Matthäus: "Wünsche unseren Stürmern Befreiungsschlag"

Seine Präsenz bei fünf WM-Endrunden ist unübertroffen im Weltfußball. Und bis heute unerreicht sind seine 25 Spiele bei diesen Finalrunden mit dem Titelgewinn 1990 in Italien als Krönung.

Klar, dass Lothar Matthäus als „Mister World Cup“ des deutschen Fußball das „Spiel des Jahres“ der deutschen Nationalmannschaft auf dem Weg zur WM 2010 mit besonderem Interesse verfolgt. Als Kapitän des DFB-Traditionsteams, mit dem er am Samstag das Vorspiel in Moskau bestreitet, ist Deutschlands Rekordnationalspieler vor Ort im Luschniki-Stadion dabei.

Im DFB.de-Exklusivinterview mit Wolfgang Tobien taxiert er die Chancen der DFB-Auswahl gegen Russland, äußert sich aber auch zur gegenwärtigen Situation seines früheren Vereins Bayern München und zu seiner Zukunft als Trainer.

Frage: Herr Matthäus, zwei Ihrer 150 Länderspiele haben Sie in Moskau bestritten. Jetzt treten Sie hier mit der Traditionsmannschaft des DFB an und bereiten beim Vorspiel gegen die russischen Altinternationalen die Bühne vor für das „Spiel des Jahres“ in der deutschen WM-Qualifikationsgruppe. Wird sich die deutsche Nationalmannschaft direkt für die WM 2010 qualifizieren?

Lothar Matthäus: Bei diesem einen Spiel, von dem so viel abhängt, herrscht ein wahnsinniger Druck. Die Frage ist, welche Mannschaft am Samstag mit diesem Druck besser fertig wird. Deutschland hat den Vorteil, dass es mit einem Unentschieden den ersten Platz verteidigen und sich mit dem folgenden vermeintlich leichteren Heimspiel dann direkt qualifizieren kann. Die stärkere Psyche wird sich durchsetzen. Ob sich unsere Mannschaft schon in Moskau mit einem Sieg direkt qualifiziert, kann und möchte ich nicht beantworten.

Frage: Der „unverwundbare“ Kunstrasen im Luschniki-Stadion ermöglicht, dass das DFB-Traditionsteam erstmals ein Vorspiel zu einem „richtigen“ Länderspiel bestreiten kann. Wie blicken Sie Ihrem Comeback im DFB-Trikot entgegen?

Matthäus: Auf solche Spiele freut man sich immer. Weil sie Spieler aus der Vergangenheit zusammenbringen, ob es nun Kollegen oder Gegner waren. Der Fußball ist eine große Familie. Das betrifft nicht nur das eigene Team; ich kenne auch etliche russische Spieler von früher. Hinzu kommt diesmal der Reiz, vor und danach dann bei einem so wichtigen WM-Qualifikationsspiel direkt dabei zu sein.

Frage: Haben Sie schon persönliche Erfahrungen mit einem Spiel auf Kunstrasen gemacht?

Matthäus: An Pflichtspiele auf Kunstrasen kann ich mich nicht erinnern. Während meiner Zeit als Trainer bei Red Bull Salzburg habe ich aber intensive Erfahrungen mit dem Kunstrasen gemacht.

Frage: Was waren die wichtigsten?

Matthäus: Es ist irgendwie schon ein etwas anderes Spiel. Es setzt mehr technische Fähigkeiten voraus. Und wendigere Spieler sind im Vorteil. Der Ball nimmt sehr schnell Fahrt auf. Es muss sehr genau zugespielt werden. Das Tackling ist schwieriger, weil die Standfestigkeit für den Fuß nicht optimal ist.

Frage: Unter diesen Voraussetzungen muss Joachim Löws Team den Nimbus wahren, dass Deutschland auswärts noch keines seiner 36 WM-Qualifikationsspiele verloren hat. Wo sehen Sie die wichtigsten Trümpfe, dass diese Serie hält?

Matthäus: Im kompakten Auftreten. Darauf legt ja der Jogi größten Wert. Hinzu kommt, dass Michael Ballack ein sehr wichtiger Spieler ist. Von ihm erwartet man gerade in solch einem Spiel immer noch etwas mehr, weil er nicht nur der Kapitän, sondern auch der Kopf der Mannschaft ist. Bei ihm liegt, wie bei mir früher, die Messlatte immer noch ein Stück höher. Michael ist jemand, der die Mannschaft führen kann. Das muss er in solch einer Begegnung beweisen. Am Samstag in Moskau ist er wieder besonders gefordert.

Frage: Was sind Ihrer Meinung nach die Stärken und Vorteile der russischen Mannschaft, und wie muss das deutsche Team darauf reagieren?

Matthäus: Ich gehe davon aus, dass die Russen ihre Offensivstärke ausnutzen wollen wie in der zweiten Halbzeit beim Hinspiel in Dortmund. Sie haben unter Guus Hiddink einen Schritt nach vorne gemacht. Sie sind ein spielstarkes und sehr offensiv ausgerichtetes Team mit ungemein schnellen Spielern und erinnern mich ein bisschen an Werder Bremen. Dabei ergeben sich bei ihnen aber auch Löcher in der Defensive. Daher ist in unserer Mannschaft nach Ballgewinn schnelles Umschalten nötig, damit sich die russische Mannschaft nicht rechtzeitig genug organisieren kann. Da sehe ich unsere Chance, die müssen wir nutzen. Daneben glaube ich, dass wir bei Standardsituation auf Grund der Körpergröße etwas im Vorteil sind.

Frage: Sie haben in Ihrer Karriere an fünf WM-Endrunden teilgenommen. Gab es dabei im Vorfeld mal eine ähnlich diffizile Situation wie jetzt, wo ja auch der Gang in die Play-offs nicht ausgeschlossen ist?

Matthäus: 1989 beim letzten WM-Qualifikationsspiel gegen Wales ging es in Köln auch sehr knapp zu. In der Schlussphase gab es eine ganz heikle Situation zum Ausgleich für die Waliser, was für uns das WM-Aus bedeutet hätte. Ehe wir in Italien Weltmeister wurden, mussten wir uns erst einmal dorthin zittern. Ich war besonders nervös, weil ich wegen Verletzung nur auf der Tribüne saß und unsere WM-Teilnahme eigentlich schon vorher fest im Kopf hatte.

Frage: Mesut Özil ist für viele Beobachter bereits ein großer Hoffnungsträger für die Zukunft der Nationalmannschaft. Wo sehen Sie seine Rolle: als klassischen Spielmacher oder als torgefährliche hängende Sturmspitze?

Matthäus: Mesut kann beides. Er ist torgefährlich, beherrscht aber auch den Pass in die Tiefe zum Mitspieler und hat die Voraussetzungen, ein wichtiger Bestandteil der Nationalmannschaft zu werden. Man sollte den Jungen jetzt aber erst einmal vor zu hohen Erwartungen und Anforderungen schützen, denn er befindet sich noch im Entwicklungsprozess. Er weiß, was er kann, hat eine sehr gute U 21-Europameisteraft absolviert und ist in Bremen aus Diegos Schatten herausgetreten, was man ihm so schnell nicht zugetraut hat. Und er hat einen tollen Einstand in der Nationalmannschaft gehabt. Das verdient Lob. Trotzdem hat man die Pflicht, dem Spieler schützend den Arm um die Schultern zu legen. So wie ich jetzt bei ihm noch keine Weltklasse sehe, würde ich in ein paar Wochen bei ihm auch nicht von einer Krise reden, wenn es mal nicht so gut laufen sollte. Özil wird ganz sicher irgendwann ein Spieler sein, der den Unterschied macht.

Frage: Vor allem in der Bundesliga sind die deutschen Nationalstürmer in den vergangenen Wochen in die Kritik geraten. Sind die beiden Länderspiele in Russland und gegen Finnland vor allem für Miroslav Klose und Mario Gomez eine große Chance?

Matthäus: Eigentlich ist eine Nationalmannschaft von ihrem Anspruch her kein Ort, an dem ein Spieler seine Form finden soll. Dennoch hat sich schon der eine oder andere Spieler in dem anderen Umfeld der Nationalmannschaft aus seinem Tief befreien können. Ich wünsche den beiden und auch Lukas Podolski, den man nicht vergessen sollte, wieder ihre Tore - und dass diese beiden Länderspiele für den einen oder anderen zum Befreiungsschlag werden. Andererseits müssen sie erst einmal ihre Leistungen im Verein bringen und damit ihre Position im Verein festigen.

Frage: Das heißt, Sie hätten aktuell den Leverkusener Stefan Kießling nominiert?

Matthäus: Auch wenn Kießling von verschiedenen Seiten gefordert wird und die Nominierung vielleicht auch verdient hätte, kann ich verstehen, dass Jogi Löw nicht nur auf die Torjägerliste blickt. Er möchte seinen Kader in dieser wichtigen Phase so zusammenhalten, wie er in den vergangenen Spielen zusammen war. Er sieht darin einen Vertrauensbeweis, für den er möglicherweise belohnt wird.

Frage: Der FC Bayern München mit Gomez und Klose hat seit einigen Spielen Probleme. Wo sehen Sie die Gründe dafür?

Matthäus: Es gibt einfach noch keine Stabilität und Sicherheit in der Mannschaft, dem guten Spiel gegen Juventus Turin folgt eine schwache Begegnung gegen Köln. Dazu kommen neue Spieler und ein neuer Trainer und damit viele Kleinigkeiten, die die nötigen Mechanismen und Automatismen noch nicht zulassen.

Frage: Welches ihrer großen Ziele werden die Bayern in dieser Saison erreichen?

Matthäus: Große Ziele sind beim FC Bayern ja immer Titelgewinne. In der Champions League sehe München nicht auf Augenhöhe mit den Topklubs aus England und Spanien. Ich ordne die Bayern in der Gruppe dahinter und damit nicht bei den Favoriten ein.

Frage: Wie sieht es in den nationalen Wettbewerben aus?

Matthäus: Bei acht Punkten Rückstand nach acht Spielen wird angesichts der Unruhe und wichtiger verletzter Spieler das Thema Meisterschaft ein ganz schwieriges Unternehmen. Da müsste schon eine tolle Serie her und die beiden Spitzenklubs ins Schwächeln kommen. Die einfachste Gelegenheit, einen Titel zu holen, ist der Pokal. Da aber wartet in der nächsten Runde Eintracht Frankfurt. Es wird also eine ganz schwierige Saison für den FC Bayern, weil eben von Anfang an diese gewisse Unruhe da ist. Stabilität, Sicherheit und Ruhe lassen sich jetzt nicht auf Knopfdruck herbeiholen.

Frage: Apropos Stabilität: Trauen Sie den derzeitigen beiden Spitzenteams Leverkusen und Hamburg zu, diesmal bis zum Saisonende um den Meistertitel mitzuspielen?

Matthäus: Ja, denn beide haben die Spieler mit der nötigen Qualität. Wenn sie verschont bleiben von weiteren schwereren Verletzungen, hat jeder von ihnen die Chance, Deutscher Meister zu werden.

Frage: Wer ist für Sie die derzeit positivste Erscheinung in der Bundesliga?

Matthäus: Felix Magath hat es mit vielen jungen Spielern und trotz der permanenten Unruhe rund um den Verein auch bei Schalke geschafft, sich oben festzusetzen. Jupp Heynckes strahlt auf die junge Leverkusener Mannschaft eine große Sicherheit aus, das spürt man. Von den Spielern ragen natürlich Özil und Kießling in diesen Wochen heraus. Und auch Zé Roberto, wobei sich in München viele die Frage stellen, warum man einen Spieler gehen lässt, der jetzt für Hamburg an der Tabellenspitze tolle Leistungen abliefert.

Frage: Wie sehen Ihre Pläne für die nähere Zukunft als Trainer aus?

Matthäus: Ich warte ab und habe mir ein Zeitfenster gesetzt bis Anfang nächsten Jahres. Ich möchte dann eine Aufgabe übernehmen, die sportlich reizvoller ist als bei den letzten zwei, drei Stationen. Der Job in Israel war aber kein verlorenes Jahr, es war für mich vielmehr eine sehr wichtige persönliche Erfahrung, weil ich dieses schöne Land kennenlernen konnte. Sportlich gibt es aber interessantere Ligen, die mit besserer fußballerischer Infrastruktur höhere Aufmerksamkeit finden und in denen die eigene Arbeit dann auch mehr wahrgenommen wird. Beim nächsten Mal möchte ich mich daher dort positionieren, wo ich eine wirklich sportliche Herausforderung finde.

Frage: Wo immer in den vergangenen Wochen der Bundesliga ein Trainer gesucht wurde, fiel zwar sofort Ihr Name, den Job aber bekam regelmäßig ein anderer. Nervt Sie dieses Spiel inzwischen?

Matthäus: Es würde mich nicht nerven, wenn ich mit dem einen oder anderen Verein tatsächlich in Verbindung gestanden hätte, man sich dort unter drei, vier Kandidaten für einen anderen und gegen Matthäus entschieden hätte. Doch es war in keinem einzigen Fall überhaupt ein Kontakt zu mir vorhanden. Deshalb sollte man meinen Namen nicht ins Spiel bringen. Mir schadet das, und ich möchte von den Medien fairer behandelt werden. Mit meinem Namen macht man aber offensichtlich Schlagzeilen - egal, ob sie der Wahrheit entsprechen oder nicht.

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Seine Präsenz bei fünf WM-Endrunden ist unübertroffen im Weltfußball. Und bis heute unerreicht sind seine 25 Spiele bei diesen Finalrunden mit dem Titelgewinn 1990 in Italien als Krönung.

Klar, dass Lothar Matthäus als „Mister World Cup“ des deutschen Fußball das „Spiel des Jahres“ der deutschen Nationalmannschaft auf dem Weg zur WM 2010 mit besonderem Interesse verfolgt. Als Kapitän des DFB-Traditionsteams, mit dem er am Samstag das Vorspiel in Moskau bestreitet, ist Deutschlands Rekordnationalspieler vor Ort im Luschniki-Stadion dabei.

Im DFB.de-Exklusivinterview mit Wolfgang Tobien taxiert er die Chancen der DFB-Auswahl gegen Russland, äußert sich aber auch zur gegenwärtigen Situation seines früheren Vereins Bayern München und zu seiner Zukunft als Trainer.

Frage: Herr Matthäus, zwei Ihrer 150 Länderspiele haben Sie in Moskau bestritten. Jetzt treten Sie hier mit der Traditionsmannschaft des DFB an und bereiten beim Vorspiel gegen die russischen Altinternationalen die Bühne vor für das „Spiel des Jahres“ in der deutschen WM-Qualifikationsgruppe. Wird sich die deutsche Nationalmannschaft direkt für die WM 2010 qualifizieren?

Lothar Matthäus: Bei diesem einen Spiel, von dem so viel abhängt, herrscht ein wahnsinniger Druck. Die Frage ist, welche Mannschaft am Samstag mit diesem Druck besser fertig wird. Deutschland hat den Vorteil, dass es mit einem Unentschieden den ersten Platz verteidigen und sich mit dem folgenden vermeintlich leichteren Heimspiel dann direkt qualifizieren kann. Die stärkere Psyche wird sich durchsetzen. Ob sich unsere Mannschaft schon in Moskau mit einem Sieg direkt qualifiziert, kann und möchte ich nicht beantworten.

Frage: Der „unverwundbare“ Kunstrasen im Luschniki-Stadion ermöglicht, dass das DFB-Traditionsteam erstmals ein Vorspiel zu einem „richtigen“ Länderspiel bestreiten kann. Wie blicken Sie Ihrem Comeback im DFB-Trikot entgegen?

Matthäus: Auf solche Spiele freut man sich immer. Weil sie Spieler aus der Vergangenheit zusammenbringen, ob es nun Kollegen oder Gegner waren. Der Fußball ist eine große Familie. Das betrifft nicht nur das eigene Team; ich kenne auch etliche russische Spieler von früher. Hinzu kommt diesmal der Reiz, vor und danach dann bei einem so wichtigen WM-Qualifikationsspiel direkt dabei zu sein.

Frage: Haben Sie schon persönliche Erfahrungen mit einem Spiel auf Kunstrasen gemacht?

Matthäus: An Pflichtspiele auf Kunstrasen kann ich mich nicht erinnern. Während meiner Zeit als Trainer bei Red Bull Salzburg habe ich aber intensive Erfahrungen mit dem Kunstrasen gemacht.

Frage: Was waren die wichtigsten?

Matthäus: Es ist irgendwie schon ein etwas anderes Spiel. Es setzt mehr technische Fähigkeiten voraus. Und wendigere Spieler sind im Vorteil. Der Ball nimmt sehr schnell Fahrt auf. Es muss sehr genau zugespielt werden. Das Tackling ist schwieriger, weil die Standfestigkeit für den Fuß nicht optimal ist.

Frage: Unter diesen Voraussetzungen muss Joachim Löws Team den Nimbus wahren, dass Deutschland auswärts noch keines seiner 36 WM-Qualifikationsspiele verloren hat. Wo sehen Sie die wichtigsten Trümpfe, dass diese Serie hält?

Matthäus: Im kompakten Auftreten. Darauf legt ja der Jogi größten Wert. Hinzu kommt, dass Michael Ballack ein sehr wichtiger Spieler ist. Von ihm erwartet man gerade in solch einem Spiel immer noch etwas mehr, weil er nicht nur der Kapitän, sondern auch der Kopf der Mannschaft ist. Bei ihm liegt, wie bei mir früher, die Messlatte immer noch ein Stück höher. Michael ist jemand, der die Mannschaft führen kann. Das muss er in solch einer Begegnung beweisen. Am Samstag in Moskau ist er wieder besonders gefordert.

Frage: Was sind Ihrer Meinung nach die Stärken und Vorteile der russischen Mannschaft, und wie muss das deutsche Team darauf reagieren?

Matthäus: Ich gehe davon aus, dass die Russen ihre Offensivstärke ausnutzen wollen wie in der zweiten Halbzeit beim Hinspiel in Dortmund. Sie haben unter Guus Hiddink einen Schritt nach vorne gemacht. Sie sind ein spielstarkes und sehr offensiv ausgerichtetes Team mit ungemein schnellen Spielern und erinnern mich ein bisschen an Werder Bremen. Dabei ergeben sich bei ihnen aber auch Löcher in der Defensive. Daher ist in unserer Mannschaft nach Ballgewinn schnelles Umschalten nötig, damit sich die russische Mannschaft nicht rechtzeitig genug organisieren kann. Da sehe ich unsere Chance, die müssen wir nutzen. Daneben glaube ich, dass wir bei Standardsituation auf Grund der Körpergröße etwas im Vorteil sind.

Frage: Sie haben in Ihrer Karriere an fünf WM-Endrunden teilgenommen. Gab es dabei im Vorfeld mal eine ähnlich diffizile Situation wie jetzt, wo ja auch der Gang in die Play-offs nicht ausgeschlossen ist?

Matthäus: 1989 beim letzten WM-Qualifikationsspiel gegen Wales ging es in Köln auch sehr knapp zu. In der Schlussphase gab es eine ganz heikle Situation zum Ausgleich für die Waliser, was für uns das WM-Aus bedeutet hätte. Ehe wir in Italien Weltmeister wurden, mussten wir uns erst einmal dorthin zittern. Ich war besonders nervös, weil ich wegen Verletzung nur auf der Tribüne saß und unsere WM-Teilnahme eigentlich schon vorher fest im Kopf hatte.

Frage: Mesut Özil ist für viele Beobachter bereits ein großer Hoffnungsträger für die Zukunft der Nationalmannschaft. Wo sehen Sie seine Rolle: als klassischen Spielmacher oder als torgefährliche hängende Sturmspitze?

Matthäus: Mesut kann beides. Er ist torgefährlich, beherrscht aber auch den Pass in die Tiefe zum Mitspieler und hat die Voraussetzungen, ein wichtiger Bestandteil der Nationalmannschaft zu werden. Man sollte den Jungen jetzt aber erst einmal vor zu hohen Erwartungen und Anforderungen schützen, denn er befindet sich noch im Entwicklungsprozess. Er weiß, was er kann, hat eine sehr gute U 21-Europameisteraft absolviert und ist in Bremen aus Diegos Schatten herausgetreten, was man ihm so schnell nicht zugetraut hat. Und er hat einen tollen Einstand in der Nationalmannschaft gehabt. Das verdient Lob. Trotzdem hat man die Pflicht, dem Spieler schützend den Arm um die Schultern zu legen. So wie ich jetzt bei ihm noch keine Weltklasse sehe, würde ich in ein paar Wochen bei ihm auch nicht von einer Krise reden, wenn es mal nicht so gut laufen sollte. Özil wird ganz sicher irgendwann ein Spieler sein, der den Unterschied macht.

Frage: Vor allem in der Bundesliga sind die deutschen Nationalstürmer in den vergangenen Wochen in die Kritik geraten. Sind die beiden Länderspiele in Russland und gegen Finnland vor allem für Miroslav Klose und Mario Gomez eine große Chance?

Matthäus: Eigentlich ist eine Nationalmannschaft von ihrem Anspruch her kein Ort, an dem ein Spieler seine Form finden soll. Dennoch hat sich schon der eine oder andere Spieler in dem anderen Umfeld der Nationalmannschaft aus seinem Tief befreien können. Ich wünsche den beiden und auch Lukas Podolski, den man nicht vergessen sollte, wieder ihre Tore - und dass diese beiden Länderspiele für den einen oder anderen zum Befreiungsschlag werden. Andererseits müssen sie erst einmal ihre Leistungen im Verein bringen und damit ihre Position im Verein festigen.

Frage: Das heißt, Sie hätten aktuell den Leverkusener Stefan Kießling nominiert?

Matthäus: Auch wenn Kießling von verschiedenen Seiten gefordert wird und die Nominierung vielleicht auch verdient hätte, kann ich verstehen, dass Jogi Löw nicht nur auf die Torjägerliste blickt. Er möchte seinen Kader in dieser wichtigen Phase so zusammenhalten, wie er in den vergangenen Spielen zusammen war. Er sieht darin einen Vertrauensbeweis, für den er möglicherweise belohnt wird.

Frage: Der FC Bayern München mit Gomez und Klose hat seit einigen Spielen Probleme. Wo sehen Sie die Gründe dafür?

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Matthäus: Es gibt einfach noch keine Stabilität und Sicherheit in der Mannschaft, dem guten Spiel gegen Juventus Turin folgt eine schwache Begegnung gegen Köln. Dazu kommen neue Spieler und ein neuer Trainer und damit viele Kleinigkeiten, die die nötigen Mechanismen und Automatismen noch nicht zulassen.

Frage: Welches ihrer großen Ziele werden die Bayern in dieser Saison erreichen?

Matthäus: Große Ziele sind beim FC Bayern ja immer Titelgewinne. In der Champions League sehe München nicht auf Augenhöhe mit den Topklubs aus England und Spanien. Ich ordne die Bayern in der Gruppe dahinter und damit nicht bei den Favoriten ein.

Frage: Wie sieht es in den nationalen Wettbewerben aus?

Matthäus: Bei acht Punkten Rückstand nach acht Spielen wird angesichts der Unruhe und wichtiger verletzter Spieler das Thema Meisterschaft ein ganz schwieriges Unternehmen. Da müsste schon eine tolle Serie her und die beiden Spitzenklubs ins Schwächeln kommen. Die einfachste Gelegenheit, einen Titel zu holen, ist der Pokal. Da aber wartet in der nächsten Runde Eintracht Frankfurt. Es wird also eine ganz schwierige Saison für den FC Bayern, weil eben von Anfang an diese gewisse Unruhe da ist. Stabilität, Sicherheit und Ruhe lassen sich jetzt nicht auf Knopfdruck herbeiholen.

Frage: Apropos Stabilität: Trauen Sie den derzeitigen beiden Spitzenteams Leverkusen und Hamburg zu, diesmal bis zum Saisonende um den Meistertitel mitzuspielen?

Matthäus: Ja, denn beide haben die Spieler mit der nötigen Qualität. Wenn sie verschont bleiben von weiteren schwereren Verletzungen, hat jeder von ihnen die Chance, Deutscher Meister zu werden.

Frage: Wer ist für Sie die derzeit positivste Erscheinung in der Bundesliga?

Matthäus: Felix Magath hat es mit vielen jungen Spielern und trotz der permanenten Unruhe rund um den Verein auch bei Schalke geschafft, sich oben festzusetzen. Jupp Heynckes strahlt auf die junge Leverkusener Mannschaft eine große Sicherheit aus, das spürt man. Von den Spielern ragen natürlich Özil und Kießling in diesen Wochen heraus. Und auch Zé Roberto, wobei sich in München viele die Frage stellen, warum man einen Spieler gehen lässt, der jetzt für Hamburg an der Tabellenspitze tolle Leistungen abliefert.

Frage: Wie sehen Ihre Pläne für die nähere Zukunft als Trainer aus?

Matthäus: Ich warte ab und habe mir ein Zeitfenster gesetzt bis Anfang nächsten Jahres. Ich möchte dann eine Aufgabe übernehmen, die sportlich reizvoller ist als bei den letzten zwei, drei Stationen. Der Job in Israel war aber kein verlorenes Jahr, es war für mich vielmehr eine sehr wichtige persönliche Erfahrung, weil ich dieses schöne Land kennenlernen konnte. Sportlich gibt es aber interessantere Ligen, die mit besserer fußballerischer Infrastruktur höhere Aufmerksamkeit finden und in denen die eigene Arbeit dann auch mehr wahrgenommen wird. Beim nächsten Mal möchte ich mich daher dort positionieren, wo ich eine wirklich sportliche Herausforderung finde.

Frage: Wo immer in den vergangenen Wochen der Bundesliga ein Trainer gesucht wurde, fiel zwar sofort Ihr Name, den Job aber bekam regelmäßig ein anderer. Nervt Sie dieses Spiel inzwischen?

Matthäus: Es würde mich nicht nerven, wenn ich mit dem einen oder anderen Verein tatsächlich in Verbindung gestanden hätte, man sich dort unter drei, vier Kandidaten für einen anderen und gegen Matthäus entschieden hätte. Doch es war in keinem einzigen Fall überhaupt ein Kontakt zu mir vorhanden. Deshalb sollte man meinen Namen nicht ins Spiel bringen. Mir schadet das, und ich möchte von den Medien fairer behandelt werden. Mit meinem Namen macht man aber offensichtlich Schlagzeilen - egal, ob sie der Wahrheit entsprechen oder nicht.