Klinsmann: "Setzen gleich zum Start Akzente"

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Jürgen Klinsmann hatte deutlich mehr Zeit für das Interview, als ursprünglich geplant. Auf dem Weg zum Testspiel gegen Eintracht Bamberg steckte der Mannschaftsbus des FC Bayern München - diesmal nicht mit Franck Ribery am Steuer - im Stau fest.

Die Wartezeit nutzte der 44 Jahre alte Coach des deutschen Rekordmeisters, um mit DFB-Redakteur Stephan Brause im "DFB.de-Gespräch der Woche" über seine Ziele in der mit dem DFB-Pokalspiel am Dienstag (ab 20.30 Uhr, live im ZDF und bei Premiere) beim VfB Stuttgart beginnenden zweiten Saisonhälfte, die geänderten Anforderungen an Fußballtrainer und natürlich auch den im Sommer anstehenden Wechsel von Nationalspieler Lukas Podolski zum 1. FC Köln zu reden.

Frage: Herr Klinsmann, morgen endet für den FC Bayern München offiziell die Winterpause, der Tanz auf drei Hochzeiten geht weiter. Gut erholt dafür?

Jürgen Klinsmann: Auf jeden Fall. Ich habe mit der Familie zwei Wochen Urlaub in Kalifornien gemacht, das hat richtig gut getan. Ich habe ein wenig abschalten können, der Akku ist wieder voll geladen. Das erste Halbjahr als Vereinstrainer ist schon ziemlich anstrengend gewesen ist, weil ich viele neue Erfahrungen sammeln und zahlreiche Dinge auf die Schiene bringen musste. Das war alles sehr intensiv. Das Leben als Coach eines Klubs ist eben doch ganz anders als das eines Nationaltrainers. Aber auch nach einem halben Jahr kann ich sagen, dass die Entscheidung für den FC Bayern absolut die richtige gewesen ist. Meine Familie fühlt sich in München sehr wohl hier, und meine Aufgabe als Trainer übt weiterhin täglich eine große Faszination auf mich aus.

Frage: Und auch sportlich ist der FC Bayern gut vorbereitet?

Klinsmann: Ich denke schon, auch wenn die Winterpause sportlich gesehen nicht zum allerbesten Zeitpunkt gekommen ist. Wir hatten im November und Dezember einen richtig guten Lauf, da würde man am liebsten immer weiterspielen. Aber ich denke, dass wir die Unterbrechung bestens genutzt haben und optimal präpariert in die Rückrunde starten werden. Der Verlauf der Vorbereitung lässt uns auf jeden Fall bester Hoffnung sein.

Frage: Aber das Auftaktprogramm mit dem DFB-Pokalachtelfinale in Stuttgart und nur drei Tage später zum Bundesliga-Rückrundenstart in Hamburg hat es in sich.

Klinsmann: Natürlich könnte es einfacher sein, aber andererseits sind diese Spiele gleich eine gute Messlatte. Wir wissen sofort, wo wir leistungsmäßig stehen. Die Partie in Stuttgart wird sicher ein echter Pokalfight, in dem die Chancen 50:50 stehen. Gleiches gilt für das Spiel in Hamburg. Aber ich bin überzeugt davon, dass wir, wenn wir in Bestbesetzung antreten können, sehr erfolgreich in die Rückrunde starten werden.

Frage: Der Start in die Hinrunde war etwas stockend. Haben Sie Bedenken, dass das auch in der Rückrunde der Fall sein könnte?

Klinsmann: Nein, eigentlich nicht. Dass es zu Saisonbeginn nicht richtig rund lief, war in unseren Planungen von vornherein einkalkuliert. Wir hatten viele Verletzungsprobleme – und einige Spieler noch mit den Nachwehen der EM zu kämpfen. Das alles mussten wir erst mal kompensieren. Außerdem haben wir ein ganz neues Trainer- und Betreuerteam zusammengebaut, mussten uns und die Spieler erst richtig kennenlernen und eine gute Chemie bekommen. Das hat drei Monate gedauert, mittlerweile aber greift ein Rädchen in das andere. Und auch unsere Maßnahme, vor allem an der körperlichen Fitness der Spieler zu arbeiten, zeigt inzwischen den gewünschten Erfolg.

Frage: Also keine Angst vor einem erneuten "Fehlstart"?

Klinsmann: Nein, auch wenn ich weiß, dass hier gleich wieder Pfeffer unter dem Dach ist, wenn wir zu Beginn ein oder sogar zwei Spiele verlieren. Im Verlauf der Rückrunde könnte das aber durchaus mal passieren, denn die anderen können ja auch Fußball spielen. Es wäre vermessen zu sagen: "Wir gewinnen in der Rückrunde jedes Spiel in jedem Wettbewerb." Aber ich bin überzeugt, dass wir gleich zu Beginn im DFB-Pokal und der Bundesliga ein paar wichtige Akzente setzen werden, weil wir ein ganz anderes Leistungsniveau haben als noch im August oder September. Jetzt ist richtig Leben drin in der ganzen Sache.

Frage: Das klingt sehr selbstbewusst...

Klinsmann: Warum auch nicht? Wir sind vom Weg, den wir gehen, absolut überzeugt. Wir haben einen internationalen Trainerstab, und jeder einzelne ist mit Spaß, Freude und Stolz, aber auch viel Akribie bei der Arbeit.

Frage: Und Ihre Rolle ist die eines Supervisors, bei dem alle Fäden zusammen laufen, der alles ganz genau beobachtet und die Richtung vorgibt?

Klinsmann: So in etwa könnte man das ausdrücken. Auf jeden Fall habe ich in meinem ersten halben Jahr hier in München deutlich gemerkt, dass die Anforderungen an einen Trainer ganz andere sind als beispielsweise noch vor 15 Jahren.

Frage: Was genau meinen Sie?

Klinsmann: Bei einem Klub wie dem FC Bayern München, der zu den Top 15 in Europa gehört und über einen internationalen Betreuerstab aus den unterschiedlichsten Kulturkreisen verfügt, sind neben den "normalen" Trainertätigkeiten vor allem Management und Personalführung gefragt. Als Cheftrainer bin ich verpflichtet, zum Wohle der Mannschaft eine gute Chemie im Betreuerstab herbeizuführen und aus jedem das Optimale herauszuholen. Es ist absolut faszinierend zu sehen, wie das alles zusammenwächst und dadurch jeden einzelnen Spieler und das Team als Ganzes verbessert.

Frage: Aber Sie weisen immer wieder darauf hin, dass es noch reichlich Entwicklungspotenzial gibt. In welchen Bereichen zum Beispiel?

Klinsmann: Ich denke, dass sich der Fußball vor allem im mentalen, sportpsychologischen Bereich weiterhin in der Findungsphase befindet. Diese Themen müssten noch mehr eingebunden werden, da hinken wir anderen Sportarten und anderen Ländern hinterher. Außerdem ist es bislang nicht richtig gelungen, eine praktische Verbindung zwischen Sportwissenschaft und der Praxis im Fußball herzustellen. Es gibt zahlreiche wissenschaftliche Erkenntnisse, die für die Fußballtrainer und ihre Arbeit wichtig wären und sie in ihrer Entwicklung weiterbringen würden. Aber Wissenschaftler reden oftmals eben in Fachsprachen, die für „Otto-Normal-Verbraucher“ schwer verständlich ist. Es muss gelingen, diese teilweise überaus interessanten Erkenntnisse praxisnah darzustellen und den Fußballtrainern in einer verständlichen Sprache zu vermitteln. Wenn das nicht gelingt, werden sich Innovationen an der Basis stets schwer umsetzen lassen. Gelingt dies aber, können alle Fußballtrainer ihre Spieler noch individueller ausbilden und als Persönlichkeiten formen. In der Vorbereitung von Fußballprofis auf ihr besonderes Umfeld und die damit verbundenen Anforderungen steckt noch ein sehr großes Entwicklungspotenzial.

Frage: Individuelle Ausbildung und die Stärkung jedes einzelnen Spielers war schon immer Ihr Credo als Fußballlehrer. Das klingt so, als passten Sie perfekt in die heutige Zeit. Wäre das "System Klinsmann" auch schon vor 15 Jahren denkbar gewesen?

Klinsmann: Das kann ich schwer sagen. Der Druck auf die Trainer war schon immer sehr hoch, allerdings sind die Anforderungen, wie erwähnt, vielfältiger geworden. Nehmen wir als Beispiel nur die Medienwelt, die im vergangenen Jahrzehnt regelrecht explodiert ist und in der sich somit der Konkurrenzkampf doch deutlich verstärkt hat. Jeder Journalist ist verständlicherweise auf der Suche nach der Geschichte. Das bedeutet für mich als Trainer im Umkehrschluss, dass ich mir auch Gedanken darüber machen muss, wie ich einem 18 Jahre alten Nachwuchsspieler erkläre, dass es in einem Interview mit ihm nicht unbedingt um seine Person und die Inhalte, sondern um eine Geschichte geht, die sich gut verkaufen lässt. Das alles sind ganz andere, aber spannende Anforderungen an uns Trainer. Als solche müssen wir heutzutage sehr flexibel sein und uns immer wieder verändern können. Deshalb muss ich zugeben, dass ich mich in der heutigen Zeit sehr wohl fühle. Der Profifußball mit all seinen Entwicklungen passt sehr gut zu mir als Trainer – vermutlich besser als der von vor 15 Jahren.

Frage: Auch der DFB passt seine Fußball-Lehrer-Ausbildung diesen neuen Anforderungen an.

Klinsmann: Das ist auch gut so, denn ein geändertes Anforderungsprofil bedingt eine geänderte Ausbildung. Diese sollte sich meiner Meinung nach – neben den fest verankerten sowie natürlich sehr wichtigen taktischen und technischen Schulungen – noch mehr am Alltag der Trainer orientieren. Onlinekurse, Medientraining, IT-Training oder „Leadership-Seminare“ sind in anderen Sportarten längst Gang und Gäbe.

Frage: Anderes Thema: Die Winterpause des FC Bayern wurde vor allem vom Thema Lukas Podolski bestimmt. Hat das für Unruhe im Team gesorgt, oder war es vielleicht sogar ein Vorteil, weil sich der Rest der Mannschaft dadurch nahezu unbehelligt auf die Rückrunde vorbereiten konnte?

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Klinsmann: Weder noch, uns bringt so etwas als Einheit nicht aus der Ruhe. Für Lukas, der zudem auch noch Verletzungsprobleme hatte, war die ganze Situation allerdings alles andere als optimal. Auch in der Vorbereitung muss sich ein Spieler voll auf seinen Arbeitgeber konzentrieren können. Wenn das nicht der Fall ist, fehlen ein paar Prozent. Deshalb habe ich immer gehofft, dass schnell eine Lösung gefunden wird, damit sich der Spieler wieder vollständig auf den FC Bayern konzentrieren kann.

Frage: Die Lösung ist nun gefunden, Lukas Podolski kehrt nach der Saison zum 1.FC Köln zurück. Sehen Sie das als einen Rückschritt in seiner Entwicklung – oder ist es die richtige Entscheidung?

Klinsmann: Das wird sich zeigen. Klar ist, dass Lukas der Situation, hier beim FC Bayern München zunächst Stürmer Nummer drei zu sein, nicht gewachsen war und den beiden "Platzhirschen" Miroslav Klose und Luca Toni keinen echten Druck machen konnte. Deshalb musste er für sich persönlich eine Entscheidung treffen, wie er in Zukunft wieder zu hundertprozentiger Leistungsfähigkeit findet. Wenn er diese Grundlage beim 1. FC Köln sieht, ist die Entscheidung, die er getroffen hat, für ihn persönlich die richtige. Allerdings wird er in Köln vorerst nicht die Möglichkeit haben, sich in der Champions League mit den besten Spielern Europas zu messen.

Frage: Sind Sie ein wenig enttäuscht, dass Lukas Podolski es nicht geschafft hat, sich beim FC Bayern durchzusetzen?

Klinsmann: Natürlich hätte ich mir gewünscht, dass er den anderen Stürmern noch mehr Druck macht und sich in jeder Trainingseinheit voll anbietet. Auf jeden Fall hoffe ich, dass er in der neuen Saison in Köln wieder zu dem Niveau zurückfindet, dass wir von ihm nicht zuletzt aus der Nationalmannschaft kennen.

Frage: Aber zuvor steht ja noch die Rückrunde an. Was erwarten Sie von Lukas Podolski?

Klinsmann: Natürlich, dass er sich bis zum letzten Spiel voll reinhängt, das Beste für den FC Bayern gibt. Daran habe ich eigentlich keine Zweifel, auch wenn die Situation für einen Spieler wie ihn, der nicht gesetzt ist und zudem weiß, dass er in einem halben Jahr woanders ist, alles andere als einfach ist. Gerade wenn es richtig hart wird, er beispielsweise beim Stande von 0:2 eingewechselt wird, um der Mannschaft einen neuen Impuls zu geben und das Spiel vielleicht noch zu drehen, werden wir sehen, wie groß der innere Hunger von Lukas noch ist, alles für den FC Bayern zu geben.

Frage: Eine weitere Personalie, die in der Winterpause diskutiert wurde, war eine Ausleihe von U 21-Nationalspieler Toni Kroos, der in der Hinrunde eher spärlich zum Einsatz kam. Ein Leihgeschäft ist nicht zuletzt an Ihrem Veto gescheitert. Warum?

Klinsmann: Weil wir absolut der Meinung sind, dass Toni in der Hinrunde einen großen Entwicklungssprung gemacht hat und uns sicherlich weiterhelfen kann. Er profitiert beim FC Bayern vom unglaublichen Wettkampf in jeder Trainingseinheit. Natürlich hätte ich ihm in der Vorrunde gerne mehr Spielanteile gegeben, aber nach den negativen Ergebnissen zu Saisonbeginn war es zunächst einmal wichtig, das Boot in die richtige Richtung zu steuern und die Mannschaft zu stabilisieren. Und zu diesem Zweck habe ich auf gestandene Spieler zurückgegriffen. In der zweiten Hälfte der Hinrunde lief es dann so gut, dass ich keinen Grund hatte, etwas im Team umzubauen. Aber wenn Toni in den kommenden Wochen mehr Spielanteile bekommt, wovon ich eigentlich ausgehe, wird er noch einen Schritt selbstbewusster und robuster werden und eine echte Alternative sein. Wir warten jetzt erst mal ab, wie die Rückrunde verläuft, und werden dann mit Toni ganz genau erörtern, was für die kommende Saison das Beste für ihn und seine weitere Entwicklung ist.

Frage: Zum Thema Nationalmannschaft: Für die DFB-Auswahl steht in diesem Jahr die Qualifikation zur WM auf dem Programm. Wie schätzen Sie das Team derzeit ein, und was erwarten Sie in den kommenden Monaten?

Klinsmann: Ich sehe die derzeitige Entwicklung bei der Nationalmannschaft positiv. Jogi Löw macht eine sehr gute Arbeit, hat in den vergangenen Monaten zahlreiche Talente integrieren können – und das Team steht in der Qualifikation zur Weltmeisterschaft gut da. Die Nationalmannschaft ist nach wie vor das Aushängeschild des deutschen Fußballs, und es ist immer wieder spannend zu sehen, wie zwischen zwei großen Turnieren eine Neudefinierung stattfindet. Junge Spieler drängen nach, die erfahrenen wollen ihren Platz verteidigen, da sind gelegentliche Reibereien, wie zuletzt mit Torsten Frings oder Michael Ballack, eigentlich ganz normal und sollten nicht überbewertet werden. Diese Entwicklung wird das Team bis zur Weltmeisterschaft begleiten, und ich bin – ehrlich gesagt – gespannt, wie viele Spieler aus dem EM-Finale beim ersten Spiel in Südafrika noch in der Anfangsformation stehen werden.

Frage: Zum Abschluss eine persönliche Frage: Wann würde Jürgen Klinsmann selbst seine erste Saison als Trainer des FC Bayern München als erfolgreich bezeichnen?

Klinsmann: Mein Leitsatz ist jedem Spieler die Möglichkeiten zu geben, sich weiter zu entwickeln und selbst zu merken, dass er nach vorne kommt. Wenn jeder Spieler volles Engagement zeigt und sich dann in die Mannschaft als „Geber“ einbringt, dann bin ich überzeugt, dass am Ende der ein oder andere Titel dabei herausspringen wird. Die Mannschaft spielt inzwischen einen viel schnelleren und attraktiveren Fußball, und wir Trainer merken, dass noch mehr in ihr steckt. Auf jeden Fall macht uns die Vorbereitung große Hoffnung. Wenn wir vom ersten Spiel an Konstanz in unseren Leistungen bekommen, dann werden wir Deutscher Meister und in der Champions League weit kommen.

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Jürgen Klinsmann hatte deutlich mehr Zeit für das Interview, als ursprünglich geplant. Auf dem Weg zum Testspiel gegen Eintracht Bamberg steckte der Mannschaftsbus des FC Bayern München - diesmal nicht mit Franck Ribery am Steuer - im Stau fest.

Die Wartezeit nutzte der 44 Jahre alte Coach des deutschen Rekordmeisters, um mit DFB-Redakteur Stephan Brause im "DFB.de-Gespräch der Woche" über seine Ziele in der mit dem DFB-Pokalspiel am Dienstag (ab 20.30 Uhr, live im ZDF und bei Premiere) beim VfB Stuttgart beginnenden zweiten Saisonhälfte, die geänderten Anforderungen an Fußballtrainer und natürlich auch den im Sommer anstehenden Wechsel von Nationalspieler Lukas Podolski zum 1. FC Köln zu reden.

Frage: Herr Klinsmann, morgen endet für den FC Bayern München offiziell die Winterpause, der Tanz auf drei Hochzeiten geht weiter. Gut erholt dafür?

Jürgen Klinsmann: Auf jeden Fall. Ich habe mit der Familie zwei Wochen Urlaub in Kalifornien gemacht, das hat richtig gut getan. Ich habe ein wenig abschalten können, der Akku ist wieder voll geladen. Das erste Halbjahr als Vereinstrainer ist schon ziemlich anstrengend gewesen ist, weil ich viele neue Erfahrungen sammeln und zahlreiche Dinge auf die Schiene bringen musste. Das war alles sehr intensiv. Das Leben als Coach eines Klubs ist eben doch ganz anders als das eines Nationaltrainers. Aber auch nach einem halben Jahr kann ich sagen, dass die Entscheidung für den FC Bayern absolut die richtige gewesen ist. Meine Familie fühlt sich in München sehr wohl hier, und meine Aufgabe als Trainer übt weiterhin täglich eine große Faszination auf mich aus.

Frage: Und auch sportlich ist der FC Bayern gut vorbereitet?

Klinsmann: Ich denke schon, auch wenn die Winterpause sportlich gesehen nicht zum allerbesten Zeitpunkt gekommen ist. Wir hatten im November und Dezember einen richtig guten Lauf, da würde man am liebsten immer weiterspielen. Aber ich denke, dass wir die Unterbrechung bestens genutzt haben und optimal präpariert in die Rückrunde starten werden. Der Verlauf der Vorbereitung lässt uns auf jeden Fall bester Hoffnung sein.

Frage: Aber das Auftaktprogramm mit dem DFB-Pokalachtelfinale in Stuttgart und nur drei Tage später zum Bundesliga-Rückrundenstart in Hamburg hat es in sich.

Klinsmann: Natürlich könnte es einfacher sein, aber andererseits sind diese Spiele gleich eine gute Messlatte. Wir wissen sofort, wo wir leistungsmäßig stehen. Die Partie in Stuttgart wird sicher ein echter Pokalfight, in dem die Chancen 50:50 stehen. Gleiches gilt für das Spiel in Hamburg. Aber ich bin überzeugt davon, dass wir, wenn wir in Bestbesetzung antreten können, sehr erfolgreich in die Rückrunde starten werden.

Frage: Der Start in die Hinrunde war etwas stockend. Haben Sie Bedenken, dass das auch in der Rückrunde der Fall sein könnte?

Klinsmann: Nein, eigentlich nicht. Dass es zu Saisonbeginn nicht richtig rund lief, war in unseren Planungen von vornherein einkalkuliert. Wir hatten viele Verletzungsprobleme – und einige Spieler noch mit den Nachwehen der EM zu kämpfen. Das alles mussten wir erst mal kompensieren. Außerdem haben wir ein ganz neues Trainer- und Betreuerteam zusammengebaut, mussten uns und die Spieler erst richtig kennenlernen und eine gute Chemie bekommen. Das hat drei Monate gedauert, mittlerweile aber greift ein Rädchen in das andere. Und auch unsere Maßnahme, vor allem an der körperlichen Fitness der Spieler zu arbeiten, zeigt inzwischen den gewünschten Erfolg.

Frage: Also keine Angst vor einem erneuten "Fehlstart"?

Klinsmann: Nein, auch wenn ich weiß, dass hier gleich wieder Pfeffer unter dem Dach ist, wenn wir zu Beginn ein oder sogar zwei Spiele verlieren. Im Verlauf der Rückrunde könnte das aber durchaus mal passieren, denn die anderen können ja auch Fußball spielen. Es wäre vermessen zu sagen: "Wir gewinnen in der Rückrunde jedes Spiel in jedem Wettbewerb." Aber ich bin überzeugt, dass wir gleich zu Beginn im DFB-Pokal und der Bundesliga ein paar wichtige Akzente setzen werden, weil wir ein ganz anderes Leistungsniveau haben als noch im August oder September. Jetzt ist richtig Leben drin in der ganzen Sache.

Frage: Das klingt sehr selbstbewusst...

Klinsmann: Warum auch nicht? Wir sind vom Weg, den wir gehen, absolut überzeugt. Wir haben einen internationalen Trainerstab, und jeder einzelne ist mit Spaß, Freude und Stolz, aber auch viel Akribie bei der Arbeit.

Frage: Und Ihre Rolle ist die eines Supervisors, bei dem alle Fäden zusammen laufen, der alles ganz genau beobachtet und die Richtung vorgibt?

Klinsmann: So in etwa könnte man das ausdrücken. Auf jeden Fall habe ich in meinem ersten halben Jahr hier in München deutlich gemerkt, dass die Anforderungen an einen Trainer ganz andere sind als beispielsweise noch vor 15 Jahren.

Frage: Was genau meinen Sie?

Klinsmann: Bei einem Klub wie dem FC Bayern München, der zu den Top 15 in Europa gehört und über einen internationalen Betreuerstab aus den unterschiedlichsten Kulturkreisen verfügt, sind neben den "normalen" Trainertätigkeiten vor allem Management und Personalführung gefragt. Als Cheftrainer bin ich verpflichtet, zum Wohle der Mannschaft eine gute Chemie im Betreuerstab herbeizuführen und aus jedem das Optimale herauszuholen. Es ist absolut faszinierend zu sehen, wie das alles zusammenwächst und dadurch jeden einzelnen Spieler und das Team als Ganzes verbessert.

Frage: Aber Sie weisen immer wieder darauf hin, dass es noch reichlich Entwicklungspotenzial gibt. In welchen Bereichen zum Beispiel?

Klinsmann: Ich denke, dass sich der Fußball vor allem im mentalen, sportpsychologischen Bereich weiterhin in der Findungsphase befindet. Diese Themen müssten noch mehr eingebunden werden, da hinken wir anderen Sportarten und anderen Ländern hinterher. Außerdem ist es bislang nicht richtig gelungen, eine praktische Verbindung zwischen Sportwissenschaft und der Praxis im Fußball herzustellen. Es gibt zahlreiche wissenschaftliche Erkenntnisse, die für die Fußballtrainer und ihre Arbeit wichtig wären und sie in ihrer Entwicklung weiterbringen würden. Aber Wissenschaftler reden oftmals eben in Fachsprachen, die für „Otto-Normal-Verbraucher“ schwer verständlich ist. Es muss gelingen, diese teilweise überaus interessanten Erkenntnisse praxisnah darzustellen und den Fußballtrainern in einer verständlichen Sprache zu vermitteln. Wenn das nicht gelingt, werden sich Innovationen an der Basis stets schwer umsetzen lassen. Gelingt dies aber, können alle Fußballtrainer ihre Spieler noch individueller ausbilden und als Persönlichkeiten formen. In der Vorbereitung von Fußballprofis auf ihr besonderes Umfeld und die damit verbundenen Anforderungen steckt noch ein sehr großes Entwicklungspotenzial.

Frage: Individuelle Ausbildung und die Stärkung jedes einzelnen Spielers war schon immer Ihr Credo als Fußballlehrer. Das klingt so, als passten Sie perfekt in die heutige Zeit. Wäre das "System Klinsmann" auch schon vor 15 Jahren denkbar gewesen?

Klinsmann: Das kann ich schwer sagen. Der Druck auf die Trainer war schon immer sehr hoch, allerdings sind die Anforderungen, wie erwähnt, vielfältiger geworden. Nehmen wir als Beispiel nur die Medienwelt, die im vergangenen Jahrzehnt regelrecht explodiert ist und in der sich somit der Konkurrenzkampf doch deutlich verstärkt hat. Jeder Journalist ist verständlicherweise auf der Suche nach der Geschichte. Das bedeutet für mich als Trainer im Umkehrschluss, dass ich mir auch Gedanken darüber machen muss, wie ich einem 18 Jahre alten Nachwuchsspieler erkläre, dass es in einem Interview mit ihm nicht unbedingt um seine Person und die Inhalte, sondern um eine Geschichte geht, die sich gut verkaufen lässt. Das alles sind ganz andere, aber spannende Anforderungen an uns Trainer. Als solche müssen wir heutzutage sehr flexibel sein und uns immer wieder verändern können. Deshalb muss ich zugeben, dass ich mich in der heutigen Zeit sehr wohl fühle. Der Profifußball mit all seinen Entwicklungen passt sehr gut zu mir als Trainer – vermutlich besser als der von vor 15 Jahren.

Frage: Auch der DFB passt seine Fußball-Lehrer-Ausbildung diesen neuen Anforderungen an.

Klinsmann: Das ist auch gut so, denn ein geändertes Anforderungsprofil bedingt eine geänderte Ausbildung. Diese sollte sich meiner Meinung nach – neben den fest verankerten sowie natürlich sehr wichtigen taktischen und technischen Schulungen – noch mehr am Alltag der Trainer orientieren. Onlinekurse, Medientraining, IT-Training oder „Leadership-Seminare“ sind in anderen Sportarten längst Gang und Gäbe.

Frage: Anderes Thema: Die Winterpause des FC Bayern wurde vor allem vom Thema Lukas Podolski bestimmt. Hat das für Unruhe im Team gesorgt, oder war es vielleicht sogar ein Vorteil, weil sich der Rest der Mannschaft dadurch nahezu unbehelligt auf die Rückrunde vorbereiten konnte?

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Klinsmann: Weder noch, uns bringt so etwas als Einheit nicht aus der Ruhe. Für Lukas, der zudem auch noch Verletzungsprobleme hatte, war die ganze Situation allerdings alles andere als optimal. Auch in der Vorbereitung muss sich ein Spieler voll auf seinen Arbeitgeber konzentrieren können. Wenn das nicht der Fall ist, fehlen ein paar Prozent. Deshalb habe ich immer gehofft, dass schnell eine Lösung gefunden wird, damit sich der Spieler wieder vollständig auf den FC Bayern konzentrieren kann.

Frage: Die Lösung ist nun gefunden, Lukas Podolski kehrt nach der Saison zum 1.FC Köln zurück. Sehen Sie das als einen Rückschritt in seiner Entwicklung – oder ist es die richtige Entscheidung?

Klinsmann: Das wird sich zeigen. Klar ist, dass Lukas der Situation, hier beim FC Bayern München zunächst Stürmer Nummer drei zu sein, nicht gewachsen war und den beiden "Platzhirschen" Miroslav Klose und Luca Toni keinen echten Druck machen konnte. Deshalb musste er für sich persönlich eine Entscheidung treffen, wie er in Zukunft wieder zu hundertprozentiger Leistungsfähigkeit findet. Wenn er diese Grundlage beim 1. FC Köln sieht, ist die Entscheidung, die er getroffen hat, für ihn persönlich die richtige. Allerdings wird er in Köln vorerst nicht die Möglichkeit haben, sich in der Champions League mit den besten Spielern Europas zu messen.

Frage: Sind Sie ein wenig enttäuscht, dass Lukas Podolski es nicht geschafft hat, sich beim FC Bayern durchzusetzen?

Klinsmann: Natürlich hätte ich mir gewünscht, dass er den anderen Stürmern noch mehr Druck macht und sich in jeder Trainingseinheit voll anbietet. Auf jeden Fall hoffe ich, dass er in der neuen Saison in Köln wieder zu dem Niveau zurückfindet, dass wir von ihm nicht zuletzt aus der Nationalmannschaft kennen.

Frage: Aber zuvor steht ja noch die Rückrunde an. Was erwarten Sie von Lukas Podolski?

Klinsmann: Natürlich, dass er sich bis zum letzten Spiel voll reinhängt, das Beste für den FC Bayern gibt. Daran habe ich eigentlich keine Zweifel, auch wenn die Situation für einen Spieler wie ihn, der nicht gesetzt ist und zudem weiß, dass er in einem halben Jahr woanders ist, alles andere als einfach ist. Gerade wenn es richtig hart wird, er beispielsweise beim Stande von 0:2 eingewechselt wird, um der Mannschaft einen neuen Impuls zu geben und das Spiel vielleicht noch zu drehen, werden wir sehen, wie groß der innere Hunger von Lukas noch ist, alles für den FC Bayern zu geben.

Frage: Eine weitere Personalie, die in der Winterpause diskutiert wurde, war eine Ausleihe von U 21-Nationalspieler Toni Kroos, der in der Hinrunde eher spärlich zum Einsatz kam. Ein Leihgeschäft ist nicht zuletzt an Ihrem Veto gescheitert. Warum?

Klinsmann: Weil wir absolut der Meinung sind, dass Toni in der Hinrunde einen großen Entwicklungssprung gemacht hat und uns sicherlich weiterhelfen kann. Er profitiert beim FC Bayern vom unglaublichen Wettkampf in jeder Trainingseinheit. Natürlich hätte ich ihm in der Vorrunde gerne mehr Spielanteile gegeben, aber nach den negativen Ergebnissen zu Saisonbeginn war es zunächst einmal wichtig, das Boot in die richtige Richtung zu steuern und die Mannschaft zu stabilisieren. Und zu diesem Zweck habe ich auf gestandene Spieler zurückgegriffen. In der zweiten Hälfte der Hinrunde lief es dann so gut, dass ich keinen Grund hatte, etwas im Team umzubauen. Aber wenn Toni in den kommenden Wochen mehr Spielanteile bekommt, wovon ich eigentlich ausgehe, wird er noch einen Schritt selbstbewusster und robuster werden und eine echte Alternative sein. Wir warten jetzt erst mal ab, wie die Rückrunde verläuft, und werden dann mit Toni ganz genau erörtern, was für die kommende Saison das Beste für ihn und seine weitere Entwicklung ist.

Frage: Zum Thema Nationalmannschaft: Für die DFB-Auswahl steht in diesem Jahr die Qualifikation zur WM auf dem Programm. Wie schätzen Sie das Team derzeit ein, und was erwarten Sie in den kommenden Monaten?

Klinsmann: Ich sehe die derzeitige Entwicklung bei der Nationalmannschaft positiv. Jogi Löw macht eine sehr gute Arbeit, hat in den vergangenen Monaten zahlreiche Talente integrieren können – und das Team steht in der Qualifikation zur Weltmeisterschaft gut da. Die Nationalmannschaft ist nach wie vor das Aushängeschild des deutschen Fußballs, und es ist immer wieder spannend zu sehen, wie zwischen zwei großen Turnieren eine Neudefinierung stattfindet. Junge Spieler drängen nach, die erfahrenen wollen ihren Platz verteidigen, da sind gelegentliche Reibereien, wie zuletzt mit Torsten Frings oder Michael Ballack, eigentlich ganz normal und sollten nicht überbewertet werden. Diese Entwicklung wird das Team bis zur Weltmeisterschaft begleiten, und ich bin – ehrlich gesagt – gespannt, wie viele Spieler aus dem EM-Finale beim ersten Spiel in Südafrika noch in der Anfangsformation stehen werden.

Frage: Zum Abschluss eine persönliche Frage: Wann würde Jürgen Klinsmann selbst seine erste Saison als Trainer des FC Bayern München als erfolgreich bezeichnen?

Klinsmann: Mein Leitsatz ist jedem Spieler die Möglichkeiten zu geben, sich weiter zu entwickeln und selbst zu merken, dass er nach vorne kommt. Wenn jeder Spieler volles Engagement zeigt und sich dann in die Mannschaft als „Geber“ einbringt, dann bin ich überzeugt, dass am Ende der ein oder andere Titel dabei herausspringen wird. Die Mannschaft spielt inzwischen einen viel schnelleren und attraktiveren Fußball, und wir Trainer merken, dass noch mehr in ihr steckt. Auf jeden Fall macht uns die Vorbereitung große Hoffnung. Wenn wir vom ersten Spiel an Konstanz in unseren Leistungen bekommen, dann werden wir Deutscher Meister und in der Champions League weit kommen.