Marcell Jansen: "Ich bin kein Neuling mehr"

Gegen Kasachstan wurde er nachnominiert, bei der USA-Reise ist Marcell Jansen von Beginn an dabei. 37 Länderspiele stehen in der Vita des 27-Jährigen, nur Lukas Podolski (108) und Per Mertesacker (88) haben mehr Einsätze im aktuellen DFB-Kader absolviert als der Verteidiger des HSV.

Im Interview mit DFB.de-Redakteur Steffen Lüdeke spricht Jansen über seine lange Pause bei der Nationalmannschaft, den Umgang mit Kritik und das Finale der Champions League.

DFB.de: Herr Jansen, haben Thomas Mai und Jan Heller, die Zeugwarte der Nationalmannschaft, schon angefragt, ob Sie den beiden hier hin und wieder unter die Arme greifen können?

Marcell Jansen: Warum sollten die beiden das machen?

DFB.de: Weil Sie zuletzt außergewöhnliche Fähigkeiten bei der Säuberung von Wäsche demonstriert haben. In einem Video des HSV geben Ihnen Ihre Kollegen die Trikots der abgelaufenen Saison, und nach einem Handwaschgang von Marcell Jansen kommen diese im Design der kommenden Spielzeit aus dem Wäschezuber. Es grenzt an Hexerei.

Jansen: Ach so, stimmt. Ich habe damit den HSV-Zeugwart Mario Moser ganz schön unter Druck gesetzt. (lacht) Aber hier bei der Nationalmannschaft waren meine Fähigkeiten als Zeugwart noch nicht gefragt. Wir hatten ja auch erst eine Einheit - sonderlich viel Wäsche gab es noch nicht zu machen. Aber vielleicht kommt das noch, und dann bin ich sicher, dass Thomas Mai sich nicht scheuen wird, mich um Hilfe zu bitten.

DFB.de: Obwohl Sie als Zeugwart eigentlich gänzlich ungeeignet sind.

Jansen: Warum denn das?

DFB.de: Zeugwarte müssen auch das Schuhwerk im Blick haben. Und Sie pflegen mit unschöner Regelmäßigkeit Ihre Fußballschuhe zu vergessen.

Jansen: Ja?

DFB.de: Beim Wechsel von München nach Hamburg haben Sie die Schuhe nicht mitgenommen, und auch als Sie von Bundestrainer Joachim Löw für das Länderspiel in Nürnberg gegen Kasachstan nachnominiert worden sind, gab es Komplikationen mit Ihrem Schuhwerk.

Jansen: Das stimmt beides - und stimmt doch nicht. Denn es war nicht so, dass ich die Schuhe jeweils vergessen hätte. Als ich von Bayern zum HSV gegangen bin, sollte ich nur zum medizinischen Check. Ursprünglich. Doch dann hatte Martin Jol die Idee, mich gleich spielen zu lassen. Es ging damals wahnsinnig schnell, und dann war es so, dass meine Schuhe aus München kurzfristig geholt werden mussten. Beim Spiel gegen Kasachstan ist die Situation entstanden, eben weil es sich um eine Nachnominierung gehandelt hat. Ich war zu Hause bei meiner Familie in Mönchengladbach, als ich vom Bundestrainer angerufen wurde. Meine Schuhe hatte ich dort natürlich nicht dabei, deswegen musste ich noch mal nach Hamburg, um sie zu holen. Aber vergessen habe ich meine Schuhe eigentlich nie.

DFB.de: Bundestrainer Joachim Löw hat den Kader der USA-Reise in drei Kategorien unterteilt: Neulinge, Rückkehrer und Etablierte. Sie sind kein Neuling, ein Rückkehrer sind Sie auch nicht, immerhin haben Sie bereits gegen Kasachstan wieder für den DFB gespielt. Bleibt eigentlich nur die Kategorie: Etablierter. Empfinden Sie dies auch so?

Jansen: Ja, das lässt sich ja auch an meiner Erfahrung und den Zahlen ablesen. Ich habe zwei WM-Turniere und eine Europameisterschaft gespielt. Und ich war nicht nur dabei, ich habe viele Einsätze absolviert. Klar ist also, dass ich kein Neuling bin, immerhin habe ich bereits 37 Länderspiele bestritten. Allerdings ist es nicht so, dass sich daraus irgendwelche Ansprüche ableiten würden. Es spielt niemand in der Nationalmannschaft, nur weil er schon oft für die Nationalmannschaft gespielt hat. Entscheidend ist einzig die Leistung in der Gegenwart. Dass ich jetzt wieder dabei bin, ist ein Resultat der Leistungen im Verein. Und die haben zuletzt gestimmt. Weil die Gesundheit mitgespielt hat. Und weil ich wieder konstant auf meiner Position als Linksverteidiger gespielt habe.

DFB.de: Sie beschreiben sich als ehrgeizigen Menschen. Wie sehr hat es Sie getroffen, dass Sie mehr als 900 Tage lang nicht für die Nationalmannschaft berücksichtigt worden sind?

Jansen: Das war natürlich nicht einfach. Es ist für jeden Sportler unbefriedigend, wenn er nicht das zeigen kann, was er zeigen will. Bei mir war das über eine ziemlich lange Phase der Fall, das führt dann zur Unzufriedenheit. Ich kannte zwar die Gründe, ich war oft verletzt und habe im Mittelfeld und damit nicht auf meiner stärksten Position gespielt. Aber das hilft nur bedingt. Hinzu kam, dass es lange für den gesamten Verein sportlich nicht gelaufen ist. Wir haben gegen den Abstieg gespielt, und das ist auch emotional eine Herausforderung. Aber all diese Erfahrungen haben mich weiter gebracht, vor allem die Spiele im Abstiegskampf. Der HSV ist der Bundesliga-Dino, dies hat den Druck noch mal erhöht. Kein Spieler will zu der Mannschaft gehören, mit der der HSV zum ersten Mal aus der Bundesliga abgestiegen ist. Die Erfahrung, diesem Druck Stand gehalten zu haben, ist sehr wertvoll für mich.

DFB.de: Aktuell ist beim HSV einiges los. Der Verein hat sich von Sportdirektor Frank Arnesen getrennt. Fällt es Ihnen angesichts der Unruhe beim HSV schwer, sich in Amerika voll und ganz auf das DFB-Team zu konzentrieren?

Jansen: Nein, das geht eigentlich. Wir haben mit dem HSV in diesem Jahr einen Schritt nach vorne gemacht. Wir sind Siebter geworden, und mit ein bisschen mehr Konstanz wäre für uns sogar ein Platz im internationalen Wettbewerb drin gewesen. In einigen Spielen haben wir gezeigt, dass in der Mannschaft sehr viel Potenzial steckt. Das lässt mich für die Zukunft hoffen - unabhängig von der Person des Sportdirektors. Wichtig ist, dass der Trainer und das Trainerteam bleiben. Aber natürlich wäre es für uns alle positiv, wenn die Personalie des Sportdirektors schnell entschieden wäre. Das wäre nicht nur für mich gut, sondern auch für meine HSV-Kollegen bei der Nationalmannschaft.

DFB.de: Dennis Aogo ist jetzt wieder - und war lange - Teil der Nationalmannschaft, und schon einige Monate vor Ihnen sind mit René Adler und Heiko Westermann zwei HSV-Spieler zum A-Team zurückgekehrt. Was haben Sie empfunden, als diese Spieler zur Nationalmannschaft gereist sind und Sie zu Hause bleiben mussten? Haben Sie mit den Dreien über die Nationalmannschaft gesprochen, oder wurde dieses Thema ausgeklammert?

Jansen: In der vorvergangenen Saison war das kaum ein Thema. Im Abstiegskampf gab es für uns als Mannschaft, viele andere Probleme zu bewältigen. Ich hatte damals überhaupt keine Zeit, mir Gedanken über etwas anderes als den HSV zu machen. In der vergangenen Saison war das ganz anders. Schon der Start war mit dem aus dem Vorjahr nicht zu vergleichen. Und auch für mich hat sich viel geändert, weil ich ziemlich schnell wieder als Linksverteidiger spielen durfte. Von da an habe ich mir auch wieder Gedanken in Richtung Nationalmannschaft gemacht. Weil ich auf dieser Position viele Länderspiele gemacht habe und viele schöne Momente erleben durfte. Ich habe dann auch angefangen, wieder mehr mit Heiko, Dennis und René über die Nationalmannschaft zu reden.

DFB.de: Ihr erstes Länderspiel haben Sie im Jahr 2005 absolviert - vor acht Jahren. Wie hat sich die Nationalmannschaft in dieser Zeit verändert?

Jansen: Beim DFB hat sich nicht viel verändert. Ich finde das überaus positiv. Im Fußball gibt es das nur noch selten, dass Mannschaften über einen so langen Zeitraum so konstant geführt werden. Für mich war das sehr angenehm. Ich kam nach einer langen Zeit zurück und fast alles war so, wie ich es noch von früher kannte. Auch im Betreuerteam hat sich nicht viel verändert. Das zeigt, dass der DFB an Dingen, die funktionieren, festhält. Fachlich ist alles hervorragend. Und, fast noch wichtiger, menschlich auch. Mir ist das sehr wichtig. Beim DFB ist das wirklich vorbildlich. Zumal das nicht nur bei der A-Mannschaft so ist, sondern sich in alle Jugendmannschaften durchzieht. So habe ich das jedenfalls erlebt.

DFB.de: Und wie hat sich Marcell Jansen in den acht Jahren seit 2005 verändert?

Jansen: Man wird älter, reifer, ruhiger, die vielen Erfahrungen prägen. Mit Gladbach, Bayern und Hamburg habe ich bei drei sehr besonderen Vereinen Fußball gespielt. Ich hatte mit Verletzungen zu kämpfen und habe gelernt, wieder aufzustehen. Die vielen positiven, aber auch die negativen Erlebnisse haben mir eine gewisse Gelassenheit gegeben. Dass soll nicht heißen, dass mein Ehrgeiz nachgelassen hätte, aber ich habe im Laufe der Zeit gelernt, die Mechanismen der Branche richtig einzuschätzen. Es gab da für mich ein Schlüsselerlebnis.

DFB.de: Sie meinen die Kritik, die nach dem 1:2 gegen Kroatien bei der EM 2008 auf Sie eingeprasselt ist?

Jansen: Ja. Ich hatte einen schlechten Tag - genau wie alle anderen. Aber die Niederlage wurde massiv ausgerechnet an mir, dem jüngsten Spieler der Mannschaft, festgemacht. Das war extrem hart und nicht einfach zu verarbeiten. Ich habe damals aber nicht resigniert, mir hat die Kritik eher Kraft gegeben.

DFB.de: Kraft? Eine nachvollziehbare Reaktion wäre gewesen, den Spaß am Spiel zu verlieren...

Jansen: So bin ich nicht. Aber ich musste erst lernen, damit umzugehen. In den ersten Tagen war das schwierig. Ich habe viel gegrübelt und kam dann zum dem Schuss, dass ich nur dann verloren habe, wenn ich mich von der Kritik beeindrucken lasse. Wenn man dies nicht zulässt, wächst man an solchen Situationen. Das meine ich mit Gelassenheit. Es ist eine Qualität, Kritik richtig einschätzen zu können und diese nicht an sich heranzulassen, wenn sie nicht fundiert ist.

DFB.de: Am Abend wartet ein weiteres Highlight - der Besuch des Conference-Finals zwischen Miami Heat und den Indiana Pacers. Beim HSV gehen Sie hin und wieder zum Handball, aber wie ist es um Ihre Affinität zum Basketball bestellt?

Jansen: Basketball ist ein toller Sport, auch wenn ich in Deutschland nicht viel von der NBA mitbekomme. Aber immer wenn ich privat in Amerika bin, kann man sich dem nicht entziehen - da läuft Basketball rauf und runter. Live bei einem Spiel war ich aber noch nie, umso mehr freue ich mich, dass uns dies heute Abend ermöglicht wird.

DFB.de: Am Samstag steht das Champions-League-Finale an. Sie haben ein Jahr lang für den FC Bayern gespielt. Dürfen Sie parteiisch sein? Und sind Sie wegen dieser Vergangenheit für oder gegen den FC Bayern?

Jansen: Um Gottes Willen, es wäre ja schlimm, wenn ich deswegen gegen den FC Bayern wäre. Die Zeit unter Ottmar Hitzfeld war eines meiner schönsten und wichtigsten Jahre als Fußballer. Meine Bayern-Vergangenheit hat überhaupt nichts damit zu tun, wem ich den Sieg mehr wünsche. Ganz abgesehen davon, dass ich allen Spielern diesen Erfolg gönne. Wenn ich an den deutschen Fußball und an die Brisanz denke, hätte es einen guten Effekt, wenn Dortmund das Ding machen würde. Ganz einfach, weil der Reiz des Duells Bayern gegen Dortmund in der kommenden Saison noch größer wäre. Wenn Bayern seine Dominanz in dieser Saison in drei Titel ummünzt, kann es sein, dass die Spiele zwischen dem BVB und dem FCB in der kommenden Saison schon wieder an Brisanz verlieren. Das fände ich schade. Aber wie gesagt: Ich gönne es beiden Mannschaften, der Bessere soll gewinnen.

Das meinen DFB.de-User

"Es freut mich, dass Marcell Jansen für die USA-Reise der Nationalmannschaft berücksichtigt wurde! Er gehörte zu den wenigen HSVern, die diese Saison konstant gute Leistungen gezeigt haben. Alles gute und viel Erfolg!" (Can Tré, Hamburg)

"Auch wenn Marcell Jansen in Hamburg oftmals sehr kritisch gesehen wird, bin ich doch als Anhänger des HSV sehr froh, ihn im Team zu wissen, auch und gerade, weil er nicht zu der Art tumber Fußball-Spieler gehört, sondern seinen Intellekt und seine menschliche Reife immer wieder aufzeigt. Interviews mit ihm empfinde ich stets als sehr angenehm lesbar." (Marvin Kuhn, Hamburg)

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Gegen Kasachstan wurde er nachnominiert, bei der USA-Reise ist Marcell Jansen von Beginn an dabei. 37 Länderspiele stehen in der Vita des 27-Jährigen, nur Lukas Podolski (108) und Per Mertesacker (88) haben mehr Einsätze im aktuellen DFB-Kader absolviert als der Verteidiger des HSV.

Im Interview mit DFB.de-Redakteur Steffen Lüdeke spricht Jansen über seine lange Pause bei der Nationalmannschaft, den Umgang mit Kritik und das Finale der Champions League.

DFB.de: Herr Jansen, haben Thomas Mai und Jan Heller, die Zeugwarte der Nationalmannschaft, schon angefragt, ob Sie den beiden hier hin und wieder unter die Arme greifen können?

Marcell Jansen: Warum sollten die beiden das machen?

DFB.de: Weil Sie zuletzt außergewöhnliche Fähigkeiten bei der Säuberung von Wäsche demonstriert haben. In einem Video des HSV geben Ihnen Ihre Kollegen die Trikots der abgelaufenen Saison, und nach einem Handwaschgang von Marcell Jansen kommen diese im Design der kommenden Spielzeit aus dem Wäschezuber. Es grenzt an Hexerei.

Jansen: Ach so, stimmt. Ich habe damit den HSV-Zeugwart Mario Moser ganz schön unter Druck gesetzt. (lacht) Aber hier bei der Nationalmannschaft waren meine Fähigkeiten als Zeugwart noch nicht gefragt. Wir hatten ja auch erst eine Einheit - sonderlich viel Wäsche gab es noch nicht zu machen. Aber vielleicht kommt das noch, und dann bin ich sicher, dass Thomas Mai sich nicht scheuen wird, mich um Hilfe zu bitten.

DFB.de: Obwohl Sie als Zeugwart eigentlich gänzlich ungeeignet sind.

Jansen: Warum denn das?

DFB.de: Zeugwarte müssen auch das Schuhwerk im Blick haben. Und Sie pflegen mit unschöner Regelmäßigkeit Ihre Fußballschuhe zu vergessen.

Jansen: Ja?

DFB.de: Beim Wechsel von München nach Hamburg haben Sie die Schuhe nicht mitgenommen, und auch als Sie von Bundestrainer Joachim Löw für das Länderspiel in Nürnberg gegen Kasachstan nachnominiert worden sind, gab es Komplikationen mit Ihrem Schuhwerk.

Jansen: Das stimmt beides - und stimmt doch nicht. Denn es war nicht so, dass ich die Schuhe jeweils vergessen hätte. Als ich von Bayern zum HSV gegangen bin, sollte ich nur zum medizinischen Check. Ursprünglich. Doch dann hatte Martin Jol die Idee, mich gleich spielen zu lassen. Es ging damals wahnsinnig schnell, und dann war es so, dass meine Schuhe aus München kurzfristig geholt werden mussten. Beim Spiel gegen Kasachstan ist die Situation entstanden, eben weil es sich um eine Nachnominierung gehandelt hat. Ich war zu Hause bei meiner Familie in Mönchengladbach, als ich vom Bundestrainer angerufen wurde. Meine Schuhe hatte ich dort natürlich nicht dabei, deswegen musste ich noch mal nach Hamburg, um sie zu holen. Aber vergessen habe ich meine Schuhe eigentlich nie.

DFB.de: Bundestrainer Joachim Löw hat den Kader der USA-Reise in drei Kategorien unterteilt: Neulinge, Rückkehrer und Etablierte. Sie sind kein Neuling, ein Rückkehrer sind Sie auch nicht, immerhin haben Sie bereits gegen Kasachstan wieder für den DFB gespielt. Bleibt eigentlich nur die Kategorie: Etablierter. Empfinden Sie dies auch so?

Jansen: Ja, das lässt sich ja auch an meiner Erfahrung und den Zahlen ablesen. Ich habe zwei WM-Turniere und eine Europameisterschaft gespielt. Und ich war nicht nur dabei, ich habe viele Einsätze absolviert. Klar ist also, dass ich kein Neuling bin, immerhin habe ich bereits 37 Länderspiele bestritten. Allerdings ist es nicht so, dass sich daraus irgendwelche Ansprüche ableiten würden. Es spielt niemand in der Nationalmannschaft, nur weil er schon oft für die Nationalmannschaft gespielt hat. Entscheidend ist einzig die Leistung in der Gegenwart. Dass ich jetzt wieder dabei bin, ist ein Resultat der Leistungen im Verein. Und die haben zuletzt gestimmt. Weil die Gesundheit mitgespielt hat. Und weil ich wieder konstant auf meiner Position als Linksverteidiger gespielt habe.

DFB.de: Sie beschreiben sich als ehrgeizigen Menschen. Wie sehr hat es Sie getroffen, dass Sie mehr als 900 Tage lang nicht für die Nationalmannschaft berücksichtigt worden sind?

Jansen: Das war natürlich nicht einfach. Es ist für jeden Sportler unbefriedigend, wenn er nicht das zeigen kann, was er zeigen will. Bei mir war das über eine ziemlich lange Phase der Fall, das führt dann zur Unzufriedenheit. Ich kannte zwar die Gründe, ich war oft verletzt und habe im Mittelfeld und damit nicht auf meiner stärksten Position gespielt. Aber das hilft nur bedingt. Hinzu kam, dass es lange für den gesamten Verein sportlich nicht gelaufen ist. Wir haben gegen den Abstieg gespielt, und das ist auch emotional eine Herausforderung. Aber all diese Erfahrungen haben mich weiter gebracht, vor allem die Spiele im Abstiegskampf. Der HSV ist der Bundesliga-Dino, dies hat den Druck noch mal erhöht. Kein Spieler will zu der Mannschaft gehören, mit der der HSV zum ersten Mal aus der Bundesliga abgestiegen ist. Die Erfahrung, diesem Druck Stand gehalten zu haben, ist sehr wertvoll für mich.

DFB.de: Aktuell ist beim HSV einiges los. Der Verein hat sich von Sportdirektor Frank Arnesen getrennt. Fällt es Ihnen angesichts der Unruhe beim HSV schwer, sich in Amerika voll und ganz auf das DFB-Team zu konzentrieren?

Jansen: Nein, das geht eigentlich. Wir haben mit dem HSV in diesem Jahr einen Schritt nach vorne gemacht. Wir sind Siebter geworden, und mit ein bisschen mehr Konstanz wäre für uns sogar ein Platz im internationalen Wettbewerb drin gewesen. In einigen Spielen haben wir gezeigt, dass in der Mannschaft sehr viel Potenzial steckt. Das lässt mich für die Zukunft hoffen - unabhängig von der Person des Sportdirektors. Wichtig ist, dass der Trainer und das Trainerteam bleiben. Aber natürlich wäre es für uns alle positiv, wenn die Personalie des Sportdirektors schnell entschieden wäre. Das wäre nicht nur für mich gut, sondern auch für meine HSV-Kollegen bei der Nationalmannschaft.

DFB.de: Dennis Aogo ist jetzt wieder - und war lange - Teil der Nationalmannschaft, und schon einige Monate vor Ihnen sind mit René Adler und Heiko Westermann zwei HSV-Spieler zum A-Team zurückgekehrt. Was haben Sie empfunden, als diese Spieler zur Nationalmannschaft gereist sind und Sie zu Hause bleiben mussten? Haben Sie mit den Dreien über die Nationalmannschaft gesprochen, oder wurde dieses Thema ausgeklammert?

Jansen: In der vorvergangenen Saison war das kaum ein Thema. Im Abstiegskampf gab es für uns als Mannschaft, viele andere Probleme zu bewältigen. Ich hatte damals überhaupt keine Zeit, mir Gedanken über etwas anderes als den HSV zu machen. In der vergangenen Saison war das ganz anders. Schon der Start war mit dem aus dem Vorjahr nicht zu vergleichen. Und auch für mich hat sich viel geändert, weil ich ziemlich schnell wieder als Linksverteidiger spielen durfte. Von da an habe ich mir auch wieder Gedanken in Richtung Nationalmannschaft gemacht. Weil ich auf dieser Position viele Länderspiele gemacht habe und viele schöne Momente erleben durfte. Ich habe dann auch angefangen, wieder mehr mit Heiko, Dennis und René über die Nationalmannschaft zu reden.

DFB.de: Ihr erstes Länderspiel haben Sie im Jahr 2005 absolviert - vor acht Jahren. Wie hat sich die Nationalmannschaft in dieser Zeit verändert?

Jansen: Beim DFB hat sich nicht viel verändert. Ich finde das überaus positiv. Im Fußball gibt es das nur noch selten, dass Mannschaften über einen so langen Zeitraum so konstant geführt werden. Für mich war das sehr angenehm. Ich kam nach einer langen Zeit zurück und fast alles war so, wie ich es noch von früher kannte. Auch im Betreuerteam hat sich nicht viel verändert. Das zeigt, dass der DFB an Dingen, die funktionieren, festhält. Fachlich ist alles hervorragend. Und, fast noch wichtiger, menschlich auch. Mir ist das sehr wichtig. Beim DFB ist das wirklich vorbildlich. Zumal das nicht nur bei der A-Mannschaft so ist, sondern sich in alle Jugendmannschaften durchzieht. So habe ich das jedenfalls erlebt.

DFB.de: Und wie hat sich Marcell Jansen in den acht Jahren seit 2005 verändert?

Jansen: Man wird älter, reifer, ruhiger, die vielen Erfahrungen prägen. Mit Gladbach, Bayern und Hamburg habe ich bei drei sehr besonderen Vereinen Fußball gespielt. Ich hatte mit Verletzungen zu kämpfen und habe gelernt, wieder aufzustehen. Die vielen positiven, aber auch die negativen Erlebnisse haben mir eine gewisse Gelassenheit gegeben. Dass soll nicht heißen, dass mein Ehrgeiz nachgelassen hätte, aber ich habe im Laufe der Zeit gelernt, die Mechanismen der Branche richtig einzuschätzen. Es gab da für mich ein Schlüsselerlebnis.

DFB.de: Sie meinen die Kritik, die nach dem 1:2 gegen Kroatien bei der EM 2008 auf Sie eingeprasselt ist?

Jansen: Ja. Ich hatte einen schlechten Tag - genau wie alle anderen. Aber die Niederlage wurde massiv ausgerechnet an mir, dem jüngsten Spieler der Mannschaft, festgemacht. Das war extrem hart und nicht einfach zu verarbeiten. Ich habe damals aber nicht resigniert, mir hat die Kritik eher Kraft gegeben.

DFB.de: Kraft? Eine nachvollziehbare Reaktion wäre gewesen, den Spaß am Spiel zu verlieren...

Jansen: So bin ich nicht. Aber ich musste erst lernen, damit umzugehen. In den ersten Tagen war das schwierig. Ich habe viel gegrübelt und kam dann zum dem Schuss, dass ich nur dann verloren habe, wenn ich mich von der Kritik beeindrucken lasse. Wenn man dies nicht zulässt, wächst man an solchen Situationen. Das meine ich mit Gelassenheit. Es ist eine Qualität, Kritik richtig einschätzen zu können und diese nicht an sich heranzulassen, wenn sie nicht fundiert ist.

DFB.de: Am Abend wartet ein weiteres Highlight - der Besuch des Conference-Finals zwischen Miami Heat und den Indiana Pacers. Beim HSV gehen Sie hin und wieder zum Handball, aber wie ist es um Ihre Affinität zum Basketball bestellt?

Jansen: Basketball ist ein toller Sport, auch wenn ich in Deutschland nicht viel von der NBA mitbekomme. Aber immer wenn ich privat in Amerika bin, kann man sich dem nicht entziehen - da läuft Basketball rauf und runter. Live bei einem Spiel war ich aber noch nie, umso mehr freue ich mich, dass uns dies heute Abend ermöglicht wird.

DFB.de: Am Samstag steht das Champions-League-Finale an. Sie haben ein Jahr lang für den FC Bayern gespielt. Dürfen Sie parteiisch sein? Und sind Sie wegen dieser Vergangenheit für oder gegen den FC Bayern?

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Jansen: Um Gottes Willen, es wäre ja schlimm, wenn ich deswegen gegen den FC Bayern wäre. Die Zeit unter Ottmar Hitzfeld war eines meiner schönsten und wichtigsten Jahre als Fußballer. Meine Bayern-Vergangenheit hat überhaupt nichts damit zu tun, wem ich den Sieg mehr wünsche. Ganz abgesehen davon, dass ich allen Spielern diesen Erfolg gönne. Wenn ich an den deutschen Fußball und an die Brisanz denke, hätte es einen guten Effekt, wenn Dortmund das Ding machen würde. Ganz einfach, weil der Reiz des Duells Bayern gegen Dortmund in der kommenden Saison noch größer wäre. Wenn Bayern seine Dominanz in dieser Saison in drei Titel ummünzt, kann es sein, dass die Spiele zwischen dem BVB und dem FCB in der kommenden Saison schon wieder an Brisanz verlieren. Das fände ich schade. Aber wie gesagt: Ich gönne es beiden Mannschaften, der Bessere soll gewinnen.

Das meinen DFB.de-User

"Es freut mich, dass Marcell Jansen für die USA-Reise der Nationalmannschaft berücksichtigt wurde! Er gehörte zu den wenigen HSVern, die diese Saison konstant gute Leistungen gezeigt haben. Alles gute und viel Erfolg!" (Can Tré, Hamburg)

"Auch wenn Marcell Jansen in Hamburg oftmals sehr kritisch gesehen wird, bin ich doch als Anhänger des HSV sehr froh, ihn im Team zu wissen, auch und gerade, weil er nicht zu der Art tumber Fußball-Spieler gehört, sondern seinen Intellekt und seine menschliche Reife immer wieder aufzeigt. Interviews mit ihm empfinde ich stets als sehr angenehm lesbar." (Marvin Kuhn, Hamburg)