Kircher, Meyer, Weiner: "Eine exzellente Zeit"

Kircher: Es ist intensiver geworden, und der zeitliche Anspruch an die Unparteiischen hat zugenommen. Als wir in die Bundesliga kamen, konnten wir die Schiedsrichterei noch "berufsbegleitend" ausüben. Für die Jungs heute ist das eine ganz andere Hausnummer, die müssen sich auch beruflich ganz anders aufstellen. Die Fußball-Welt hat sich verändert – da sind die Schiedsrichter gezwungen, sich ebenfalls weiterzuentwickeln.

Weiner: Regel-Änderungen zum Rückpass und zum Torwart-Spiel, aber auch die Einführung von Balljungen haben das Spiel faktisch schneller gemacht – und darauf haben wir gut reagiert. Nicht nur durch die Trainingsanpassung, sondern auch die Nachbereitung der Spiele inklusive des Videoportals. Auch technisch sind wir weitergekommen: Als ich 1993 in die Bundesliga kam, gab es für den Assistenten zum Beispiel noch gar keine Funkfahnen. Heute sind die Torlinien-Technik und auch das Headset dazugekommen, durch das schon viele knifflige Situationen richtig gelöst wurden. Der nächste Schritt ist möglicherweise der Videobeweis, gegen den wir Schiedsrichter uns nicht stellen. Er wird dem Fußball möglicherweise bei klar definierten Rahmenbedingungen helfen.

Meyer: Wie in vielen anderen Lebensbereichen verändern sich auch im Fußball die Abläufe in immer kürzer werdenden Abständen. Was heute gut war, kann morgen schon überholt sein. Sinnbildlich dafür stehen die technischen Neuerungen, der permanente Wechsel von Spieltaktiken und das hohe Spieltempo. Veränderungen, die im Schiedsrichter-Bereich zu vielen folgerichtigen Weiterentwicklungen geführt haben und auch weiter permanente Anpassungs-Prozesse erfordern. Im sportlichen Bereich lässt sich dies am Wandel der Leistungsprüfungen ablesen: vom Cooper- über den Helsen- zum Jojo-Test. Wie im Spiel wechseln intensive Belastungen mit immer kürzer werdenden Regenerations-Phasen. Es bleibt dabei keine Zeit mehr zum Durchatmen. Zu den sportlichen kommen die psychischen Anforderungen: Nach einem Spiel bin ich weniger wegen der elf oder zwölf vielfach im Laufe der Jahre manche in hohem Tempo gelaufenen Kilometer erschöpft. Wesentlich mehr Energie kostet mich während der 90 Minuten die enorme mentale Belastung, schnell und möglichst fehlerfrei zu entscheiden sowie dabei sich entwickelnde Konflikte zu erkennen und ihnen entgegenzuwirken.

DFB.de: Welche Rolle spielt in diesem Zusammenhang auch die zunehmende öffentliche Kritik an Schiedsrichter-Entscheidungen?

Weiner: Wir dürfen uns nicht zermürben lassen, wenn es negative Stimmen oder kritische Bewertungen gibt. Dass Entscheidungen bis ins Detail analysiert werden, gehört inzwischen zum Alltag des Schiedsrichters. Da muss man auch einmal tief durchatmen und darf nicht alles auf die Goldwaage legen, was von außen kommt. Diese öffentliche Kritik gehört zum Geschäft – das und den Umgang damit lernt man zugegebenermaßen aber erst mit den Jahren. Für viele junge Schiedsrichter sind Sie Vorbilder.

DFB.de: Wie stolz macht Sie das?

Kircher: Im Schaufenster der Bundesliga schauen natürlich besonders viele Augen auf einen. Das macht einen selbst ein Stück weit stolz, aber darauf kommt es nicht an. Denn wir dienen nicht uns selbst, sondern der Sache, dass wir als "Mannschaft der Schiedsrichter" am Ende gut aussehen. Jeder von uns hat seine persönliche Art, auf die er seinen Job gut macht. Unser Ziel ist dabei nicht, die größtmögliche Beliebtheit zu erlangen, sondern Akzeptanz und Respekt. Im Grunde sticht jeder, der sich heutzutage für die Schiedsrichterei entscheidet, bereits aus der breiten Masse heraus und wird dadurch zum Vorbild.

Weiner: Wir haben die Basis der Schiedsrichterei nie verlassen. Ich war zehn Jahre lang Schiedsrichter-Lehrwart in meinem Heimatkreis Holzminden und bin seit Juli vergangenen Jahres Vorsitzender des Schiedsrichter-Ausschusses im Norddeutschen Fußball-Verband (NFV). Gespräche und der Umgang mit uns sind ganz normal, weil wir das, was wir erlebt haben, einfach gerne weitergeben. Deshalb werden wir auch künftig der Schiedsrichterei erhalten bleiben.



In Knut Kircher, Florian Meyer und Michael Weiner verlassen nicht nur drei besonders erfahrene Schiedsrichter die Fußball-Bühne. Es sind zugleich Unparteiische, die ein besonders hohes Ansehen genießen, für ihren Umgang mit den Spielern geschätzt werden und jungen Schiedsrichtern als Vorbilder oder gar Idole gelten. Im DFB.de-Interview mit Mitarbeiter David Bittner blicken die drei Referees auf ihre Karrieren zurück.

DFB.de: Was werden Sie künftig am meisten vermissen?

Florian Meyer: Alles hat seine Zeit. Es war für mich eine Zeit mit vielen wertvollen Erfahrungen und prägenden Erlebnissen. So werde ich nichts vermissen, vielmehr daran anknüpfen: Von Anfang an und auf allen Ebenen habe ich insbesondere den gemeinsamen Erkenntnis-Austausch auf den Lehrgängen und Stützpunkten geschätzt. Dabei sind über die Jahrzehnte Freundschaften gewachsen. Schwierige Situationen konnten wir gemeinsam meistern und schöne Erlebnisse zusammen genießen.

Michael Weiner: Deshalb bin ich auch davon überzeugt, dass mir nichts fehlen wird, auch wenn ich keinen einzigen Tag in der Schiedsrichterei bereut habe. Das war eine exzellente Zeit, in der ich tolle Freunde gewonnen und wichtige Erfahrungen gemacht habe. Aber ich weiß genau, dass ich mein Leben nun neu justieren werde und die neu gewonnenen Freiheiten anders einzusetzen weiß – insbesondere mit Blick auf die Familie.

DFB.de: Ihre Schiedsrichter-Karriere hat Sie alle drei bis in den internationalen Fußball geführt. Würden Sie rückblickend sagen, Sie haben Ihre sportlichen Ziele erreicht?

Meyer: Meine Philosophie war von Beginn an, immer die kommende Aufgabe gut zu bewältigen, mir also Ziele in kleinen Schritten zu setzen und mich mit einer möglichst guten Leistung für die nächste Aufgabe zu empfehlen. Eine Herangehensweise, die ich auch für andere Lebensbereiche als sinnvoll erachte. Jungen Schiedsrichtern rate ich, unabhängig von irgendwelchen Zielen, die Spiele in erster Linie mit Freude anzugehen und mit der Bereitschaft, sich permanent weiterzuentwickeln. Unabhängig von der Einstufung in eine bestimmte Spielklasse bildet die Tätigkeit als Schiedsrichter wertvolle Fähigkeiten aus: zum Beispiel schnelle Entscheidungen zu treffen, sich selbstkritisch zu hinterfragen, gelassen zu agieren und Konflikte zu lösen. Alle diese Erfahrungen sind im privaten und beruflichen Alltag ungemein nützlich.

Knut Kircher: Ein junger Schiedsrichter sollte nach dem Neulingskurs nicht mit der Ambition starten, in die Bundesliga zu kommen, das wäre völlig vermessen. Vielmehr geht es darum, sich ständig zu verbessern und Spaß zu haben. Dieser Spaß hat uns förmlich getrieben bis ins internationale Fußball-Geschäft. Statt Zielen hinterherzujagen, hatten wir Freude daran, dabei zu sein, und haben persönlich unser Bestes gegeben. Das sollte ein jeder Schiedsrichter über sich sagen können, egal in welcher Liga er pfeift.

Weiner: Wir sind immer realistisch geblieben und haben die eine oder andere menschliche Note eingebracht. So haben wir international schon vor Erreichen der Altersgrenze Platz gemacht für jüngere Kollegen. Wir haben uns also nie an etwas festgeklammert.

DFB.de: An welche Momente und Spiele Ihrer Karriere erinnern Sie sich besonders gerne zurück?

Weiner: Nach so vielen Hundert Spielen lässt sich diese Frage nicht konkret beantworten. Es gab so viele schöne Dinge, aber auch dramatische Momente mit vielen Emotionen. Zusammengenommen war es einfach eine beeindruckende Zeit.

Meyer: Das geht mir ganz genauso. Es gab viele wunderbare Begebenheiten und besondere Eindrücke. Ein Ereignis möchte ich deshalb auch gar nicht hervorheben. Spiele in anderen Ländern leiten zu können und dadurch Einblicke in unterschiedliche Kulturen und Lebensweisen zu erhalten, war für mich außergewöhnlich bereichernd.

DFB.de: Weil es manchmal schwierig ist, sich selbst zu bewerten, erklären Sie uns doch bitte einmal, was Ihren jeweiligen Sitznachbarn als Schiedsrichter ausgezeichnet hat.

Kircher: Also, der Florian, da legen wir am besten einmal eine neue Kassette ein ... (lacht). Ich habe ihn als sehr aufgeschlossenen Menschen kennengelernt. Obwohl man unter den Schiedsrichtern ja auch im Wettkampf untereinander steht, war er immer sehr kameradschaftlich und bemüht um das Gemeinwohl, also um die "Schiedsrichter-Familie". Auf und neben dem Feld hat er stets vermittelt. Das ist ein hohes Gut, das die anderen Schiedsrichter zu schätzen wissen.

Meyer: An Michael schätze ich seine Loyalität, seine ausgesprochene Mitmenschlichkeit in allen Bereichen und seine Geradlinigkeit, von der ich mir persönlich im Laufe der Jahre manche Facette abgeschaut und zu eigen gemacht habe. Besonders imponierend fand ich außerdem, dass er nach seiner schweren Verletzung nicht aufhörte, sondern willensstark, hartnäckig und mit großem Durchhaltevermögen an seinem Comeback gearbeitet hat. Michael tritt auf dem Platz sehr klar und konsequent auf, wenn es notwendig ist, aber – sofern möglich – ebenso moderat und ausgleichend.

Weiner: An Knut beeindrucken mich seine Persönlichkeit und seine hohe Akzeptanz auf dem Platz. Wenn ich vor dem Fernseher saß, und er im Einsatz war, habe ich oft gestaunt darüber, wie unglaublich er über den Dingen steht. Auch wenn sich viele Spieler schon an ihm abgearbeitet haben, hat am Ende immer er die Richtung vorgegeben – niemals die anderen.

DFB.de: Wie haben sich der Fußball und damit auch die Schiedsrichterei in den vergangenen Jahren verändert?

Kircher: Es ist intensiver geworden, und der zeitliche Anspruch an die Unparteiischen hat zugenommen. Als wir in die Bundesliga kamen, konnten wir die Schiedsrichterei noch "berufsbegleitend" ausüben. Für die Jungs heute ist das eine ganz andere Hausnummer, die müssen sich auch beruflich ganz anders aufstellen. Die Fußball-Welt hat sich verändert – da sind die Schiedsrichter gezwungen, sich ebenfalls weiterzuentwickeln.

Weiner: Regel-Änderungen zum Rückpass und zum Torwart-Spiel, aber auch die Einführung von Balljungen haben das Spiel faktisch schneller gemacht – und darauf haben wir gut reagiert. Nicht nur durch die Trainingsanpassung, sondern auch die Nachbereitung der Spiele inklusive des Videoportals. Auch technisch sind wir weitergekommen: Als ich 1993 in die Bundesliga kam, gab es für den Assistenten zum Beispiel noch gar keine Funkfahnen. Heute sind die Torlinien-Technik und auch das Headset dazugekommen, durch das schon viele knifflige Situationen richtig gelöst wurden. Der nächste Schritt ist möglicherweise der Videobeweis, gegen den wir Schiedsrichter uns nicht stellen. Er wird dem Fußball möglicherweise bei klar definierten Rahmenbedingungen helfen.

Meyer: Wie in vielen anderen Lebensbereichen verändern sich auch im Fußball die Abläufe in immer kürzer werdenden Abständen. Was heute gut war, kann morgen schon überholt sein. Sinnbildlich dafür stehen die technischen Neuerungen, der permanente Wechsel von Spieltaktiken und das hohe Spieltempo. Veränderungen, die im Schiedsrichter-Bereich zu vielen folgerichtigen Weiterentwicklungen geführt haben und auch weiter permanente Anpassungs-Prozesse erfordern. Im sportlichen Bereich lässt sich dies am Wandel der Leistungsprüfungen ablesen: vom Cooper- über den Helsen- zum Jojo-Test. Wie im Spiel wechseln intensive Belastungen mit immer kürzer werdenden Regenerations-Phasen. Es bleibt dabei keine Zeit mehr zum Durchatmen. Zu den sportlichen kommen die psychischen Anforderungen: Nach einem Spiel bin ich weniger wegen der elf oder zwölf vielfach im Laufe der Jahre manche in hohem Tempo gelaufenen Kilometer erschöpft. Wesentlich mehr Energie kostet mich während der 90 Minuten die enorme mentale Belastung, schnell und möglichst fehlerfrei zu entscheiden sowie dabei sich entwickelnde Konflikte zu erkennen und ihnen entgegenzuwirken.

DFB.de: Welche Rolle spielt in diesem Zusammenhang auch die zunehmende öffentliche Kritik an Schiedsrichter-Entscheidungen?

Weiner: Wir dürfen uns nicht zermürben lassen, wenn es negative Stimmen oder kritische Bewertungen gibt. Dass Entscheidungen bis ins Detail analysiert werden, gehört inzwischen zum Alltag des Schiedsrichters. Da muss man auch einmal tief durchatmen und darf nicht alles auf die Goldwaage legen, was von außen kommt. Diese öffentliche Kritik gehört zum Geschäft – das und den Umgang damit lernt man zugegebenermaßen aber erst mit den Jahren. Für viele junge Schiedsrichter sind Sie Vorbilder.

DFB.de: Wie stolz macht Sie das?

Kircher: Im Schaufenster der Bundesliga schauen natürlich besonders viele Augen auf einen. Das macht einen selbst ein Stück weit stolz, aber darauf kommt es nicht an. Denn wir dienen nicht uns selbst, sondern der Sache, dass wir als "Mannschaft der Schiedsrichter" am Ende gut aussehen. Jeder von uns hat seine persönliche Art, auf die er seinen Job gut macht. Unser Ziel ist dabei nicht, die größtmögliche Beliebtheit zu erlangen, sondern Akzeptanz und Respekt. Im Grunde sticht jeder, der sich heutzutage für die Schiedsrichterei entscheidet, bereits aus der breiten Masse heraus und wird dadurch zum Vorbild.

Weiner: Wir haben die Basis der Schiedsrichterei nie verlassen. Ich war zehn Jahre lang Schiedsrichter-Lehrwart in meinem Heimatkreis Holzminden und bin seit Juli vergangenen Jahres Vorsitzender des Schiedsrichter-Ausschusses im Norddeutschen Fußball-Verband (NFV). Gespräche und der Umgang mit uns sind ganz normal, weil wir das, was wir erlebt haben, einfach gerne weitergeben. Deshalb werden wir auch künftig der Schiedsrichterei erhalten bleiben.

Meyer: Wir selbst haben von jungen Jahren an bis heute von älteren und erfahrenen Schiedsrichtern wertvolle Anregungen erhalten und davon profitiert. Ich betrachte es als Selbstverständlichkeit, diese Erkenntnisse nun an die nächste Generation der Unparteiischen weiterzugeben, auch wenn letztlich jeder seine eigenen Erfahrungen machen muss.