Matthias Herget: "Ein guter Fußballer findet einen Weg"

DFB.de: Könnten Sie sich vorstellen, noch einmal in den Trainerberuf zurückzukehren?

Herget: Nein, das ist kein Thema. Ich bin selbstständig und deshalb sehr viel unterwegs. Ich habe keine Zeit, vier- oder fünfmal in der Woche auf dem Platz zu stehen. Das kommt für mich auch bei Schwarz-Weiß Essen nicht in Frage.

[sw]


[bild1]

Matthias Herget liebt den Fußball. Schon immer. Erst als Amateurspieler. Später als WM- und EM-Teilnehmer mit der DFB-Auswahl. Und ab dem Sommer als Sportdirektor des Oberligisten Schwarz-Weiß Essen. Er möchte seinen Anteil dazu beitragen, den ehemaligen Zweitligisten sportlich und finanziell wieder besser aufzustellen. "Ich sehe großes Potenzial. Wir wollen verstärkt auf eine gute Nachwuchsarbeit setzen. Das ist die Basis für alles weitere", sagt der 57-Jährige im DFB.de-Interview mit Sven Winterschladen. Herget weiß, wovon er spricht. Denn er ist diesen Weg selbst gegangen.

Früher war er Libero, lange Zeiter sogar einer der besten der Welt. Heute gibt es diese Position im modernen Fußball nicht mehr. "Das war schon damals abzusehen", betont Herget rückblickend. "Aber deshalb habe ich nicht aufgehört." Herget stand unter anderem beim VfL Bochum, Rot-Weiss Essen, Schalke 04 und Bayer 05 Uerdingen unter Vertag. Bei den Krefeldern hatte der 39-malige deutsche Nationalspieler seine beste Zeit. Er gewann den DFB-Pokal, war Teil des Wunders von der Grotenburg gegen Dynamo Dresden – und hat einen bis heute einmaligen Hattrick erzielt.

DFB.de: Herr Herget, was macht für Sie den Reiz aus, die sportliche Leitung bei Schwarz-Weiß Essen zu übernehmen?

Matthias Herget: Das ist ein Traditionsverein mit einer großen Vergangenheit. Ich sehe Potenzial. Wir werden verstärkt auf eine gute Nachwuchsarbeit setzen - die Basis für alles weitere. Ich komme doch selbst aus dem Amateurfußball. Ich hatte einfach das Glück, dass ich eine Einladung zum Probetraining beim VfL Bochum bekam und mich dort offenbar nicht ganz dumm angestellt habe.

DFB.de: Was konkret bedeutet 'alles weitere'?

Herget: Vielleicht können wir ja den einen oder anderen Spielern ausbilden, der ebenfalls den Sprung in den Profifußball schafft. Das wäre doch großartig. Wir haben ja das Motto "ETB 2020" ausgegeben. Uns schwebt vor, dass bis zum Jahr 2020 die U 15-, U 17- und U 19-Junioren in der höchsten Spielklasse vertreten sind. Das ist die Idealvorstellung. Ob das wirklich realistisch ist, müssen wir jetzt herausfinden.

DFB.de: Und was ist mit der ersten Mannschaft möglich? Schwarz-Weiß Essen war immerhin mal in der 2. Bundesliga vertreten.

Herget: Das ist lange her. Ich möchte nicht damit beginnen, irgendwelche Ziele zu formulieren. In der aktuellen Situation brauchen wir nicht mal über den Regionalliga-Aufstieg zu sprechen. Wir wollen zunächst eine junge, hungrige Mannschaft aufbauen, die sich dauerhaft in der Spitzengruppe der Oberliga etabliert. Was dann eventuell der nächste Schritt sein könnte, müssen wir uns im Anschluss überlegen. Das geht alles nur sehr langsam, dafür wollen wir ein entsprechend stabiles Fundament legen.

DFB.de: Hilft Ihre Vergangenheit auf diesem Weg etwas?

Herget: Ich kann es mir nicht vorstellen. Die Spieler, die im Moment bei uns auf dem Trainingsplatz rumlaufen, sind meist 23 oder 24 Jahre alt. Die kennen vielleicht noch den Namen Matthias Herget. Allerdings glaube ich nicht, dass das für sie ein besonderer Anreiz ist. Das ist eine andere Generation.

DFB.de: Werden Sie ihnen von früher erzählen?

Herget: Nur wenn ich speziell danach gefragt werde. Es ist nicht meine Art, in der Vergangenheit zu leben. Ich konzentriere mich auf die Gegenwart oder die Zukunft. Aber ich blicke nicht mehr großartig zurück. Bis heute habe ich mir nicht einmal ein Video von einem meiner Spiele von früher angeschaut. Ich habe auch keine Trikots oder andere Andenken bei mir in der Wohnung hängen. Davon halte ich nichts. Für meine Vergangenheit kann ich mir heute nichts mehr kaufen.

DFB.de: An was erinnern Sie sich dennoch gerne?

Herget: Ich hatte eine tolle Zeit als Profi. Ich durfte 14 Jahre dabei sein, bis ich 1989 wegen eines Patellarsehnenrisses meine Karriere beenden musste. Unvergessen sind für mich natürlich die Spiele mit der deutschen Nationalmannschaft, auch die großen Turniere. Leider habe ich mich vor der Weltmeisterschaft 1986 in Mexiko verletzt und konnte auf dem Weg zum zweiten Platz nur eine Begegnung bestreiten. Die Europameisterschaft im eigenen Land 1988 hat aber wahrscheinlich alles übertroffen.

DFB.de: Auch den Sieg im DFB-Pokal 1985 mit Bayer 05 Uerdingen gegen Bayern München und das Wunder von der Grotenburg?

Herget: Das war beides ebenfalls herausragend. Das Wunder von der Grotenburg ist sicher zurecht in die Geschichte eingegangen. Das Hinspiel hatten wir 0:2 bei Dynamo Dresden verloren. Im Rückspiel im eigenen Stadion lagen wir nach einer knappen Stunde bereits wieder mit 1:3 zurück. Eigentlich waren wir ausgeschieden. Aber dann hat sich diese unfassbare Geschichte entwickelt und am Ende stand ein 7:3 für uns auf der Anzeigentafel.

DFB.de: Sie haben noch einen anderen einmaligen Rekord: Sie sind der einzige Spieler, dem durch drei Elfmeter mal ein Hattrick gelungen ist.

Herget: Diese Geschichte war mir gar nicht so bewusst, erst als ich davon im Internet gelesen habe. Wir haben mit Rot-Weiss Essen 6:1 gegen Holstein Kiel gewonnen. Und wissen Sie, wer die anderen drei Treffer erzielt hat?

DFB.de: Ich habe es gelesen. Frank Mill – ebenfalls ein Hattrick.

Herget: Und das macht die Geschichte dann wirklich kurios. Ich habe auch heute noch häufig Kontakt mit Frank Mill. Manchmal kommen wir auf diese Anekdote zu sprechen.

DFB.de: Gibt es Kontakt zu anderen Weggefährten?

Herget: Immer seltener, leider. Aber wahrscheinlich ist es normal, dass man sich mit den Jahren etwas aus den Augen verliert. Mit einigen kreuzen sich die Wege manchmal. Aber mehr eben auch nicht.

[bild2]

DFB.de: Wie gehen Sie eigentlich damit um, dass es Ihre frühere Position heutzutage eigentlich nicht mehr gibt? Wehmut?

Herget: Nein. Es war schon damals abzusehen, dass der Libero im modernen Fußball keine Rolle mehr spielen wird. Aber deshalb habe ich meine Karriere nicht beendet. Ich bin mir sicher, dass ich auch eine andere Position in der Mannschaft gefunden hätte. Vielleicht wegen meiner Körpergröße nicht in der Innenverteidigung, aber wahrscheinlich im defensiven Mittelfeld. Ein guter Fußballer findet eine Lösung.

DFB.de: Könnten Sie sich vorstellen, noch einmal in den Trainerberuf zurückzukehren?

Herget: Nein, das ist kein Thema. Ich bin selbstständig und deshalb sehr viel unterwegs. Ich habe keine Zeit, vier- oder fünfmal in der Woche auf dem Platz zu stehen. Das kommt für mich auch bei Schwarz-Weiß Essen nicht in Frage.