Moldenhauer: "Der Fußball im Osten braucht Leuchttürme"

Er war in der zerfallenden DDR der letzte Präsident des Deutschen Fußball-Verbandes (DFV). Er ist seit der Wende Präsident des Nordostdeutschen Fußballverbandes (NOFV) und zugleich dienstältestes Mitglied im DFB-Präsidium, dem er seit 1990 angehört, seit 1995 ununterbrochen als Vizepräsident.

Er ist Bindeglied zwischen Ost und West, Leistungssport und Breitenfußball. Vor allem aber ist Dr. Hans-Georg Moldenhauer an diesem 9. November 2009 ein Zeitzeuge, der den Mauerfall vor genau 20 Jahre intensiv miterlebt hat - und seine Auswirkungen auf den Fußball in den neuen Bundesländern von der ersten Stunde an aktiv in führender Position mitgestaltet hat.

In dem aktuellen "DFB.de-Gespräch der Woche" mit Internetredakteur Christian Müller erinnert sich der 67-Jährige an die aufregenden Wendetage und bilanziert die Situation des "Ostfußballs" 20 Jahre danach.

Frage: Herr Dr. Moldenhauer, wie haben Sie persönlich den 9. November 1989 erlebt?

Dr. Hans-Georg Moldenhauer: Es war eine fantastische Zeit, sehr emotional. Einen Tag nach der berühmten Schabowski-Erklärung stand ein Punktspiel um die Magdeburger Stadtmeisterschaft an. Deshalb konnte ich nicht gleich rüberfahren. Einige waren in Hamburg oder München und kamen am nächsten Morgen völlig übernächtigt zurück. Das Erzählen nahm kein Ende. Dann haben wir gespielt und gewonnen. Anschließend bin ich mit meiner Familie nach Braunschweig gefahren, und wir haben auf dem Marktplatz eine Flasche Sekt getrunken.

Frage: Haben Sie da an Fußball denken können?

Moldenhauer: An Fußball habe ich da nicht gedacht - aber danach ging es ziemlich schnell. Dadurch, dass ich ein bekannter Mann im Fußball war, riefen mich die Leute aus den Bezirksverbänden an und sagten: "Wir können nicht nur einfach zuschauen, was in Berlin beschlossen wird. Wir müssen jetzt für den Fußball selbst aktiv werden und eigene Ideen einbringen."

Frage: Welche Ideen waren das?

Moldenhauer: In der DDR-Führung gab es die wildesten Vorstellungen über die Zukunft. Zum Beispiel, den DDR-Fußball-Verband bestehen zu lassen - in einem vereinigten Deutschland. Davon habe ich nichts gehalten. Ich wurde dann im März 1990 zum letzten Präsidenten des Deutschen Fußball-Verbandes gewählt. Damit begann der Stress.

Frage: Ihr Ziel war die Fußball-Einheit, Sie sagten damals: "Je kürzer ich im Amt bin, desto besser." Welche Aufgaben waren auf dem Weg zu bewältigen?

Moldenhauer: Es gab gar keine Strukturen, also mussten wir analog zu den bestehenden DFB-Landesverbänden auch im Osten sechs neue gründen. Und dabei nun selbst, mit Hilfe des DFB, für die Finanzierung sorgen, da dies nicht mehr zentralistisch lief wie noch in der DDR. Das Ehrenamt spielte dabei natürlich eine große Rolle. Die Hauptaufgabe bestand in der anspruchsvollen Umstellung von Betriebssportgemeinschaften auf eingetragene Vereine. Und natürlich mussten die Talentförderung gewährleistet, Vertragsspielersysteme eingeführt und ein kompletter Ausverkauf der ostdeutschen Spitzenspieler verhindert werden. Und dann war da ja noch die DDR-Nationalmannschaft...

Frage: ... die in der Qualifikation für die EM 1992 in eine Gruppe mit der Bundesrepublik gelost worden war.

Moldenhauer: Genau. Die Einheit hatten wir Anfang 1990 zwar noch nicht, aber es war klar, dass wir dieses "Bruderduell" nicht wollten - stattdessen haben wir ein Vereinigungsländerspiel zwischen Deutschland, das im Sommer ´90 ja Weltmeister wurde, und der letzten DDR-Auswahl geplant. Die Plakate für das Spiel im Herbst 1990 waren schon gedruckt, doch dann gab es Ausschreitungen. Und weil wir daraufhin die Sicherheit nicht gewährleisten konnten, haben wir das Vereinigungsspiel schweren Herzens abgesagt - für uns ein materieller und Imageverlust.

Frage: Wie hat sich nach dem unverschuldeten "Fehlstart" die Zusammenarbeit zwischen DFV und DFB gestaltet?

Moldenhauer: Sie lief wirklich von Beginn an hervorragend. Meine ständigen Gesprächspartner waren DFB-Präsident Hermann Neuberger, Schatzmeister Egidius Braun und Engelbert Nelle in Satzungsfragen. Aber auch die Zusammenarbeit mit Goetz Eilers, Gerhard Mayer-Vorfelder, Wolfgang Niersbach, Horst R. Schmidt und Wilfried Straub will ich hervorheben. Neben den genannten Themenfeldern standen sie alle mit Rat und Tat zur Seite in Bereichen der Vereinsberatung, Sponsorensuche und -betreuung wie mit adidas, des Trainer- und Schiedsrichterwesens, der Talentförderung und in allen Fragen, die den Ligen- und Spielbetrieb betrafen.

Frage: Melancholie am 20. November 1990, dem Tag der DFV-Auflösung, Aufbruchstimmung am Tag darauf beim Beitritt des NOFV zum DFB in Leipzig - trifft das die Gefühlslage?

Moldenhauer: Das Qualifikationsjahr für DFV-Klubs, die in den NOFV überführt wurden, brachte es mit sich, dass die Saison als eine Landesmeisterschaft der früheren DDR-Klubs begann und als Regionalmeisterschaft in Gesamtdeutschland endete. Eine Übergangsphase mit allen typischen Begleiterscheinungen, auch emotional manchmal verwirrend. Insgesamt galt bei aller Melancholie das Motto: ab mit alten Zöpfen, neue Chancen nutzen - dabei aber das Bewährte wie etwa die Sportschulen erhalten.

Frage: Formal war die Vereinigung vollzogen. Die innere, gelebte Fußball-Einheit hat länger gebraucht. Ist dieser Prozess überhaupt schon abgeschlossen? Oder gibt es aus Sicht des Fußball-Präsidenten Moldenhauer die Mauer in den Köpfen noch?

Moldenhauer: Ich bin der Überzeugung: Die Fußball-Einheit in den Köpfen ist schneller gelebt worden als die politische Einheit. Auch strukturell ist der Fußball im Osten voll im DFB integriert. Allein die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Vereine ist nicht auf dem Niveau der Westklubs, was sich sportlich natürlich im Spitzenbereich des bezahlten Fußballs niederschlägt.

Frage: Mit Union Berlin, Cottbus und Rostock gibt es gerade noch drei Klubs aus der früheren DDR in der 2. Bundesliga, im Oberhaus keinen mehr. Da muss Ihr Herz doch bluten...

Moldenhauer: Bei der Vereinigung haben wir die "2+6-Regelung" ausgehandelt, also zwei Klubs aus der alten DDR in der Bundesliga und sechs in der 2. Bundesliga. Als Wunschziel - und man sollte sich stets hohe Ziele setzen - haben wir vor 20 Jahren die "Pyramide" formuliert: also drei Ostvereine in der Bundesliga, drei bis vier in der 2. Bundesliga sowie fünf bis sechs darunter. Dieser Wunsch ist aus heutiger Sicht aus den genannten wirtschaftlichen Gründen unrealistisch. Auch wenn wir natürlich mit Hertha BSC Berlin, das zum Verbandsgebiet gehört, einen Erstligisten im NOFV haben.

Frage: Angesichts der schlechteren finanziellen Voraussetzungen: Kann der Weg zum Erfolg nur über eine breite Nachwuchsförderung beschritten werden?

Moldenhauer: Sie spielt dabei auf jeden Fall eine zentrale Rolle. Wir haben sie auch im Vergleich zu DDR-Zeiten noch einmal unheimlich forciert: Heute gibt es im NOFV-Gebiet acht Eliteschulen des Fußballs, 15 sportbetonte Schulen und 90 Stützpunkte, dazu hochqualifiziertes Personal. Die Nachwuchsförderung kann aber nicht das Allheilmittel sein.

Frage: Sondern?

Moldenhauer: Wichtig sind parallel auch der Ausbau der Infrastruktur, der - wenn auch oft zähe - Kampf um Sponsoren, die Traditions- und Imagepflege. Es kann nur über die Identifikation mit Verein und Region gehen.

Frage: Ist das nicht etwas naiv? Die besten Spieler wandern nach wie vor ab.

Moldenhauer: Ob es realistisch ist, dass dieser Trend zumindest teilweise gestoppt werden kann, hängt entscheidend von der Attraktivität der Klubs ab. Die müssen wir ohne Wenn und Aber stärken, durch Sponsoren und Investoren. Der Osten braucht "Leuchttürme", die auf andere Vereine abstrahlen.

Frage: Ein solcher könnte RB Leipzig sein, dessen Investor-Modell freilich kontrovers diskutiert wird. Traditionalisten sind dagegen, Befürworter verweisen auf Dietmar Hopp und seinen Erfolg in Hoffenheim. Sie sehen das Engagement von "Red Bull" und die ehrgeizigen Bundesligaziele der Leipziger vermutlich positiv?

Moldenhauer: Ja, ich betrachte es als große Chance. Leistungsstarke Vereine oder solche mit Potenzial brauchen leistungsstarke Partner: Fußball ist ein Mannschaftsspiel, und die Wirtschaft ist ein nicht unbedeutender Mitspieler im Spitzenbereich. Ob der Weg in Leipzig zum Erfolg führt, vermag ich nicht abzusehen - aber es ist den Versuch wert.

Frage: Immer wieder gibt es Randale rund um Spiele von NOFV-Klubs. Ist Gewaltbereitschaft im Fanlager im Osten ein größeres Problem als im Westen?

Moldenhauer: Nein, ich sehe das als gesellschaftliches, als weltweites Problem. Allerdings nutzen Chaoten gerade im NOFV-Gebiet die Plattform, da die Medien doch gerade Vorfällen im Osten verstärkt aufgreifen. Um das aber klar zu sagen: Damit sollen Ausschreitungen, egal wo sie passieren, nicht bagatellisiert werden! Wir nehmen die Probleme ernst.

Frage: Was tun der Dachverband DFB, der NOFV und die Vereine dagegen?

Moldenhauer: Wir wenden viele Mittel für Fanprojekte und Präventivarbeit auf, betreiben einen enormen Aufwand beim Sicherheitspersonal und stehen in intensivem Austausch mit den Sicherheitsgremien. Es gibt in diesem Bereich eine enge Zusammenarbeit zwischen Vereinen, Landesverbänden und DFB sowie Polizei und Kommunen.

Frage: Die Ziele und Aufgaben des NOFV-Präsidenten kennen wir nun. Was aber wünscht sich der Privatmann Hans-Georg Moldenhauer zum Mauerfall-Jubiläum?

Moldenhauer: Ich wünsche mir, dass die Deutschen noch mehr ihr eigenes Land entdecken. Die Bundesrepublik ist ein fantastisches Reiseland mit herrlichen Landschaften in Ost und West. Für die Ostdeutschen gibt es von der Nordseeküste über den Schwarzwald bis in die Alpen so viel zu erkunden, ebenso für die Westdeutschen in den neuen Bundesländern vom Harz über den Spreewald bis an die Ostsee. Ich glaube, dass so die Verständigung noch weiter vertieft werden kann.

Zur Person: Dr. Hans-Georg Moldenhauer

In seiner Jugend spielte Moldenhauer als Mittelläufer und Libero, ehe er seine wahre fußballerische Bestimmung zwischen den Pfosten fand. 1960 stand er beim UEFA-Juniorenturnier in Österreich im ersten offiziellen Länderspiel zwischen einer DDR-Auswahl und einer BRD-Mannschaft im Tor. Bis 1972 gehörte der Keeper, der 1966 sein Examen als Diplom-Ingenieur für Betriebsgestaltung ablegte und promovierte, der Oberligamannschaft des 1. FC Magdeburg an, für die er 152 Pflichtspiele bestritt und mit der er einen DDR-Meistertitel und drei Pokalsiege gewann. Außerdem zählte der Torwart zwischen 1962 und 1965 zum erweiterten Aufgebot der DDR-Auswahl, "leider ohne dabei zum Einsatz zu kommen".

Schon Vorstandsmitglied in seinem Stammverein, übernahm Moldenhauer nach der Wende auch Verantwortung als DFV-Präsident. Also solcher leitete er den Zusammenschluss mit dem DFB ein, der am 20. November 1990 vollzogen wurde. Im DFB ist der inzwischen 67-Jährige seitdem Präsidiumsmitglied und Präsident des Regionalverbandes NOFV. Ins Ressort des aktuellen DFB-Vizepräsidenten für Qualifizierung fallen unter anderem die Trainerausbildung, die Zukunftsentwicklung des Fußballs und die Delegationsleitung der U 21-Nationalmannschaft.

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Er war in der zerfallenden DDR der letzte Präsident des Deutschen Fußball-Verbandes (DFV). Er ist seit der Wende Präsident des Nordostdeutschen Fußballverbandes (NOFV) und zugleich dienstältestes Mitglied im DFB-Präsidium, dem er seit 1990 angehört, seit 1995 ununterbrochen als Vizepräsident.

Er ist Bindeglied zwischen Ost und West, Leistungssport und Breitenfußball. Vor allem aber ist Dr. Hans-Georg Moldenhauer an diesem 9. November 2009 ein Zeitzeuge, der den Mauerfall vor genau 20 Jahre intensiv miterlebt hat - und seine Auswirkungen auf den Fußball in den neuen Bundesländern von der ersten Stunde an aktiv in führender Position mitgestaltet hat.

In dem aktuellen "DFB.de-Gespräch der Woche" mit Internetredakteur Christian Müller erinnert sich der 67-Jährige an die aufregenden Wendetage und bilanziert die Situation des "Ostfußballs" 20 Jahre danach.

Frage: Herr Dr. Moldenhauer, wie haben Sie persönlich den 9. November 1989 erlebt?

Dr. Hans-Georg Moldenhauer: Es war eine fantastische Zeit, sehr emotional. Einen Tag nach der berühmten Schabowski-Erklärung stand ein Punktspiel um die Magdeburger Stadtmeisterschaft an. Deshalb konnte ich nicht gleich rüberfahren. Einige waren in Hamburg oder München und kamen am nächsten Morgen völlig übernächtigt zurück. Das Erzählen nahm kein Ende. Dann haben wir gespielt und gewonnen. Anschließend bin ich mit meiner Familie nach Braunschweig gefahren, und wir haben auf dem Marktplatz eine Flasche Sekt getrunken.

Frage: Haben Sie da an Fußball denken können?

Moldenhauer: An Fußball habe ich da nicht gedacht - aber danach ging es ziemlich schnell. Dadurch, dass ich ein bekannter Mann im Fußball war, riefen mich die Leute aus den Bezirksverbänden an und sagten: "Wir können nicht nur einfach zuschauen, was in Berlin beschlossen wird. Wir müssen jetzt für den Fußball selbst aktiv werden und eigene Ideen einbringen."

Frage: Welche Ideen waren das?

Moldenhauer: In der DDR-Führung gab es die wildesten Vorstellungen über die Zukunft. Zum Beispiel, den DDR-Fußball-Verband bestehen zu lassen - in einem vereinigten Deutschland. Davon habe ich nichts gehalten. Ich wurde dann im März 1990 zum letzten Präsidenten des Deutschen Fußball-Verbandes gewählt. Damit begann der Stress.

Frage: Ihr Ziel war die Fußball-Einheit, Sie sagten damals: "Je kürzer ich im Amt bin, desto besser." Welche Aufgaben waren auf dem Weg zu bewältigen?

Moldenhauer: Es gab gar keine Strukturen, also mussten wir analog zu den bestehenden DFB-Landesverbänden auch im Osten sechs neue gründen. Und dabei nun selbst, mit Hilfe des DFB, für die Finanzierung sorgen, da dies nicht mehr zentralistisch lief wie noch in der DDR. Das Ehrenamt spielte dabei natürlich eine große Rolle. Die Hauptaufgabe bestand in der anspruchsvollen Umstellung von Betriebssportgemeinschaften auf eingetragene Vereine. Und natürlich mussten die Talentförderung gewährleistet, Vertragsspielersysteme eingeführt und ein kompletter Ausverkauf der ostdeutschen Spitzenspieler verhindert werden. Und dann war da ja noch die DDR-Nationalmannschaft...

Frage: ... die in der Qualifikation für die EM 1992 in eine Gruppe mit der Bundesrepublik gelost worden war.

Moldenhauer: Genau. Die Einheit hatten wir Anfang 1990 zwar noch nicht, aber es war klar, dass wir dieses "Bruderduell" nicht wollten - stattdessen haben wir ein Vereinigungsländerspiel zwischen Deutschland, das im Sommer ´90 ja Weltmeister wurde, und der letzten DDR-Auswahl geplant. Die Plakate für das Spiel im Herbst 1990 waren schon gedruckt, doch dann gab es Ausschreitungen. Und weil wir daraufhin die Sicherheit nicht gewährleisten konnten, haben wir das Vereinigungsspiel schweren Herzens abgesagt - für uns ein materieller und Imageverlust.

Frage: Wie hat sich nach dem unverschuldeten "Fehlstart" die Zusammenarbeit zwischen DFV und DFB gestaltet?

Moldenhauer: Sie lief wirklich von Beginn an hervorragend. Meine ständigen Gesprächspartner waren DFB-Präsident Hermann Neuberger, Schatzmeister Egidius Braun und Engelbert Nelle in Satzungsfragen. Aber auch die Zusammenarbeit mit Goetz Eilers, Gerhard Mayer-Vorfelder, Wolfgang Niersbach, Horst R. Schmidt und Wilfried Straub will ich hervorheben. Neben den genannten Themenfeldern standen sie alle mit Rat und Tat zur Seite in Bereichen der Vereinsberatung, Sponsorensuche und -betreuung wie mit adidas, des Trainer- und Schiedsrichterwesens, der Talentförderung und in allen Fragen, die den Ligen- und Spielbetrieb betrafen.

Frage: Melancholie am 20. November 1990, dem Tag der DFV-Auflösung, Aufbruchstimmung am Tag darauf beim Beitritt des NOFV zum DFB in Leipzig - trifft das die Gefühlslage?

Moldenhauer: Das Qualifikationsjahr für DFV-Klubs, die in den NOFV überführt wurden, brachte es mit sich, dass die Saison als eine Landesmeisterschaft der früheren DDR-Klubs begann und als Regionalmeisterschaft in Gesamtdeutschland endete. Eine Übergangsphase mit allen typischen Begleiterscheinungen, auch emotional manchmal verwirrend. Insgesamt galt bei aller Melancholie das Motto: ab mit alten Zöpfen, neue Chancen nutzen - dabei aber das Bewährte wie etwa die Sportschulen erhalten.

Frage: Formal war die Vereinigung vollzogen. Die innere, gelebte Fußball-Einheit hat länger gebraucht. Ist dieser Prozess überhaupt schon abgeschlossen? Oder gibt es aus Sicht des Fußball-Präsidenten Moldenhauer die Mauer in den Köpfen noch?

Moldenhauer: Ich bin der Überzeugung: Die Fußball-Einheit in den Köpfen ist schneller gelebt worden als die politische Einheit. Auch strukturell ist der Fußball im Osten voll im DFB integriert. Allein die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Vereine ist nicht auf dem Niveau der Westklubs, was sich sportlich natürlich im Spitzenbereich des bezahlten Fußballs niederschlägt.

Frage: Mit Union Berlin, Cottbus und Rostock gibt es gerade noch drei Klubs aus der früheren DDR in der 2. Bundesliga, im Oberhaus keinen mehr. Da muss Ihr Herz doch bluten...

Moldenhauer: Bei der Vereinigung haben wir die "2+6-Regelung" ausgehandelt, also zwei Klubs aus der alten DDR in der Bundesliga und sechs in der 2. Bundesliga. Als Wunschziel - und man sollte sich stets hohe Ziele setzen - haben wir vor 20 Jahren die "Pyramide" formuliert: also drei Ostvereine in der Bundesliga, drei bis vier in der 2. Bundesliga sowie fünf bis sechs darunter. Dieser Wunsch ist aus heutiger Sicht aus den genannten wirtschaftlichen Gründen unrealistisch. Auch wenn wir natürlich mit Hertha BSC Berlin, das zum Verbandsgebiet gehört, einen Erstligisten im NOFV haben.

Frage: Angesichts der schlechteren finanziellen Voraussetzungen: Kann der Weg zum Erfolg nur über eine breite Nachwuchsförderung beschritten werden?

Moldenhauer: Sie spielt dabei auf jeden Fall eine zentrale Rolle. Wir haben sie auch im Vergleich zu DDR-Zeiten noch einmal unheimlich forciert: Heute gibt es im NOFV-Gebiet acht Eliteschulen des Fußballs, 15 sportbetonte Schulen und 90 Stützpunkte, dazu hochqualifiziertes Personal. Die Nachwuchsförderung kann aber nicht das Allheilmittel sein.

Frage: Sondern?

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Moldenhauer: Wichtig sind parallel auch der Ausbau der Infrastruktur, der - wenn auch oft zähe - Kampf um Sponsoren, die Traditions- und Imagepflege. Es kann nur über die Identifikation mit Verein und Region gehen.

Frage: Ist das nicht etwas naiv? Die besten Spieler wandern nach wie vor ab.

Moldenhauer: Ob es realistisch ist, dass dieser Trend zumindest teilweise gestoppt werden kann, hängt entscheidend von der Attraktivität der Klubs ab. Die müssen wir ohne Wenn und Aber stärken, durch Sponsoren und Investoren. Der Osten braucht "Leuchttürme", die auf andere Vereine abstrahlen.

Frage: Ein solcher könnte RB Leipzig sein, dessen Investor-Modell freilich kontrovers diskutiert wird. Traditionalisten sind dagegen, Befürworter verweisen auf Dietmar Hopp und seinen Erfolg in Hoffenheim. Sie sehen das Engagement von "Red Bull" und die ehrgeizigen Bundesligaziele der Leipziger vermutlich positiv?

Moldenhauer: Ja, ich betrachte es als große Chance. Leistungsstarke Vereine oder solche mit Potenzial brauchen leistungsstarke Partner: Fußball ist ein Mannschaftsspiel, und die Wirtschaft ist ein nicht unbedeutender Mitspieler im Spitzenbereich. Ob der Weg in Leipzig zum Erfolg führt, vermag ich nicht abzusehen - aber es ist den Versuch wert.

Frage: Immer wieder gibt es Randale rund um Spiele von NOFV-Klubs. Ist Gewaltbereitschaft im Fanlager im Osten ein größeres Problem als im Westen?

Moldenhauer: Nein, ich sehe das als gesellschaftliches, als weltweites Problem. Allerdings nutzen Chaoten gerade im NOFV-Gebiet die Plattform, da die Medien doch gerade Vorfällen im Osten verstärkt aufgreifen. Um das aber klar zu sagen: Damit sollen Ausschreitungen, egal wo sie passieren, nicht bagatellisiert werden! Wir nehmen die Probleme ernst.

Frage: Was tun der Dachverband DFB, der NOFV und die Vereine dagegen?

Moldenhauer: Wir wenden viele Mittel für Fanprojekte und Präventivarbeit auf, betreiben einen enormen Aufwand beim Sicherheitspersonal und stehen in intensivem Austausch mit den Sicherheitsgremien. Es gibt in diesem Bereich eine enge Zusammenarbeit zwischen Vereinen, Landesverbänden und DFB sowie Polizei und Kommunen.

Frage: Die Ziele und Aufgaben des NOFV-Präsidenten kennen wir nun. Was aber wünscht sich der Privatmann Hans-Georg Moldenhauer zum Mauerfall-Jubiläum?

Moldenhauer: Ich wünsche mir, dass die Deutschen noch mehr ihr eigenes Land entdecken. Die Bundesrepublik ist ein fantastisches Reiseland mit herrlichen Landschaften in Ost und West. Für die Ostdeutschen gibt es von der Nordseeküste über den Schwarzwald bis in die Alpen so viel zu erkunden, ebenso für die Westdeutschen in den neuen Bundesländern vom Harz über den Spreewald bis an die Ostsee. Ich glaube, dass so die Verständigung noch weiter vertieft werden kann.

Zur Person: Dr. Hans-Georg Moldenhauer

In seiner Jugend spielte Moldenhauer als Mittelläufer und Libero, ehe er seine wahre fußballerische Bestimmung zwischen den Pfosten fand. 1960 stand er beim UEFA-Juniorenturnier in Österreich im ersten offiziellen Länderspiel zwischen einer DDR-Auswahl und einer BRD-Mannschaft im Tor. Bis 1972 gehörte der Keeper, der 1966 sein Examen als Diplom-Ingenieur für Betriebsgestaltung ablegte und promovierte, der Oberligamannschaft des 1. FC Magdeburg an, für die er 152 Pflichtspiele bestritt und mit der er einen DDR-Meistertitel und drei Pokalsiege gewann. Außerdem zählte der Torwart zwischen 1962 und 1965 zum erweiterten Aufgebot der DDR-Auswahl, "leider ohne dabei zum Einsatz zu kommen".

Schon Vorstandsmitglied in seinem Stammverein, übernahm Moldenhauer nach der Wende auch Verantwortung als DFV-Präsident. Also solcher leitete er den Zusammenschluss mit dem DFB ein, der am 20. November 1990 vollzogen wurde. Im DFB ist der inzwischen 67-Jährige seitdem Präsidiumsmitglied und Präsident des Regionalverbandes NOFV. Ins Ressort des aktuellen DFB-Vizepräsidenten für Qualifizierung fallen unter anderem die Trainerausbildung, die Zukunftsentwicklung des Fußballs und die Delegationsleitung der U 21-Nationalmannschaft.