Michael Wiesinger: "Wir machen zu viele Fehler"

Der FC Ingolstadt hat mit einem Stotterstart das Jahr 2010 begonnen. Fünf Punkte aus vier Spielen - die Schanzer sind derzeit nur noch Dritter. Gegen Eintracht Braunschweig verspielte der FCI, der heute auf Rot-Weiß Erfurt trifft, sogar einen 3:0-Vorsprung zur Halbzeit.

Was ist los in Ingolstadt? Darüber sprach DFB.de-Redakteur Gereon Tönnihsen mit Ingolstadts Trainer Michael Wiesinger (37).

DFB.de: Herr Wiesinger, wie kann man zu Hause, wenn man 3:0 führt, noch den Sieg aus der Hand geben?

Michael Wiesinger: Das habe ich auch noch nicht erlebt, und ich spiele jetzt ja auch schon ziemlich lange Fußball. Wir waren zu nachlässig, haben uns zu sicher gefühlt, waren in Teilen sogar überheblich. Das hat man zum Teil schon in der ersten Halbzeit gesehen. Am Ende konnten wir uns gar nicht mehr befreien, wir waren wie paralysiert, haben keine Zweikämpfe gewonnen. Mit dem Punkt mussten wir schließlich sogar noch zufrieden sein.

DFB.de: Sieben Gegentore in den letzten beiden Spielen – verspielt Ingolstadt den Aufstieg in der Defensive?

Wiesinger: So weit würde ich nicht gehen. Es ist kein generelles Problem. Diese Tore waren vermeidbar, weil ihnen individuelle Fehler vorausgingen. Gerade bei Standards hat es zuletzt nicht gepasst. Man darf aber auch nicht vergessen, dass wir eine junge Innenverteidigung haben. Mathias Wittek zum Beispiel ist erst 20. Diese Jungs muss man stützen, damit sie besser werden.

DFB.de: Stimmt denn der Eindruck, dass sie mit fünf Punkten aus den ersten vier Spielen nur sehr langsam in Tritt kommen?

Wiesinger: Es scheint so. Die Winterpause kam uns denkbar ungelegen. Wir hatten fünf Spiele in Folge gewonnen, waren ganz vorne. In der Pause haben wir dann unseren Kader auf ein, zwei Positionen verändert, um den Druck zu erhöhen. Das hat bis jetzt noch nicht so geklappt, wie wir uns das wünschen. Es wird immer enger. Die Spitzenteams werden bis zum Schluss auf Augenhöhe liegen. Das wird ein Abnutzungskampf. Wir schwächeln gerade und müssen den Schalter schleunigst wieder umlegen.

DFB.de: Wie bewerkstelligt man das?

Wiesinger: Richtig viel Zeit bleibt nicht angesichts der englischen Wochen. Doch es ist wichtig, die Fehler intern vertrauensvoll, aber knallhart anzusprechen und aufzuarbeiten, nicht um den heißen Brei zu reden. Es geht nicht darum, Spieler an den Pranger zu stellen. Nur so bekommen wir unsere Fehler in den Griff. Davon machen wir im Moment zu viele.

DFB.de: Wie wichtig sind in dieser Phase Ihre erfahrenen Spieler wie Spielführer Stefan Leitl oder „Zecke“ Neuendorf?

Wiesinger: Sie sind meine ersten Ansprechpartner, weil sie in ihrer Karriere ja auch schon einiges erlebt haben. Sie sind meine Leitwölfe und müssen auf dem Platz den jüngeren Spielern Mut zusprechen, die älteren auch mal pushen.

DFB.de: Es gab in dieser Saison immer mal wieder Kritik an Ihrem Torwart Michael Lutz. Trotzdem stützen Sie ihn.

Wiesinger: Es ist nun einmal so, dass jeder Fehler eines Torwarts sofort bestraft wird, das ist bei einem Stürmer anders. Michael muss da jetzt durch, auch er muss sich dem Leistungsgedanken unterordnen. Man darf aber auch nicht vergessen, dass er in einigen Spielen auch schon unser Punktgarant war.

DFB.de: Ihr Angreifer Moritz Hartmann hat schon 18 Treffer erzielt. Überrascht Sie diese Quote, immerhin ist es seine erste Saison auf diesem Niveau?

Wiesinger: Wer Moritz tagtäglich sieht, den kann das nicht wundern. Er ist ein junger, ehrgeiziger Spieler, der hart an sich arbeitet. Seine Konzentration vor dem Tor ist bemerkenswert. Mit seiner positiven Ausstrahlung ist er ein Gewinn für die Mannschaft, und mit seinen Toren sowieso. Ich bin froh, dass wir einen Spieler dieser Qualität in unseren Reihen haben. Sein Weg ist noch nicht zu Ende, er wird sicher noch höherklassig spielen.

DFB.de: Mit Ingolstadt?

Wiesinger: Hoffentlich. Das wäre schön.

DFB.de: Sie haben im Vergleich zur direkten Konkurrenz zwei Spiele weniger absolviert, wären mit zwei Siegen wieder Spitzenreiter. Ist das für manche Spieler ein Ruhekissen, weil sie wissen, dass sie diese Begegnungen noch in der Hinterhand haben?

Wiesinger: Das könnte sein, aber das sollten sie schnell vergessen. Diese Spiele sind genauso wichtig wie alle anderen auch. Wir müssen unsere Hausaufgaben machen. Die Vorzeichen haben sich etwas verändert. Jetzt müssen wir die Nachholspiele nutzen, um uns wieder nach oben zu kämpfen.

DFB.de: Überrascht es Sie, dass in Heidenheim derzeit ein Aufsteiger vor Ihnen steht?

Wiesinger: Das überrascht mich nicht. Wir haben das Hinspiel knapp gewonnen, auch mit etwas Glück. Heidenheim hat ein Team, das mit Leidenschaft spielt. Die Spieler sehen jetzt ihre große Chance und wachsen über sich hinaus, darum hält ihr Lauf an. Zu Hause sind sie eine kleine Macht. Keiner unterschätzt sie mehr. Sie sind ein ganz heißer Kandidat für den Aufstieg und werden bis zum Schluss oben bleiben.

DFB.de: Und wer noch?

Wiesinger: Zunächst mal muss man sagen, dass die Tabelle durch die ganzen Ausfälle immer noch recht verzerrt ist. Aber ich denke, dass neben uns, Osnabrück und Heidenheim auch noch andere Chancen haben. Offenbach spielt wieder sehr stabil. Braunschweig hat eine gute Moral, das haben wir ja am Samstag feststellen müssen. Auch Sandhausen ist nach dem Trainerwechsel wieder in der Spur. Wir sind gefordert.

DFB.de: Sie sind seit vier Monaten Cheftrainer in Ingolstadt. Gefällt Ihnen diese Rolle?

Wiesinger: Ja, sie macht mir großen Spaß. Als ich angefangen habe, haben wir die Tabellenspitze nur mit dem Fernglas sehen können und uns dann nach oben gespielt. Jetzt läuft es gerade nicht so gut wie erhofft, aber das wirft mich trotzdem nicht um. Ich will authentisch sein, meiner Linie treu bleiben. Ich habe meinen Plan vom Fußball im Kopf und will offensiv, aber auch mit disziplinierter Abwehrarbeit auftreten. Das ist uns häufig ganz gut gelungen.

DFB.de: Dennoch hat man den Eindruck, dass das in Ingolstadt, was die Zuschauerzahlen angeht, nicht so richtig honoriert wird.

Wiesinger: Wir sind ein Verein, der erst noch wächst. Doch natürlich ist es schade, wenn zum Spitzenspiel gegen Osnabrück nicht einmal 3.000 Zuschauer kommen, nachdem wir vorher Wehen Wiesbaden und Aue jeweils mit 5:1 geschlagen hatten. Obwohl wir ein junger Verein sind, ist das Anspruchsdenken sehr hoch. Das Stadion wird bald fertig sein. Hier heißt es: Sobald man sich an die Spitze herangearbeitet hat, wird erwartet, dass man dort auch bleibt. Dann müssen die Spieler ruhig bleiben und weiter an sich arbeiten. Das versuche ich Ihnen zu vermitteln.

DFB.de: Der FCI ist ein junger Verein, entstanden aus den Fußball-Abteilungen der Traditionsklubs ESV und MTV. Ist das womöglich ein Grund für das noch vergleichsweise geringe Zuschauerinteresse?

Wiesinger: Möglich. Ich weiß, dass es früher eine Rivalität zwischen beiden Vereinen gab, und die ist innerhalb von ein paar Jahren sicher nicht komplett ausgeräumt. Wie gesagt: Wir entwickeln uns. Vielleicht sind wir sportlich schon ein, zwei Schritte voraus.

DFB.de: Sie werden ab Mai die Fußballlehrer-Ausbildung machen und entsprechend viel in Köln sein. Überrascht es Sie, dass Ihr Vertrag beim FCI trotzdem bis 2011 verlängert wurde?

Wiesinger: Die Verlängerung ist eine Ansage, dass der Verein mir und meiner Arbeit vertraut. Sie ist aber auch eine Verpflichtung, dass ich ein gutes Team an die Hand bekomme, das mich unterstützt. Ich will und muss diese Ausbildung machen, um mich weiterzubilden. Das ist gut für mich. Und damit auch für den Verein.

DFB.de: Markus Babbel übte neulich Kritik daran, dass Ihnen oder Mehmet Scholl eine Sondergenehmigung erteilt wurde, ohne Lizenz in der 3. Liga zu trainieren, er selbst sie als Trainer des VfB Stuttgart nicht bekommen hat. Tangiert Sie das?

Wiesinger: Dazu kann ich nur wenig sagen, denn ich weiß nichts über die Absprachen, die es mit Markus Babbel gegeben hat. Fakt ist, dass ich vom DFB für diese Saison eine Sondergenehmigung erhalten habe. Ab dem 10. Mai fängt dann in Köln der Lehrgang an.

DFB.de: Bei manchen Ihrer Trainerkollegen, wie auch Babbel, gab es Probleme mit der Vereinbarkeit von Ausbildung und Job. Fürchten Sie die auch?

Wiesinger: Ich bin mir darüber durchaus im Klaren, dass bei manchen meiner Vorgänger das nur schlecht mit dem Trainerjob zu vereinbaren war. Aber davon lasse ich mich nicht abschrecken. Ich sehe das als Herausforderung und traue mir das zu.

DFB.de: Als Spieler haben Sie mit Bayern München 2001 die Champions League gewonnen. Hilft das im Alltag, manches gelassener zu sehen?

Wiesinger: Es ist auf jeden Fall eine Erfahrung, die man nicht vergisst, auch wenn es sportlich eine schwierige Zeit war, weil ich kein Stammspieler war. Die Mannschaft war eine Einheit, trotz der vielen Stars. Thorsten Fink und ich waren die einigen Nicht-Nationalspieler. Stefan Effenberg hat das Team zusammengehalten. Wir waren vielleicht nicht die beste Mannschaft in dem Jahr, aber sicher die mit der besten Stimmung. Es war beeindruckend, wie nach dem schlimmen 0:3 in Lyon alles in die richtige Richtung lief. Im Nachhinein bin ich stolz, dabei gewesen zu sein.

DFB.de: Sie sind dann zu 1860 München gewechselt.

Wiesinger: Das war keine ganz einfache Sache in München. Wenn man von den Bayern kommt, wird immer gleich Leistung gefordert. Da interessiert es nicht, ob du länger nicht gespielt und noch keinen Rhythmus hast. Doch Fakt ist, dass ich die Erwartungen nicht erfüllen konnte. So selbstkritisch bin ich mit mir. Natürlich verdient man gut, und das ist auch schön. Aber es soll halt auch im Fußball laufen. Ich weiß seit meiner Münchner Zeit, wie sich Spieler fühlen, die hinten dran stehen und keine oder nur wenige Einsatzzeiten bekommen.

DFB.de: Ihre beste Zeit hatten Sie sicher von 1993 bis 1999 beim 1. FC Nürnberg.

Wiesinger: Ja, hier habe ich meine ersten Bundesligaspiele gemacht, war später Kapitän. Viel hat sich um mich gedreht. Aber am Schluss habe ich eben eine neue Herausforderung gesucht. Mir soll keiner erzählen, dass er groß darüber nachdenkt, wenn er ein Angebot von Bayern München bekommt. Ob es die richtige Entscheidung ist, weiß man ja vorher nicht. Sportlich war es vielleicht nicht so. Aber ich weiß, dass das Jammern auf hohem Niveau ist. Ich kann gut damit leben, wie es gekommen ist. Genauso bin ich zufrieden damit, dass ich jetzt in Ingolstadt bin, eine Mannschaft und ein Verein mit Perspektive.

DFB.de: Haben Sie sich von einem Trainer besonders viel abgeschaut?

Wiesinger: Nein, ich will meinen eigenen Weg gehen. Aber natürlich nimmt man immer etwas mit. Von Thorsten Fink zum Beispiel, der mich nach Ingolstadt geholt hat. Wir haben die gleiche Auffassung von Fußball. Aus der Zeit mit Felix Magath kenne ich meine körperlichen Grenzen. Auch Ottmar Hitzfeld und Friedel Rausch waren Trainer, die mich beeindruckt haben. Und ich freue mich auf die Fußballlehrer-Ausbildung, um neue Sichtweisen und Hintergründe zu erfahren. Ich will so viel lernen wie möglich.

DFB.de: Das ist noch Zukunftsmusik. Am Dienstagabend ist Liga-Alltag, auswärts in Erfurt. Was ist da möglich?

Wiesinger: Die Mannschaft darf nicht länger zweifeln, sie muss ihr Selbstvertrauen wiederfinden. Dann wird es schwierig, uns zu schlagen.

DFB.de: Warum steigt Ingolstadt am Saisonende auf?

Wiesinger: Das werde ich in dieser Deutlichkeit sicher nicht sagen. Ich kann nur versprechen, dass der FC Ingolstadt mit einem Trainer Michael Wiesinger immer mit Leidenschaft zu Werke gehen wird. Wir haben eine spielerische Qualität, wollen attraktiven Fußball aus einer sicheren Grundordnung bieten. Natürlich möchten wir gerne unter die ersten Drei, am besten unter die ersten Zwei, aber es hilft nichts, über Ziele zu reden. Man muss auf dem Platz beweisen, dass man sie hat.

Zur Person: Michael Wiesinger

Michael Wiesinger, geboren am 27. Dezember 1972, kommt aus Burghausen und wechselte als 20-Jähriger zum 1. FC Nürnberg, wo er sich schnell etablierte. Nach dem Abstieg 1999 nahm Wiesinger das Angebot von Bayern München an, wo er zwei Jahre blieb, sich jedoch keinen Stammplatz erarbeiten konnte. 2000 und 2001 wurde er Deutscher Meister, 2000 Pokal- und 2001 Champions-League-Sieger. Nach drei weiteren Jahren beim Lokalrivalen TSV 1860 ging er 2007 zurück zu den Wurzeln. Bei Wacker Burghausen spielte er noch mal in der Zweiten Liga. Seine letzte Station war dann der oberpfälzische Klub SpVgg Weiden. Wiesingers Bilanz: 116 Bundesligaspiele (sechs Tore), 176 Zweitligaspiele (16 Tore). Seit 2008 ist er beim FC Ingolstadt angestellt. Erst als U23-, dann als Co- und seit dem 9. November 2009 als Nachfolger von Horst Köppel als Chef-Trainer.

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Der FC Ingolstadt hat mit einem Stotterstart das Jahr 2010 begonnen. Fünf Punkte aus vier Spielen - die Schanzer sind derzeit nur noch Dritter. Gegen Eintracht Braunschweig verspielte der FCI, der heute auf Rot-Weiß Erfurt trifft, sogar einen 3:0-Vorsprung zur Halbzeit.

Was ist los in Ingolstadt? Darüber sprach DFB.de-Redakteur Gereon Tönnihsen mit Ingolstadts Trainer Michael Wiesinger (37).

DFB.de: Herr Wiesinger, wie kann man zu Hause, wenn man 3:0 führt, noch den Sieg aus der Hand geben?

Michael Wiesinger: Das habe ich auch noch nicht erlebt, und ich spiele jetzt ja auch schon ziemlich lange Fußball. Wir waren zu nachlässig, haben uns zu sicher gefühlt, waren in Teilen sogar überheblich. Das hat man zum Teil schon in der ersten Halbzeit gesehen. Am Ende konnten wir uns gar nicht mehr befreien, wir waren wie paralysiert, haben keine Zweikämpfe gewonnen. Mit dem Punkt mussten wir schließlich sogar noch zufrieden sein.

DFB.de: Sieben Gegentore in den letzten beiden Spielen – verspielt Ingolstadt den Aufstieg in der Defensive?

Wiesinger: So weit würde ich nicht gehen. Es ist kein generelles Problem. Diese Tore waren vermeidbar, weil ihnen individuelle Fehler vorausgingen. Gerade bei Standards hat es zuletzt nicht gepasst. Man darf aber auch nicht vergessen, dass wir eine junge Innenverteidigung haben. Mathias Wittek zum Beispiel ist erst 20. Diese Jungs muss man stützen, damit sie besser werden.

DFB.de: Stimmt denn der Eindruck, dass sie mit fünf Punkten aus den ersten vier Spielen nur sehr langsam in Tritt kommen?

Wiesinger: Es scheint so. Die Winterpause kam uns denkbar ungelegen. Wir hatten fünf Spiele in Folge gewonnen, waren ganz vorne. In der Pause haben wir dann unseren Kader auf ein, zwei Positionen verändert, um den Druck zu erhöhen. Das hat bis jetzt noch nicht so geklappt, wie wir uns das wünschen. Es wird immer enger. Die Spitzenteams werden bis zum Schluss auf Augenhöhe liegen. Das wird ein Abnutzungskampf. Wir schwächeln gerade und müssen den Schalter schleunigst wieder umlegen.

DFB.de: Wie bewerkstelligt man das?

Wiesinger: Richtig viel Zeit bleibt nicht angesichts der englischen Wochen. Doch es ist wichtig, die Fehler intern vertrauensvoll, aber knallhart anzusprechen und aufzuarbeiten, nicht um den heißen Brei zu reden. Es geht nicht darum, Spieler an den Pranger zu stellen. Nur so bekommen wir unsere Fehler in den Griff. Davon machen wir im Moment zu viele.

DFB.de: Wie wichtig sind in dieser Phase Ihre erfahrenen Spieler wie Spielführer Stefan Leitl oder „Zecke“ Neuendorf?

Wiesinger: Sie sind meine ersten Ansprechpartner, weil sie in ihrer Karriere ja auch schon einiges erlebt haben. Sie sind meine Leitwölfe und müssen auf dem Platz den jüngeren Spielern Mut zusprechen, die älteren auch mal pushen.

DFB.de: Es gab in dieser Saison immer mal wieder Kritik an Ihrem Torwart Michael Lutz. Trotzdem stützen Sie ihn.

Wiesinger: Es ist nun einmal so, dass jeder Fehler eines Torwarts sofort bestraft wird, das ist bei einem Stürmer anders. Michael muss da jetzt durch, auch er muss sich dem Leistungsgedanken unterordnen. Man darf aber auch nicht vergessen, dass er in einigen Spielen auch schon unser Punktgarant war.

DFB.de: Ihr Angreifer Moritz Hartmann hat schon 18 Treffer erzielt. Überrascht Sie diese Quote, immerhin ist es seine erste Saison auf diesem Niveau?

Wiesinger: Wer Moritz tagtäglich sieht, den kann das nicht wundern. Er ist ein junger, ehrgeiziger Spieler, der hart an sich arbeitet. Seine Konzentration vor dem Tor ist bemerkenswert. Mit seiner positiven Ausstrahlung ist er ein Gewinn für die Mannschaft, und mit seinen Toren sowieso. Ich bin froh, dass wir einen Spieler dieser Qualität in unseren Reihen haben. Sein Weg ist noch nicht zu Ende, er wird sicher noch höherklassig spielen.

DFB.de: Mit Ingolstadt?

Wiesinger: Hoffentlich. Das wäre schön.

DFB.de: Sie haben im Vergleich zur direkten Konkurrenz zwei Spiele weniger absolviert, wären mit zwei Siegen wieder Spitzenreiter. Ist das für manche Spieler ein Ruhekissen, weil sie wissen, dass sie diese Begegnungen noch in der Hinterhand haben?

Wiesinger: Das könnte sein, aber das sollten sie schnell vergessen. Diese Spiele sind genauso wichtig wie alle anderen auch. Wir müssen unsere Hausaufgaben machen. Die Vorzeichen haben sich etwas verändert. Jetzt müssen wir die Nachholspiele nutzen, um uns wieder nach oben zu kämpfen.

DFB.de: Überrascht es Sie, dass in Heidenheim derzeit ein Aufsteiger vor Ihnen steht?

Wiesinger: Das überrascht mich nicht. Wir haben das Hinspiel knapp gewonnen, auch mit etwas Glück. Heidenheim hat ein Team, das mit Leidenschaft spielt. Die Spieler sehen jetzt ihre große Chance und wachsen über sich hinaus, darum hält ihr Lauf an. Zu Hause sind sie eine kleine Macht. Keiner unterschätzt sie mehr. Sie sind ein ganz heißer Kandidat für den Aufstieg und werden bis zum Schluss oben bleiben.

DFB.de: Und wer noch?

Wiesinger: Zunächst mal muss man sagen, dass die Tabelle durch die ganzen Ausfälle immer noch recht verzerrt ist. Aber ich denke, dass neben uns, Osnabrück und Heidenheim auch noch andere Chancen haben. Offenbach spielt wieder sehr stabil. Braunschweig hat eine gute Moral, das haben wir ja am Samstag feststellen müssen. Auch Sandhausen ist nach dem Trainerwechsel wieder in der Spur. Wir sind gefordert.

DFB.de: Sie sind seit vier Monaten Cheftrainer in Ingolstadt. Gefällt Ihnen diese Rolle?

Wiesinger: Ja, sie macht mir großen Spaß. Als ich angefangen habe, haben wir die Tabellenspitze nur mit dem Fernglas sehen können und uns dann nach oben gespielt. Jetzt läuft es gerade nicht so gut wie erhofft, aber das wirft mich trotzdem nicht um. Ich will authentisch sein, meiner Linie treu bleiben. Ich habe meinen Plan vom Fußball im Kopf und will offensiv, aber auch mit disziplinierter Abwehrarbeit auftreten. Das ist uns häufig ganz gut gelungen.

DFB.de: Dennoch hat man den Eindruck, dass das in Ingolstadt, was die Zuschauerzahlen angeht, nicht so richtig honoriert wird.

Wiesinger: Wir sind ein Verein, der erst noch wächst. Doch natürlich ist es schade, wenn zum Spitzenspiel gegen Osnabrück nicht einmal 3.000 Zuschauer kommen, nachdem wir vorher Wehen Wiesbaden und Aue jeweils mit 5:1 geschlagen hatten. Obwohl wir ein junger Verein sind, ist das Anspruchsdenken sehr hoch. Das Stadion wird bald fertig sein. Hier heißt es: Sobald man sich an die Spitze herangearbeitet hat, wird erwartet, dass man dort auch bleibt. Dann müssen die Spieler ruhig bleiben und weiter an sich arbeiten. Das versuche ich Ihnen zu vermitteln.

DFB.de: Der FCI ist ein junger Verein, entstanden aus den Fußball-Abteilungen der Traditionsklubs ESV und MTV. Ist das womöglich ein Grund für das noch vergleichsweise geringe Zuschauerinteresse?

Wiesinger: Möglich. Ich weiß, dass es früher eine Rivalität zwischen beiden Vereinen gab, und die ist innerhalb von ein paar Jahren sicher nicht komplett ausgeräumt. Wie gesagt: Wir entwickeln uns. Vielleicht sind wir sportlich schon ein, zwei Schritte voraus.

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DFB.de: Sie werden ab Mai die Fußballlehrer-Ausbildung machen und entsprechend viel in Köln sein. Überrascht es Sie, dass Ihr Vertrag beim FCI trotzdem bis 2011 verlängert wurde?

Wiesinger: Die Verlängerung ist eine Ansage, dass der Verein mir und meiner Arbeit vertraut. Sie ist aber auch eine Verpflichtung, dass ich ein gutes Team an die Hand bekomme, das mich unterstützt. Ich will und muss diese Ausbildung machen, um mich weiterzubilden. Das ist gut für mich. Und damit auch für den Verein.

DFB.de: Markus Babbel übte neulich Kritik daran, dass Ihnen oder Mehmet Scholl eine Sondergenehmigung erteilt wurde, ohne Lizenz in der 3. Liga zu trainieren, er selbst sie als Trainer des VfB Stuttgart nicht bekommen hat. Tangiert Sie das?

Wiesinger: Dazu kann ich nur wenig sagen, denn ich weiß nichts über die Absprachen, die es mit Markus Babbel gegeben hat. Fakt ist, dass ich vom DFB für diese Saison eine Sondergenehmigung erhalten habe. Ab dem 10. Mai fängt dann in Köln der Lehrgang an.

DFB.de: Bei manchen Ihrer Trainerkollegen, wie auch Babbel, gab es Probleme mit der Vereinbarkeit von Ausbildung und Job. Fürchten Sie die auch?

Wiesinger: Ich bin mir darüber durchaus im Klaren, dass bei manchen meiner Vorgänger das nur schlecht mit dem Trainerjob zu vereinbaren war. Aber davon lasse ich mich nicht abschrecken. Ich sehe das als Herausforderung und traue mir das zu.

DFB.de: Als Spieler haben Sie mit Bayern München 2001 die Champions League gewonnen. Hilft das im Alltag, manches gelassener zu sehen?

Wiesinger: Es ist auf jeden Fall eine Erfahrung, die man nicht vergisst, auch wenn es sportlich eine schwierige Zeit war, weil ich kein Stammspieler war. Die Mannschaft war eine Einheit, trotz der vielen Stars. Thorsten Fink und ich waren die einigen Nicht-Nationalspieler. Stefan Effenberg hat das Team zusammengehalten. Wir waren vielleicht nicht die beste Mannschaft in dem Jahr, aber sicher die mit der besten Stimmung. Es war beeindruckend, wie nach dem schlimmen 0:3 in Lyon alles in die richtige Richtung lief. Im Nachhinein bin ich stolz, dabei gewesen zu sein.

DFB.de: Sie sind dann zu 1860 München gewechselt.

Wiesinger: Das war keine ganz einfache Sache in München. Wenn man von den Bayern kommt, wird immer gleich Leistung gefordert. Da interessiert es nicht, ob du länger nicht gespielt und noch keinen Rhythmus hast. Doch Fakt ist, dass ich die Erwartungen nicht erfüllen konnte. So selbstkritisch bin ich mit mir. Natürlich verdient man gut, und das ist auch schön. Aber es soll halt auch im Fußball laufen. Ich weiß seit meiner Münchner Zeit, wie sich Spieler fühlen, die hinten dran stehen und keine oder nur wenige Einsatzzeiten bekommen.

DFB.de: Ihre beste Zeit hatten Sie sicher von 1993 bis 1999 beim 1. FC Nürnberg.

Wiesinger: Ja, hier habe ich meine ersten Bundesligaspiele gemacht, war später Kapitän. Viel hat sich um mich gedreht. Aber am Schluss habe ich eben eine neue Herausforderung gesucht. Mir soll keiner erzählen, dass er groß darüber nachdenkt, wenn er ein Angebot von Bayern München bekommt. Ob es die richtige Entscheidung ist, weiß man ja vorher nicht. Sportlich war es vielleicht nicht so. Aber ich weiß, dass das Jammern auf hohem Niveau ist. Ich kann gut damit leben, wie es gekommen ist. Genauso bin ich zufrieden damit, dass ich jetzt in Ingolstadt bin, eine Mannschaft und ein Verein mit Perspektive.

DFB.de: Haben Sie sich von einem Trainer besonders viel abgeschaut?

Wiesinger: Nein, ich will meinen eigenen Weg gehen. Aber natürlich nimmt man immer etwas mit. Von Thorsten Fink zum Beispiel, der mich nach Ingolstadt geholt hat. Wir haben die gleiche Auffassung von Fußball. Aus der Zeit mit Felix Magath kenne ich meine körperlichen Grenzen. Auch Ottmar Hitzfeld und Friedel Rausch waren Trainer, die mich beeindruckt haben. Und ich freue mich auf die Fußballlehrer-Ausbildung, um neue Sichtweisen und Hintergründe zu erfahren. Ich will so viel lernen wie möglich.

DFB.de: Das ist noch Zukunftsmusik. Am Dienstagabend ist Liga-Alltag, auswärts in Erfurt. Was ist da möglich?

Wiesinger: Die Mannschaft darf nicht länger zweifeln, sie muss ihr Selbstvertrauen wiederfinden. Dann wird es schwierig, uns zu schlagen.

DFB.de: Warum steigt Ingolstadt am Saisonende auf?

Wiesinger: Das werde ich in dieser Deutlichkeit sicher nicht sagen. Ich kann nur versprechen, dass der FC Ingolstadt mit einem Trainer Michael Wiesinger immer mit Leidenschaft zu Werke gehen wird. Wir haben eine spielerische Qualität, wollen attraktiven Fußball aus einer sicheren Grundordnung bieten. Natürlich möchten wir gerne unter die ersten Drei, am besten unter die ersten Zwei, aber es hilft nichts, über Ziele zu reden. Man muss auf dem Platz beweisen, dass man sie hat.

Zur Person: Michael Wiesinger

Michael Wiesinger, geboren am 27. Dezember 1972, kommt aus Burghausen und wechselte als 20-Jähriger zum 1. FC Nürnberg, wo er sich schnell etablierte. Nach dem Abstieg 1999 nahm Wiesinger das Angebot von Bayern München an, wo er zwei Jahre blieb, sich jedoch keinen Stammplatz erarbeiten konnte. 2000 und 2001 wurde er Deutscher Meister, 2000 Pokal- und 2001 Champions-League-Sieger. Nach drei weiteren Jahren beim Lokalrivalen TSV 1860 ging er 2007 zurück zu den Wurzeln. Bei Wacker Burghausen spielte er noch mal in der Zweiten Liga. Seine letzte Station war dann der oberpfälzische Klub SpVgg Weiden. Wiesingers Bilanz: 116 Bundesligaspiele (sechs Tore), 176 Zweitligaspiele (16 Tore). Seit 2008 ist er beim FC Ingolstadt angestellt. Erst als U23-, dann als Co- und seit dem 9. November 2009 als Nachfolger von Horst Köppel als Chef-Trainer.