Lionel Messi: Geniestreiche wie am Fließband

Für Lionel Messi sind der Fußballwelt die Superlative ausgegangen. Auch Menschen, die dem Sport an sich nur wenig abgewinnen, sind verzückt angesichts der Darbietungen des kleinen Mannes aus Rosario, der schon als Teenager zum FC Barcelona gewechselt war. Allein: "Leo" und die Nationalmannschaft - das war lange nicht die große Liebe. Warum das so war und warum es sich geändert hat, beschreibt der freie Journalist Florian Haupt für DFB.de vor dem Duell der Argentinier heute (ab 20.45 Uhr, live im ZDF) in Frankfurt gegen Deutschland.

Vor ziemlich genau vier Jahren feierte Lionel Messi seinen größten Erfolg mit Argentinien. Es war nicht unbedingt der Anlass, der bei einem Fußballer seiner Güte in den Nachrufen als erster genannt werden wird. Messi gewann olympisches Gold, was in Südamerika zwar deutlich höheres Prestige genießt als in Europa, aber auch dort nicht als Ersatz herhalten kann für den Titel, der einem Fußballerleben die Krone aufsetzt – den bei der Weltmeisterschaft.

Erinnerung an das 0:4 von Kapstadt

Wenn Messi und seine Argentinier nun zum Spiel nach Deutschland kommen, bringen sie auch die Erinnerung daran mit, wie krachend diese Unternehmung zuletzt schiefgelaufen ist. Das 0:4 im WM-Viertelfinale von Kapstadt war eine der dunkelsten Stunden der nationalen Fußball- Geschichte; umso schlimmer, als es ja nicht von irgendwelchen Dahergelaufenen verantwortet wurde. Auf der Bank saß der wohl größte Fußballer aller Zeiten, Diego Maradona. Und auf dem Platz stand der vielleicht schon genauso gute, vielleicht sogar bessere "Leo" Messi.

Die Debatte um den historischen Status wird noch lange geführt werden; zugunsten Messis entschiede sie möglicherweise erst ein WM-Titel. Aber diese Bedingung ist auf der anderen Seite auch nicht ganz fair. Die Blamage von Kapstadt war der Schlusspunkt einer Lektion, welche die Argentinier erst lernen mussten: Es geht nicht mehr wie zu Maradonas Zeiten. Heutzutage reicht individuelles Genie nicht mehr aus wie 1986 in Mexiko. "El Diego", Argentiniens Fußball-Gott, wollte aus Messi seinen Nachfolger machen, doch ohne ein funktionierendes System lieferte er ihn aus.

Pleiten mit der Nationalmannschaft

Maradona war der prominenteste, aber beileibe nicht erste Nationaltrainer, der daran scheiterte, den neuen argentinischen Messias zum Leuchten zu bringen. Vier Jahre zuvor hatte eine andere Niederlage gegen Deutschland in einem WM-Viertelfinale, wenngleich viel knapper, seinen Vorvorgänger José Pekerman das Amt gekostet; vorgeworfen wurde ihm weniger das Ausscheiden an sich als die Reservistenrolle von Messi, den er 120 Minuten auf der Bank ließ. Nach Maradona musste nun Sergio Batista bereits schon wieder gehen. Weil die Copa América 2011 im eigenen Land mit dem Viertelfinal-Aus gegen Uruguay danebenging, und weil Messi dabei, wie schon 2010 in Südafrika, nicht ein einziges Tor schoss. "Bei Barcelona mache ich Tore auf jede mögliche Weise, fast ohne es zu wollen", haderte er, "und bei der Nationalelf suche ich sie auf jede mögliche Weise und finde sie nicht."

Natürlich gab es nach all diesen verunglückten Turnieren auch immer eine ganz andere Lesart. Was, wenn es nicht an Trainer und Mitspielern liegt, sondern an Messi selbst? Ist dieser womöglich nicht mehr als ein Milieuspieler deluxe, der nur beim FC Barcelona funktioniert? Diese Interpretation hält immer ein paar Wochen. Bis Messi, zurück bei seinem Klub, wieder einige dieser Spiele abgeliefert hat, für die Kommentatoren längst keine neuen Superlative mehr finden. Ja, Mitspieler wie Xavi und Iniesta helfen ungemein. Und nein – wer so kicken kann, der ist über alle Zweifel erhaben.



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Für Lionel Messi sind der Fußballwelt die Superlative ausgegangen. Auch Menschen, die dem Sport an sich nur wenig abgewinnen, sind verzückt angesichts der Darbietungen des kleinen Mannes aus Rosario, der schon als Teenager zum FC Barcelona gewechselt war. Allein: "Leo" und die Nationalmannschaft - das war lange nicht die große Liebe. Warum das so war und warum es sich geändert hat, beschreibt der freie Journalist Florian Haupt für DFB.de vor dem Duell der Argentinier heute (ab 20.45 Uhr, live im ZDF) in Frankfurt gegen Deutschland.

Vor ziemlich genau vier Jahren feierte Lionel Messi seinen größten Erfolg mit Argentinien. Es war nicht unbedingt der Anlass, der bei einem Fußballer seiner Güte in den Nachrufen als erster genannt werden wird. Messi gewann olympisches Gold, was in Südamerika zwar deutlich höheres Prestige genießt als in Europa, aber auch dort nicht als Ersatz herhalten kann für den Titel, der einem Fußballerleben die Krone aufsetzt – den bei der Weltmeisterschaft.

Erinnerung an das 0:4 von Kapstadt

Wenn Messi und seine Argentinier nun zum Spiel nach Deutschland kommen, bringen sie auch die Erinnerung daran mit, wie krachend diese Unternehmung zuletzt schiefgelaufen ist. Das 0:4 im WM-Viertelfinale von Kapstadt war eine der dunkelsten Stunden der nationalen Fußball- Geschichte; umso schlimmer, als es ja nicht von irgendwelchen Dahergelaufenen verantwortet wurde. Auf der Bank saß der wohl größte Fußballer aller Zeiten, Diego Maradona. Und auf dem Platz stand der vielleicht schon genauso gute, vielleicht sogar bessere "Leo" Messi.

Die Debatte um den historischen Status wird noch lange geführt werden; zugunsten Messis entschiede sie möglicherweise erst ein WM-Titel. Aber diese Bedingung ist auf der anderen Seite auch nicht ganz fair. Die Blamage von Kapstadt war der Schlusspunkt einer Lektion, welche die Argentinier erst lernen mussten: Es geht nicht mehr wie zu Maradonas Zeiten. Heutzutage reicht individuelles Genie nicht mehr aus wie 1986 in Mexiko. "El Diego", Argentiniens Fußball-Gott, wollte aus Messi seinen Nachfolger machen, doch ohne ein funktionierendes System lieferte er ihn aus.

Pleiten mit der Nationalmannschaft

Maradona war der prominenteste, aber beileibe nicht erste Nationaltrainer, der daran scheiterte, den neuen argentinischen Messias zum Leuchten zu bringen. Vier Jahre zuvor hatte eine andere Niederlage gegen Deutschland in einem WM-Viertelfinale, wenngleich viel knapper, seinen Vorvorgänger José Pekerman das Amt gekostet; vorgeworfen wurde ihm weniger das Ausscheiden an sich als die Reservistenrolle von Messi, den er 120 Minuten auf der Bank ließ. Nach Maradona musste nun Sergio Batista bereits schon wieder gehen. Weil die Copa América 2011 im eigenen Land mit dem Viertelfinal-Aus gegen Uruguay danebenging, und weil Messi dabei, wie schon 2010 in Südafrika, nicht ein einziges Tor schoss. "Bei Barcelona mache ich Tore auf jede mögliche Weise, fast ohne es zu wollen", haderte er, "und bei der Nationalelf suche ich sie auf jede mögliche Weise und finde sie nicht."

Natürlich gab es nach all diesen verunglückten Turnieren auch immer eine ganz andere Lesart. Was, wenn es nicht an Trainer und Mitspielern liegt, sondern an Messi selbst? Ist dieser womöglich nicht mehr als ein Milieuspieler deluxe, der nur beim FC Barcelona funktioniert? Diese Interpretation hält immer ein paar Wochen. Bis Messi, zurück bei seinem Klub, wieder einige dieser Spiele abgeliefert hat, für die Kommentatoren längst keine neuen Superlative mehr finden. Ja, Mitspieler wie Xavi und Iniesta helfen ungemein. Und nein – wer so kicken kann, der ist über alle Zweifel erhaben.

Rekordtorschütze bei "Barca"

Messis Klubkarriere sprengt schon jetzt vieles von dem, was man sich im modernen Fußball je hätte vorstellen können. Obwohl so viel mehr als ein reiner Vollstrecker, ist er mit 25 Jahren bereits Rekordtorschütze des FC Barcelona und hat als erster Spieler dreimal nacheinander die Torjägerkrone der Champions League gewonnen. Vorige Saison erzielte er allein im Verein 73 Tore und überbot damit einen historischen Rekord von Gerd Müller (67 in der Saison 1972/1973). Wer ein paar Minuten Zeit hat, kann sie sich im Internet komplett anschauen. Er wird feststellen: Mehr als die Hälfte der Treffer, die Messi mit unangestrengter Selbstverständlichkeit und bevorzugt per Lupfer ins Netz legt, würden bei jedem anderen Fußballer als Traumtore gelten.

Was ihn so einmalig macht, sind eben nicht nur die Zahlen: Messi spielt Fußball wie aus Kinderträumen; und da Fußballfans nun einmal große Kinder bleiben, ist es ihr Fußball. Messi gehört zu dem ganz Wenigen, über das sich in diesem so leidenschaftlich debattierten Sport praktisch alle einig sind. Wie besonders er ist, lässt sich vielleicht am besten daran ablesen, dass er von öffentlicher Häme fast völlig verschont bleibt. Verschießen Ronaldo oder Ibrahimovic einen wichtigen Elfmeter, wird gelästert und gespottet, im Stadion, an den Stammtischen, bei Twitter. Setzt Messi, wie jüngst im Champions-League- Halbfinale, einen Strafstoß an die Latte, regt sich eher eine Art elterliches Mitleid.

Messi polarisiert nicht

Wer nie nach unten tritt, bekommt es zurück, wenn er selber unten liegt: Dem kleinen Argentinier hilft in solchen Momenten, dass er nie ein schlechtes Wort über andere verliert, dass er nicht falsch spielt oder arrogant auftritt. Messi polarisiert nicht, weil er keine Angriffsfläche bietet. Wer ihn auspfeifen würde, entlarvte sich nur selbst: als jemand, der Kunst und Klasse nicht anerkennen kann. Die Bodenständigkeit hat mit Grundzügen des Charakters zu tun, aber wie immer im Leben auch mit der Sozialisation. In La Masia, dem Internat des FC Barcelona, gilt als oberster Anspruch, nicht nur gute Fußballer zu formen, sondern vor allem gute Menschen. Auch gegen langjährige Vereinskollegen wie Xavi oder Iniesta lässt sich kaum etwas sagen. Und Messi, obwohl Argentinier, kam ähnlich früh zum Klub wie sie.

Er war 13, als ihm das Leben nur zwei Möglichkeiten ließ: Entweder er würde seinen Traum vom Profifußball begraben oder die Heimat verlassen müssen. Wegen Wachstumsproblemen benötigte er eine Hormonbehandlung, und die erschien den argentinischen Klubs schlichtweg zu teuer. Messi spielte in Barcelona vor und begeisterte die Jugendtrainer auf Anhieb. Aber die Papierangelegenheiten dauerten und im Klub herrschten verschiedene Auffassungen, was in so einem Vertrag schon alles stehen könne oder müsse. Als Messis Vater Jorge die Geduld zu verlieren und mit Abreise drohte, nahm Sportdirektor Charly Rexach eine Serviette und schrieb: "Ich, Charly Rexach, verpflichte mich zu der Anstellung von Lionel Messi zu den abgemachten Bedingungen und trotz der internen Hindernisse im Verein."

Teil der "Generation '87"

Niemand im Klub sollte diesen Alleingang jemals bereuen. Messi wuchs in Katalonien wie gewünscht, körperlich wie fußballerisch. Schlüsselqualitäten wie seine Beschleunigung und extrem enge Ballführung erstaunten früh die Experten. Seine Leichtigkeit vor dem Tor ebenfalls. In einem Jahrgang mit weiteren heutigen Barça-Stars wie Gerard Piqué und Cesc Fàbregas spielte Messi alles in Grund und Boden; die "Generation ’87" genießt bis heute einmaligen Status beim FC Barcelona, weil es ihr in der B-Jugend gelang, die A-Jugend des Lokalrivalen Espanyol zu schlagen.

Als die Jugendtrainer ihn mit 16 an den damaligen Barça-Coach Frank Rijkaard übergaben und dieser fragte, was er mit dem Burschen denn anstellen solle, sagten sie ihm: "Den kannst du überall hinstellen." Aber natürlich musste sich Messi erst einmal hochdienen. Jahrelang spielte er auf dem Flügel, bis zu dem Punkt, an dem ihn alle Welt für einen Rechtsaußen hielt, der er in der Jugend nie gewesen war. Rijkaards Nachfolger ab 2008, Pep Guardiola, wusste es besser, als Mann des Hauses kannte er die Geschichte. Er zog Messi in die Mitte und brachte ihn damit zu voller Blüte.

Zurückhaltung ist Programm

Messi dankte es ihm auf seine Weise. In der Jugend war er so scheu, dass er in der Kabine immer nur schwieg. "Wir dachten, er sei stumm, erst an der Playstation entdeckten wir, dass er spricht", scherzte Fàbregas einmal. Schüchtern ist er bis heute geblieben. Als Guardiola vorigen Mai seinen Abschied verkündete, setzte Messi sich nicht mit in den Saal, wie die anderen Barça-Eigengewächse. "Da alles sehr emotional ist, wollte ich lieber nicht teilnehmen", schrieb er später im Internet. "Ich danke Pep von ganzem Herzen für alles, was er mir als Profi und auf persönlicher Ebene gegeben hat."

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Ein von allen Seiten hofierter Superstar, der noch Danke sagen kann – auch als gereifter Mann. In letzter Zeit hat Messi das Kindliche zunehmend verloren, seine Konturen sind jetzt etwas markanter, irgendwie argentinischer auch, manchmal trägt er einen Dreitagebart. Demnächst wird er Vater, wovon er alle Welt mit einer selten expressiven Geste in Kenntnis setzte: Ein Tor kürzlich beim 4:0 gegen Ecuador bejubelte er, indem er sich den Ball unter das Trikot klemmte.

Der Reifeprozess hat ihn inzwischen auch zum Kapitän der Nationalmannschaft werden lassen. "Das war gut für ihn, er wirkt glücklich", sagt der seit einem Jahr amtierende Trainer Alejandro Sabella. Die Tore, die er für Argentinien so verzweifelt gesucht hat, sie fallen jetzt endlich, so wie zuletzt im Juni bei einem spektakulären 4:3 gegen Brasilien, als er dreimal traf. Klar, es mag noch kein WM-Titel sein. Aber ein Hattrick gegen den Erzrivalen, das ist allemal ein guter Anfang.