wichtig, dass mein Siel stimmt, darauf konzentriere ich mich in gleicher Intensität, unabhängig von der Bedeutung und der Kulisse des Spiels. Das fällt vielleicht ein bisschen leichter, wenn das Ambiente stimmt. Aber gerade bei einem Länderspiel müssen wir uns nicht darüber unterhalten, ob es schwer ist, sich für das Spiel zu motivieren.

DFB.de: Sie haben nach dem Frankreich-Spiel gesagt, dass Sie die Partie nicht richtig genießen konnten, weil Sie dafür zu lange nicht mehr auf diesem Niveau gespielt hatten. Wie groß ist die Hoffnung, dass dies im Rahmen der USA-Reise anders sein wird?

Adler: Ich hoffe das sehr. Der Druck im Frankreich-Spiel war aus vielen Gründen sehr groß. Es war mein Comeback, und wenn ich schon die Möglichkeit bekomme, wieder für Deutschland zu spielen, dann sollte ich auch einigermaßen passabel agieren. Hinzu kam die besondere Situation mit der langen Durststrecke gegen Frankreich. Im Spiel gelingt es, diese Gedanken beiseite zu schieben. Aber: Es kostet Energie, das alles von ich fernzuhalten. Und daran muss man sich erst wieder gewöhnen. Wenn man im Alltag ein Spiel pro Woche auf "normalen" Bundesliganiveau bestreitet, ist das etwas anderes, als wenn man - wie gegen Frankreich - auf eine Mannschaft mit Weltklasseformat trifft. Nach dem Schlusspfiff habe ich gemerkt, wie platt ich war.

Das meinen DFB.de-User:

"Ich möchte mich für diesen guten Bericht bedanken. Herr Adler ist ein außergewöhnlich guter Torwart. Ich kann nur meine Hochachtung für Ihn aussprechen und wünsche Ihm weiterhin Erfolg und Gesundheit. Er wird sicher seine sehr guten Fähigkeiten auch nach seiner Torwartzeit positiv einsetzen können! Grüße auch an die Mannschaft!" (Wilhelm Schäfer, Leverkusen)

"Ich habe mich sehr über das Interview mit René Adler gefreut und finde seine Gedankengänge klar. Ich lese und höre gerne von ihm. Und möchte rückmelden: 'Lieber René Adler, scheint geklappt zu haben, mit dem Abgucken der "Ruhe" vom Vorbild Dassajew.' ;-) Ich wünsche dem gesamten Team viel Spaß und Erfolg in Miami. Und grüße herzlich aus Freiburg im Breisgau." (Bärbel Rapparlie)