Julian Nagelsmann: "Die Heim-EM ist ein extremer Anreiz"

Nachdem DFB-Präsident Bernd Neuendorf und DFB-Sportdirektor Rudi Völler den neuen Bundestrainer willkommen geheißen und angemessen gewürdigt hatten, war Julian Nagelsmann an der Reihe. Der neue Bundestrainer holte kurz Luft – und legte los. "Vielen Dank für die Lorbeeren und den netten Blumenstrauß", sagte er und richtete den Blick sofort auf das große Ziel: "Die Heim-EM im kommenden Sommer ist ein extremer Anreiz für mich, eine große Herausforderung, der wir uns im Team stellen. Wir gehen sie an mit viel Enthusiasmus, mit großer Vorfreude und mit dem nötigen Verantwortungsbewusstsein."

So lauten die ersten Sätze, die Julian Nagelsmann als neuer Bundestrainer öffentlich sprach. Gefolgt von vielen weiteren Sätzen, in denen Nagelsmann große Begeisterung vermittelte und eine Ahnung davon gab, wie er mit der Nationalmannschaft erfolgreich sein will. Er setzt auf eine Spielidee, die leicht umzusetzen ist. "Vor allem in schwierigen Momenten ist es wichtig, dass die Spieler etwas haben, das sie greifen können", sagte er.

Jüngster Bundestrainer der Nachkriegszeit

Nagelsmann sprach schnell, er machte Tempo, so wie man ihn kennt. Zeitverschwenden gehört nicht zu seinen Zeitverwendungen – diverse Jugendrekorde zeugen davon. So hält Nagelsmann die Rekorde als jüngster Cheftrainer der Bundesliga und als jüngster Trainer mit 100 Siegen in der Bundesliga. Seine Jugend gehört bei Nagelsmann zu den am häufigsten mitgedachten und mitgesprochenen Attributen – und so kann man sich fast wundern, dass Nagelsmann nicht auch der jüngste Bundestrainer in der Geschichte des DFB ist. Historiker haben herausgefunden, dass Otto Nerz tatsächlich noch weniger Lebenszeit verbraucht hatte, als er Trainer der deutschen Nationalmannschaft wurde. Nerz war 34 Jahre und fünf Tage alt, als er 1926 sein Debüt als Reichstrainer gab. Schon eine Weile her.

Und ein Eckchen jünger als Nagelsmann, der die 36 inzwischen deutlich überschritten hat. Er wird also "nur" als jüngster Bundestrainer der Nachkriegszeit in die Geschichte eingehen. Wobei die Geschichte mit dem Alter ohnehin eine Frage der Perspektive und auch der Betonung ist. Wird auf das Trainer-Alter geschaut und nicht nach dem Alter des Trainers, ergibt sich ein anderes Bild. Denn Trainer – das ist Nagelsmann schon ziemlich lang.

"Den Blick auf das Wesentliche lenken"

Die Biografie des Julian Nagelsmann ist gezeichnet durch zwei einschneidende Ereignisse, die dicht aufeinander folgten und die auf verschiedenen Ebenen dramatisch waren. Als Nagelsmann 20 Jahre alt war, starb sein Vater. Der Verlust war eine Zäsur, der ihn bis heute prägt. "Danach habe ich meine Familie unterstützt und Aufgaben erledigt, die für mein Alter eher untypisch waren: das Haus verkaufen, ein neues Haus suchen für meine Mutter", erzählt Nagelsmann und sagt: "Das alles führt dazu, den Blick auf das Wesentliche zu lenken, zu erkennen, dass es Bedeutenderes im Leben gibt als Fußball. Diese Erfahrungen waren sehr hart für mich und meine Familie, aber sie haben mich reifen und bewusster mit dem Leben umgehen lassen."

Kurz nach dem Tod des Vaters folgte der nächste lebensprägende Schnitt: Nagelsmann verabschiedete den Traum, Fußballprofi zu werden. Von 1860 München war er zum FC Augsburg zurückgekehrt, wo er in zweiten Mannschaft in der sechsten Liga einen neuen Anlauf nehmen wollte. Abgesprungen ist er nicht, seine Knie und seine Vernunft ließen ihn stoppen. Ein Meniskusschaden, mehrere Operationen und drohende Arthrose waren für Nagelsmann Anlass, die Schuhe an den Nagel zu hängen, auch wenn er theoretisch noch hätte spielen können. Aber er wollte das nicht: Mit Schmerzen spielen, sein Maximum unterschreiten, den eigenen Ansprüchen nicht genügen.  

Auf eigene Faust zum FC Augsburg

Nagelsmann nimmt die Dinge gerne in die Hand. Was er im Privatleben durch den Tod des Vaters früh lernen musste, war ihm im Fußball schon immer zu Eigen. Ein Beispiel dafür steht am Anfang seiner Vita als Spieler. Der kleine Julian kickte beim FC Issingen und war erstaunt darüber, dass sich partout kein Talentscout eines größeren Vereins bei ihm melden wollte. Die Lösung? Selbst ist der Jugendliche. "Also riefen ein Kumpel und ich in Augsburg an und fragten, ob wir zum Probetraining kommen können", erzählt Nagelsmann. "Die meinten, dazu müsse man eigentlich eingeladen werden. Wir fuhren trotzdem auf eigene Faust hin - und es hat tatsächlich funktioniert."

Sein Start in die Trainerkarriere weicht ab vom Muster des Selbstbestimmten und Selbsthandelnden – der heutige Bundestrainer musste geschubst werden. Schubsender war einer, der ebenfalls eine nicht völlig unbedeutende deutsche Fußballmannschaft trainiert: Thomas Tuchel, heute der Trainer des FC Bayern. Tuchel war damals verantwortlich für die zweite Mannschaft in Augsburg, und als Nagelsmann dort seine Spielerkarriere beendete, riet ihm Tuchel, eine Laufbahn als Trainer einzuschlagen.

Das Heil nahm seinen Lauf. 2008 wurde Nagelsmann Co-Trainer in der Jugend des FC Augsburg, wechselte wenig später in den Nachwuchs von 1860 München und ging von dort zur TSG 1899, wo er nach Stationen als Co-Trainer und Trainer im Nachwuchs schon im Dezember 2012 als Assistent von Frank Kramer zum ersten Mal Profiluft schnupperte. Nebenbei absolvierte Nagelsmann die erforderlichen Scheine. Seine A-Lizenz schloss er mit der bestmöglichen Note ab - 1,0. Die Fußball-Lehrer-Lizenz erwarb er im März 2016 als Zweitbester seines Lehrgangs mit der Note 1,3. Nur in einem Fach hatte Nagelsmann keine großen Ambitionen: Regelkunde. Seine Note dort: 3,0.

"Nach der Balleroberung spielt das Tempo eine große Rolle"

Zu der Zeit, als Nagelsmann an der Sportschule in Hennef im Rahmen des Fußball-Lehrer-Lehrgangs in Regelkunde versagte, war er schon Cheftrainer der Bundesliga-Mannschaft in Hoffenheim. Im Februar 2016 übernahm er das Team von Huub Stevens, die TSG war Vorletzter, fünf Punkte betrug der Rückstand auf einen Nichtabstiegsplatz, viele hielten die Situation für aussichtslos. Nicht so Nagelsmann. In 13 Spielen unter seiner Führung sammelte Hoffenheim 23 Punkte, schon am 33. Spieltag war der Klassenverbleib gesichert.

Nagelsmann schaffte "das Wunder von Sinsheim" durch mutige Entscheidungen und einen ungewöhnlichen Weg. Er brach mit Konventionen, richtete eine Mannschaft im Abstiegskampf offensiv aus und verlangte von seinen Spielern, möglichst wenig Zweikämpfe zu suchen. Wer etwas über den Trainer Nagelsmann wissen will, hört sich die Begründung an: "In jedem Zweikampf stecken Zufallsparameter, der Ball kann so oder anders wegspringen, ins Aus oder einem Gegner vor die Füße. Der Schiedsrichter kann für oder gegen uns entscheiden. Deshalb habe ich es lieber, dass wir den Ball gewinnen, indem wir gut verschieben, Passoptionen versperren, geschickt Druck ausüben auf den Ballführer und ihn so vielleicht zu einem Fehlpass zwingen. Und nach der Balleroberung spielt das Tempo eine große Rolle, um eine Torchance zu erarbeiten. Da ist es ganz nützlich, wenn ich nicht vorher noch fünf Zweikämpfe führen muss."

Mit seiner Vorstellung vom Fußball und von Fußballern hat Nagelsmann schon jetzt eine große Erfolgsgeschichte geschrieben. Hoffenheim führte er nach dem Klassenverbleib auf Platz vier und Platz drei der Bundesliga, mit Leipzig zog er ins Halbfinale der Champions League ein, mit Bayern München wurde er Deutscher Meister. Ein paar persönliche Auszeichnungen hat er entlang des Weges eingesammelt: 2016 erhielt er den Trainerpreis des deutschen Fußball, 2017 wurde er Deutschlands Trainer des Jahres.

"Ich habe mich mit meinem eigenen Fußball beschäftigt"

Im März 2023 wurde Nagelsmann beim FC Bayern freigestellt, für ihn war es erstens die erste vorzeitige Entbindung von seinen Aufgaben und zweitens die erste größere Pause, seitdem er im Alter von 15 Jahren mit dem Wechsel in die Jugend des FC Augsburg in den Fußball eingestiegen war. Nagelsmann hat Zeit mit der Familie nachgeholt, hat Urlaube gemacht. Und er hat seine Zeit in München aufgearbeitet. "Ich habe mich mit Fußball beschäftigt, mit meinem eigenen Fußball", sagte er bei seiner Vorstellung als Bundestrainer. "Mit Dingen, die gut gelaufen sind, aber auch mit Dingen, die schlecht gelaufen sind und die ich in Zukunft besser machen möchte. Ich bin froh, dass ich jetzt die Chance habe, mich verbessert zu zeigen."

Keine Frage: Nagelsmann redet viel und gern und überzeugend über den Fußball. Wer ihm zuhört, kann schlecht überhören, dass da einer Ahnung hat von dem, was er erzählt. Nagelsmann geht gerne neue Wege und greift genauso gern auf Bewährtes zurück, wenn er der Meinung ist, dass es sich auch in der Gegenwart noch bewähren kann. Nagelsmann kann auffallende Kleidung tragen, er kann mit dem Skateboard zum Training fahren, er kann Sprüche machen, kann für Lacher sorgen.

Er kann es, weil er sich nicht inszeniert, weil er sich nicht versteckt, weil er macht, was ihm in den Sinn kommt - und ihm nicht in den Sinn kommt, allen gefallen zu wollen. Nagelsmann kann extravagant und schrill sein, genauso aber pragmatisch und bodenständig. Er kann laut, er kann auch leise. Vielleicht kann man es so formulieren: Er ist nicht "the special one", er ist auch nicht "the normal one" – er ist einfach: Julian Nagelsmann.  

[sl]

Nachdem DFB-Präsident Bernd Neuendorf und DFB-Sportdirektor Rudi Völler den neuen Bundestrainer willkommen geheißen und angemessen gewürdigt hatten, war Julian Nagelsmann an der Reihe. Der neue Bundestrainer holte kurz Luft – und legte los. "Vielen Dank für die Lorbeeren und den netten Blumenstrauß", sagte er und richtete den Blick sofort auf das große Ziel: "Die Heim-EM im kommenden Sommer ist ein extremer Anreiz für mich, eine große Herausforderung, der wir uns im Team stellen. Wir gehen sie an mit viel Enthusiasmus, mit großer Vorfreude und mit dem nötigen Verantwortungsbewusstsein."

So lauten die ersten Sätze, die Julian Nagelsmann als neuer Bundestrainer öffentlich sprach. Gefolgt von vielen weiteren Sätzen, in denen Nagelsmann große Begeisterung vermittelte und eine Ahnung davon gab, wie er mit der Nationalmannschaft erfolgreich sein will. Er setzt auf eine Spielidee, die leicht umzusetzen ist. "Vor allem in schwierigen Momenten ist es wichtig, dass die Spieler etwas haben, das sie greifen können", sagte er.

Jüngster Bundestrainer der Nachkriegszeit

Nagelsmann sprach schnell, er machte Tempo, so wie man ihn kennt. Zeitverschwenden gehört nicht zu seinen Zeitverwendungen – diverse Jugendrekorde zeugen davon. So hält Nagelsmann die Rekorde als jüngster Cheftrainer der Bundesliga und als jüngster Trainer mit 100 Siegen in der Bundesliga. Seine Jugend gehört bei Nagelsmann zu den am häufigsten mitgedachten und mitgesprochenen Attributen – und so kann man sich fast wundern, dass Nagelsmann nicht auch der jüngste Bundestrainer in der Geschichte des DFB ist. Historiker haben herausgefunden, dass Otto Nerz tatsächlich noch weniger Lebenszeit verbraucht hatte, als er Trainer der deutschen Nationalmannschaft wurde. Nerz war 34 Jahre und fünf Tage alt, als er 1926 sein Debüt als Reichstrainer gab. Schon eine Weile her.

Und ein Eckchen jünger als Nagelsmann, der die 36 inzwischen deutlich überschritten hat. Er wird also "nur" als jüngster Bundestrainer der Nachkriegszeit in die Geschichte eingehen. Wobei die Geschichte mit dem Alter ohnehin eine Frage der Perspektive und auch der Betonung ist. Wird auf das Trainer-Alter geschaut und nicht nach dem Alter des Trainers, ergibt sich ein anderes Bild. Denn Trainer – das ist Nagelsmann schon ziemlich lang.

"Den Blick auf das Wesentliche lenken"

Die Biografie des Julian Nagelsmann ist gezeichnet durch zwei einschneidende Ereignisse, die dicht aufeinander folgten und die auf verschiedenen Ebenen dramatisch waren. Als Nagelsmann 20 Jahre alt war, starb sein Vater. Der Verlust war eine Zäsur, der ihn bis heute prägt. "Danach habe ich meine Familie unterstützt und Aufgaben erledigt, die für mein Alter eher untypisch waren: das Haus verkaufen, ein neues Haus suchen für meine Mutter", erzählt Nagelsmann und sagt: "Das alles führt dazu, den Blick auf das Wesentliche zu lenken, zu erkennen, dass es Bedeutenderes im Leben gibt als Fußball. Diese Erfahrungen waren sehr hart für mich und meine Familie, aber sie haben mich reifen und bewusster mit dem Leben umgehen lassen."

Kurz nach dem Tod des Vaters folgte der nächste lebensprägende Schnitt: Nagelsmann verabschiedete den Traum, Fußballprofi zu werden. Von 1860 München war er zum FC Augsburg zurückgekehrt, wo er in zweiten Mannschaft in der sechsten Liga einen neuen Anlauf nehmen wollte. Abgesprungen ist er nicht, seine Knie und seine Vernunft ließen ihn stoppen. Ein Meniskusschaden, mehrere Operationen und drohende Arthrose waren für Nagelsmann Anlass, die Schuhe an den Nagel zu hängen, auch wenn er theoretisch noch hätte spielen können. Aber er wollte das nicht: Mit Schmerzen spielen, sein Maximum unterschreiten, den eigenen Ansprüchen nicht genügen.  

Auf eigene Faust zum FC Augsburg

Nagelsmann nimmt die Dinge gerne in die Hand. Was er im Privatleben durch den Tod des Vaters früh lernen musste, war ihm im Fußball schon immer zu Eigen. Ein Beispiel dafür steht am Anfang seiner Vita als Spieler. Der kleine Julian kickte beim FC Issingen und war erstaunt darüber, dass sich partout kein Talentscout eines größeren Vereins bei ihm melden wollte. Die Lösung? Selbst ist der Jugendliche. "Also riefen ein Kumpel und ich in Augsburg an und fragten, ob wir zum Probetraining kommen können", erzählt Nagelsmann. "Die meinten, dazu müsse man eigentlich eingeladen werden. Wir fuhren trotzdem auf eigene Faust hin - und es hat tatsächlich funktioniert."

Sein Start in die Trainerkarriere weicht ab vom Muster des Selbstbestimmten und Selbsthandelnden – der heutige Bundestrainer musste geschubst werden. Schubsender war einer, der ebenfalls eine nicht völlig unbedeutende deutsche Fußballmannschaft trainiert: Thomas Tuchel, heute der Trainer des FC Bayern. Tuchel war damals verantwortlich für die zweite Mannschaft in Augsburg, und als Nagelsmann dort seine Spielerkarriere beendete, riet ihm Tuchel, eine Laufbahn als Trainer einzuschlagen.

Das Heil nahm seinen Lauf. 2008 wurde Nagelsmann Co-Trainer in der Jugend des FC Augsburg, wechselte wenig später in den Nachwuchs von 1860 München und ging von dort zur TSG 1899, wo er nach Stationen als Co-Trainer und Trainer im Nachwuchs schon im Dezember 2012 als Assistent von Frank Kramer zum ersten Mal Profiluft schnupperte. Nebenbei absolvierte Nagelsmann die erforderlichen Scheine. Seine A-Lizenz schloss er mit der bestmöglichen Note ab - 1,0. Die Fußball-Lehrer-Lizenz erwarb er im März 2016 als Zweitbester seines Lehrgangs mit der Note 1,3. Nur in einem Fach hatte Nagelsmann keine großen Ambitionen: Regelkunde. Seine Note dort: 3,0.

"Nach der Balleroberung spielt das Tempo eine große Rolle"

Zu der Zeit, als Nagelsmann an der Sportschule in Hennef im Rahmen des Fußball-Lehrer-Lehrgangs in Regelkunde versagte, war er schon Cheftrainer der Bundesliga-Mannschaft in Hoffenheim. Im Februar 2016 übernahm er das Team von Huub Stevens, die TSG war Vorletzter, fünf Punkte betrug der Rückstand auf einen Nichtabstiegsplatz, viele hielten die Situation für aussichtslos. Nicht so Nagelsmann. In 13 Spielen unter seiner Führung sammelte Hoffenheim 23 Punkte, schon am 33. Spieltag war der Klassenverbleib gesichert.

Nagelsmann schaffte "das Wunder von Sinsheim" durch mutige Entscheidungen und einen ungewöhnlichen Weg. Er brach mit Konventionen, richtete eine Mannschaft im Abstiegskampf offensiv aus und verlangte von seinen Spielern, möglichst wenig Zweikämpfe zu suchen. Wer etwas über den Trainer Nagelsmann wissen will, hört sich die Begründung an: "In jedem Zweikampf stecken Zufallsparameter, der Ball kann so oder anders wegspringen, ins Aus oder einem Gegner vor die Füße. Der Schiedsrichter kann für oder gegen uns entscheiden. Deshalb habe ich es lieber, dass wir den Ball gewinnen, indem wir gut verschieben, Passoptionen versperren, geschickt Druck ausüben auf den Ballführer und ihn so vielleicht zu einem Fehlpass zwingen. Und nach der Balleroberung spielt das Tempo eine große Rolle, um eine Torchance zu erarbeiten. Da ist es ganz nützlich, wenn ich nicht vorher noch fünf Zweikämpfe führen muss."

Mit seiner Vorstellung vom Fußball und von Fußballern hat Nagelsmann schon jetzt eine große Erfolgsgeschichte geschrieben. Hoffenheim führte er nach dem Klassenverbleib auf Platz vier und Platz drei der Bundesliga, mit Leipzig zog er ins Halbfinale der Champions League ein, mit Bayern München wurde er Deutscher Meister. Ein paar persönliche Auszeichnungen hat er entlang des Weges eingesammelt: 2016 erhielt er den Trainerpreis des deutschen Fußball, 2017 wurde er Deutschlands Trainer des Jahres.

"Ich habe mich mit meinem eigenen Fußball beschäftigt"

Im März 2023 wurde Nagelsmann beim FC Bayern freigestellt, für ihn war es erstens die erste vorzeitige Entbindung von seinen Aufgaben und zweitens die erste größere Pause, seitdem er im Alter von 15 Jahren mit dem Wechsel in die Jugend des FC Augsburg in den Fußball eingestiegen war. Nagelsmann hat Zeit mit der Familie nachgeholt, hat Urlaube gemacht. Und er hat seine Zeit in München aufgearbeitet. "Ich habe mich mit Fußball beschäftigt, mit meinem eigenen Fußball", sagte er bei seiner Vorstellung als Bundestrainer. "Mit Dingen, die gut gelaufen sind, aber auch mit Dingen, die schlecht gelaufen sind und die ich in Zukunft besser machen möchte. Ich bin froh, dass ich jetzt die Chance habe, mich verbessert zu zeigen."

Keine Frage: Nagelsmann redet viel und gern und überzeugend über den Fußball. Wer ihm zuhört, kann schlecht überhören, dass da einer Ahnung hat von dem, was er erzählt. Nagelsmann geht gerne neue Wege und greift genauso gern auf Bewährtes zurück, wenn er der Meinung ist, dass es sich auch in der Gegenwart noch bewähren kann. Nagelsmann kann auffallende Kleidung tragen, er kann mit dem Skateboard zum Training fahren, er kann Sprüche machen, kann für Lacher sorgen.

Er kann es, weil er sich nicht inszeniert, weil er sich nicht versteckt, weil er macht, was ihm in den Sinn kommt - und ihm nicht in den Sinn kommt, allen gefallen zu wollen. Nagelsmann kann extravagant und schrill sein, genauso aber pragmatisch und bodenständig. Er kann laut, er kann auch leise. Vielleicht kann man es so formulieren: Er ist nicht "the special one", er ist auch nicht "the normal one" – er ist einfach: Julian Nagelsmann.  

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