Klopp: "Werden unser Saisonziel erreichen!"

Klopp: Jedes Länderspiel stört mich, wenn ich ehrlich bin. Ich hätte gern diesen Zeitraum, um mit allen Spielern zusammenzuarbeiten. Wir sind nicht der Mittelpunkt der Erde in Europa. Asien ist sogar noch einen Tick größer, und wenn man dort zum Turnier bittet, haben die Jungs zu kommen. Das verstehe ich. Wenn man einen Spieler aus Afrika holt, dann weiß man auch, dass Afrika-Meisterschaften stattfinden werden. Sollte aber der japanische Verband auf die Idee kommen, seine Wildcard für die Copa America im Sommer zu nutzen und die FIFA es zulassen, ihn auch dafür anzufordern, wäre das überhaupt nicht mehr nachzuvollziehen. Dann hätten japanische Spieler drei große Turniere in Folge. Das gab es in der Geschichte des Fußballs noch nie. Ich glaube, wir würden dann durch alle Instanzen gehen.

[SID]


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Mit 43 Punkten rauschte Borussia Dortmund souverän durch die Hinrunde der Bundesliga, überzeugte dabei mit herzerfrischendem Offensiv-Fußball und sicherte sich am Ende verdient den inoffiziellen Titel des Herbstmeisters.

Am Freitag steht für das junge Team von Trainer Jürgen Klopp der Start in die Rückrunde auf dem Programm. Ab 20.30 Uhr (live in der ARD und auf Sky) spielen die Westfalen bei Verfolger Bayer 04 Leverkusen, der mit zehn Punkten Rückstand auf Rang drei liegt.

Im Trainingslager in Jerez spricht Klopp im exklusiven Interview mit dem Sport-Informations-Dienst (SID) über den Start in die Rückrunde, die Champions League und das schlechte Wetter in Dortmund.

Frage: Als souveräner Bundesliga-Tabellenführer und mit zehn Punkten Vorsprung fährt die Borussia zum Rückrunden-Auftakt am Freitag zum Dritten nach Leverkusen, wo Bayer-Sportdirektor Rudi Völler behauptet: Der BVB kann sich auf dem Weg zur Meisterschaft nur selbst schlagen. Wie lautet Ihr Konter?

Jürgen Klopp: Es ist im Fußball alles schon mal gesagt und erlebt worden, und es werden immer wieder Aussagen vor und nach Spielen getroffen. Das hat keine Relevanz für das tatsächliche Spiel. Das sind alles Dinge, die mich ein Leben lang amüsieren werden.

Frage: In Leverkusen wird die Meisterschaft sicherlich nicht entschieden oder vorentschieden. Aber das ist ein Auftaktspiel, in dem man schon einmal ein Zeichen setzen kann...

Klopp: Sicherlich. Man kann sich dort zeigen und vielleicht sogar gewinnen. Aber eine Woche später kommt der VfB Stuttgart mit großen Zielen, auch da müssen wir uns zeigen. Das müssen wir jede Woche. Es geht nicht darum, Ausrufezeichen zu setzen. Wir wollen konsequent unseren Weg weitergehen, das haben wir jetzt zwei Jahre gut gemacht. Ich sehe also keinen Grund, warum wir uns aus der Ruhe bringen lassen sollten. Was passiert, wird passieren, und wir werden darauf reagieren müssen.

Frage: Der Druck auf die junge Mannschaft wird in der Rückrunde wachsen...

Klopp: Das ist doch jedes Jahr das Gleiche. In der Hinrunde legt man die Basis, und in der Rückrunde fallen die Entscheidungen. Dementsprechend wächst der Druck - und zwar in allen Kategorien. Es geht um den Klassenerhalt, um die Champions League und Meisterschaft. Für alle Mannschaften geht es darum, ihre Ziele zu verwirklichen. Und wenn wir das Trainingslager in Jerez verlassen haben, steht Leverkusen im Fokus. Der Druck ist für uns nicht größer als in der Hinrunde, aber er ist zweifellos da. Es ist schließlich nicht die erste Rückrunde, in der wir uns Ziele setzen. Folglich sind wir gut vorbereitet.

Frage: Bevor das Trainingslager in Andalusien begann, haben Sie eine Ansprache an die Mannschaft gehalten. Was haben Sie den Spielern gesagt?

Klopp: Ich habe versucht, alle Eventualitäten kurz anzusprechen und unsere Herangehensweise festzulegen. Denn es gibt die unterschiedlichen Möglichkeiten der Störfeuer, das ist doch klar. Wir werden unseren eingeschlagenen Weg weitergehen. Das klingt nicht nach wahnsinnig viel Substanz, aber der bisherige Weg ist ja kein Zufall.

Frage: Wie stellt man eine Mannschaft, die derart souverän führt, auf die Verfolger ein?

Klopp: Es gibt ja keine Erfahrungswerte. Noch nie war eine junge Mannschaft wie wir in einer vergleichbaren Situation. Man stelle sich einfach vor, Bayern München hätte zehn Punkte Vorsprung. Sie würden sagen: Wir wollen mit 20 Punkten Vorsprung Meister werden, aber wir wollen auch noch die Champions League und den DFB-Pokal gewinnen. Jetzt sind eben wir Tabellenführer. Das ist eine völlig neue Konstellation. Unser Thema ist ja ein völlig anderes: Die Weiterentwicklung, um alles stabil und konstant auf den Platz zu bringen. Und dann müssen wir sehen, was es dafür gibt.

Frage: Wenn die Rückrunde nicht gut laufen sollte, wird vermutlich Spott und Häme über den BVB ausgeschüttet...

Klopp: Das kann passieren. Ich kann aber nicht aus Angst vor einem Misserfolg nicht erfolgreich sein wollen. Natürlich sind wir extrem positiv beurteilt worden. Das ist ja auch nachvollziehbar, wir haben immerhin zehn Punkte Vorsprung. Die Art und Weise, wie wir Fußball gespielt haben, hat mich ja selbst teilweise beeindruckt. Wenn am Anfang nicht alles rund läuft, dann heißt das jedoch nicht, dass wir nicht zurück in die Spur finden können. Ich habe den Jungs gesagt: Wenn wir es wirklich schaffen, unter die Hinrunde einen Strich zu ziehen, das Selbstvertrauen mitzunehmen und unsere Qualität auf den Platz zu bringen, sind wir super unangenehm zu spielen. Und wir werden unser Saisonziel erreichen. Was es ist, weiß ich heute noch nicht.

Frage: Uli Hoeneß hat gesagt, Borussia Dortmund habe durch das frühe Ausscheiden in der Europa League den Beweis der internationalen Klasse nicht erbracht...

Klopp: Mit allem, was über uns gesagt wurde, kann man Recht haben oder auch nicht. Es wurde schon viel gesagt. Es wurde auch gesagt, wenn wir gegen Leverkusen verlieren, verlieren wir auch die Nerven. Das sind alles Dinge, an die wir entspannt herangehen.

Frage: Wie gehen sie selbst mit den Störfeuern um?

Klopp: Ich bin ja auch ein bisschen das Stimmungsbarometer für die Mannschaft. Das heißt: Wenn wir Spiele verlieren oder gewinnen, ist es das eine, wie wir damit umgehen, das andere. Für den Umgang damit bin ich verantwortlich. Und ich kenne mich ja auch schon ein paar Jahre und weiß, dass mich Extreme nicht so leicht aus der Bahn werfen, weder im Positiven noch im Negativen. Wir haben eine gute Chance, die Ruhe zu bewahren. Und wenn wir das können, haben wir gute Voraussetzungen, unsere Leistung abzurufen. Und wenn wir das können, weil die so schlecht nicht ist, dann können wir Bundesligaspiele gewinnen. Wieviele, werden wir sehen.

Frage: Der Umgang mit der neuen wie speziellen Situation einer souveränen Tabellenführung, beinhaltet das auch einen Lernprozess für einen Trainer?

Klopp: Ich habe nicht das Gefühl, dass ich viel lerne. Der Unterschied ist verschwindend gering. Wir wurden auch schon negativ beurteilt und gefragt: Woran liegt es? Am Ende sind es immer fußballerische Erklärungen. Ich habe noch nie ein Problem damit gehabt, gewonnene Spiele zu bewerten. Das bereitet mir viel Spaß. Es gibt schlimmere Dinge, als Tabellenführer zu sein. Ich werde auch nicht glauben, ich müsste jetzt abheben, oder jetzt geht alles von alleine. Dafür bin ich dann doch nicht naiv genug.

Frage: Ihr Marktwert ist gestiegen. Es gab ja unlängst Gerüchte, der FC Liverpool zeige Interesse an ihrer Verpflichtung. Bundestrainer Joachim Löw könnte Sie sich angeblich auch als sein Nachfolger vorstellen...

Klopp: Das ist besser, als wenn Liverpool eine Umfrage macht, und die Leute sagen im Internet: Der letzte von acht Millionen möglichen Trainern ist Jürgen Klopp. Ich habe kein Problem mit dem Selbstvertrauen. Ich glaube, dass das, was wir mit dem Trainerteam abliefern, durchaus Qualität hat. Entsprechend haben wir uns Borussia Dortmund zugetraut. Wir könnten, wenn sich die Situation ergäbe, auch nach Liverpool gehen und trainieren. Oder, wenn die Nationalmannschaft anfragt und wir wären frei, dann könnten wir auch das machen. Aber die Frage stellt sich doch überhaupt nicht. Nationaltrainer ist im übrigen ein anderer Job, für den ich im Moment nicht bereit wäre, das muss ich ganz klar sagen. Ich möchte gern diesen Bundesliga-Alltag haben.

Frage: Sie haben Ihren Vertrag bereits bis 2014 verlängert. BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke glaubt, dass das noch nicht das Ende ihrer Ära beim BVB ist.

Klopp: Das ist zu weit in die Zukunft gedacht. Natürlich wissen wir nicht, was 2014 ist. Es gibt Menschen, die überall unzufrieden sind, weil sie glauben, dass woanders alles besser ist. Zu der Kategorie gehöre ich nicht. Das Einzige, was ich in Dortmund nicht liebe, ist das Wetter. Aber wenn ich dahin gehe, wo das Wetter schön ist, verstehen mich die Leute vermutlich nicht mehr. Wir wollen hier beim BVB die Entwicklung vorantreiben. Und wenn wir 2013 oder 2014 sagen: Das ist so geil, wir machen noch ein paar Jahre, dann wird es dafür Gründe geben - außer das Wetter wird noch schlechter.

Frage: Wann wäre der Zeitpunkt gekommen, um die Mission Dortmund freiwillig zu beenden?

Klopp: Dafür fehlt mir komplett die Cleverness, den richtigen Moment zu erwischen. Das habe ich nicht in mir. In Mainz zum Beispiel hätte ich nach dem Abstieg relativ leicht wechseln können, um in der ersten Liga zu bleiben. Danach sind wir nicht aufgestiegen, dann war es allerdings ein logischer Zeitpunkt, weil auch der Vertrag ausgelaufen war.

Frage: In den letzten zwei Jahren hat sich das Gesicht der Mannschaft kontinuierlich verändert. Haben Sie jetzt die richtige Mischung gefunden?

Klopp: Das Problem des Fußballs ist, wenn man eine gute Konstellation hat, möchte man sie festhalten und in die nächsten zehn Jahre tragen. Das ist aber mehr als naiv, deshalb muss man Dinge verändern. Manche werden verändert von außen, durch Transfers usw. Aktuell haben wir das Gefühl nicht. Zumindest diese und die nächste Saison können wir das ohne große Veränderungen durchziehen. Ich bin gekommen und habe nicht bewusst die Mannschaft ausgetauscht. Wir haben keinen Schnitt gemacht. Wenn man die Mannschaft jetzt sieht im Vergleich zu dem Zeitpunkt, als ich gekommen bin, ist der Unterschied dennoch gewaltig. Wenn wir noch einmal zweieinhalb Jahre in die Zukunft sehen könnten - ich wäre selbst gespannt, was dann los ist.

Frage: Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke hat gesagt, Etats von etwa 50 Millionen Euro oder mehr wird es beim BVB nicht geben. Wie geht man angesichts der eingeschränkten Transfermöglichkeiten als Trainer damit um?

Klopp: Das ist überhaupt nicht mein Thema. Ich kenne unseren Etat nicht einmal. Wenn ich einen Verein verlasse, dann soll es ihm im ungünstigsten Fall so gut gehen wie vorher. Hans-Joachim Watzke legt fest, was zur Verfügung steht. Michael Zorc und ich legen dann fest: Was können wir damit anfangen. So einfach ist das.

Frage: Es ist jedoch eine große Ausnahme, dass ein Verein wie Borussia Dortmund mit einem durchschnittlichen Bundesliga-Etat eine solch herausragende Stellung einnimmt...

Klopp: Wir haben keine herausragende Stellung in der Liga angestrebt. Was wir haben, ist eine hochtalentierte Mannschaft mit einem extremen Potenzial, einem guten Charakter, die mit dem Trainer zusammen gut funktioniert. Andere treffen andere Entscheidungen und holen zu Robben und Ribery auch noch Gustavo und interessieren sich möglicherweise auch noch für unsere Spieler.

Frage: Mit dem Erfolg steigen doch auch die Begehrlichkeiten anderer Klubs. Wie werden Sie damit umgehen?

Klopp: Ich kann mich doch nicht hinstellen und klagen: Andere Vereine holen uns Spieler weg. Wenn wir es schaffen, die Perspektive so darzustellen, dass unsere Spieler sagen: Hier möchte ich dabei sein, hier möchte ich unter die ersten Elf und nicht dort unter die ersten 19, dann haben wir eine relativ gute Chance, die Jungs zu halten und andere Wege zu gehen. Wenn sich große Vereine mit mehr Geld auf Spieler von uns stürzen, dann bedeutet das, sie schauen nicht nach anderen. Dann holen wir eben die anderen. Aber aktuell ist das kein Thema.

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Frage: Die Chancen sind groß, dass der BVB in der kommenden Saison in der Champions League spielen wird. Werden Sie das mit dem derzeitigen Personal angehen?

Klopp: Wenn wir eine erfolgreiche Saison und dann in einem europäischen Wettbewerb spielen, werden wir mit den Jungs und mit ein oder zwei Verpflichtungen, die wir ohnehin tätigen werden, in den Wettbewerb gehen - wie auch immer er heißen würde. Dort nehmen wir Geld ein, das wir auch wieder ausgeben können. Unser Geschäftsführer wird es dann nicht aufs Festgeldkonto einzahlen und sagen: Der Etat bleibt gleich. Es wird Veränderungen geben. Kurz gesagt: Das, was wir einnehmen, investieren wir in den Kader. Bisher haben wir jedoch noch nicht viel eingenommen.

Frage: Außer dem BVB stehen überraschend auch Mainz, Hannover und auch Freiburg oben in der Tabelle. Ist das Zufall oder ein Indiz für die Ausgeglichenheit der Bundesliga?

Klopp: Dahinter steckt ein klarer Plan der Trainer, eine super Umsetzung, und dazu kommt: Bremen schwächelt, Hamburg schwächelt, Stuttgart schwächelt, und Wolfsburg schwächelt. Es gibt immer Schlüsselmomente in der Saison. Die einen wurden für ihre Herangehensweise in der Hinrunde belohnt, andere für Unruhe bestraft. Die qualitativen Abstände sind so eng. Die Bayern sind schon häufiger nicht perfekt in die Saison gestartet. Aber sie haben dann ihre Spiele halt knapper gewonnen, statt zu verlieren. Das ist dann der Unterschied.

Frage: Die ersten drei Rückrunden-Begegnungen werden Sie auf Shinji Kagawa verzichten müssen, der mit Japan am Asien-Cup teilnimmt. Was sagen Sie zur Terminplanung des Weltverbandes FIFA?

Klopp: Jedes Länderspiel stört mich, wenn ich ehrlich bin. Ich hätte gern diesen Zeitraum, um mit allen Spielern zusammenzuarbeiten. Wir sind nicht der Mittelpunkt der Erde in Europa. Asien ist sogar noch einen Tick größer, und wenn man dort zum Turnier bittet, haben die Jungs zu kommen. Das verstehe ich. Wenn man einen Spieler aus Afrika holt, dann weiß man auch, dass Afrika-Meisterschaften stattfinden werden. Sollte aber der japanische Verband auf die Idee kommen, seine Wildcard für die Copa America im Sommer zu nutzen und die FIFA es zulassen, ihn auch dafür anzufordern, wäre das überhaupt nicht mehr nachzuvollziehen. Dann hätten japanische Spieler drei große Turniere in Folge. Das gab es in der Geschichte des Fußballs noch nie. Ich glaube, wir würden dann durch alle Instanzen gehen.