In der Wohnung von di Stefano, auf Sinatras Hochzeit

Sami Khedira und Mesut Özil sind die Nummern sieben und acht. Die Nummer eins war und bleibt Günter Netzer. 1973 trug er als erster Deutscher das Trikot von Real Madrid. Aus der niederrheinischen Provinz direkt in das Apart­ment von Alfredo di Stefano. Aus Mönchengladbach direkt nach Madrid.

Mit DFB.de-Redakteur Steffen Lüdeke hat Netzer über seine drei turbulenten Jahre bei den "Königlichen" und die ganz besondere Faszination Real Madrid gesprochen.

DFB.de: Herr Netzer, was waren Ihre Beweggründe, im Jahr 1973 zu Real Madrid zu wechseln?

Günter Netzer: Ich wäre auch schon früher gewechselt. Die Möglichkeit gab es allerdings erst zur Spielzeit 1973/1974, weil mit dieser Saison die Ausländerbeschränkung in Spanien weggefallen ist. Warum bin ich gegangen? Wenn Real heute für viele als größter Verein der Welt gilt, dann gab es daran damals nicht den geringsten Zweifel. Die Bedeutung war zu dieser Zeit noch größer als heute, die Namen, die Erfolge, die weißen Trikots – all das hat ein einzigartiges Image kreiert. Es war deswegen für mich unmöglich, Nein zu Real zu sagen.

DFB.de: Wie sind Sie in Madrid aufgenommen worden?

Netzer: Ganz wichtig war damals Präsident Santiago Bernabéu, er war in jeder Beziehung einzigartig. Er war eine überragende Persönlichkeit und hat sich um mich gekümmert. Er hat beispielsweise dafür gesorgt, dass ich in das Apartment gezogen bin, in dem Alfredo di Stefano einst gewohnt hat. „Fangen Sie mal da an, wo er aufgehört hat“, hat er zu mir gesagt. Ich empfand das als große Ehre und wunderschöne Geste. Gerade in der Anfangszeit hat mir auch geholfen, dass ein deutscher Hoteldirektor in Madrid ein guter Freund von Bernabéu war. Er hat mir bei der Verständigung geholfen, nach ungefähr sechs Monaten war mein Spanisch dann gut genug, dass ich alleine klar gekommen bin.

DFB.de: Drei Jahre haben Sie in Madrid gespielt. Wie bewerten Sie die Zeit in der Rückschau?

Netzer: In Mönchengladbach hatte ich die schönste Zeit meiner erfolgreichen Karriere, in Madrid die wichtigste.

DFB.de: Weshalb?

Netzer: Ich habe dort zum ersten Mal richtig kämpfen müssen. Ich kam als Provinzfürst dort an und musste mit vielen Widrigkeiten zu­recht­kommen. Ich konnte die Sprache nicht. Nicht alle neuen Kollegen waren begeistert, dass ein Ausländer in die Mannschaft kam. Ich wurde trotzdem toll aufgenommen, Real hat alles für mich getan. Aber mir wurde dort nichts geschenkt, ich musste mich neu beweisen.

DFB.de: Dann haben Sie sich dort keine Extravaganzen geleistet? In Gladbach waren Sie bekannt für die eine oder andere Anekdote abseits des Rasens …

Netzer: Doch, die gab es. Ich habe mich bei Real nur nicht erwischen lassen.

DFB.de: Dann gab es den Hallodri Netzer auch in Madrid?

Netzer: Anfangs durchaus. Ich bin zum Beispiel mal unbemerkt für drei Tage nach Las Vegas geflogen. Mein Freund Michael Pfleghar kannte Frank Sinatra und dessen jüngste Tochter Tina. Wir waren deswegen beide zur Hochzeit von Tina eingeladen. Dort hatte Sinatra zum ersten Mal seit langer Zeit wieder einen Auftritt, das konnte ich mir nicht entgehen lassen. Also habe ich die Einladung angenommen und bin rübergeflogen. Aber riskant war es.

DFB.de: Welche Konsequenzen hätte es gehabt, wenn Sie erwischt worden wären?

Netzer: Ich hätte meine Sachen packen und nach Hause fahren können. Die hätten mich rausgeschmissen, keine Frage. Meine Kollegen haben sich aber halb totgelacht, als ich ihnen später davon erzählt habe.

DFB.de: Ihre erste Saison in Spanien verlief für Sie und Real nicht sehr erfolgreich. Sie haben gleich im ersten Spiel einen Elfmeter verschossen, in der gesamten Saison kein Tor erzielt und mit Real nur Platz acht belegt. Erst im zweiten Jahr spielten Sie groß auf und wurden mit Real Meis­ter, ein Jahr später gewannen Sie das Double. Was hatte sich verändert?

Netzer: Zu allererst der Trainer. Nach der WM 74 wurde mit Miljan Miljanic der Coach der jugoslawischen Nationalmannschaft Trainer in Madrid. Der hat die verrücktesten Sachen gemacht, hat uns aber diszipliniert. Um elf Uhr war beispielsweise Bett­ruhe. In Spanien! Da hatte man um die Zeit ja meist noch nicht einmal gegessen!

DFB.de: Für Sie war er dennoch ein Glücksfall?

Netzer: Unbedingt. Er hat mir zwar vermutlich zehn Jahre meines Lebens geklaut, so anstrengend war das Training. Aber körperlich so gut drauf wie ab der zweiten Saison in Madrid war ich in meiner Karriere nie zuvor und nie mehr danach. Er hat es geschafft, mich zum Laufen zu bringen. Das war keine leichte Aufgabe.

DFB.de: Mit Sami Khedira und Mesut Özil sind jetzt wieder zwei deutsche Nationalspieler bei Real. Haben Sie einen Tipp für Ihre Nachfolger?

Netzer: Sie müssen sich anpassen, aber das wissen sie selber. Man kann nicht ins Ausland und zu einem neuen Verein gehen und erwarten, dass man alles so machen kann, wie bisher. Man muss sich verändern wollen und können und sich auch der neuen Kultur öffnen. Wer vorher ein Star war, muss diesen Statuts in Madrid durch seine Leistung neu beweisen.

DFB.de: Trauen Sie Özil und Khedira zu, dass Ihnen dies bei Real dauerhaft gelingt?

Netzer: Ja, das tue ich.

DFB.de: Was macht Sie da so sicher?

Netzer: Zunächst einmal ist klar, dass sie über die spielerischen Fertigkeiten verfügen. Ganz wichtig aber ist, dass beide Wunschspieler von Trainer Mourinho sind. Mourinho lässt niemanden hängen, Özil und Khedira spüren also die Rückendeckung des Trainers, davon werden sie sehr profitieren.

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Sami Khedira und Mesut Özil sind die Nummern sieben und acht. Die Nummer eins war und bleibt Günter Netzer. 1973 trug er als erster Deutscher das Trikot von Real Madrid. Aus der niederrheinischen Provinz direkt in das Apart­ment von Alfredo di Stefano. Aus Mönchengladbach direkt nach Madrid.

Mit DFB.de-Redakteur Steffen Lüdeke hat Netzer über seine drei turbulenten Jahre bei den "Königlichen" und die ganz besondere Faszination Real Madrid gesprochen.

DFB.de: Herr Netzer, was waren Ihre Beweggründe, im Jahr 1973 zu Real Madrid zu wechseln?

Günter Netzer: Ich wäre auch schon früher gewechselt. Die Möglichkeit gab es allerdings erst zur Spielzeit 1973/1974, weil mit dieser Saison die Ausländerbeschränkung in Spanien weggefallen ist. Warum bin ich gegangen? Wenn Real heute für viele als größter Verein der Welt gilt, dann gab es daran damals nicht den geringsten Zweifel. Die Bedeutung war zu dieser Zeit noch größer als heute, die Namen, die Erfolge, die weißen Trikots – all das hat ein einzigartiges Image kreiert. Es war deswegen für mich unmöglich, Nein zu Real zu sagen.

DFB.de: Wie sind Sie in Madrid aufgenommen worden?

Netzer: Ganz wichtig war damals Präsident Santiago Bernabéu, er war in jeder Beziehung einzigartig. Er war eine überragende Persönlichkeit und hat sich um mich gekümmert. Er hat beispielsweise dafür gesorgt, dass ich in das Apartment gezogen bin, in dem Alfredo di Stefano einst gewohnt hat. „Fangen Sie mal da an, wo er aufgehört hat“, hat er zu mir gesagt. Ich empfand das als große Ehre und wunderschöne Geste. Gerade in der Anfangszeit hat mir auch geholfen, dass ein deutscher Hoteldirektor in Madrid ein guter Freund von Bernabéu war. Er hat mir bei der Verständigung geholfen, nach ungefähr sechs Monaten war mein Spanisch dann gut genug, dass ich alleine klar gekommen bin.

DFB.de: Drei Jahre haben Sie in Madrid gespielt. Wie bewerten Sie die Zeit in der Rückschau?

Netzer: In Mönchengladbach hatte ich die schönste Zeit meiner erfolgreichen Karriere, in Madrid die wichtigste.

DFB.de: Weshalb?

Netzer: Ich habe dort zum ersten Mal richtig kämpfen müssen. Ich kam als Provinzfürst dort an und musste mit vielen Widrigkeiten zu­recht­kommen. Ich konnte die Sprache nicht. Nicht alle neuen Kollegen waren begeistert, dass ein Ausländer in die Mannschaft kam. Ich wurde trotzdem toll aufgenommen, Real hat alles für mich getan. Aber mir wurde dort nichts geschenkt, ich musste mich neu beweisen.

DFB.de: Dann haben Sie sich dort keine Extravaganzen geleistet? In Gladbach waren Sie bekannt für die eine oder andere Anekdote abseits des Rasens …

Netzer: Doch, die gab es. Ich habe mich bei Real nur nicht erwischen lassen.

DFB.de: Dann gab es den Hallodri Netzer auch in Madrid?

Netzer: Anfangs durchaus. Ich bin zum Beispiel mal unbemerkt für drei Tage nach Las Vegas geflogen. Mein Freund Michael Pfleghar kannte Frank Sinatra und dessen jüngste Tochter Tina. Wir waren deswegen beide zur Hochzeit von Tina eingeladen. Dort hatte Sinatra zum ersten Mal seit langer Zeit wieder einen Auftritt, das konnte ich mir nicht entgehen lassen. Also habe ich die Einladung angenommen und bin rübergeflogen. Aber riskant war es.

DFB.de: Welche Konsequenzen hätte es gehabt, wenn Sie erwischt worden wären?

Netzer: Ich hätte meine Sachen packen und nach Hause fahren können. Die hätten mich rausgeschmissen, keine Frage. Meine Kollegen haben sich aber halb totgelacht, als ich ihnen später davon erzählt habe.

DFB.de: Ihre erste Saison in Spanien verlief für Sie und Real nicht sehr erfolgreich. Sie haben gleich im ersten Spiel einen Elfmeter verschossen, in der gesamten Saison kein Tor erzielt und mit Real nur Platz acht belegt. Erst im zweiten Jahr spielten Sie groß auf und wurden mit Real Meis­ter, ein Jahr später gewannen Sie das Double. Was hatte sich verändert?

Netzer: Zu allererst der Trainer. Nach der WM 74 wurde mit Miljan Miljanic der Coach der jugoslawischen Nationalmannschaft Trainer in Madrid. Der hat die verrücktesten Sachen gemacht, hat uns aber diszipliniert. Um elf Uhr war beispielsweise Bett­ruhe. In Spanien! Da hatte man um die Zeit ja meist noch nicht einmal gegessen!

DFB.de: Für Sie war er dennoch ein Glücksfall?

Netzer: Unbedingt. Er hat mir zwar vermutlich zehn Jahre meines Lebens geklaut, so anstrengend war das Training. Aber körperlich so gut drauf wie ab der zweiten Saison in Madrid war ich in meiner Karriere nie zuvor und nie mehr danach. Er hat es geschafft, mich zum Laufen zu bringen. Das war keine leichte Aufgabe.

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DFB.de: Mit Sami Khedira und Mesut Özil sind jetzt wieder zwei deutsche Nationalspieler bei Real. Haben Sie einen Tipp für Ihre Nachfolger?

Netzer: Sie müssen sich anpassen, aber das wissen sie selber. Man kann nicht ins Ausland und zu einem neuen Verein gehen und erwarten, dass man alles so machen kann, wie bisher. Man muss sich verändern wollen und können und sich auch der neuen Kultur öffnen. Wer vorher ein Star war, muss diesen Statuts in Madrid durch seine Leistung neu beweisen.

DFB.de: Trauen Sie Özil und Khedira zu, dass Ihnen dies bei Real dauerhaft gelingt?

Netzer: Ja, das tue ich.

DFB.de: Was macht Sie da so sicher?

Netzer: Zunächst einmal ist klar, dass sie über die spielerischen Fertigkeiten verfügen. Ganz wichtig aber ist, dass beide Wunschspieler von Trainer Mourinho sind. Mourinho lässt niemanden hängen, Özil und Khedira spüren also die Rückendeckung des Trainers, davon werden sie sehr profitieren.