Littbarski übers WM-Halbfinale 1982: "Ein einziges Spektakel"

Littbarski: Ja, sehr viel sogar. Bis 1986 war es bei mir eigentlich nur bergauf gegangen, nun musste ich kämpfen, mich neu beweisen. Und vor allem: Ich musste in einem fremden Land bestehen. Für meine Zukunft war das ganz entscheidend. Vermutlich hätte ich sonst später nicht den Mut gehabt, nach Japan zu wechseln. Ich bin weltoffener geworden in Paris. Sonst würde ich wahrscheinlich heute noch in Euskirchen oder Umgebung wohnen, vielleicht hätte ich dann aber auch das Gefühl, etwas verpasst zu haben.

DFB.de: Haben Sie heute noch Kontakt nach Frankreich?

Littbarski: Nur noch wenig. Ich bin aber als Scout öfter mal in Frankreich, das bietet sich ja auch an, wenn man die Sprache spricht. Natürlich gehört es auch zu meinen Aufgaben, den Fußball dort zu beobachten. Und ich habe schon ein paar Mal festgestellt, besonders in Paris, dass mich einige Leute noch erkennen. Das war am Anfang überraschend für mich.

DFB.de: Aber vermutlich erkennt man Sie eher wegen 1982 als wegen des Jahres in Paris.

Littbarski: Ja, das glaube ich auch.

DFB.de: Jetzt gibt es ein Wiedersehen, Deutschland gegen Frankreich in Paris. Wie schätzen Sie die beiden Mannschaften ein?

Littbarski: Die Franzosen haben wieder eine starke Mannschaft. In der Vergangenheit hatten sie öfter mal Probleme mit der Disziplin, deshalb sind sie auch bei Turnieren zuletzt nicht mehr weit gekommen, obwohl sie eigentlich mehr Potenzial hatten. Und gute Einzelspieler hatten sie schon immer, auch jetzt, wenn ich nur an Ribéry oder Benzema denke. Das ist eine Topmannschaft, ein unangenehmer Gegner. Auch Deutschland hat Spieler, die Spiele allein entscheiden können, wie Özil, Reus oder Götze, und auch sonst eine tolle Qualität in der Mannschaft. Sie spielt schnell, technisch und taktisch stark. Da müssen wir uns keine Sorgen machen.

DFB.de: Wünschen Sie sich manchmal, Sie würden heute in der Nationalmannschaft zu spielen?



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Frankreich gegen Deutschland, das 25. Duell der beiden großen Fußballnationen, am Mittwoch (ab 21 Uhr, live in der ARD) in Paris. Ein Klassiker, der den Namen verdient - große Namen prägten große Spiele. Zum Beispiel ein Kölner.

An Frankreich hat Pierre Littbarski ganz besondere Erinnerungen. Bei der WM 1982 gehörte der heutige Chefscout des VfL Wolfsburg zum deutschen Team, das die Franzosen im "Thriller von Sevilla" nach Elfmeterschießen bezwang. Es war die erste, aber beileibe nicht einzige Berührung mit unserem westlichen Nachbarn. Im DFB.de-Gespräch der Woche mit Redakteur Gereon Tönnihsen redet der heute 52-Jährige über mutige Elfmeter, lustige Kollegen und abendliche Fahrten auf den Champs-Élysées.

DFB.de: Herr Littbarski, Sie haben eine erfolgreiche Karriere gehabt, große Spiele gemacht und große Erfolge gefeiert. Welchen Stellenwert nimmt bei Ihnen das WM-Halbfinale 1982 ein?

Pierre Littbarski: Das ist ganz sicher das Spiel, an das ich mich am liebsten erinnere, weil es von beiden Seiten einfach klasse und begeisternd war. Es standen Topleute auf dem Platz, die aus dem Spiel ein einziges Spektakel gemacht haben. Wir lagen in der Verlängerung mit zwei Toren hinten, waren eigentlich schon abgeschrieben und sind doch noch zurückgekommen. Dieses ganze Szenario mit der Entscheidung im Elfmeterschießen am Schluss war überwältigend. Und zum Glück mit einem guten Ende für uns.

DFB.de: Woran erinnern Sie sich denn besonders?

Littbarski: Zuallererst an das Fallrückziehertor von Klaus Fischer, weil das so außergewöhnlich war. Das geht ja vermutlich den meisten so, die dieses Spiel miterlebt haben.

DFB.de: Und an Ihr eigenes?

Littbarski: Nicht so sehr, um ehrlich zu sein. Ich fand das auch gar nicht so toll oder besonders gemacht, aber ich war natürlich stolz, in so einem Spiel getroffen zu haben. Das war ein Abpraller, der irgendwie zu mir durchgerutscht ist. Und dann hab' ich draufgehalten. Im Grunde nahm das Spiel mit seiner ganzen Dramatik durch dieses 1:0 seinen Anfang.

DFB.de: Sie waren damals mit 22 der jüngste Spieler in der Mannschaft, haben sich aber trotzdem den Ball im Elfmeterschießen genommen und verwandelt. Haben Sie in diesen Momenten groß nachgedacht?

Littbarski: Zum Glück nicht. (lacht) Das war schon ziemlich mutig, wenn ich's recht bedenke. Ich weiß nicht, ob ich das wieder machen würde. Aber ich habe an mich geglaubt, weil ich ein ganz anständiges Spiel gemacht hatte. Doch so wie in diesem Spiel habe ich eigentlich nie einen Elfmeter geschossen: mit der Innenseite nach rechts oben mit ziemlich viel Risiko. Vielleicht war das die Leichtigkeit, die man als 22-Jähriger hat nach so einem wahnsinnigen Spiel. Sonst habe ich kontrollierter geschossen, nach Möglichkeit flach. So richtig erklären kann ich das bis heute nicht. Aber der Ball war drin, deshalb musste ich mir im Nachhinein auch nicht so viele Gedanken machen.

DFB.de: Wie sah es denn in Ihnen aus nach dem Spiel? Waren Sie glücklich, erleichtert, erschöpft - oder alles auf einmal?

Littbarski: Natürlich haben wir uns gefreut, ist doch klar. Aber wir hatten gar nicht viel Zeit dazu. Wir mussten schnell zum Flughafen, um unseren Flieger zu erwischen und so schnell wie möglich von Sevilla zurück in unser Teamquartier zu kommen. Und dann ließ man uns da drei, vier Stunden warten. Irgendwie, so schien es, hat man uns den Sieg nicht so wirklich gegönnt. So waren wir erst um vier oder fünf Uhr morgens im Hotel. Ich hatte außerdem das Problem, dass mir Manuel Amoros schon nach einer Viertelstunde auf den Knöchel gestiegen war. Und der war später so dick, dass es aussah, als hätte ich einen Skischuh an. Das hat die Freude ein bisschen getrübt. Erst später, im Rückblick, erfasst man so richtig, was man da geleistet hat.

DFB.de: Hat dieses Spiel auch im Hinblick auf das 1.3 im Finale drei Tage später gegen Italien ganz besonders Kraft gekostet?

Littbarski: Ganz bestimmt. Wir hatten ja ohnehin einen Tag weniger zur Regenaration als die Italiener. Darum hatte das schon Einfluss. Man muss aber fairerweise sagen, dass Italien ein besseres Turnier gespielt hat als wir. Unser Highlight war das Halbfinale gegen Frankreich.

DFB.de: Bei der WM 1986 gab es ein Wiedersehen mit Frankreich, wieder im Halbfinale. Nur saßen Sie draußen.

Littbarski: Ich hatte mir im März einen Bänderriss zugezogen und es gerade eben noch zur WM geschafft. Ich war froh, überhaupt dabei sein zu können. Es war ja sowieso ein Turnier der Verletzten: Klaus Allofs hat meistens allein vorne gespielt. Rudi Völler war angeschlagen, Kalle Rummenigge, ich auch. Das war schwierig. Gegen Frankreich haben wir sehr defensiv gespielt, daran kann ich mich noch gut erinnern. Wolfgang Rolff hat Michel Platini in Manndeckung genommen, was auch damals eher ungewöhnlich war. Aber es war erfolgreich. Andy Brehme hat uns schon früh in Führung geschossen, Völler dann kurz vor Schluss das Spiel entschieden. Es war taktisch geprägt, und Franz Beckenbauer hat die richtige Taktik gewählt. Aber mit dem Spiel von '82 konnte man es nicht vergleichen.

DFB.de: Stand Ihr Wechsel nach Frankreich damals schon fest?

Littbarski: Nein, noch nicht. Das kam erst später und hat sich ganz kurzfristig ergeben.

DFB.de: Was hat überhaupt dazu geführt, dass Sie den 1. FC Köln verlassen haben und zu Racing Paris gegangen sind?

Littbarski: Ich war, wie gesagt, eine Zeitlang verletzt, und ich hatte nicht das Gefühl, dass man unbedingt mit mir verlängern wollte. Außerdem war der frühere Co-Trainer von Rinus Michels in Köln, Silvester Takač, in Paris Trainer geworden und wollte mich unbedingt haben. Auch die finanzielle Seite war interessant.

DFB.de: Hat die Weltstadt Paris bei Ihrer Entscheidung auch eine Rolle gespielt?

Littbarski: Schon, die Stadt ist wunderschön, aber auch ein Stück weit unpersönlich. Und ich habe die Erfahrung gemacht, dass Paris zu meiner Zeit nicht wirklich eine Fußballstadt war, anders als Marseille oder Bordeaux.

DFB.de: Und der Verein?

Littbarski: Racing Paris hatte keine gewachsenen Strukturen, keine Infrastruktur. Es gab keinen Zeugwart, wir mussten unsere Wäsche selbst waschen. Aus dem Nichts hat man da einen Verein gegründet. Allerdings mit einer sehr prominenten Mannschaft: Enzo Francescoli, Rubén Paz, Luis Fernández, Maxime Bossis, der später ein guter Freund von mir wurde - insgesamt hatten wir 13 Nationalspieler. Aber wir haben trotzdem nichts so wirklich hinbekommen. Nach ein paar Monaten wurde Takač entlassen, ich bekam keinen Dolmetscher mehr, musste mich um alles selbst kümmern, da spürte ich schon Gegenwind. Wir hatten vier Ausländer, und nur drei durften spielen. Am Ende der Saison kam dann Artur Jorge, der spätere portugiesische Nationaltrainer. Und er merkte, dass ich mich nicht wohlfühlte. Ich habe ihm dann gesagt, dass ich gerne wieder nach Deutschland wechseln wollte. Ich wollte spielen, und ich hatte auch Heimweh.

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DFB.de: Konnten Sie denn Französisch?

Littbarski: Zu Beginn nicht, ich hatte in der Schule Latein gehabt. Deshalb musste ich mir das erst aneignen. Ich weiß noch, dass mich meine französischen Mitspieler wie Fernández am Anfang gerne aufgezogen haben. Als ich mal in einem Restaurant Fleisch bestellen wollte, haben sie mir das französische Wort für Fisch genannt. Auch bei Salz und Pfeffer. Vielleicht eine kleine Rache für 1982. (lacht) Mittlerweile kann ich mich aber ganz gut auf Französisch verständigen.

DFB.de: Und wie lief es in Paris selbst?

Littbarski: Wie gesagt, die Stadt ist sehr schön. Ich hatte damals einen Renault 5 und bin gerne abends zwischen neun und elf Uhr durch die Stadt gefahren, die Champs-Élysées rauf und runter. Das habe ich genossen. Wenn ich jetzt mit meiner Frau Paris besuche, kommen die Erinnerungen an damals immer wieder hoch. Aber weil es sportlich nicht gut lief, färbte das natürlich auch auf den Gesamteindruck ab. Deshalb wollte ich zurück.

DFB.de: Dabei hatten Sie einen Vorteil: Die Fans hatten keine Probleme mit Ihrem Vornamen.

Littbarski: (lacht) Stimmt, der war für die Franzosen sehr einfach. Das ging besser als in Berlin in der Schule, da musste ich meinen Namen mitunter zehnmal buchstabieren.

DFB.de: Hat Ihnen die Zeit in Frankreich trotzdem etwas gebracht?

Littbarski: Ja, sehr viel sogar. Bis 1986 war es bei mir eigentlich nur bergauf gegangen, nun musste ich kämpfen, mich neu beweisen. Und vor allem: Ich musste in einem fremden Land bestehen. Für meine Zukunft war das ganz entscheidend. Vermutlich hätte ich sonst später nicht den Mut gehabt, nach Japan zu wechseln. Ich bin weltoffener geworden in Paris. Sonst würde ich wahrscheinlich heute noch in Euskirchen oder Umgebung wohnen, vielleicht hätte ich dann aber auch das Gefühl, etwas verpasst zu haben.

DFB.de: Haben Sie heute noch Kontakt nach Frankreich?

Littbarski: Nur noch wenig. Ich bin aber als Scout öfter mal in Frankreich, das bietet sich ja auch an, wenn man die Sprache spricht. Natürlich gehört es auch zu meinen Aufgaben, den Fußball dort zu beobachten. Und ich habe schon ein paar Mal festgestellt, besonders in Paris, dass mich einige Leute noch erkennen. Das war am Anfang überraschend für mich.

DFB.de: Aber vermutlich erkennt man Sie eher wegen 1982 als wegen des Jahres in Paris.

Littbarski: Ja, das glaube ich auch.

DFB.de: Jetzt gibt es ein Wiedersehen, Deutschland gegen Frankreich in Paris. Wie schätzen Sie die beiden Mannschaften ein?

Littbarski: Die Franzosen haben wieder eine starke Mannschaft. In der Vergangenheit hatten sie öfter mal Probleme mit der Disziplin, deshalb sind sie auch bei Turnieren zuletzt nicht mehr weit gekommen, obwohl sie eigentlich mehr Potenzial hatten. Und gute Einzelspieler hatten sie schon immer, auch jetzt, wenn ich nur an Ribéry oder Benzema denke. Das ist eine Topmannschaft, ein unangenehmer Gegner. Auch Deutschland hat Spieler, die Spiele allein entscheiden können, wie Özil, Reus oder Götze, und auch sonst eine tolle Qualität in der Mannschaft. Sie spielt schnell, technisch und taktisch stark. Da müssen wir uns keine Sorgen machen.

DFB.de: Wünschen Sie sich manchmal, Sie würden heute in der Nationalmannschaft zu spielen?

Littbarski: Wünschen nicht direkt. Aber mit einem Götze oder Reus hätte ich schon ganz gerne zusammen gespielt. Die beiden gefallen mir besonders gut. Es ist einfach eine Augenweide, ihnen zuzuschauen.