Lieber Südafrika als Schanghai

Stefan Kießling bezeichnet sich selbst als „absoluten Familienmensch“, für Bayer Leverkusen ist das ein Glück. Mitten in der bisher besten Saison seiner Karriere hat der aus der fränkischen Kleinstadt Lichtenfels stammende Angreifer den Vertrag mit dem rheinischen Klub bis 2015 verlängert - obwohl der alte Kontrakt ohnehin erst in zwei Jahren ausgelaufen wäre. Bei Bayer 04 konnten sie ihr Glück kaum fassen, dass sich der bei Fans und Mitspielern besonders beliebte Stürmer so eindeutig zu seinem Verein bekannte, aber Kießling schätzt eben enge Bindungen: „Ich fühle mich mit meiner Familie in Leverkusen sehr wohl, und der Klub hat auf lange Sicht ausgezeichnete Perspektiven. Deshalb gibt es für mich keinen Grund, irgendetwas zu ändern“, sagt er. Anfragen von Interessenten gab es genug. Doch die Ansicht, dass er vor vier Jahren „die beste Entscheidung meines Lebens“ traf, als er vom 1. FC Nürnberg zu Bayer Leverkusen ging, die hat er offenbar immer noch.

Als Torjäger heiß begehrt

Es ist nicht verwunderlich, dass Spitzenvereine in Deutschland und im Ausland an ihm Gefallen gefunden haben, denn Kießling hat sich in dieser Saison nicht nur als Torjäger profiliert und mehr Tore als jemals vorher geschossen, sondern auch in spielerischer Hinsicht zugelegt. Mit 21 Treffern sicherte er sich den zweiten Platz in der Torjägerliste. Seine Beweglichkeit, seine Kampfkraft, sein Eifer und sein Mannschaftssinn haben ihn immer schon ausgezeichnet, aber auf diese Eigenschaften darf man ihn längst nicht mehr festlegen. Technisch hat er gelernt, und auch sein Spielverständnis ist deutlich besser geworden, das hebt außer Bayer-Trainer Jupp Heynckes („er hat weniger Ballverluste als früher und spielt ruhiger“) auch Joachim Löw hervor. Dabei fällt Kießling keine Antwort auf die Frage ein, wie er diese auffallenden Verbesserungen erreicht hat. „Wenn man hart arbeitet, dann wird man auch belohnt“, glaubt er, „aber geändert habe ich eigentlich nichts. Ich kann es auch nicht erklären. Entweder es läuft oder es läuft nicht.“ Bei ihm läuft´s, und das während der kompletten Saison.

Selbst als im Winter seine Trefferbilanz vorübergehend stagnierte, war er von der typischen Krise des Torjägers, der nicht mehr trifft, weit entfernt. Er kompensierte die kleine Strecke mit wertvollem Teamwork. Er rannte, rackerte und riss Löcher in die gegnerische Verteidigung, die dann vor allem seinem schweizerischen Sturmpartner Eren Derdiyok zugutekamen. Derdiyok wird er vielleicht in Südafrika wiedersehen, ebenso wie die Teamkollegen Tranquillo Barnetta (Schweiz) und Arturo Vidal (Chile). Ganz sicher aber wird es am 23. Juni in Johannesburg ein Treffen mit Hans Sarpei geben; der in Köln geborene Bayer-Verteidiger spielt für Ghana, den dritten deutschen Vorrundengegner.

Über diese Aussicht haben sie sich natürlich gleich ausgetauscht, nachdem Kießling seiner Nominierung sicher war. Ob sie sich dann aber auf dem Platz begegnen werden? „Auf Einsätze hofft man doch immer. Ich werde versuchen, Gas zu geben, und wenn sich der Trainer für mich entscheidet, dann ist es gut“, sagt Kießling eher vorsichtig. Er weiß, dass er starke Konkurrenz im Team hat. Aber er freut sich trotzdem darüber, dass er nach Südafrika statt nach China fahren darf ...

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21 Tore, kein deutscher Stürmer hat in dieser Bundesliga-Saison häufiger ins Tor getroffen. Stefan Kießling ist von sich selbst ein bisschen überrascht. Noch nie hat er eine so gute Saison gespielt wie diese, aber warum er so gut drauf ist, kann er sich selbst nicht richtig erklären. Gelohnt hat es sich in jedem Fall. Der Bundestrainer hat den 26-Jährigen in den WM-Kader berufen. Philipp Selldorf, Redakteur der „Süddeutschen Zeitung“, hat sich mit Stefan Kießling über seine Aussichten für das Turnier in Südafrika unterhalten. Und er hat ihn nach dem Geheimnis seines Erfolgsjahres gefragt.

Bei seinem Verein hatte man schon etwas geahnt, das Reisebüro hatte Stefan Kießling deshalb gar nicht erst auf die Maschine gebucht, mit der die Delegation von Bayer 04 Leverkusen nach Abschluss der Bundesligasaison Richtung China gestartet ist. Es wird sicher eine interessante Reise werden: In Foshan unweit von Guangzhou trifft die Werkself auf die chinesische Olympiaauswahl und ein paar Tage später in der Stadt Jiangyin auf die A-Nationalmannschaft. Auch einen Besuch bei der Weltausstellung in Schanghai wird´s geben.

"WM ist ein guter Ausgleich"

Stefan Kießling ist trotzdem nicht enttäuscht, dass sie ihn nicht mitnehmen. Er war zwar noch nie in China und würde das Land gern mal sehen, „aber ich denke, die WM ist ein guter Ausgleich dafür, dass mir diese Erfahrung entgeht“, sagt er mit fränkischem Understatement und einem Lächeln. In Südafrika war Kießling im Übrigen auch noch nie, und dort wird er ja ebenfalls eine Weltausstellung erleben. Nur dass keine futuristischen Techniktricks präsentiert werden, sondern die Techniktricks der weltbesten Fußballer. Und zu denen darf sich nun auch Stefan Kießling zählen.

Zwei Tage vor der offiziellen Kaderverkündung in Stuttgart hat ihn der Bundestrainer angerufen, um ihm die Berufung mitzuteilen. Joachim Löw musste den Mann am anderen Ende der Leitung aber keineswegs beruhigen. Kießling hat nicht die Fassung verloren, als er die gute Nachricht erfuhr. "Ich habe mich natürlich total darüber gefreut, aber in die Luft gesprungen bin ich nicht“, sagt er. In dieser letzten Woche der Saison war die WM für ihn irgendwie noch sehr weit weg. „Im Alltag kam sie gar nicht richtig vor, weil einfach der Verein primär im Blickpunkt gestanden hat“, erzählt Kießling. Mit Bayer Leverkusen hat er bis zum Schluss um den Lohn einer tollen Saison gekämpft. Deshalb hatte er auch bloß „nebenbei zur Kenntnis genommen“, dass Schalkes Mittelstürmer Kevin Kuranyi von Löw eine Absage für die WM erhielt und dadurch eine Art Vorentscheidung für die Sturmbesetzung gefallen war.

Neue Erfahrung

Anstatt mit Bayer in China für die Bundesliga zu werben, wird Kießling also mit dem Nationalteam auf Reisen gehen. Bis zum Abschluss der Vorrunde wird er sich schon sechs Wochen im Kreis der Mannschaft aufhalten, und selbstverständlich soll es danach noch mindestens zwei Wochen weitergehen: am liebsten bis zum Finale im gigantischen Soccer-City-Stadion in Johannesburg. „So eine lange Zeit mit der Mannschaft - das ist neu für mich“, sagt der 26-Jährige. 2006 war er mit der U 21 bei der EM in Portugal, „aber das kann man ja nicht vergleichen, und außerdem sind wir dort während der Vorrunde ausgeschieden“.

Mit 21 Treffern krönte der 26-Jährige eine tolle Bundesliga-Saison. Er hat ein wenig Respekt vor der langen Strecke, zumal er nicht weiß, was ihn im Teamquartier erwartet. „Man kennt es aus der Zeitung und aus dem Fernsehen, aber man hat keine richtige Vorstellung davon“, sagt er. Wobei ihm das Thema Sicherheit keine Sorgen bereitet. Da vertraut er den Gastgebern und den Vorkehrungen, die der DFB getroffen hat. Aber worüber er sich schon ein paar Gedanken gemacht hat, ist die Langeweile, die zwischen den Spielen drohen könnte. Kießling setzt auf die klassischen Gegenmittel, er wird eine Kollektion DVDs und eine Reihe von Büchern mitnehmen („vor allem Thriller und Ähnliches“). Aber die wichtigsten Helfer gegen den Lagerkoller hat er gleich in der Nähe unterbringen lassen: Seine Frau Norina und sein zweieinhalb Jahre alter Sohn Tayler-Joel kommen ebenfalls nach Südafrika, „das ist alles schon geklärt und geplant“.

Stefan Kießling bezeichnet sich selbst als „absoluten Familienmensch“, für Bayer Leverkusen ist das ein Glück. Mitten in der bisher besten Saison seiner Karriere hat der aus der fränkischen Kleinstadt Lichtenfels stammende Angreifer den Vertrag mit dem rheinischen Klub bis 2015 verlängert - obwohl der alte Kontrakt ohnehin erst in zwei Jahren ausgelaufen wäre. Bei Bayer 04 konnten sie ihr Glück kaum fassen, dass sich der bei Fans und Mitspielern besonders beliebte Stürmer so eindeutig zu seinem Verein bekannte, aber Kießling schätzt eben enge Bindungen: „Ich fühle mich mit meiner Familie in Leverkusen sehr wohl, und der Klub hat auf lange Sicht ausgezeichnete Perspektiven. Deshalb gibt es für mich keinen Grund, irgendetwas zu ändern“, sagt er. Anfragen von Interessenten gab es genug. Doch die Ansicht, dass er vor vier Jahren „die beste Entscheidung meines Lebens“ traf, als er vom 1. FC Nürnberg zu Bayer Leverkusen ging, die hat er offenbar immer noch.

Als Torjäger heiß begehrt

Es ist nicht verwunderlich, dass Spitzenvereine in Deutschland und im Ausland an ihm Gefallen gefunden haben, denn Kießling hat sich in dieser Saison nicht nur als Torjäger profiliert und mehr Tore als jemals vorher geschossen, sondern auch in spielerischer Hinsicht zugelegt. Mit 21 Treffern sicherte er sich den zweiten Platz in der Torjägerliste. Seine Beweglichkeit, seine Kampfkraft, sein Eifer und sein Mannschaftssinn haben ihn immer schon ausgezeichnet, aber auf diese Eigenschaften darf man ihn längst nicht mehr festlegen. Technisch hat er gelernt, und auch sein Spielverständnis ist deutlich besser geworden, das hebt außer Bayer-Trainer Jupp Heynckes („er hat weniger Ballverluste als früher und spielt ruhiger“) auch Joachim Löw hervor. Dabei fällt Kießling keine Antwort auf die Frage ein, wie er diese auffallenden Verbesserungen erreicht hat. „Wenn man hart arbeitet, dann wird man auch belohnt“, glaubt er, „aber geändert habe ich eigentlich nichts. Ich kann es auch nicht erklären. Entweder es läuft oder es läuft nicht.“ Bei ihm läuft´s, und das während der kompletten Saison.

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Selbst als im Winter seine Trefferbilanz vorübergehend stagnierte, war er von der typischen Krise des Torjägers, der nicht mehr trifft, weit entfernt. Er kompensierte die kleine Strecke mit wertvollem Teamwork. Er rannte, rackerte und riss Löcher in die gegnerische Verteidigung, die dann vor allem seinem schweizerischen Sturmpartner Eren Derdiyok zugutekamen. Derdiyok wird er vielleicht in Südafrika wiedersehen, ebenso wie die Teamkollegen Tranquillo Barnetta (Schweiz) und Arturo Vidal (Chile). Ganz sicher aber wird es am 23. Juni in Johannesburg ein Treffen mit Hans Sarpei geben; der in Köln geborene Bayer-Verteidiger spielt für Ghana, den dritten deutschen Vorrundengegner.

Über diese Aussicht haben sie sich natürlich gleich ausgetauscht, nachdem Kießling seiner Nominierung sicher war. Ob sie sich dann aber auf dem Platz begegnen werden? „Auf Einsätze hofft man doch immer. Ich werde versuchen, Gas zu geben, und wenn sich der Trainer für mich entscheidet, dann ist es gut“, sagt Kießling eher vorsichtig. Er weiß, dass er starke Konkurrenz im Team hat. Aber er freut sich trotzdem darüber, dass er nach Südafrika statt nach China fahren darf ...