Kroos: Pokal im Namen, Grundstein in Greifswald

"Toni war schon damals ein Stratege"

Es gibt viele Anekdoten, die Tonis Wegbegleiter von damals erzählen können. Hartmut Schmidt besuchte einst die Familie Kroos und sah schon von draußen, dass das Fenster vom Kinderzimmer beschlagen war. "Als ich reinkam, sah ich Toni und Felix auf eine hochgestellte Matratze Fußball spielen, bis das Wasser vom Fenster lief", erzählt er. "Die beiden waren fußballverrückt, unnormal."

Ihre unterschiedliche Spielanlage war schon damals zu erkennen. Felix war Fan vom Rostocker Sturm-Ackerer Steffen Baumgart, Toni bewunderte den Bremer Fußballkünstler Johan Micoud. "Felix war galliger, Toni fehlte die körperliche Robustheit, und er war etwas langsamer", analysiert Schmidt. "Dadurch hat er gelernt, mit seinem technischen Talent und mit Körpertäuschungen zu arbeiten. Er war schon damals ein Stratege und hat sehr viel mit Auge gemacht."

Bei dieser Aussage nickt Werner Dengler. Der 78-Jährige ist über jeden Zweifel erhaben. Ein Vereinsurgestein. So etwas wie der Jupp Heynckes des Greifswalder Fußballs. Er machte Hartmut Schmidt und Wolfgang Töllner zu Trainern. Und er trainierte Toni und Felix im älteren Jahrgang. Im Greifswalder Vereinsheim thront er am Tisch. Hört aufmerksam zu. Und ergänzt hin und wieder pointiert. "Toni war lauffaul, aber am Ball war er der König", sagt er mit einem Schmunzeln.

Greifswalder SV 04: Neue Hoffnung nach Insolvenz und Fusion

Sie denken gerne an diese Zeiten zurück in Greifswald, als zwei Ausnahmetalente namens Toni und Felix eine Jugendfußball-Ära prägten. Als der Verein noch Greifswalder SC hieß. Zwölf Jahre ist das erst her. Seitdem ist viel passiert.

2002 wechselten die Kroos' im Familienblock zum FC Hansa Rostock. Vater Roland als Trainer, Toni und Felix als Spieler. Im selben Jahr geriet der damalige Oberligist GSC in finanzielle Schieflage, musste Insolvenz anmelden und seine Mannschaft in die Verbandsliga zurückziehen. Ein Jahr später löste er sich auf. Die Jugendabteilung spielte vorübergehend beim ESV/Empor Greifswald. Durch eine Fusion mit dem SSV Grün-Schwarz und dem Greifswalder SV 98 entstand der neue Großverein Greifswalder SV 04.

"Wir sind immer noch an der Aufarbeitung der Folgen der Insolvenz und fahren einen absolut strammen Konsolidierungskurs", erzählt Daniel Gutmann, 3. Vorsitzender und Verantwortlicher für den sportlichen Bereich. "Der Fokus liegt teilweise auf anderen Dingen als auf dem Sport. Aber so langsam machen wir kleine Fortschritte, der Stillstand ist beendet."



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Mit 23 Nationalspielern ist die deutsche Nationalmannschaft zur WM gereist. Sie alle haben mal klein angefangen, die meisten auch bei "kleinen" Vereinen. DFB.de hat ein paar von ihnen besucht und stellt die "Wiege der Nationalspieler" vor. Heute: Mittelfeldspieler Toni Kroos vom FC Bayern München und sein Weg von Greifswald bis nach Brasilien.

Ob sie jetzt Wirt waren, Trinker oder Krugmacher, wissen wir nicht - die Vorfahren von Toni Kroos. Laut Namensforscher Prof. Dr. Jürgen Udolph beruht der Name Kroos auf dem mittelniederdeutschen Wort krôs, was soviel bedeutet wie Kanne, Krug oder Trinkgefäß. Oder vielleicht Pokal? Das würde jedenfalls viel besser passen zu den Urahnen der Kroos'. Wir stellen uns vor, dass sie bei mittelalterlichen Wettkämpfen in den Hansestädten an der Ostsee vor Ehrgeiz sprühten. Unbedingt gewinnen wollten. Und am Ende den Pokal holten.

Ehrgeiz und Sportsgeist liegen in den Kroos-Genen

Denn Ehrgeiz und Sportsgeist liegen in den Kroos-Genen. Britta Kroos war DDR-Meisterin im Badminton, Roland Kroos betrieb bis zum 21. Lebensjahr Ringen als Leistungssport, danach entdeckte er den Fußball für sich. Und die Söhne der beiden übertreffen sie noch einmal. Toni Kroos hat mit seinen 24 Jahren schon über 40 Länderspiele bestritten. Mit Bayern München gewann er im vergangenen Jahr alle großen Pokale, die er gewinnen konnte.

Nicht zu vergessen: Tonis kleiner Bruder Felix. Immer in seinem Windschatten, inzwischen ebenfalls Bundesligaprofi bei Werder Bremen. "Wenn ich heute über alles nachdenke, dann komme ich immer zu einem ganz einfachen Schluss: Ich hatte nie eine andere Chance als Fußballer zu werden", sagt Toni Kroos und drückt damit die Dankbarkeit gegenüber seinen Eltern aus. "Der Sport wurde bei uns zuhause in Greifswald an der Ostsee immer großgeschrieben."

Greifswald: Stadt der Künstler und Tüftler - und von Toni Kroos

Greifswald hat 60.000 Einwohner und eine reiche Historie als Universitäts- und Hansestadt. Berühmtester Sohn der Stadt ist Maler Caspar David Friedrich. 12.000 Studenten verleihen ihr eine kreative Atmosphäre und einen innovativen Geist, man vermarktet sich als "Stadt der Künstler und Tüftler" - und längst auch als Heimat von Toni Kroos. Wie treffend.

Szenenwechsel. Volksstadion Greifswald. Vereinsheim des Greifswalder SV 04. Der Tisch ist voll. Überall liegen Fotos. Zeitungsausschnitte. Erinnerungen. Wolfgang Töllner nimmt ein Mannschaftsfoto in die Hand und beginnt aufzusagen. Wie aus der Pistole geschossen kommen die Namen aus seinem Mund. Hannes Holtz, Toni Kroos, Felix Drecoll, Felix Kroos. "Und der da hinten, das bin ich", sagt Töllner bescheiden und blickt zur Seite. Neben ihm sitzt Hartmut Schmidt, genauso wie er damals auf dem Foto neben ihm stand. Gemeinsam mit Roland Kroos trainierten sie Toni und Felix über fünf Jahre - die ersten fünf Jahre einer großen Karriere.

"Insgesamt war es eine tolle Zeit mit der Mannschaft", sagt Töllner und erinnert sich daran, wie er und Schmidt zum Trainerjob kamen. Selbst aktive Spieler bei der Herrenmannschaft, wurden sie von Jugendtrainer Werner Dengler eingeladen. "Kommt doch einfach mal mit und setzt euch bei einem Jugendspiel mit auf die Bank", war die Aufforderung. 1997 war das. Daraus wurden fünf Jahre.

Vorbildliche Nachwuchsarbeit

Genauso läuft es übrigens auch heute noch: "Als 17-Jähriger wurde ich gefragt, ob ich nicht mal in den Trainerjob schnuppern möchte", berichtet Hannes Holtz, Trainer der F-Junioren und ehemaliger Mitspieler von Toni Kroos. "Plötzlich hatte ich die Verantwortung für eine Mannschaft des Jahrgangs 2001, mit dem wir auch gleich Landesmeister geworden sind. Die Eltern standen voll dahinter. Seitdem bin ich dabei."

Die Nachwuchsarbeit ist ein Aushängeschild des Greifswalder SV 04, der zu Kroos-Zeiten noch Greifswalder SC hieß. 450 Mitglieder und 18 Mannschaften beheimatet der Verein aktuell. In jeder Altersklasse gibt es durchgängig Jugendmannschaften. Kein Verein in der Region hat mehr. Zwar machen finanzielle Sorgen, stadtinterne Konkurrenz des Emporkömmlings FC Pommern Greifswald und der demografische Wandel dem GSV zu schaffen, mit kreativen Lösungen steuert man aber erfolgreich dagegen.

Im Frauen- und Kleinfeldbereich gibt es Spielgemeinschaften mit Nachbarvereinen. Es gibt Gastspielgenehmigungen, Kooperationen mit der ansässigen Universität und mit städtischen Schulen. Auf diesem Weg kam einst auch Toni Kroos in den Verein. Am Modell hat sich nichts geändert. Der Verein stellt Trainer zur Verfügung, die in mehreren Greifswalder Schulen Fußball-AG's durchführen. Die Schulen sind begeistert angesichts des zusätzlichen Freizeitangebots, der Verein kann neue Spieler sichten und Werbung für den Klub machen. Das Modell ist beispielgebend in ganz Mecklenburg-Vorpommern.

Erst kicken gelernt, dann schreiben

Bei Toni und Felix Kroos brauchte man kein besonders geschultes Auge, um ihr Talent zu erkennen. Die Talentförderung nahm Vater Roland in die Hand. Er meldete die beiden im Verein an. Er achtete auf gesunde Ernährung und sportliche Lebensweise. Er motivierte sie zu Ehrgeiz und Leistungsbereitschaft.

Mit Erfolg. Ehemalige Mitspieler berichten, dass sie vom Talent der Kroos-Brüder beeindruckt waren. "Toni war zweieinhalb Jahre jünger als alle anderen Spieler in der Mannschaft und trotzdem der Beste", sagt Andre Gellentin, der heute noch in Greifswald die Schuhe schnürt. Als Toni Kroos in die Mannschaft kam, konnte er zwar schon gegen den Ball treten, aber noch nicht schreiben. "Bei der Unterschrift auf dem Spielerpass musste ich seine Hand führen", lacht Wolfgang Töllner.

"Toni war schon damals ein Stratege"

Es gibt viele Anekdoten, die Tonis Wegbegleiter von damals erzählen können. Hartmut Schmidt besuchte einst die Familie Kroos und sah schon von draußen, dass das Fenster vom Kinderzimmer beschlagen war. "Als ich reinkam, sah ich Toni und Felix auf eine hochgestellte Matratze Fußball spielen, bis das Wasser vom Fenster lief", erzählt er. "Die beiden waren fußballverrückt, unnormal."

Ihre unterschiedliche Spielanlage war schon damals zu erkennen. Felix war Fan vom Rostocker Sturm-Ackerer Steffen Baumgart, Toni bewunderte den Bremer Fußballkünstler Johan Micoud. "Felix war galliger, Toni fehlte die körperliche Robustheit, und er war etwas langsamer", analysiert Schmidt. "Dadurch hat er gelernt, mit seinem technischen Talent und mit Körpertäuschungen zu arbeiten. Er war schon damals ein Stratege und hat sehr viel mit Auge gemacht."

Bei dieser Aussage nickt Werner Dengler. Der 78-Jährige ist über jeden Zweifel erhaben. Ein Vereinsurgestein. So etwas wie der Jupp Heynckes des Greifswalder Fußballs. Er machte Hartmut Schmidt und Wolfgang Töllner zu Trainern. Und er trainierte Toni und Felix im älteren Jahrgang. Im Greifswalder Vereinsheim thront er am Tisch. Hört aufmerksam zu. Und ergänzt hin und wieder pointiert. "Toni war lauffaul, aber am Ball war er der König", sagt er mit einem Schmunzeln.

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Greifswalder SV 04: Neue Hoffnung nach Insolvenz und Fusion

Sie denken gerne an diese Zeiten zurück in Greifswald, als zwei Ausnahmetalente namens Toni und Felix eine Jugendfußball-Ära prägten. Als der Verein noch Greifswalder SC hieß. Zwölf Jahre ist das erst her. Seitdem ist viel passiert.

2002 wechselten die Kroos' im Familienblock zum FC Hansa Rostock. Vater Roland als Trainer, Toni und Felix als Spieler. Im selben Jahr geriet der damalige Oberligist GSC in finanzielle Schieflage, musste Insolvenz anmelden und seine Mannschaft in die Verbandsliga zurückziehen. Ein Jahr später löste er sich auf. Die Jugendabteilung spielte vorübergehend beim ESV/Empor Greifswald. Durch eine Fusion mit dem SSV Grün-Schwarz und dem Greifswalder SV 98 entstand der neue Großverein Greifswalder SV 04.

"Wir sind immer noch an der Aufarbeitung der Folgen der Insolvenz und fahren einen absolut strammen Konsolidierungskurs", erzählt Daniel Gutmann, 3. Vorsitzender und Verantwortlicher für den sportlichen Bereich. "Der Fokus liegt teilweise auf anderen Dingen als auf dem Sport. Aber so langsam machen wir kleine Fortschritte, der Stillstand ist beendet."

"Unsere Gegend - unser Stolz - unser Verein"

Der GSV sieht sich als "Traditionsklub mit Herz". Zwar erst 2004 gegründet, aber mit historischen Wurzeln. Der Vorläuferverein BSG KKW Greifswald spielte von 1968 bis 1990 fast durchgängig in der zweitklassigen DDR-Oberliga und bestimmte dort das sportliche Niveau mit.

Es sind aber vor allem die zwischenmenschlichen Beziehungen, die diesen Verein auszeichnen. Wenn Werner Dengler mit Wolfgang Töllner und Hartmut Schmidt über die alten Zeiten in der DDR-Liga spricht. Wenn Leute wie André Gellentin und Hannes Holtz dem Verein seit ihrer Kindheit die Treue halten. Der GSV vermarktet sich mit dem Slogan "Unsere Gegend - unser Stolz - unser Verein" und lebt dies. Die erste Mannschaft spielt in der Verbandsliga Mecklenburg-Vorpommern.

Doch das ist nicht das Wichtigste. Die Fußballabteilung des Greifswalder SV 04 versteht sich in erster Linie als Ausbildungsverein und ist Träger des DFB-Stützpunktes Greifswald. Viele Talente werden hier ausgebildet. Auch in diesem Sommer wechseln wieder fünf D-Jugendliche zu Hansa Rostock. "Eigentlich ist es genau die gleich Story wie damals bei Toni", sagt Daniel Gutmann. Immerhin auch ein Zeichen der Qualität der Nachwuchsarbeit des GSV

Ein Hit auf Kindertrikots - der Name Kroos

"Zum Talent gehört der Förderer", sagt Gutmann. "In Tonis Fall waren das natürlich die Eltern, aber vor allem auch seine ersten Trainer im Jugendalter, die ihn immer gepusht und weiterentwickelt haben". Das weiß auch Toni Kroos. Und ist dankbar. Als er 2006 von Hansa Rostock zu Bayern München wechselte und es ein Benefizspiel beider Mannschaft im Ostseestadion gab, schenkte er seinen Jugendtrainer Hartmut Schmidt, Wolfgang Töllner und Werner Dengler drei Freikarten.

Nach Greifswald verschlägt es ihn allerdings nur noch selten, da die Familie mittlerweile in Rostock lebt. Trotzdem ist der Name Kroos in Greifswald allgegenwärtig. "Man sieht sehr viele Kinder in der Stadt mit einem Toni-Kroos-Trikot herumlaufen", sagt Hannes Holtz. "Sein Vorbild dient natürlich als große Motivation für die Kids von heute". Die Kinder wissen, wofür der Name Kroos steht. Für sportlichen Ehrgeiz. Für Erfolg. Für Pokale.