Lattek: "Ich blicke nicht ohne Stolz zurück"

Lattek: Ich war als Student an der Sporthochschule in Köln und habe mein Diplom gemacht. Dann wollte ich bei Hennes Weisweiler zum Fußball-Lehrer ausgebildet werden. Aber ich habe die Sache nicht so ernst genommen, wie ich es hätte sollen. Für mich hatten andere Dinge Priorität.

DFB.de: Weisweiler hat Sie schließlich sogar rausgeworfen.

Lattek: Es gab einen unguten Vorfall. Ich habe Fußballtheorie und Taktiklehre ausfallen lassen. Es war so schönes Wetter, da habe ich die Zeit gemeinsam mit einem Kumpel lieber im Schwimmbad verbracht. Als wir zurückkamen, hat uns Weisweiler zur Rede gestellt. Das ist noch freundlich formuliert. Ich habe mir das nicht gefallen lassen und ihm gesagt, dass er das Maul halten möge. Mit Verlaub. Tja, und das war es dann erst mal für mich.

DFB.de: Wie denken Sie heute über den Lattek von damals?

Lattek: Das war größenwahnsinnig. Normalerweise ist so ein Verhalten der Tod eines Trainers. Es war dumm und kindisch.

DFB.de: Weisweiler hat Ihnen dennoch später eine zweite Chance gegeben.

Lattek: Wir sind dicke Freunde geworden. Sieben Jahre später habe ich die Ausbildung erneut begonnen, nun voll motiviert. Es hat sich dann ziemlich schnell so ergeben, dass ich Teile des Unterrichts übernommen und ihn vertreten habe, wenn er anderweitige Termine hatte.

DFB.de: In den ersten Wochen hatte er Sie aber auf dem Kieker. Wie sah das konkret aus?



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Sechs Meistertitel mit dem FC Bayern, deren zwei mit Borussia Mönchengladbach, in Summe hat Udo Lattek mit seinen Mannschaften acht nationale Meisterschaften gewonnen, damit ist er Deutschlands erfolgreichster Vereinstrainer. Auch international hat der heute 77-Jährige alles gewonnen, was es zu gewinnen gibt.

Mit Bayern München hat er 1974 den Europapokal der Landesmeister gewonnen, mit Gladbach 1979 den UEFA-Pokal, drei Jahre später machte er die Sammlung komplett, als er mit dem FC Barcelona der Europapokal der Pokalsieger nach Spanien holte.

Für seine Erfolge und Leistungen wurde er heute vom Deutschen Fußball-Bund in Bonn im Rahmen der Abschlussveranstaltung des 58. Fußball-Lehrer-Lehrgangs mit der DFB-Verdienstspange ausgezeichnet. Im DFB.de-Interview mit Redakteur Steffen Lüdeke hat sich Udo Lattek über sein Lebenswerk unterhalten.

DFB.de: Herr Lattek, herzlichen Glückwunsch zur Auszeichnung!

Udo Lattek: Danke.

DFB.de: Früher haben Ihnen persönliche Ehrungen nicht viel bedeutet, nur Titel haben für Sie gezählt. Hat sich dies für Sie inzwischen geändert?

Lattek: Auf jeden Fall, Titel kann ich schließlich keine mehr gewinnen. Ich wurde für mein Lebenswerk geehrt, und darauf blicke ich nicht ohne Stolz zurück. Dass ich die Auszeichnung bei der Abschlussveranstaltung des Fußball-Lehrer-Lehrgangs an der Hennes-Weisweiler-Akademie erhalten habe, macht den Moment für mich noch außergewöhnlicher. Mit Hennes verband mich schließlich eine lange Freundschaft. Dieser Tag und diese Auszeichnung sind für mich eine Art Krönung.

DFB.de: Sie sprechen von Freundschaft mit Hennes Weisweiler, dabei war der Beginn ihrer Beziehung alles andere als glücklich.

Lattek: Ich war als Student an der Sporthochschule in Köln und habe mein Diplom gemacht. Dann wollte ich bei Hennes Weisweiler zum Fußball-Lehrer ausgebildet werden. Aber ich habe die Sache nicht so ernst genommen, wie ich es hätte sollen. Für mich hatten andere Dinge Priorität.

DFB.de: Weisweiler hat Sie schließlich sogar rausgeworfen.

Lattek: Es gab einen unguten Vorfall. Ich habe Fußballtheorie und Taktiklehre ausfallen lassen. Es war so schönes Wetter, da habe ich die Zeit gemeinsam mit einem Kumpel lieber im Schwimmbad verbracht. Als wir zurückkamen, hat uns Weisweiler zur Rede gestellt. Das ist noch freundlich formuliert. Ich habe mir das nicht gefallen lassen und ihm gesagt, dass er das Maul halten möge. Mit Verlaub. Tja, und das war es dann erst mal für mich.

DFB.de: Wie denken Sie heute über den Lattek von damals?

Lattek: Das war größenwahnsinnig. Normalerweise ist so ein Verhalten der Tod eines Trainers. Es war dumm und kindisch.

DFB.de: Weisweiler hat Ihnen dennoch später eine zweite Chance gegeben.

Lattek: Wir sind dicke Freunde geworden. Sieben Jahre später habe ich die Ausbildung erneut begonnen, nun voll motiviert. Es hat sich dann ziemlich schnell so ergeben, dass ich Teile des Unterrichts übernommen und ihn vertreten habe, wenn er anderweitige Termine hatte.

DFB.de: In den ersten Wochen hatte er Sie aber auf dem Kieker. Wie sah das konkret aus?

Lattek: Letztlich waren es Machtspiele. Ich hatte eine unbequeme Art, er hat versucht, mir diese abzugewöhnen und gleichzeitig zu demonstrieren, wie stark er ist. Er hat aber unterschätzt, dass ich genauso dickköpfig und bekloppt war wie er. Er wollte mich aus der Reserve locken. Das hat er aber nicht geschafft, weil ich das große Ziel hatte, den Fußball-Lehrer zu machen. Ich habe das durchgezogen und mir damit schnell seine Anerkennung verschafft. Der Hennes war einer, der Leistung anerkannt hat. Ich habe Leistung gebracht, also hat er mich anerkannt.

DFB.de: Deswegen hat er Sie auch zum DFB vermittelt. Sie wurden dann Assistent von Bundestrainer Helmut Schön, zudem waren Sie verantwortlicher Trainer bei den Nachwuchsmannschaften des Verbandes. Nach fünf Jahren DFB sind Sie im Jahr 1970 zu den Bayern gewechselt. Wie schwer ist Ihnen der Abschied vom Verband gefallen?

Lattek: (überlegt) Ich hatte ein ganz klares Ziel vor Augen: Ich wollte nach oben. Und das ging nur, wenn ich besser werde als die anderen. Und zu diesem Zeitpunkt konnte man nicht besser als Helmut Schön und Dettmar Cramer sein. Beim DFB wäre ich also maximal der dritte Mann gewesen, das war mir zu wenig, denn ich hatte keine Lust, den Rest meines Lebens die Vorstellungen anderer umzusetzen. Ich habe meinen eigenen Weg gesucht, deshalb habe ich die Chance ergriffen, die mir die Bayern geboten haben.

DFB.de: Wenn Sie beim DFB geblieben wären, wären Sie vier Jahre später Weltmeister geworden.

Lattek: Ich wäre dies aber gerne alleine und in Verantwortung geworden. Außerdem hatte ich auch so meinen Anteil, weil sieben Spieler aus der Weltmeistermannschaft bei mir in München trainiert haben.

DFB.de: In Ihrer Laufbahn haben Sie mit verschiedenen Teams etliche Titel gewonnen. National und international. Welcher Erfolg hat für Sie die größte emotionale Bedeutung?

Lattek: Die erste deutsche Meisterschaft, als wir im Olympiastadion gespielt und Schalke mit 5:1 geschlagen haben. Diese Meisterschaft steht über allem. Auf dieses Ziel habe ich mich total fokussiert, es war immer in meinem Kopf, egal in welcher Situation ich war. Als ich das dann geschafft hatte, habe ich gemerkt, dass es nicht gut war, dieses Ziel zu haben. Es hat mich nicht mehr losgelassen, ich wollte dann immer wieder Meister werden.

DFB.de: In Ihrer Karriere gab es nicht nur Titel und Erfolge, sondern auch Misserfolge und Niederlagen. Welche Niederlage hat Sie am meisten geschmerzt?

Lattek: Das Finale im Landesmeisterpokal 1987 mit Bayern München, das 1:2 gegen Porto.

DFB.de: Das berühmte Hackentor von Rabah Madjer.

Lattek: Den könnte ich heute noch würgen. (lacht)

DFB.de: Wie lange hat es gedauert, diese Niederlage abzuhaken.

Lattek: Es dauert noch an. Ich war in dieser Beziehung sehr empfindlich. Die Niederlage war sehr bitter, auch weil ich damals bei Bayern aufhören und meine Trainerlaufbahn mit einem großen Titel beenden wollte.

DFB.de: Muss man als Trainer verlieren können, oder macht es einen guten Trainer aus, dass er nicht verlieren kann?

Lattek: Man muss verlieren können, man muss aber in der Niederlage wachsen und wieder aufstehen. Das ist mir zum Glück immer wieder gelungen.

DFB.de: Sie haben in Ihrer Laufbahn viele große Klubs und viele große Fußballer trainiert. Wer war der beste Spieler, mit dem Sie zusammengearbeitet haben?

Lattek: Das kann ich nicht beantworten, weil man viele große Spieler schlecht miteinander vergleichen kann. Ich hatte das große Glück, viele talentierte Fußballer in meinen Mannschaften trainieren zu dürfen, ich will von ihnen aber niemanden noch einmal gesondert hervorheben. Beckenbauer war ein anderer Typ als Maradona, man kann das kaum werten.

DFB.de: Stimmt die Geschichte, dass Sie in Barcelona einmal mit dem Mannschaftsbus ohne Maradona losgefahren sind, weil er sich verspätet hatte?

Lattek: Oh ja. Der Bus stand vor dem Stadion, wir wollten aufbrechen ins Trainingslager. 19 Uhr war Abfahrt, um 19 Uhr waren alle Spieler da, nur er nicht. Die Situation war für mich sehr schwierig, weil klar war, dass ich Diego zum Feind haben würde, wenn wir ohne ihn losfahren. Aber wenn ich warten würde, hätte ich im Team als Feigling gegolten, meine Autorität hätte gelitten. Also sind wir los, Diego musste mit dem Taxi hinterherfahren. Er hat sich dann beim Präsidenten über mich beschwert, für mich war das der Anfang vom Ende meiner Zeit als Trainer in Barcelona.

DFB.de: Dann war es falsch, nicht auf ihn gewartet zu haben?

Lattek: Nein, es war richtig. Die anderen Spieler sind aufgestanden und haben Beifall geklatscht, weil ich den Mut hatte, mich mit Maradona anzulegen. Ihm hat es nicht gefallen, ich habe dann mit den Konsequenzen leben müssen.

DFB.de: Hat sich Ihr Verhältnis irgendwann wieder entspannt?

Lattek: Ich habe ihn später im Rahmen meiner Tätigkeit für die Sportbild wiedergetroffen. Das war am Stadion in Neapel. Als er mich gesehen hat, ist er auf mich zugerannt wie ein Sprinterkönig, wie Usain Bolt. Er ist mir um den Hals gefallen und hat gesagt: "Trainer, heute Abend müssen wir essen gehen. Und dann feiern wir richtig." Maradona ist ein richtig toller Kerl, privat war er sehr liebenswert. Nur als Trainer hatte man es mit ihm nicht leicht. Wir haben uns damals ausgesöhnt und seither ein sehr gutes Verhältnis.

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DFB.de: Ihre letzte Trainerstation hatten Sie bei Borussia Dortmund. Im Jahr 2000 haben Sie die Mannschaft gemeinsam mit Matthias Sammer fünf Wochen vor Saisonende übernommen und vor dem Abstieg bewahrt.

Lattek: Ich hatte mir das damals lange überlegt, weil ich nicht wusste, ob in mir noch genug Feuer brennt. Unsere Mission war erfolgreich - zum Glück. Matthias kam danach auf mich zu und hat gefragt, ob ich nicht noch ein Jahr dranhängen will, für ihn käme die alleinige Verantwortung zu früh. Aber ich habe damals erkannt, dass diese Welt nicht mehr meine ist.

DFB.de: Weil Sie sich verändert hatten? Oder weil sich der Fußball verändert hatte?

Lattek: Beides. Ich war nie ausschließlich auf den Fußball fokussiert. Anders als Hennes Weisweiler, der - das meine ich nicht negativ - den Ball mit bis ins Bett genommen hat. Dieses extreme Zusammengehörigkeitsgefühl mit dem Fußball, das hatte ich nie. Deswegen habe ich mich in der Zeit vor Dortmund auch mit anderen Dingen befasst. Fußball war nie meine ganze Welt. Und je länger ich im Fußball nicht aktiv beschäftigt war, desto mehr haben andere Dinge Raum eingenommen.

DFB.de: Als Trainer waren Sie für Ihre Emotionalität bekannt. Mittlerweile ist es ruhiger um Sie geworden. Sie sagen selber, dass Sie auch ruhiger geworden sind. Gibt es noch Dinge, die Sie richtig aufregen können?

Lattek: Meine Familie habe ich schon länger abgehakt, die macht sowieso mit mir, was sie will. (lacht) Auch meine sogenannten "Feindschaften" mit Otto Rehhagel und Jupp Heynckes sind vergessen. Jupp und ich haben uns in München beim Geburtstag von Uli Hoeneß in den Armen gelegen. Ich bin viel entspannter geworden und sehe viele Dinge deshalb auch entspannter. Wenn ich jetzt ein Fußballspiel sehe, kann ich mich darüber nicht mehr aufregen, weil ich weiß, dass andere Dinge erheblich wichtiger sind.

DFB.de: Sie haben im Rahmen Ihres 75. Geburtstages geäußert, dass Fußball für Sie mittlerweile die schönste Nebensache der Welt ist. Was ist die Hauptsache?

Lattek: Meine Familie. Mir ist es gelungen, unser Familienleben so zu gestalten, dass wir eine geschlossene und verschworene Gemeinschaft sind. Dies zu erhalten, hat für mich die oberste Priorität.

DFB.de: Kurz vor der Ehrung für Ihr Lebenswerk haben 23 neue Fußball-Lehrer ihre Zertifikate erhalten. Was müssen diese beachten, wenn sie eine lange und erfolgreiche Karriere haben wollen?

Lattek: Wenn ich das wüsste. (lacht) Trainer sind von vielen äußeren Einflüssen abhängig, ihre Karrieren können sie nur bedingt bewusst steuern. Transfers können scheitern, Spieler gegen den Willen des Trainers den Verein verlassen. Als Trainer muss man demgegenüber eine gewisse Gelassenheit entwickeln und das Selbstvertrauen, an den eigenen Fähigkeiten nicht zu zweifeln, wenn ein Verein utopische Erwartungen und zu wenig Geduld hat.

DFB.de: Gibt es unter den jungen Trainern in der Bundesliga einen, der Ihnen besonders gut gefällt?

Lattek: Ich werde das oft gefragt, aber ich habe darauf keine Antwort. Natürlich wird der Name Jürgen Klopp immer wieder genannt. Es gibt vier, fünf Kandidaten, denen ich viel zutraue und deren Entwicklung ich genauer verfolge. Aber ich werde keine Namen nennen.

DFB.de: Was halten Sie denn von der Arbeit von Bundestrainer Joachim Löw?

Lattek: Ein guter Mann, sehr fähig.

DFB.de: Sie haben mal Ecken und Kanten vermisst und bemängelt, dass ihm der "Killerinstinkt" fehlen würde.

Lattek: Ich habe gehört, dass er sich sehr geändert hat. Dass er sehr zielstrebig und sehr selbstbewusst ist. Mein Eindruck ist, dass er genau weiß, was er will und unpopulären Maßnahmen nicht scheut.

DFB.de: Wie groß schätzen Sie die Chancen ein, dass er mit der deutschen Nationalmannschaft im Sommer bei der EM in Polen und der Ukraine den Titel holt?

Lattek: Die Mannschaft hat das Zeug dazu. Man hat aber beispielsweise im Spiel gegen Frankreich gesehen, dass es kein Selbstläufer wird. Klar ist aber, dass Deutschland in der Lage ist, spielerisch mit allen Teams in der Welt mitzuhalten. Die deutsche Mannschaft kann gegen jeden Gegner gewinnen.