"Man hat gespürt, dass etwas Großes entstehen kann"

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Als der Kölner Dr. Peco Bauwens am 10. Juli 1949 die Festrede zur Wiedergründung des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) hielt, war unter den Zuhörern auch ein hagerer, 24 Jahre junger Mann, der später zu den bekanntesten deutschen Trainern werden sollte.

Als langjähriger DFB-Trainer arbeitete Dettmar Cramer unter anderem an der Seite von Sepp Herberger und Helmut Schön. Mit Bayern München konnte der Weltenbummler zweimal (1975 und 1976) den Europapokal der Landesmeister gewinnen.

"Man hat schon damals gespürt, dass etwas Großes entstehen kann", sagt Cramer im DFB.de-Interview mit Chefredakteur Ralf Köttker.

Frage: Als die Wiedergründung des Deutschen Fußball-Bundes ausgerufen wurde, lagen weite Teile Deutschlands noch in Trümmern. Wie hat ein junger Fußballspieler wie Sie diese Nachkriegsjahre erlebt?

Dettmar Cramer: Als ich aus der Gefangenschaft zurückgekehrt war, habe ich 1946 in Lippstadt meinen ersten Vertrag bekommen. Ich habe an vier Tagen trainiert, bin einmal die Woche mit dem Fahrrad zu den Bauern im Nachbarort gefahren und habe einen Sack Kartoffeln und ein bisschen Speck besorgt. Die Menschen waren arm, wir hatten alle nur das Notwendigste zum Leben. Ich war ein ganz dünner Kerl. Wenn ich damals 20 Minuten Torwarttraining gemacht habe, dann war ich schon kaputt.

Frage: Welchen Stellenwert hatte der Fußball für die Menschen in diesen schweren Zeiten?

Cramer: Arbeit hatten die Menschen genug, mehr als ihnen lieb war. Was das Leben erst lebenswert machte, war für viele der Fußball. Wir haben damals einen Teil der Kartoffeln gegen Fußbälle eingetauscht, nur um spielen zu können. Das Gemeinschaftsgefühl hat viele Entbehrungen vergessen lassen.

Frage: Und der Wunsch nach Gemeinschaft über die Grenzen der Besatzungszonen hinaus wurde immer stärker?

Cramer: Ja, das stimmt. Nach dem Krieg spielte sich der Fußball in den einzelnen Besatzungszonen ab, aber die Leute wollten mehr. 1948 hat es schon die ersten Gruppenversammlungen und Kommissionen gegeben, die sich mit dem beschäftigten, was im Juli 1949 dann verkündet wurde. Der Wunsch wurde immer stärker, sich auch wieder auf Bundesebene und international zu organisieren. Zu den hartnäckigsten Fürsprechern gehörte dabei immer Sepp Herberger. Aber es gab anfangs auch noch einige Vorurteile aus den Landesverbänden.

Frage: Welche?

Cramer: Im Süden hatten einige die Befürchtung, dass der Westen den deutschen Fußball dominieren wollte. Da musste zum Teil bei einigen noch Überzeugungsarbeit geleistet werden. Es war ein gutes Zeichen, dass die Verkündung der Wiedergründung in Stuttgart stattfand.

Frage: Genauer gesagt im großen Haus des Württembergischen Staatstheaters. Wie haben Sie diesen Sonntag erlebt?

Cramer: Ich hatte keine schriftliche Einladung, Freunde aus dem Westdeutschen Spielverband hatten mich gefragt, ob ich mir das anschauen möchte. Ich bin damals mit der Bahn von Duisburg nach Stuttgart gefahren. Man musste die Zonen passieren und eine Erlaubnis haben. Das Reisen war nicht so einfach wie heute, aber ich wollte dabei sein.

Frage: Im Staatstheater war viel Prominenz versammelt. Politiker, Vertreter der Militärregierungen, FIFA-Offizielle waren zu dem Festakt geladen, das große Orchester des Staatstheaters spielte. Was ist Ihnen in Erinnerung geblieben?

Cramer: Mir ist vor allem die Rede von Peco Bauwens in Erinnerung geblieben. Wir kannten uns schon länger und hatten große Sympathien füreinander. Er war ein guter Redner, aber trotzdem hat er mich an dem Tag überrascht.

Frage: Inwiefern?

Cramer: Seine Rede war glänzend vorbereitet, wie immer. Die Menschen haben applaudiert. Aber da war noch mehr. Begeisterung kommt von Geist. Und Bauwens hat an diesem Tag den Geist geweckt. Es war ein bewegender Moment. Seine Rede war ein ganz wichtiges Signal für alle.

Frage: Und was passierte nach dem offiziellen Teil?

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Cramer: Die meisten gingen in Gruppen in verschiedene Lokale und haben gefeiert. Wenn Fußballer sich treffen, wird gefeiert – das galt auch damals schon, zumal es diesen besonderen Anlass gab. Wir haben das ein oder andere Bier getrunken. Irgendwann kam die Müdigkeit, aber die Begeisterung blieb.

Frage: Und die Nachricht verbreitete sich auch ohne Internet und Fernsehen im Fußballvolk?

Cramer: Es waren auch damals schon Journalisten dabei, die in ihren Zeitungen über das Ereignis berichtet haben. Das hat sich ganz schnell rumgesprochen.

Frage: Hätten Sie es an jenem Tag für möglich gehalten, dass 60 Jahre später der DFB ein Verband mit rund 6,7 Millionen Mitgliedern ist?

Cramer: Die Grenzen hat man sich nicht vorstellen können, aber den Antrieb etwas zu bewegen, hatte man. Man hat es nicht gewusst, aber an diesem 10. Juli 1949 irgendwie gespürt, dass etwas ganz Großes entstehen kann.

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Als der Kölner Dr. Peco Bauwens am 10. Juli 1949 die Festrede zur Wiedergründung des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) hielt, war unter den Zuhörern auch ein hagerer, 24 Jahre junger Mann, der später zu den bekanntesten deutschen Trainern werden sollte.

Als langjähriger DFB-Trainer arbeitete Dettmar Cramer unter anderem an der Seite von Sepp Herberger und Helmut Schön. Mit Bayern München konnte der Weltenbummler zweimal (1975 und 1976) den Europapokal der Landesmeister gewinnen.

"Man hat schon damals gespürt, dass etwas Großes entstehen kann", sagt Cramer im DFB.de-Interview mit Chefredakteur Ralf Köttker.

Frage: Als die Wiedergründung des Deutschen Fußball-Bundes ausgerufen wurde, lagen weite Teile Deutschlands noch in Trümmern. Wie hat ein junger Fußballspieler wie Sie diese Nachkriegsjahre erlebt?

Dettmar Cramer: Als ich aus der Gefangenschaft zurückgekehrt war, habe ich 1946 in Lippstadt meinen ersten Vertrag bekommen. Ich habe an vier Tagen trainiert, bin einmal die Woche mit dem Fahrrad zu den Bauern im Nachbarort gefahren und habe einen Sack Kartoffeln und ein bisschen Speck besorgt. Die Menschen waren arm, wir hatten alle nur das Notwendigste zum Leben. Ich war ein ganz dünner Kerl. Wenn ich damals 20 Minuten Torwarttraining gemacht habe, dann war ich schon kaputt.

Frage: Welchen Stellenwert hatte der Fußball für die Menschen in diesen schweren Zeiten?

Cramer: Arbeit hatten die Menschen genug, mehr als ihnen lieb war. Was das Leben erst lebenswert machte, war für viele der Fußball. Wir haben damals einen Teil der Kartoffeln gegen Fußbälle eingetauscht, nur um spielen zu können. Das Gemeinschaftsgefühl hat viele Entbehrungen vergessen lassen.

Frage: Und der Wunsch nach Gemeinschaft über die Grenzen der Besatzungszonen hinaus wurde immer stärker?

Cramer: Ja, das stimmt. Nach dem Krieg spielte sich der Fußball in den einzelnen Besatzungszonen ab, aber die Leute wollten mehr. 1948 hat es schon die ersten Gruppenversammlungen und Kommissionen gegeben, die sich mit dem beschäftigten, was im Juli 1949 dann verkündet wurde. Der Wunsch wurde immer stärker, sich auch wieder auf Bundesebene und international zu organisieren. Zu den hartnäckigsten Fürsprechern gehörte dabei immer Sepp Herberger. Aber es gab anfangs auch noch einige Vorurteile aus den Landesverbänden.

Frage: Welche?

Cramer: Im Süden hatten einige die Befürchtung, dass der Westen den deutschen Fußball dominieren wollte. Da musste zum Teil bei einigen noch Überzeugungsarbeit geleistet werden. Es war ein gutes Zeichen, dass die Verkündung der Wiedergründung in Stuttgart stattfand.

Frage: Genauer gesagt im großen Haus des Württembergischen Staatstheaters. Wie haben Sie diesen Sonntag erlebt?

Cramer: Ich hatte keine schriftliche Einladung, Freunde aus dem Westdeutschen Spielverband hatten mich gefragt, ob ich mir das anschauen möchte. Ich bin damals mit der Bahn von Duisburg nach Stuttgart gefahren. Man musste die Zonen passieren und eine Erlaubnis haben. Das Reisen war nicht so einfach wie heute, aber ich wollte dabei sein.

Frage: Im Staatstheater war viel Prominenz versammelt. Politiker, Vertreter der Militärregierungen, FIFA-Offizielle waren zu dem Festakt geladen, das große Orchester des Staatstheaters spielte. Was ist Ihnen in Erinnerung geblieben?

Cramer: Mir ist vor allem die Rede von Peco Bauwens in Erinnerung geblieben. Wir kannten uns schon länger und hatten große Sympathien füreinander. Er war ein guter Redner, aber trotzdem hat er mich an dem Tag überrascht.

Frage: Inwiefern?

Cramer: Seine Rede war glänzend vorbereitet, wie immer. Die Menschen haben applaudiert. Aber da war noch mehr. Begeisterung kommt von Geist. Und Bauwens hat an diesem Tag den Geist geweckt. Es war ein bewegender Moment. Seine Rede war ein ganz wichtiges Signal für alle.

Frage: Und was passierte nach dem offiziellen Teil?

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Cramer: Die meisten gingen in Gruppen in verschiedene Lokale und haben gefeiert. Wenn Fußballer sich treffen, wird gefeiert – das galt auch damals schon, zumal es diesen besonderen Anlass gab. Wir haben das ein oder andere Bier getrunken. Irgendwann kam die Müdigkeit, aber die Begeisterung blieb.

Frage: Und die Nachricht verbreitete sich auch ohne Internet und Fernsehen im Fußballvolk?

Cramer: Es waren auch damals schon Journalisten dabei, die in ihren Zeitungen über das Ereignis berichtet haben. Das hat sich ganz schnell rumgesprochen.

Frage: Hätten Sie es an jenem Tag für möglich gehalten, dass 60 Jahre später der DFB ein Verband mit rund 6,7 Millionen Mitgliedern ist?

Cramer: Die Grenzen hat man sich nicht vorstellen können, aber den Antrieb etwas zu bewegen, hatte man. Man hat es nicht gewusst, aber an diesem 10. Juli 1949 irgendwie gespürt, dass etwas ganz Großes entstehen kann.