Lotzen und Keßler: "Endlich wieder um Punkte spielen"

Zwei Europameisterinnen, zwei Spitzenmannschaften, eine Meinung – endlich geht die Frauen-Bundesliga wieder los. Und gleich zum Auftakt steht mit der Begegnung zwischen Triplegewinner VfL Wolfsburg um den aufstrebenden FC Bayern München ein echtes Spitzenspiel auf dem Programm - und zwar heute (ab 13 Uhr, live bei bei Eurosport).

Nadine Keßler (25, Wolfsburg) und Lena Lotzen (19, FC Bayern) sind zwei der Protagonistinnen des Duells zwischen dem Meister und dem Vorjahres-Vierten. Vor wenigen Wochen haben sie gemeinsam mit der DFB-Auswahl die EURO in Schweden gewonnen. "Für mich persönlich war das ein Riesenerlebnis", sagen die beiden Mittelfeldspielerinnen beinahe unisono in DFB.de-Gespräch mit Sven Winterschladen.

Aber der Blick der Nationalspielerinnen richtet sich schon längst wieder nach vorne. Große Aufgaben stehen bevor. "Wir wollen uns so gut wie möglich präsentieren und die Erfolge aus der vergangenen Saison bestätigen. Dazu gehört auch, wieder einen Titel zu holen", sagt Keßler. "Wenn wir noch konstanter werden, können wir uns vielleicht neue Ziele setzen. Zunächst jedoch wollen wir jedoch an den drei Topteams dran bleiben", betont Lotzen.

DFB.de: Frau Lotzen, Frau Keßler, gemeinsam haben Sie mit der DFB-Auswahl vor sechs Wochen die Europameisterschaft gewonnen. Haben Sie diesen Erfolg mittlerweile realisiert?

Lena Lotzen: Für mich persönlich war das ein Riesenerlebnis, in jeder Hinsicht. Bei mir ist das alles noch sehr frisch. Ich bin gerade dabei, es richtig zu verarbeiten. Mit der Zeit begreife ich wirklich erst, was wir da gemeinsam erreicht haben. Aber jetzt beginnt ja schon wieder die Bundesliga. Darauf richtet sich nun mein Fokus. Es ist jedoch immer wieder ein tolles Gefühl, an die Wochen in Schweden zurückzudenken.

Nadine Keßler: Bei mir ist es ähnlich. Mittlerweile habe ich es aber schon realisiert. Am Anfang war das tatsächlich nicht so einfach. Erst als ich im Kreise der Familie war, habe ich alles verstanden.

DFB.de: Hat Sie die EURO auch persönlich geprägt?

Keßler: Für mich war diese Erfahrung extrem wertvoll. Es war mein erstes großes Turnier und dass ich dann noch jedes Spiel bestritten habe, war wirklich unglaublich für mich. Ich bin sehr glücklich und dankbar dafür.

Lotzen: Ich konnte ebenfalls unheimlich wichtige Erfahrungen sammeln. Wir haben auf höchstem Niveau trainiert und gespielt. Und dann haben wir am Ende den größtmöglichen Erfolg gefeiert. Mehr geht ja gar nicht. Das bringt mich auf jeden Fall weiter.

DFB.de: Haben Sie dadurch auch einen neuen Stellenwert im Verein?

Lotzen: Nein, das trifft bei mir nicht zu. Ich habe beim FC Bayern deshalb nicht automatisch einen anderen Stellenwert. Ich versuche, jetzt noch mehr voran zu gehen und regelmäßig meine Leistung zu bringen. Ich möchte noch mehr Verantwortung übernehmen. Das ist aber nicht plötzlich so, das ist ein längerer Prozess.

Keßler: Unser Verein freut sich sehr über den Erfolg der Nationalmannschaft und natürlich auch für uns. Die Anerkennung und der Stellenwert sind täglich spürbar.

DFB.de: Ist denn der Akku nach der kurzen Pause wieder voll?

Keßler: Ja, absolut. Natürlich blieb nicht viel Zeit, um durchzuatmen. Aber wir haben sehr gut trainiert und konnten uns für die kommende Spielzeit sehr gut vorbereiten.

Lotzen: Auch bei mir wird es langsam wieder. Ich bin noch nicht bei 100 Prozent, aber kurz davor. Nach der Europameisterschaft war ich eine Woche im Urlaub. Das brauchte ich auch, um mal total abschalten zu können. Das hat gut getan. Aber die vergangenen Wochen in der Vorbereitung waren direkt wieder ziemlich hart. Wir haben ebenfalls viel und intensiv trainiert. Ich denke, ich bin auf einem guten Weg. Und das gilt sicher auch für meine Kolleginnen in München.

DFB.de: Mit Leonie Maier haben Sie jetzt eine Europameisterin an Ihrer Seite. Wie macht sie sich in den ersten Wochen beim FC Bayern?

Lotzen: Leonie ist ein super Typ und eine echte Verstärkung für uns. Sie wird uns noch viel Freude machen und uns weiterbringen. Mir kommt es fast so vor, als sei sie schon immer da. Das ist ein gutes Zeichen, sie ist schon voll integriert. Wir sind also bereit für Wolfsburg.

DFB.de: Freuen Sie sich, dass es endlich wieder losgeht?

Lotzen: Natürlich. Wir wollen endlich wieder um Punkte spielen. Ich freue mich darauf, wenn wir wieder gemeinsam auf dem Platz stehen. Für uns ist das Spiel gegen Wolfsburg ein Höhepunkt direkt zum Anfang – natürlich auch, weil es live im Fernsehen gezeigt wird. Es ist großartig, dass es direkt gegen den Deutschen Meister, DFB-Pokalsieger und Gewinner der Champions League geht.

DFB.de: Wie schätzen Sie Wolfsburg ein?

Lotzen: Ohne Zweifel gehören die zur absoluten Spitze – nicht nur in Deutschland, sondern in Europa. Das haben sie ja bereits bewiesen. Für uns wird es eine sehr schwere Aufgabe. Wolfsburg war zuletzt schon überragend und hat sich im Sommer erneut beachtlich verstärkt. Wir haben in dieser Begegnung nichts zu verlieren. Deshalb können wir ohne großen Druck in die Partie gehen. Wolfsburg muss die Erfolge aus der Vergangenheit bestätigen. Wir können nur überraschen. Und das wollen wir auch. Denn wir fahren sicher nicht dorthin, um möglichst knapp zu verlieren. Wir freuen uns auf diese Herausforderung und wollen etwas Zählbares mit nach München nehmen.

DFB.de: In der vergangenen Saison haben Sie mit dem FC Bayern den vierten Platz belegt. Haben Sie damit im Moment das Maximum erreicht?

Lotzen: Wolfsburg, Frankfurt und Potsdam haben große Qualität im Kader. Wir müssen auf uns selber schauen und uns Schritt für Schritt verbessern. Es wird sicher schwer, noch weiter nach oben zu kommen. Um das zu schaffen, müssen wir konstanter werden. In der vergangenen Serie haben wir gegen vermeintlich schwächere Gegner zu viele Punkte liegen gelassen. Das war in der Rückrunde schon besser. Das müssen wir in den Griff bekommen. Dann können wir uns vielleicht neue Ziele setzen. Zunächst jedoch wollen wir an den drei Topteams dran bleiben.

DFB.de: Frau Keßler, die Mannschaft des VfL Wolfsburg wurde noch einmal verstärkt. Wie erleben Sie das Niveau?

Keßler: Die Zugänge haben sich super eingefunden und werden unsere Qualität sicher erhöhen. Klar ist aber auch, dass es noch etwas Zeit braucht, um sich perfekt einzuspielen.

DFB.de: Ist es schwer, sich nach dem riesigen Triumph mit dem Triple neu zu motivieren?

Keßler: Nein, ganz und gar nicht. Es wird uns dieses Jahr alles abverlangt und es wird sicherlich viel schwieriger.

DFB.de: Mit welchen Zielen gehen Sie in die neue Saison – persönlich und mit der Mannschaft?

Keßler: Natürlich wollen wir uns so gut wie möglich präsentieren und die Erfolge aus der vergangenen Saison bestätigen. Dazu gehört auch, wieder einen Titel zu holen. Für mich persönlich möchte ich auch an meine Leistungen vom vergangenen Jahr anknüpfen und mich weiterentwickeln. Außerdem möchte ich selbstverständlich maximalen Erfolg mit meinem Verein haben und eine erfolgreiche WM-Qualifikation mit der Nationalmannschaft bestreiten.

DFB.de: Wie fühlt es sich an, plötzlich der Gejagte zu sein?

Keßler: Es ist eine neue Situation für uns. Ich glaube aber, dass die Mannschaft bereit dazu ist, der Rolle gerecht zu werden.

DFB.de: Die Münchnerinnen wollen direkt für eine Überraschung sorgen. Wie schätzen Sie den FC Bayern als Auftaktgegner ein?

Keßler: Ich schätze Bayern fußballerisch extrem stark ein. Sie haben wirklich Qualität in ihren Reihen. Dementsprechend wird das am Samstag ein richtiges Topspiel.

DFB.de: Frau Lotzen, Frau Keßler, teilen Sie den Eindruck, dass das Niveau in der Frauen-Bundesliga immer höher wird?

Lotzen: Nicht nur die Spitze. Es wird insgesamt immer ausgeglichener. Es kommt nur noch ganz selten vor, dass ein Spiel 8:0 oder 9:0 ausgeht. Zudem gibt es immer häufiger Überraschungen. Mir fällt spontan der Sieg von Essen gegen Frankfurt in der vergangenen Saison ein. Die Bundesliga wird immer stärker, wahrscheinlich ist es die beste und attraktivste Spielklasse weltweit. Das Niveau wird immer höher. Alles ist athletischer, schneller, professioneller und technisch besser geworden.

Keßler: Auf jeden Fall. Sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene steigt das Niveau. Viele Vereine leisten gute Arbeit und investieren in den Frauenfußball. Das wird auch in der Bundesliga spürbar sein.