Krankl: "Wer den Ball hat, hat die Macht"

Hans Krankl war vielleicht der beste Mittelstürmer, den Österreich jemals hatte. Das bekamen auch die Deutschen zu spüren, die der Mann aus Wien 1978 mit seinen beiden Toren aus der WM schoss. Und Kommentator Edi Finger rief: "I wear narrisch." Ein Jahr darauf wurde Krankl mit dem FC Barcelona Europapokalsieger, später wurde er Trainer, auch in Deutschland.

Der 61-Jährige spricht über große Nachbarn, einen kleinen Gott und einen alten Stürmer. Und er erzählt, wie er für einen Tag zum "König von Köln" wurde.

DFB.de: Herr Krankl, haben Sie in den vergangenen 36 Jahren einem deutschen Journalisten jemals ein Interview gegeben, in dem nicht das Wort "Córdoba" vorkam?

Hans Krankl: Nein, das gab es noch nicht. Und diesmal ja offensichtlich auch nicht. (lacht)

DFB.de: Nein, aber ganz unangenehm dürfte Ihnen das auch nicht sein.

Krankl: Es ist halt ein Teil der Fußballgeschichte, für uns Österreicher ja sicher noch viel mehr. Wir sind stolz auf dieses Spiel, auf diesen Sieg. Und natürlich freue ich mich, dass ich ein bisschen daran beteiligt war. Wir hatten 47 Jahre nicht gegen Deutschland gewonnen, und dass wir mal besser sind als die Deutschen, das kommt halt nicht so oft vor. Wenn der kleine Bruder beim Fußball im Garten gegen den großen Bruder gewinnt, dann vergessen das beide nicht. Und so ist es auch mit dem kleinen und dem großen Nachbarn. Aber ich habe immer gesagt: Die Bedeutung dieses Sieges sollte über den Sport nicht hinausgehen. Es war ein besonderer Moment, aber aus meiner Sicht ist es das dann auch.

DFB.de: Wenn Sie heute die Gegner von damals treffen, sind die Ihnen wegen Ihrer beiden Tore noch böse?

Krankl: Nein, die waren nie böse. So ist Fußball. Mein Gegenspieler damals war Rolf Rüssmann, der ja leider schon gestorben ist, ein Super-Kerl, ein ganz feiner Mensch. Ihn habe ich einige Male noch getroffen. Auch mit Sepp Maier und anderen Spielern aus der Mannschaft verstehe ich mich sehr gut. Übrigens auch mit Franz Beckenbauer, der ja 1978 nicht mehr dabei war. Er hat immer ein Lächeln im Gesicht, ist immer geradeaus. Es war für mich eine große Ehre, als er mich in seine Weltauswahl eingeladen hat.

DFB.de: Was halten Sie von der aktuellen österreichischen Generation?

Krankl: Es ist die beste Mannschaft seit vielen Jahren. Wir haben, glaube ich, 18 oder 20 Spieler, die im Ausland spielen. Nicht alle bei großen Klubs, aber David Alaba zum Beispiel spielt beim FC Bayern. So ein junger Bursche und schon Champions-League-Sieger! Im Ausland werden unsere Spieler besser, das ist einfach so. Aber: Die Mannschaft hat noch nicht das gebracht, was wir alle von ihr erwarten. Und das ist die Qualifikation für ein großes Turnier.

DFB.de: Auch die Deutschen haben sich von der Entwicklung des ÖFB-Teams schon überzeugen können. In zwei aufeinanderfolgenden Qualifikationsrunden gab es zwei knappe 2:1-Auswärtssiege.

Krankl: Absolut. Die Entwicklung ist da. Die Deutschen waren damals aber auch noch nicht so weit wie heute.

DFB.de: Wo stehen Sie denn heute?

Krankl: Sie spielen seit gut einem Jahrzehnt einen ganz anderen Stil als früher, was aber auch damit zusammenhängt, dass sie ein unglaubliches Spielerpotenzial haben. Früher stand bei den Deutschen das kämpferische Element im Vordergrund. Und das bis zur letzten Minute. Sie haben jetzt so viele technisch und taktisch hervorragende Spieler, den Götze, den Müller, den Özil, den Kroos – das war früher nicht so. Es gab Günter Netzer, den ich sehr verehre, Franz Beckenbauer, Wolfgang Overath und natürlich noch ein paar andere. Aber diese Häufung, diese Vielfalt, diese Kreativität, die ist außergewöhnlich. Und deshalb sind sie auch Weltmeister.

DFB.de: Waren sie auch Ihr Favorit gewesen?

Krankl: Nicht der Top-Favorit. Aber es hat sich wieder einmal gezeigt, dass sie eine perfekte Turniermannschaft sind. Und dann dieses 7:1 gegen Brasilien, so etwas hat es ja noch nie gegeben.

DFB.de: 1954 gab es mal ein 6:1 gegen Österreich. Auch im Halbfinale.

Krankl: Das war in der Steinzeit. Da war ich noch ein Baby. (lacht) Aber zurück zu Brasilien: Dieses Spiel war fast schon schockierend, mir haben die Brasilianer leidgetan. Ich habe nicht mehr gewusst, was ich sagen sollte. Jeder Schuss war drin, unglaublich.

DFB.de: Wenn Deutschland nicht Ihr Top-Favorit war, wer war es dann?

Krankl: Ich habe immer noch an die Spanier geglaubt, aber das ist auch eine Herzenssache für mich, weil ich die Spanier liebe und da ja auch gespielt habe. Dann die Brasilianer, weil sie zu Hause gespielt und großartige Spieler haben. Dann Argentinien, weil sie in Südamerika sind und Messi haben, den kleinen Gott des Fußballs. Dann kam für mich Deutschland.

DFB.de: Warum haben es die Deutschen dann geschafft?

Krankl: Weil sie für mich die einzige Mannschaft waren, die sich gesteigert hat und immer auf den Punkt da war. Und weil die Spieler ihre Qualitäten völlig in den Dienst des Teams gestellt haben. Es hat alles gepasst. Wenn ich diesen alten Klose sehe, und das sage ich mit höchstem Respekt – großartig!

DFB.de: Aber Deutschland hatte keinen Cristiano Ronaldo, keinen Messi.

Krankl: Deutschland hat Götze, hat Müller, hat Özil, hat Kroos, hat Schweinsteiger, diese beiden starken Funktürme hinten, Boateng und Hummels. Und sie haben den mit Abstand weltbesten Tormann. Dieser Neuer mit seinem neuen Torwartspiel, das ist sensationell. Seit Edwin van der Sar habe ich keinen Tormann mehr gesehen, der so gut mit dem Ball umgehen kann. Für diesen offensiven und schnellen deutschen Spielstil ist er genau der Richtige.

DFB.de: Wie ist es denn, wenn ein Turnier ist und Österreich schaut zu: Sind Sie dann für die Deutschen?

Krankl: Ich bin immer zuerst für Spanien und Italien. Denen gehört mein Herz. In Italien verbringe ich viel Zeit, da war ich auch während der WM. Ich hatte eine spanische und eine italienische Fahne herausgehängt. Die konnte ich leider schnell wieder einholen. (lacht) Grundsätzlich ist es im Übrigen nicht so, dass die Österreicher alle gegen Deutschland sind, das ist Quatsch. Durch diese neue begeisternde Spielweise der Deutschen haben sie sogar richtig viele Sympathien gewonnen. Das gefällt auch den Österreichern.

DFB.de: Wie fanden Sie generell das Niveau bei der WM?

Krankl: Sehr gut. Die besten Teams spielen sehr variabel, und alle mit Angriffspressing, also sofortiger Balleroberung. Das ist die Weiterentwicklung und Verfeinerung des Stils von Johan Cruyff und Pep Guardiola bei Barcelona. Cruyff hat damals schon gesagt: "Wenn wir den Ball in der gegnerischen Hälfte gewinnen, ist der Weg zum Tor nicht mehr so weit." Das klingt einfach und ist auch logisch, aber einfach umzusetzen ist es nicht. Das muss man trainieren und in die Köpfe der Spieler bekommen. Der Trainer, der es schafft, seine Mannschaft von seinem System zu überzeugen, ist ein großer Trainer.

DFB.de: Wie sehr haben Sie gelitten, als Spanien ausgeschieden ist?

Krankl: Sehr, aber es hat sich abgezeichnet. Spanien hat alles gewonnen, doch diese Ära ist beendet. Ich sage das mit Wehmut, aber es ist so. Viele Spieler waren nach der langen Saison müde, konnten nicht mehr. Das heißt auch, dass bei den Deutschen fähige Leute arbeiten müssen, denn die deutschen Spieler konnten noch einmal echte Höchstleistungen abrufen.

DFB.de: Es hieß im Bezug auf Spanien anschließend, nicht nur die Ära einer Mannschaft sei zu Ende gegangen, sondern auch die des sogenannten Ballbesitzfußballs.

Krankl: Fakt ist: Wer den Ball hat, hat die Macht. Mich hat damals schon gestört, dass dieser Stil „Tiki-Taka“ genannt wurde, das klang immer so abwertend. Dabei ist das höchst anspruchsvoll. Aber dieses System wurde verfeinert, mit noch mehr Pressing, mit noch mehr Balleroberung. Du brauchst schnelle, intelligente Spieler. Und es gibt auch immer Varianten: Guardiola hat die "falsche Neun" ausprobiert, Jogi Löw ja auch. Mourinho zum Beispiel spielt ganz anders, mehr auf die Defensive bedacht. Fußball ist Entwicklung. Aber Ballbesitz wird immer das Wichtigste bleiben.

DFB.de: Inwieweit hat sich der Fußball von Ihrer aktiven Zeit bis heute entwickelt?

Krankl: Alle fünf, sechs, sieben Jahre gibt es eine Entwicklung im Fußball, das war immer schon so. Zu meiner Zeit gab es noch Manndecker, wie etwa Karlheinz Förster. Wenn ich aufs Klo gegangen wäre, wäre er mir nachgelaufen. Hätte ich auf die Bank gemusst, hätte er sich neben mich gesetzt. Das war damals so. Dann ist man zur Raumdeckung übergegangen. Damit haben die Holländer begonnen, auch die Franzosen. Die Italiener haben unter Arrigo Sacchi die Viererkette eingeführt. Und dann halt Pressing, immer mehr, immer schneller und immer weiter vorne.

DFB.de: Im Vergleich zu früher gibt es auch weniger klassische Mittelstürmer, oder?

Krankl: Das ist ein bisschen so, das stimmt. Ich hoffe und glaube aber, dass der Mittelstürmer nie aussterben wird. Die Position ist nur anders angelegt als zu meiner Zeit. Es hieß auch mal, der Spielmacher stirbt aus. Aber die besonderen Spieler, die ein Spiel lenken, die gibt es immer. Iniesta, Xavi, Kroos, Schweinsteiger – das sind Spielmacher, aber anders als früher Prohaska, Netzer oder Overath. Letztlich ist die Bezeichnung doch egal. Die besonderen Spieler werden immer die Spiele entscheiden, egal, wo sie auf dem Platz aufgestellt werden. Sie machen den Unterschied – und den Fußball aus.

DFB.de: Viele Österreicher standen oder stehen in der Bundesliga unter Vertrag. Wieso haben Sie eigentlich nie in Deutschland gespielt?

Krankl: Ich bin lieber zum FC Barcelona gegangen. Im Ernst: Ich hatte mal Angebote aus Deutschland. Als ganz junger Spieler hatte ich ein Angebot von Fortuna Düsseldorf. Kurz nach Barcelona hatte ich Kontakt zum Hamburger SV mit Trainer Ernst Happel. Aber es hat sich nicht ergeben.

DFB.de: Immerhin sind Sie dann 2000 ja als Trainer gekommen.

Krankl: Leider nur zu einem kleinen Klub, Fortuna Köln, in der 2. Liga. Aber es war eine tolle Erfahrung. Leider Gottes hatten wir, als ich kam, schon zu viel Rückstand und haben den Klassenerhalt am Ende um einen Punkt verpasst. Das hätte ich so gerne geschafft. Wir haben aber immerhin den 1. FC Köln 4:1 besiegt. Danach war ich einen Tag der "König von Köln". Das hat der Express damals getitelt. Köln hat mir sehr gut gefallen, auch die Mentalität der Leute. Die waren so nett, so super Menschen, angefangen vom Präsidenten Jean Löring. Die Kölner sind den Wienern nicht unähnlich. Ich habe mich da so wohlgefühlt. Der Toni Polster hat das ja auch so erlebt.

DFB.de: Wie hat es denn mit der kölschen Sprache geklappt?

Krankl: Super. Na, bitt'schön, ich habe BAP schon gekannt, bevor ich nach Köln kam. Ich bin ja ein Musik-Professor, ein Musik-Papst. (lacht) Und dann habe ich auch noch die Bläck Fööss kennengelernt, auch die Höhner. Kölsch gefällt mir.

DFB.de: Reizt es Sie heute noch, als Trainer zu arbeiten?

Krankl: Nein, ich will nicht mehr. Diese Zeit ist vorbei. Jetzt ist die Zeit der "Konzepttrainer", der jungen Trainer. Ich denke mir, vielleicht wird in fünf, sechs Jahren wieder die Erfahrung gefragt sein. Dann bin ich 66, vielleicht werde auch ich dann wieder gefragt. Vielleicht kommt dann wieder die Zeit der Weisen. Aber da kann ich jetzt schon sagen: "Das bringt nichts. Spart euch das!" Außer bei drei Vereinen: FC Barcelona, Manchester United und AC Milan. Wahrscheinlich wird mich keiner von denen anrufen. Dann bin ich denen auch nicht böse. Aber, bitte, hoffen kann man immer.

DFB.de: Zum Abschluss: Sehen wir Deutschland und Österreich bei der EURO 2016?

Krankl: Deutschland wird es schaffen. Da bin ich mir ganz sicher. Und Österreich auch. Ganz ohne Schmäh. Diesmal müssen sie es auch. Diese Mannschaft hat die Qualität. Und wenn sie es jetzt nicht schaffen, wann dann?

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Hans Krankl war vielleicht der beste Mittelstürmer, den Österreich jemals hatte. Das bekamen auch die Deutschen zu spüren, die der Mann aus Wien 1978 mit seinen beiden Toren aus der WM schoss. Und Kommentator Edi Finger rief: "I wear narrisch." Ein Jahr darauf wurde Krankl mit dem FC Barcelona Europapokalsieger, später wurde er Trainer, auch in Deutschland.

Der 61-Jährige spricht über große Nachbarn, einen kleinen Gott und einen alten Stürmer. Und er erzählt, wie er für einen Tag zum "König von Köln" wurde.

DFB.de: Herr Krankl, haben Sie in den vergangenen 36 Jahren einem deutschen Journalisten jemals ein Interview gegeben, in dem nicht das Wort "Córdoba" vorkam?

Hans Krankl: Nein, das gab es noch nicht. Und diesmal ja offensichtlich auch nicht. (lacht)

DFB.de: Nein, aber ganz unangenehm dürfte Ihnen das auch nicht sein.

Krankl: Es ist halt ein Teil der Fußballgeschichte, für uns Österreicher ja sicher noch viel mehr. Wir sind stolz auf dieses Spiel, auf diesen Sieg. Und natürlich freue ich mich, dass ich ein bisschen daran beteiligt war. Wir hatten 47 Jahre nicht gegen Deutschland gewonnen, und dass wir mal besser sind als die Deutschen, das kommt halt nicht so oft vor. Wenn der kleine Bruder beim Fußball im Garten gegen den großen Bruder gewinnt, dann vergessen das beide nicht. Und so ist es auch mit dem kleinen und dem großen Nachbarn. Aber ich habe immer gesagt: Die Bedeutung dieses Sieges sollte über den Sport nicht hinausgehen. Es war ein besonderer Moment, aber aus meiner Sicht ist es das dann auch.

DFB.de: Wenn Sie heute die Gegner von damals treffen, sind die Ihnen wegen Ihrer beiden Tore noch böse?

Krankl: Nein, die waren nie böse. So ist Fußball. Mein Gegenspieler damals war Rolf Rüssmann, der ja leider schon gestorben ist, ein Super-Kerl, ein ganz feiner Mensch. Ihn habe ich einige Male noch getroffen. Auch mit Sepp Maier und anderen Spielern aus der Mannschaft verstehe ich mich sehr gut. Übrigens auch mit Franz Beckenbauer, der ja 1978 nicht mehr dabei war. Er hat immer ein Lächeln im Gesicht, ist immer geradeaus. Es war für mich eine große Ehre, als er mich in seine Weltauswahl eingeladen hat.

DFB.de: Was halten Sie von der aktuellen österreichischen Generation?

Krankl: Es ist die beste Mannschaft seit vielen Jahren. Wir haben, glaube ich, 18 oder 20 Spieler, die im Ausland spielen. Nicht alle bei großen Klubs, aber David Alaba zum Beispiel spielt beim FC Bayern. So ein junger Bursche und schon Champions-League-Sieger! Im Ausland werden unsere Spieler besser, das ist einfach so. Aber: Die Mannschaft hat noch nicht das gebracht, was wir alle von ihr erwarten. Und das ist die Qualifikation für ein großes Turnier.

DFB.de: Auch die Deutschen haben sich von der Entwicklung des ÖFB-Teams schon überzeugen können. In zwei aufeinanderfolgenden Qualifikationsrunden gab es zwei knappe 2:1-Auswärtssiege.

Krankl: Absolut. Die Entwicklung ist da. Die Deutschen waren damals aber auch noch nicht so weit wie heute.

DFB.de: Wo stehen Sie denn heute?

Krankl: Sie spielen seit gut einem Jahrzehnt einen ganz anderen Stil als früher, was aber auch damit zusammenhängt, dass sie ein unglaubliches Spielerpotenzial haben. Früher stand bei den Deutschen das kämpferische Element im Vordergrund. Und das bis zur letzten Minute. Sie haben jetzt so viele technisch und taktisch hervorragende Spieler, den Götze, den Müller, den Özil, den Kroos – das war früher nicht so. Es gab Günter Netzer, den ich sehr verehre, Franz Beckenbauer, Wolfgang Overath und natürlich noch ein paar andere. Aber diese Häufung, diese Vielfalt, diese Kreativität, die ist außergewöhnlich. Und deshalb sind sie auch Weltmeister.

DFB.de: Waren sie auch Ihr Favorit gewesen?

Krankl: Nicht der Top-Favorit. Aber es hat sich wieder einmal gezeigt, dass sie eine perfekte Turniermannschaft sind. Und dann dieses 7:1 gegen Brasilien, so etwas hat es ja noch nie gegeben.

DFB.de: 1954 gab es mal ein 6:1 gegen Österreich. Auch im Halbfinale.

Krankl: Das war in der Steinzeit. Da war ich noch ein Baby. (lacht) Aber zurück zu Brasilien: Dieses Spiel war fast schon schockierend, mir haben die Brasilianer leidgetan. Ich habe nicht mehr gewusst, was ich sagen sollte. Jeder Schuss war drin, unglaublich.

DFB.de: Wenn Deutschland nicht Ihr Top-Favorit war, wer war es dann?

Krankl: Ich habe immer noch an die Spanier geglaubt, aber das ist auch eine Herzenssache für mich, weil ich die Spanier liebe und da ja auch gespielt habe. Dann die Brasilianer, weil sie zu Hause gespielt und großartige Spieler haben. Dann Argentinien, weil sie in Südamerika sind und Messi haben, den kleinen Gott des Fußballs. Dann kam für mich Deutschland.

DFB.de: Warum haben es die Deutschen dann geschafft?

Krankl: Weil sie für mich die einzige Mannschaft waren, die sich gesteigert hat und immer auf den Punkt da war. Und weil die Spieler ihre Qualitäten völlig in den Dienst des Teams gestellt haben. Es hat alles gepasst. Wenn ich diesen alten Klose sehe, und das sage ich mit höchstem Respekt – großartig!

DFB.de: Aber Deutschland hatte keinen Cristiano Ronaldo, keinen Messi.

Krankl: Deutschland hat Götze, hat Müller, hat Özil, hat Kroos, hat Schweinsteiger, diese beiden starken Funktürme hinten, Boateng und Hummels. Und sie haben den mit Abstand weltbesten Tormann. Dieser Neuer mit seinem neuen Torwartspiel, das ist sensationell. Seit Edwin van der Sar habe ich keinen Tormann mehr gesehen, der so gut mit dem Ball umgehen kann. Für diesen offensiven und schnellen deutschen Spielstil ist er genau der Richtige.

DFB.de: Wie ist es denn, wenn ein Turnier ist und Österreich schaut zu: Sind Sie dann für die Deutschen?

Krankl: Ich bin immer zuerst für Spanien und Italien. Denen gehört mein Herz. In Italien verbringe ich viel Zeit, da war ich auch während der WM. Ich hatte eine spanische und eine italienische Fahne herausgehängt. Die konnte ich leider schnell wieder einholen. (lacht) Grundsätzlich ist es im Übrigen nicht so, dass die Österreicher alle gegen Deutschland sind, das ist Quatsch. Durch diese neue begeisternde Spielweise der Deutschen haben sie sogar richtig viele Sympathien gewonnen. Das gefällt auch den Österreichern.

DFB.de: Wie fanden Sie generell das Niveau bei der WM?

Krankl: Sehr gut. Die besten Teams spielen sehr variabel, und alle mit Angriffspressing, also sofortiger Balleroberung. Das ist die Weiterentwicklung und Verfeinerung des Stils von Johan Cruyff und Pep Guardiola bei Barcelona. Cruyff hat damals schon gesagt: "Wenn wir den Ball in der gegnerischen Hälfte gewinnen, ist der Weg zum Tor nicht mehr so weit." Das klingt einfach und ist auch logisch, aber einfach umzusetzen ist es nicht. Das muss man trainieren und in die Köpfe der Spieler bekommen. Der Trainer, der es schafft, seine Mannschaft von seinem System zu überzeugen, ist ein großer Trainer.

DFB.de: Wie sehr haben Sie gelitten, als Spanien ausgeschieden ist?

Krankl: Sehr, aber es hat sich abgezeichnet. Spanien hat alles gewonnen, doch diese Ära ist beendet. Ich sage das mit Wehmut, aber es ist so. Viele Spieler waren nach der langen Saison müde, konnten nicht mehr. Das heißt auch, dass bei den Deutschen fähige Leute arbeiten müssen, denn die deutschen Spieler konnten noch einmal echte Höchstleistungen abrufen.

DFB.de: Es hieß im Bezug auf Spanien anschließend, nicht nur die Ära einer Mannschaft sei zu Ende gegangen, sondern auch die des sogenannten Ballbesitzfußballs.

Krankl: Fakt ist: Wer den Ball hat, hat die Macht. Mich hat damals schon gestört, dass dieser Stil „Tiki-Taka“ genannt wurde, das klang immer so abwertend. Dabei ist das höchst anspruchsvoll. Aber dieses System wurde verfeinert, mit noch mehr Pressing, mit noch mehr Balleroberung. Du brauchst schnelle, intelligente Spieler. Und es gibt auch immer Varianten: Guardiola hat die "falsche Neun" ausprobiert, Jogi Löw ja auch. Mourinho zum Beispiel spielt ganz anders, mehr auf die Defensive bedacht. Fußball ist Entwicklung. Aber Ballbesitz wird immer das Wichtigste bleiben.

DFB.de: Inwieweit hat sich der Fußball von Ihrer aktiven Zeit bis heute entwickelt?

Krankl: Alle fünf, sechs, sieben Jahre gibt es eine Entwicklung im Fußball, das war immer schon so. Zu meiner Zeit gab es noch Manndecker, wie etwa Karlheinz Förster. Wenn ich aufs Klo gegangen wäre, wäre er mir nachgelaufen. Hätte ich auf die Bank gemusst, hätte er sich neben mich gesetzt. Das war damals so. Dann ist man zur Raumdeckung übergegangen. Damit haben die Holländer begonnen, auch die Franzosen. Die Italiener haben unter Arrigo Sacchi die Viererkette eingeführt. Und dann halt Pressing, immer mehr, immer schneller und immer weiter vorne.

DFB.de: Im Vergleich zu früher gibt es auch weniger klassische Mittelstürmer, oder?

Krankl: Das ist ein bisschen so, das stimmt. Ich hoffe und glaube aber, dass der Mittelstürmer nie aussterben wird. Die Position ist nur anders angelegt als zu meiner Zeit. Es hieß auch mal, der Spielmacher stirbt aus. Aber die besonderen Spieler, die ein Spiel lenken, die gibt es immer. Iniesta, Xavi, Kroos, Schweinsteiger – das sind Spielmacher, aber anders als früher Prohaska, Netzer oder Overath. Letztlich ist die Bezeichnung doch egal. Die besonderen Spieler werden immer die Spiele entscheiden, egal, wo sie auf dem Platz aufgestellt werden. Sie machen den Unterschied – und den Fußball aus.

DFB.de: Viele Österreicher standen oder stehen in der Bundesliga unter Vertrag. Wieso haben Sie eigentlich nie in Deutschland gespielt?

Krankl: Ich bin lieber zum FC Barcelona gegangen. Im Ernst: Ich hatte mal Angebote aus Deutschland. Als ganz junger Spieler hatte ich ein Angebot von Fortuna Düsseldorf. Kurz nach Barcelona hatte ich Kontakt zum Hamburger SV mit Trainer Ernst Happel. Aber es hat sich nicht ergeben.

DFB.de: Immerhin sind Sie dann 2000 ja als Trainer gekommen.

Krankl: Leider nur zu einem kleinen Klub, Fortuna Köln, in der 2. Liga. Aber es war eine tolle Erfahrung. Leider Gottes hatten wir, als ich kam, schon zu viel Rückstand und haben den Klassenerhalt am Ende um einen Punkt verpasst. Das hätte ich so gerne geschafft. Wir haben aber immerhin den 1. FC Köln 4:1 besiegt. Danach war ich einen Tag der "König von Köln". Das hat der Express damals getitelt. Köln hat mir sehr gut gefallen, auch die Mentalität der Leute. Die waren so nett, so super Menschen, angefangen vom Präsidenten Jean Löring. Die Kölner sind den Wienern nicht unähnlich. Ich habe mich da so wohlgefühlt. Der Toni Polster hat das ja auch so erlebt.

DFB.de: Wie hat es denn mit der kölschen Sprache geklappt?

Krankl: Super. Na, bitt'schön, ich habe BAP schon gekannt, bevor ich nach Köln kam. Ich bin ja ein Musik-Professor, ein Musik-Papst. (lacht) Und dann habe ich auch noch die Bläck Fööss kennengelernt, auch die Höhner. Kölsch gefällt mir.

DFB.de: Reizt es Sie heute noch, als Trainer zu arbeiten?

Krankl: Nein, ich will nicht mehr. Diese Zeit ist vorbei. Jetzt ist die Zeit der "Konzepttrainer", der jungen Trainer. Ich denke mir, vielleicht wird in fünf, sechs Jahren wieder die Erfahrung gefragt sein. Dann bin ich 66, vielleicht werde auch ich dann wieder gefragt. Vielleicht kommt dann wieder die Zeit der Weisen. Aber da kann ich jetzt schon sagen: "Das bringt nichts. Spart euch das!" Außer bei drei Vereinen: FC Barcelona, Manchester United und AC Milan. Wahrscheinlich wird mich keiner von denen anrufen. Dann bin ich denen auch nicht böse. Aber, bitte, hoffen kann man immer.

DFB.de: Zum Abschluss: Sehen wir Deutschland und Österreich bei der EURO 2016?

Krankl: Deutschland wird es schaffen. Da bin ich mir ganz sicher. Und Österreich auch. Ganz ohne Schmäh. Diesmal müssen sie es auch. Diese Mannschaft hat die Qualität. Und wenn sie es jetzt nicht schaffen, wann dann?