Kastanie trifft Kahn: Das "längste" DFB-Pokalspiel aller Zeiten

Heute vor 25 Jahren fand ein ungewöhnlich langes Sechzehntelfinale im DFB-Pokal sein Ende. Es war, wenn man so will, das längste Pokalspiel aller Zeiten. Denn Borussia Mönchengladbach und der Karlsruher SC trafen sich zwischen 11. September und 26. Oktober 1993 gleich sechsmal, zweimal auf dem Platz und viermal vor dem Sportgericht. Auslöser: eine Kastanie.

Das Drama in sechs Akten beginnt schon vor Anpfiff mit einem Ärgernis. Die Karlsruher haben angesichts ihres Europapokalspiels am folgenden Dienstag in Eindhoven eine Verlegung auf Freitag beantragt, doch aus Gladbacher Sicht viel zu spät. Borussia besteht auf Samstag, der DFB auch. 19.000 Zuschauer kommen am 11. September 1993 zum Duell der Bundesligisten auf den Bökelberg und sehen ein unvergessliches Spiel. Zur Pause führen die Gäste 2:0, obwohl sie schon zwei Verletzte auswechseln haben müssen.

Erst Unterzahl, dann Kastanienwurf

Weil der KSC nicht mehr wechseln kann, spielt er nach Jens Nowotnys Verletzung in Unterzahl weiter. Es kommt noch schlimmer. Von den Rängen des Bökelbergs fliegt in der 47. Minute eine Kastanie an den Kopf von KSC-Torwart Oliver Kahn, der danach "nicht mehr im Vollbesitz seiner Kräfte war", wie sein Präsident Roland Schmider anmerkt. Tatsächlich zieht Kahn in der 85. Minute gegen Hans-Jörg Criens übermotiviert die Notbremse und fliegt vom Platz, für den KSC eine Folge des Kopftreffers.

Da auch kein Ersatzkeeper mehr eingewechselt werden durfte, muss Feldspieler Rainer Schütterle ins Tor. Mit neun Mann rettet sich der KSC nach 90 Minuten (3:3) in die Verlängerung, in der die Borussia ihren Vorteil erst gegen Ende ausspielt und durch Tore von Karl-Heinz Pflipsen (115.) und Peter Wynhoff (119.) 5:3 gewinnt - vorerst. Am nächsten Tag legt der KSC Protest ein und dreht den Spieß gegen die Borussia um, die im November 1988 die erste Spielwiederholung eines Bundesligaspiels wegen Zuschauereinwirkung erreicht hatte. Damals hatte ein nie identifizierter Gegenstand Christian Hochstätter in Karlsruhe am Auge getroffen. Warum nun nicht auch im Pokal eine Wiederholung?

Wiederholungsspiel wird angesetzt

Mit dem Kastanienwurf beschäftigt sich das Sportgericht am Donnerstag, den 23. September. Die Borussen-Anwälte sind im Dauereinsatz, zuvor wird noch über den Protest gegen einen Platzverweis für Stürmer Heiko Herrlich in einem anderen Spiel verhandelt. "Das sind natürlich Themen, die in der Mannschaft heiß diskutiert werden", sagt Trainer Bernd Krauss. Und die Diskussionen ebben nicht ab. Sieben Stunden wird vor dem Sportgericht verhandelt, ohne Urteil. Gegen eine Niederlage am grünen Tisch wehrt sich Borussia vehement, KSC-Anwalt Christoph Schickhardt plädiert dann auf Neuansetzung. Die gibt es zunächst nur für die Verhandlung, die am Mittwoch, den 29. September, fortgesetzt wird.

An diesem Tag fällt das Urteil: Wiederholungsspiel auf neutralem Platz in Düsseldorf und 10.000 DM Strafe für Borussia wegen mangelhaften Ordnungsdienstes. Die Kastanie hätte nie ins Stadion kommen dürfen. Alles klar? Nein. Während sich der KSC über die Zusatzeinnahme und die zweite Chance im Pokal freut und sein Torwart über seine erste Einladung in die Nationalmannschaft, geben die Mönchengladbacher nicht auf. Borussen-Manager Rolf Rüssmann kündigt Protest an, schließlich habe "Kahn schön simuliert".

Protest scheitert an Formfehler

Den Protest legt Rüssmann auch ein, doch versäumt sein Verein dummerweise, die vorgeschriebene Protestgebühr (500 DM) fristgerecht zu überweisen. Deshalb wird er am 13. Oktober schon aus formalen Gründen abgelehnt. KSC-Trainer Winfried Schäfer: "Das war die Quittung für Rolf Rüssmann und sein unsportliches Verhalten. Er hat Oliver Kahn diffamiert, als er ihm unterstellte, er hätte die Verletzung nur simuliert."

Alles klar? Nein. Borussia kündigt nun an, in die letzte Instanz zu gehen und ruft das Schiedsgericht an. "Wir stehen völlig zu Unrecht als Deppen da", findet Rüssmann. Die Besprechungen mit DFB-Justiziar Götz Eilers über die weiteren Schritte hätten eben so lange gedauert, dass man die Frist habe versäumen müssen "und da kann ja was nicht stimmen".

Tatsächlich erkennt das Ständige Neutrale Schiedsgericht am 20. Oktober an, Borussias Gebühr sei doch rechtzeitig eingetroffen und der Protest hätte zugelassen werden müssen. Nun trifft man einen Vergleich, Rüssmann wird zumindest rehabilitiert. Am Urteil ändert das nichts mehr, Borussia hat schon Karten für das Wiederholungsspiel verkauft und will es nun auch selbst austragen. Keine Berufung mehr. "Mehr als eine Wiederholung wollten wir nicht erreichen", sagt KSC-Anwalt Schickhardt zufrieden.

Kastenmaier sorgt auf dem Platz für die Entscheidung

So endet der 5. Akt des Dramas, der letzte vor Gericht mit dem Ergebnis, dass es einen sechsten geben muss - auf dem Platz. Am Dienstag, den 26. Oktober, erfreut sich das Düsseldorfer Rheinstadion unerwarteter Besuchermengen. Während Hausherr Fortuna Düsseldorf nur noch Drittligist ist und vierstellige Zuschauerzahlen verbucht, stürmen 38.000 Menschen die Aufgänge zu den Tribünen. Mehr als erwartet, Tausende stehen noch weit nach Anpfiff vor den Toren.

Das Interesse für das längste Pokalspiel aller Zeiten ist enorm, so dass die Polizei die Tore öffnet und die Menschen ohne Tickets einlässt. Tore verpassen sie nicht, es fällt nur eins - und das sehr spät. Thomas Kastenmaier schießt Borussia in der 80. Minute nach Vorarbeit von Hochstätter ins Achtelfinale. Da helfen dem KSC dann alle Siege vor Gericht auch nichts mehr, aber immerhin war er bei einer historischen Paarung im DFB-Pokal dabei.

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Heute vor 25 Jahren fand ein ungewöhnlich langes Sechzehntelfinale im DFB-Pokal sein Ende. Es war, wenn man so will, das längste Pokalspiel aller Zeiten. Denn Borussia Mönchengladbach und der Karlsruher SC trafen sich zwischen 11. September und 26. Oktober 1993 gleich sechsmal, zweimal auf dem Platz und viermal vor dem Sportgericht. Auslöser: eine Kastanie.

Das Drama in sechs Akten beginnt schon vor Anpfiff mit einem Ärgernis. Die Karlsruher haben angesichts ihres Europapokalspiels am folgenden Dienstag in Eindhoven eine Verlegung auf Freitag beantragt, doch aus Gladbacher Sicht viel zu spät. Borussia besteht auf Samstag, der DFB auch. 19.000 Zuschauer kommen am 11. September 1993 zum Duell der Bundesligisten auf den Bökelberg und sehen ein unvergessliches Spiel. Zur Pause führen die Gäste 2:0, obwohl sie schon zwei Verletzte auswechseln haben müssen.

Erst Unterzahl, dann Kastanienwurf

Weil der KSC nicht mehr wechseln kann, spielt er nach Jens Nowotnys Verletzung in Unterzahl weiter. Es kommt noch schlimmer. Von den Rängen des Bökelbergs fliegt in der 47. Minute eine Kastanie an den Kopf von KSC-Torwart Oliver Kahn, der danach "nicht mehr im Vollbesitz seiner Kräfte war", wie sein Präsident Roland Schmider anmerkt. Tatsächlich zieht Kahn in der 85. Minute gegen Hans-Jörg Criens übermotiviert die Notbremse und fliegt vom Platz, für den KSC eine Folge des Kopftreffers.

Da auch kein Ersatzkeeper mehr eingewechselt werden durfte, muss Feldspieler Rainer Schütterle ins Tor. Mit neun Mann rettet sich der KSC nach 90 Minuten (3:3) in die Verlängerung, in der die Borussia ihren Vorteil erst gegen Ende ausspielt und durch Tore von Karl-Heinz Pflipsen (115.) und Peter Wynhoff (119.) 5:3 gewinnt - vorerst. Am nächsten Tag legt der KSC Protest ein und dreht den Spieß gegen die Borussia um, die im November 1988 die erste Spielwiederholung eines Bundesligaspiels wegen Zuschauereinwirkung erreicht hatte. Damals hatte ein nie identifizierter Gegenstand Christian Hochstätter in Karlsruhe am Auge getroffen. Warum nun nicht auch im Pokal eine Wiederholung?

Wiederholungsspiel wird angesetzt

Mit dem Kastanienwurf beschäftigt sich das Sportgericht am Donnerstag, den 23. September. Die Borussen-Anwälte sind im Dauereinsatz, zuvor wird noch über den Protest gegen einen Platzverweis für Stürmer Heiko Herrlich in einem anderen Spiel verhandelt. "Das sind natürlich Themen, die in der Mannschaft heiß diskutiert werden", sagt Trainer Bernd Krauss. Und die Diskussionen ebben nicht ab. Sieben Stunden wird vor dem Sportgericht verhandelt, ohne Urteil. Gegen eine Niederlage am grünen Tisch wehrt sich Borussia vehement, KSC-Anwalt Christoph Schickhardt plädiert dann auf Neuansetzung. Die gibt es zunächst nur für die Verhandlung, die am Mittwoch, den 29. September, fortgesetzt wird.

An diesem Tag fällt das Urteil: Wiederholungsspiel auf neutralem Platz in Düsseldorf und 10.000 DM Strafe für Borussia wegen mangelhaften Ordnungsdienstes. Die Kastanie hätte nie ins Stadion kommen dürfen. Alles klar? Nein. Während sich der KSC über die Zusatzeinnahme und die zweite Chance im Pokal freut und sein Torwart über seine erste Einladung in die Nationalmannschaft, geben die Mönchengladbacher nicht auf. Borussen-Manager Rolf Rüssmann kündigt Protest an, schließlich habe "Kahn schön simuliert".

Protest scheitert an Formfehler

Den Protest legt Rüssmann auch ein, doch versäumt sein Verein dummerweise, die vorgeschriebene Protestgebühr (500 DM) fristgerecht zu überweisen. Deshalb wird er am 13. Oktober schon aus formalen Gründen abgelehnt. KSC-Trainer Winfried Schäfer: "Das war die Quittung für Rolf Rüssmann und sein unsportliches Verhalten. Er hat Oliver Kahn diffamiert, als er ihm unterstellte, er hätte die Verletzung nur simuliert."

Alles klar? Nein. Borussia kündigt nun an, in die letzte Instanz zu gehen und ruft das Schiedsgericht an. "Wir stehen völlig zu Unrecht als Deppen da", findet Rüssmann. Die Besprechungen mit DFB-Justiziar Götz Eilers über die weiteren Schritte hätten eben so lange gedauert, dass man die Frist habe versäumen müssen "und da kann ja was nicht stimmen".

Tatsächlich erkennt das Ständige Neutrale Schiedsgericht am 20. Oktober an, Borussias Gebühr sei doch rechtzeitig eingetroffen und der Protest hätte zugelassen werden müssen. Nun trifft man einen Vergleich, Rüssmann wird zumindest rehabilitiert. Am Urteil ändert das nichts mehr, Borussia hat schon Karten für das Wiederholungsspiel verkauft und will es nun auch selbst austragen. Keine Berufung mehr. "Mehr als eine Wiederholung wollten wir nicht erreichen", sagt KSC-Anwalt Schickhardt zufrieden.

Kastenmaier sorgt auf dem Platz für die Entscheidung

So endet der 5. Akt des Dramas, der letzte vor Gericht mit dem Ergebnis, dass es einen sechsten geben muss - auf dem Platz. Am Dienstag, den 26. Oktober, erfreut sich das Düsseldorfer Rheinstadion unerwarteter Besuchermengen. Während Hausherr Fortuna Düsseldorf nur noch Drittligist ist und vierstellige Zuschauerzahlen verbucht, stürmen 38.000 Menschen die Aufgänge zu den Tribünen. Mehr als erwartet, Tausende stehen noch weit nach Anpfiff vor den Toren.

Das Interesse für das längste Pokalspiel aller Zeiten ist enorm, so dass die Polizei die Tore öffnet und die Menschen ohne Tickets einlässt. Tore verpassen sie nicht, es fällt nur eins - und das sehr spät. Thomas Kastenmaier schießt Borussia in der 80. Minute nach Vorarbeit von Hochstätter ins Achtelfinale. Da helfen dem KSC dann alle Siege vor Gericht auch nichts mehr, aber immerhin war er bei einer historischen Paarung im DFB-Pokal dabei.

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