Julius Hirsch Preis: Eine starke Gemeinschaft

Bereits seit 2005 verleiht der Deutsche Fußball-Bund (DFB) jährlich den Julius Hirsch Preis, und erinnert damit an den jüdischen Nationalspieler, der 1943 in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert und dort ermordet wurde. Der DFB will damit ein Zeichen setzen für die Unverletzbarkeit der Würde des Menschen, in den Stadien und in der Gesellschaft.

Im Kölner Rathaus findet unmittelbar vor dem EM-Qualifikationsspiel der Nationalmannschaft gegen Aserbaidschan am Dienstag (ab 20.45 Uhr, live in der ARD) die Preisverleihung statt. DFB.de stellt die Preisträger vor: heute Blau Weiß Sedlitz.

Der Kreisligaklub aus Brandenburg erhält am Dienstag in der „Piazetta“ des Historischen Rathauses der Stadt Köln im Beisein von DFB-Präsident Dr. Theo Zwanziger aus den Händen von ZDF-Moderatorin Dunja Hayali die Trophäe für den ersten Platz. DFB.de-Redakteur Thomas Hackbarth hat den Preisträger besucht.

Warum eigentlich Sedlitz?

Warum eigentlich Blau Weiß Sedlitz? Den Preis für das schönste Vereinsgelände würde der kleine brandenburgische Klub jedenfalls nicht gewinnen. „Geld“, sagt der Voristzende Heinz Maintok, „ist immer ein Problem“. Der Erlös der drei Werbeschilder örtlicher Handwerksbetriebe summiert sich auf stattliche 100 Euro - jährlich.

Als Maintok die Klubfahne am Mast hochzieht, quietscht es ohrenbetäubend übers Gelände. Das Vereinsheim ist eine alte Tagebaubaracke. „Kann schon sein, dass da noch einige Asbestplatten mit verbaut sind“, sagt Maintok. Gut also, dass es in der Sedlitzer Vereinskasse bald klimpern wird.

Der Charme der Kreisliga

Es ist ein Samstag im Spätsommer, vielleicht der letzte heiße Tag des Jahres. Auf 32 Grad klettert das Thermometer. Beim bloßen Stehen in der Sonne rinnt einem der Schweiß über die Stirn. Die erste Mannschaft des SV Sedlitz Blau Weiß 90 bestreitet heute Mittag ein Vorbereitungsspiel.

In einer Woche startet die Saison. Nach dem Abstieg im vergangenen Jahr will man wieder angreifen. Einerseits. Andererseits wird beim Auflaufen über Spätwirkungen der Freitagsbierchen gewitzelt. Der Charme der Kreisliga.

Ein paar ältere Sedlitzer Ehepaare („Wir sitzen hier schon seit Jahrzehnten“), am Kickertisch einige Iraker, Abdul Hamid und seine afghanischen Freunde, dazu drei afrikanische Frauen aus dem örtlichen Asylbewerberheim schauen von der Terrasse aus zu. Auf dem Grill brutzeln Bratwürste und Hähnchen, dazu wird Döner verkauft.

Das Motto: "Vielfalt tut gut"

Der zweite Blick lässt erahnen, dass der SV Sedlitz Blau Weiß vielleicht doch ein bisschen anders ist. Und daran hat Heinz Maintok großen Anteil. „Schwarze, weiße, rote und gelbe Fußballer, wir freuen uns über jede Neuanmeldung, aber Braune wollen wir hier nicht“, sagt der 58-jährige ehemalige Fliesenleger.

Das Sedlitzer Aufgebot sozialer Aktionen beeindruckt. Unter dem Motto „Vielfalt tut gut“ informiert der SV Sedlitz über kulturelle Unterschiede, veranstaltet Ferienfreizeiten für Kinder aus sozial schwachen Familien, der kleine Klub mit seinen 103 Mitgliedern ist Standortverein eines Sozialprojektes des Landessportbundes Brandenburg.

Die nächste Auszeichnung

Schon 2007 war Heinz Maintok nach Leverkusen gefahren, wo ihn Wolfgang Schäuble und Theo Zwanziger für seine Arbeit geehrt hatten. „Doktor Zwanziger sagte damals, gerade die Bundesliga sei ein Vorbild für Integration“, so Maintok, „aber er sagte auch, am meisten geschehe in den kleinen Vereinen. Da hat er Recht.“

Am nächsten Dienstag macht sich Heinz Maintok wieder auf den Weg in den Westen, im Historischen Rathaus von Köln zeichnet der DFB auch sein Engagement mit dem ersten Platz des Julius Hirsch Preises aus. 10.000 Euro gehen dann auf das Vereinskonto des SV Sedlitz.

Maintok macht´s möglich

Als Maintoks Verein sich nach der Wende aus einem Kombinat neu gründete, grübelte auch er über neue Wege. Wie könnte der SV Sedlitz sportlich vorankommen? Kurz entschlossen klingelte er irgendwann 1991 beim frisch aufgemachten Asylbewerberheim, und bald spielten „zwei ganz starke Rumänen bei uns in der Mannschaft“.

Seither hat Maintok immer wieder Bewohner des Übergangslagers zum Fußball gebracht, die besten vermittelt er weiter an höherklassige Klubs. Ganz leicht ist es nicht, für Asylbewerber einen Spielerpass zu bekommen. Maintok machte es möglich.

Sportliche Hilfe, soziale Nachhaltigkeit

Und aus dem sportlichen Motiv erwuchs soziale Nachhaltigkeit. Abdul Hamid spielt heute noch für Blau Weiß. Der 26-Jährige war vor zehn Jahren aus Kapisa bei Kabul vor den Taliban geflüchtet. Seine Schule, der Fußball und Heinz Maintok haben ihn seither vor der Abschiebung bewahrt.

„Herr Maintok hat einen Brief an die Härtefallkommission geschrieben, was mich damals vor der Abschiebung schützte. Der Fußball war immer auch Therapie für mich, denn ich habe in Afghanistan Bilder gesehen, die mich bis heute verfolgen.“ Abdul Hamid, der in Sedlitz sein Abitur machte und fast akzentfrei Deutsch spricht, darf dank Maintok Hoffnung schöpfen. Vor drei Monaten wurde das Abschiebeverfahren eingestellt.

Es gab Widerstände, auch Anfeindungen. „Drei Vereinsmitglieder wollten nicht mit Ausländern zusammen Fußball spielen, aber drei Austritte in 20 Jahren sind verkraftbar“, sagt Heinz Maintok. Ein paar Knieoperationen musste er schon überstehen, auch die Hüfte des Handwerksmeisters wurde versteift. Eingeknickt ist er nie. „Wegen unserer ausländischen Spieler werden wir bei Auswärtsspielen angepöbelt. Wir haben die Vorfälle sportgerichtlich zur Anzeige gebracht.“

Gegen Rechts stark machen

Der richtige Weg sei das, meint auch Fred Kreitlow, Vizepräsident des Fußball-Landesverbandes Brandenburg: „Mannschaften mit hohem Ausländeranteil werden gerade in den unteren Ligen häufig offen angefeindet. Das kann man nicht ignorieren.“ Auch Einzelfälle habe es schon gegeben, bei denen die rechte Szene versucht habe, einen Fußballverein zu unterwandern. Man bleibe wachsam, sagt Kreitlow, er meint aber auch, die Bedrohung von Rechts nehme insgesamt eher ab.

„Für Amateurvereine ist es nicht immer leicht, auf solche Angriffe zu reagieren“, sagt Gerd Wagner, der drei Jahre lang ein Anti-Diskriminierungs-Projekt, finanziert vom DFB und dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, betreute. Die Dunkelziffer solcher Vorfälle schätzt Wagner hoch ein: „Vereine haben Angst davor, das Problem zu benennen.“

Heinz Maintok hat seinen Verein stark gegen Rechts gemacht und sorgt damit für positive Schlagzeilen. 900 Einwohner leben in dem Dorf Sedlitz, rund 100 Asylbewerber sind in dem Übergangsheim untergebracht.

Vereinsheim als Treffpunkt der Kulturen

Auch Maintoks Leben hat sich verändert: Der ehemalige Fliesenleger leitet heute im Senftenberger Stadtparlament den Sozialausschuss. Er hat einen afghanischen Jungen vor der Abschiebung bewahrt, der sein Abitur machen konnte und sich jetzt an einer Schauspielschule bewirbt. Und Maintok hat bewirkt, dass das Sedlitzer Vereinsheim zum Treffpunkt der Kulturen wurde.

Warum also geht der Julius Hirsch Preis 2010 an ihn und all die anderen Mitglieder des Blau Weiß Sedlitz? Weil hier Zukunft entsteht.

[th]

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Bereits seit 2005 verleiht der Deutsche Fußball-Bund (DFB) jährlich den Julius Hirsch Preis, und erinnert damit an den jüdischen Nationalspieler, der 1943 in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert und dort ermordet wurde. Der DFB will damit ein Zeichen setzen für die Unverletzbarkeit der Würde des Menschen, in den Stadien und in der Gesellschaft.

Im Kölner Rathaus findet unmittelbar vor dem EM-Qualifikationsspiel der Nationalmannschaft gegen Aserbaidschan am Dienstag (ab 20.45 Uhr, live in der ARD) die Preisverleihung statt. DFB.de stellt die Preisträger vor: heute Blau Weiß Sedlitz.

Der Kreisligaklub aus Brandenburg erhält am Dienstag in der „Piazetta“ des Historischen Rathauses der Stadt Köln im Beisein von DFB-Präsident Dr. Theo Zwanziger aus den Händen von ZDF-Moderatorin Dunja Hayali die Trophäe für den ersten Platz. DFB.de-Redakteur Thomas Hackbarth hat den Preisträger besucht.

Warum eigentlich Sedlitz?

Warum eigentlich Blau Weiß Sedlitz? Den Preis für das schönste Vereinsgelände würde der kleine brandenburgische Klub jedenfalls nicht gewinnen. „Geld“, sagt der Voristzende Heinz Maintok, „ist immer ein Problem“. Der Erlös der drei Werbeschilder örtlicher Handwerksbetriebe summiert sich auf stattliche 100 Euro - jährlich.

Als Maintok die Klubfahne am Mast hochzieht, quietscht es ohrenbetäubend übers Gelände. Das Vereinsheim ist eine alte Tagebaubaracke. „Kann schon sein, dass da noch einige Asbestplatten mit verbaut sind“, sagt Maintok. Gut also, dass es in der Sedlitzer Vereinskasse bald klimpern wird.

Der Charme der Kreisliga

Es ist ein Samstag im Spätsommer, vielleicht der letzte heiße Tag des Jahres. Auf 32 Grad klettert das Thermometer. Beim bloßen Stehen in der Sonne rinnt einem der Schweiß über die Stirn. Die erste Mannschaft des SV Sedlitz Blau Weiß 90 bestreitet heute Mittag ein Vorbereitungsspiel.

In einer Woche startet die Saison. Nach dem Abstieg im vergangenen Jahr will man wieder angreifen. Einerseits. Andererseits wird beim Auflaufen über Spätwirkungen der Freitagsbierchen gewitzelt. Der Charme der Kreisliga.

Ein paar ältere Sedlitzer Ehepaare („Wir sitzen hier schon seit Jahrzehnten“), am Kickertisch einige Iraker, Abdul Hamid und seine afghanischen Freunde, dazu drei afrikanische Frauen aus dem örtlichen Asylbewerberheim schauen von der Terrasse aus zu. Auf dem Grill brutzeln Bratwürste und Hähnchen, dazu wird Döner verkauft.

Das Motto: "Vielfalt tut gut"

Der zweite Blick lässt erahnen, dass der SV Sedlitz Blau Weiß vielleicht doch ein bisschen anders ist. Und daran hat Heinz Maintok großen Anteil. „Schwarze, weiße, rote und gelbe Fußballer, wir freuen uns über jede Neuanmeldung, aber Braune wollen wir hier nicht“, sagt der 58-jährige ehemalige Fliesenleger.

Das Sedlitzer Aufgebot sozialer Aktionen beeindruckt. Unter dem Motto „Vielfalt tut gut“ informiert der SV Sedlitz über kulturelle Unterschiede, veranstaltet Ferienfreizeiten für Kinder aus sozial schwachen Familien, der kleine Klub mit seinen 103 Mitgliedern ist Standortverein eines Sozialprojektes des Landessportbundes Brandenburg.

Die nächste Auszeichnung

Schon 2007 war Heinz Maintok nach Leverkusen gefahren, wo ihn Wolfgang Schäuble und Theo Zwanziger für seine Arbeit geehrt hatten. „Doktor Zwanziger sagte damals, gerade die Bundesliga sei ein Vorbild für Integration“, so Maintok, „aber er sagte auch, am meisten geschehe in den kleinen Vereinen. Da hat er Recht.“

Am nächsten Dienstag macht sich Heinz Maintok wieder auf den Weg in den Westen, im Historischen Rathaus von Köln zeichnet der DFB auch sein Engagement mit dem ersten Platz des Julius Hirsch Preises aus. 10.000 Euro gehen dann auf das Vereinskonto des SV Sedlitz.

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Maintok macht´s möglich

Als Maintoks Verein sich nach der Wende aus einem Kombinat neu gründete, grübelte auch er über neue Wege. Wie könnte der SV Sedlitz sportlich vorankommen? Kurz entschlossen klingelte er irgendwann 1991 beim frisch aufgemachten Asylbewerberheim, und bald spielten „zwei ganz starke Rumänen bei uns in der Mannschaft“.

Seither hat Maintok immer wieder Bewohner des Übergangslagers zum Fußball gebracht, die besten vermittelt er weiter an höherklassige Klubs. Ganz leicht ist es nicht, für Asylbewerber einen Spielerpass zu bekommen. Maintok machte es möglich.

Sportliche Hilfe, soziale Nachhaltigkeit

Und aus dem sportlichen Motiv erwuchs soziale Nachhaltigkeit. Abdul Hamid spielt heute noch für Blau Weiß. Der 26-Jährige war vor zehn Jahren aus Kapisa bei Kabul vor den Taliban geflüchtet. Seine Schule, der Fußball und Heinz Maintok haben ihn seither vor der Abschiebung bewahrt.

„Herr Maintok hat einen Brief an die Härtefallkommission geschrieben, was mich damals vor der Abschiebung schützte. Der Fußball war immer auch Therapie für mich, denn ich habe in Afghanistan Bilder gesehen, die mich bis heute verfolgen.“ Abdul Hamid, der in Sedlitz sein Abitur machte und fast akzentfrei Deutsch spricht, darf dank Maintok Hoffnung schöpfen. Vor drei Monaten wurde das Abschiebeverfahren eingestellt.

Es gab Widerstände, auch Anfeindungen. „Drei Vereinsmitglieder wollten nicht mit Ausländern zusammen Fußball spielen, aber drei Austritte in 20 Jahren sind verkraftbar“, sagt Heinz Maintok. Ein paar Knieoperationen musste er schon überstehen, auch die Hüfte des Handwerksmeisters wurde versteift. Eingeknickt ist er nie. „Wegen unserer ausländischen Spieler werden wir bei Auswärtsspielen angepöbelt. Wir haben die Vorfälle sportgerichtlich zur Anzeige gebracht.“

Gegen Rechts stark machen

Der richtige Weg sei das, meint auch Fred Kreitlow, Vizepräsident des Fußball-Landesverbandes Brandenburg: „Mannschaften mit hohem Ausländeranteil werden gerade in den unteren Ligen häufig offen angefeindet. Das kann man nicht ignorieren.“ Auch Einzelfälle habe es schon gegeben, bei denen die rechte Szene versucht habe, einen Fußballverein zu unterwandern. Man bleibe wachsam, sagt Kreitlow, er meint aber auch, die Bedrohung von Rechts nehme insgesamt eher ab.

„Für Amateurvereine ist es nicht immer leicht, auf solche Angriffe zu reagieren“, sagt Gerd Wagner, der drei Jahre lang ein Anti-Diskriminierungs-Projekt, finanziert vom DFB und dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, betreute. Die Dunkelziffer solcher Vorfälle schätzt Wagner hoch ein: „Vereine haben Angst davor, das Problem zu benennen.“

Heinz Maintok hat seinen Verein stark gegen Rechts gemacht und sorgt damit für positive Schlagzeilen. 900 Einwohner leben in dem Dorf Sedlitz, rund 100 Asylbewerber sind in dem Übergangsheim untergebracht.

Vereinsheim als Treffpunkt der Kulturen

Auch Maintoks Leben hat sich verändert: Der ehemalige Fliesenleger leitet heute im Senftenberger Stadtparlament den Sozialausschuss. Er hat einen afghanischen Jungen vor der Abschiebung bewahrt, der sein Abitur machen konnte und sich jetzt an einer Schauspielschule bewirbt. Und Maintok hat bewirkt, dass das Sedlitzer Vereinsheim zum Treffpunkt der Kulturen wurde.

Warum also geht der Julius Hirsch Preis 2010 an ihn und all die anderen Mitglieder des Blau Weiß Sedlitz? Weil hier Zukunft entsteht.