Kleff übers Titeldebüt: "Wir waren schon bei der Meisterfeier"

DFB.de: Das war damals aber genauso verboten wie heute. Was hat der Schiedsrichter getan?

Kleff: Nichts weiter. Vermutlich hat er es nicht gesehen und auch nicht erfahren. Ich sage ja, es war eine andere Zeit.

DFB.de: Weisweilers Wutanfall hat gefruchtet, Gladbach hat das 4:3 über die Zeit gerettet. Wie fühlte sich die erste Meisterschaft Ihres Lebens an?

Kleff: Die Freude war eine andere als vorher. Nun war es Erleichterung, dass wir noch gewonnen hatten. In der Kabine war ich fix und foxi, nicht körperlich, sondern nervlich. Auch auf der Feier konnte man gar nicht so viel Bier trinken, weil wir so ausgelaugt waren.

DFB.de: Stimmt es, dass jeder Spieler die Meisterschale für einen Tag nach Hause mitnehmen durfte?

Kleff: Also bei mir war sie nie. Wohl deshalb, weil sie irgendeiner fallengelassen hat. Da war ein Edelstein rausgesprungen, und das gute Stück musste gleich zur Reparatur.

DFB.de: Meister waren Sie trotzdem. Das Geheimnis soll in der neuen Abwehrstärke gelegen haben. Richtig?

Kleff: Ja, vorher haben wir manchmal fünf Tore geschossen und trotzdem verloren. Dann hat Hennes Weisweiler 1969 Luggi Müller von Absteiger Nürnberg und Klaus-Dieter Sieloff aus Stuttgart geholt.



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34 Spieltage, 34 besondere Begegnungen, 34 Zeitzeugen. Auf DFB.de erinnern sich prägende Figuren der Bundesligageschichte an ganz spezielle Duelle, passend zum jeweils aktuellen Spieltag der Saison 2013/2014.

Am Sonntag (ab 15.30 Uhr, live bei Sky) hat Borussia Mönchengladbach den Abstiegskandidaten HSV zu Gast. Vor dieser Partie des 28. Spieltages erinnert sich der ehemalige Fohlen-Torwart Wolfgang Kleff an den 30. April 1970. Im exklusiven DFB.de-Interview mit Historiker Udo Muras spricht der heute 67 Jahre alte Kleff über das 4:3 gegen die Hamburger, durch das die Borussia zum ersten Mal Deutscher Meister wurden.

DFB.de: Sagen Sie mal, Herr Kleff, vor dem Spiel gegen den HSV hatte Borussia dreimal in Folge 0:1 verloren. Hatten Sie damals etwa die Meister-Flatter?

Wolfgang Kleff: Natürlich wurden wir zunehmend angespannter, wir wollten ja unbedingt Meister werden. Vor allem unser Trainer Hennes Weisweiler. Aber es waren auch besondere Umstände im April 1970.

DFB.de: Und welche?

Kleff: Der Winter war fürchterlich, die Plätze noch in einem schlimmen Zustand - aber es musste dauernd gespielt werden. Weil die WM in Mexiko anstand, wurden die Nachholspiele gnadenlos durchgezogen, und da mussten wir zum Beispiel in Essen auf einem Platz ran, der war der reinste Sumpf. Wenn da Kühe drauf gewesen wären, die wären versunken. Fußball war völlig unmöglich, und als spielerisch bessere Elf sieht man da schlecht aus.

DFB.de: Weshalb Sie bei RWE 0:1 verloren und den ersten Matchball vergeben hatten.

Kleff: Ja, ich weiß noch, dass ich mit Willi "Ente" Lippens rumgealbert habe und wir uns im Flachs auf ein 0:0 geeinigt hatten. Dann macht der sein erstes Kopfballtor im Leben, weil er ausrutscht. Immerhin hat er sich bei mir entschuldigt: "Wolfgang, das war keine Absicht." Es war eine andere Zeit, alles etwas lockerer.

DFB.de: Wegen der Terminnot fand der komplette 33. Spieltag dann an einem Donnerstag statt. War auch in der Vorbereitung noch irgendwas anders?

Kleff: Eigentlich nicht. Weisweiler hat uns ausschlafen lassen, wer frühstücken wollte, konnte das tun. Manchmal gab es Kalbssteak ohne Pommes. Dann mussten wir Spazierengehen, und Weisweiler hat die Spieler einzeln zu sich gerufen und vorbereitet. Mich aber nicht, er wusste wohl, dass ich die Bälle halten werde. Generell war die Anspannung hoch, auf einmal zweifelten wir an uns selbst - und auch der Trainer war nervöser als sonst.

DFB.de: Es folgte ein verrücktes Spiel, das seine Nervosität sicher vergrößerte.

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Kleff: Oh ja. Bei uns lief erst alles prima. Wir führten zur Halbzeit schon 3:0, gleich nach Wiederanpfiff fiel das 4:0. Das ganze Stadion sang, und wir sangen mit - also innerlich. Was sollte schon noch passieren? Wir waren schon bei der Meisterfeier.

DFB.de: Dann fing der HSV plötzlich an, Tore zu schießen.

Kleff: Beim 4:1 hieß es noch: "Na ja..." Und auch nach dem 4:2 von Charly Dörfel dachten wir, dass wir das schon hinkriegen. Als aber fünf Minuten vor Schluss das 4:3 fiel, wurde es ziemlich still im Stadion.

DFB.de: Hennes Weisweiler war bestimmt nicht still. Stimmt die Legende, dass er plötzlich auf dem Platz stand? Es gibt davon keine Bilder.

Kleff: Doch, so war es, er wollte uns aufrütteln. Er war mindestens fünf, sechs Meter ins Feld gelaufen und stampfte mit den Füßen auf den Boden wie ein Kind, das seinen Willen nicht bekommt. Man wollte ihm ja sozusagen den Titel wegnehmen. Wenn da ein HSV-Stürmer vorbeigekommen wäre, hätte er den wohl umgehauen. Wir haben in dem Moment mit zwölf Mann gespielt.

DFB.de: Das war damals aber genauso verboten wie heute. Was hat der Schiedsrichter getan?

Kleff: Nichts weiter. Vermutlich hat er es nicht gesehen und auch nicht erfahren. Ich sage ja, es war eine andere Zeit.

DFB.de: Weisweilers Wutanfall hat gefruchtet, Gladbach hat das 4:3 über die Zeit gerettet. Wie fühlte sich die erste Meisterschaft Ihres Lebens an?

Kleff: Die Freude war eine andere als vorher. Nun war es Erleichterung, dass wir noch gewonnen hatten. In der Kabine war ich fix und foxi, nicht körperlich, sondern nervlich. Auch auf der Feier konnte man gar nicht so viel Bier trinken, weil wir so ausgelaugt waren.

DFB.de: Stimmt es, dass jeder Spieler die Meisterschale für einen Tag nach Hause mitnehmen durfte?

Kleff: Also bei mir war sie nie. Wohl deshalb, weil sie irgendeiner fallengelassen hat. Da war ein Edelstein rausgesprungen, und das gute Stück musste gleich zur Reparatur.

DFB.de: Meister waren Sie trotzdem. Das Geheimnis soll in der neuen Abwehrstärke gelegen haben. Richtig?

Kleff: Ja, vorher haben wir manchmal fünf Tore geschossen und trotzdem verloren. Dann hat Hennes Weisweiler 1969 Luggi Müller von Absteiger Nürnberg und Klaus-Dieter Sieloff aus Stuttgart geholt.

DFB.de: Die berüchtigte "Mörder GmbH", wie Günter Netzer so gern sagt…

Kleff: Mit den beiden in der Innenverteidigung kassierten wir die wenigsten Tore der Saison und standen endlich sicher. Nur zum Schluss der Saison war das noch mal die alte Borussia.

DFB.de: So ein 4:3 wird es an diesem Wochenende beim Duell der Borussia gegen den HSV wohl nicht mehr geben, so wie die Spieler heute taktisch geschult sind. Was erwarten Sie?

Kleff: Ich erwarte, dass Borussia das Spiel gewinnen will, so wie wir früher das immer angestrebt haben. Aber ich bin kein Prophet. Ich muss ein Spiel zehn Minuten sehen, dann erkenne ich Tendenzen.