Im Fokus: Manuel Neuer vor 200. Bundesligaspiel

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Immer donnerstags stellt team.dfb.de einen Spieler des A-Teams vor, für den am Wochenende Außergewöhnliches ansteht. Heute: Manuel Neuer, der am Samstag (ab 15.30 Uhr, live bei Sky) mit Bayern München auf Eintracht Frankfurt trifft und dann sein 200. Bundesligaspiel absolvieren dürfte.

Der ganze Ärger muss raus, der Frust, die Enttäuschung. Das darf doch nicht wahr sein - schon wieder ein Gegentor. Jedes Mal, wenn er hinter sich greifen muss, steigt Wut in ihm auf. Am Mittwochabend explodiert sie in einem wuchtigen Schlag mit der Faust. Mit der rechten Hand drischt er auf den Ball, das Spielgerät schlägt auf der Erde auf und sprint von dort gut zehn Meter in die Höhe. In der 58. Minute hatte Salomon Kalou für Lille das 1:5 erzielt, das Spiel war längt zu Gunsten der Bayern entschieden, der Schuss unhaltbar, das Tor nicht mehr als marginale französische Ergebniskosmetik.

Und doch genügte es für ein mittelschweres Erdbeben. "Ich habe immer den Ehrgeiz, ohne Gegentor zu bleiben", sagt Manuel Neuer. "Ich ärgere mich jedes Mal, wenn ich hinter mich greifen muss. Da spielt der Spielstand keine Rolle." Neuer kann sich glücklich schätzen, Fußball als Sport gewählt zu haben. Man stelle sich vor, er würde zwischen den Pfosten eines Wasserballtores schwimmen, oder, noch schlimmer, in der Halle beim Handball. Nicht auszudenken.

Spitzenspiel gegen den Aufsteiger

Für Neuer ist Fußball die richtige Sportart, der FC Bayern der richtige Verein und die deutsche die richtige Nationalmannschaft. Mit seiner Wahl hat Neuer wenig falsch gemacht und seiner Gegentorallergie weitgehend den Auslöser entzogen. In dieser Bundesligasaison hat Neuer in zehn Spielen erst vier Gegentore kassiert, siebenmal stand bei ihm seine Lieblingszahl: die Null. Großen Anteil daran hat er selber. Der Torhüter hat in dieser Saison 85 Prozent der Schüsse auf sein Tor pariert.

Nicht weniger erheblich ist eine Fähigkeit, die weniger offensichtlich ist: Neuer kann ein Fußballspiel lesen. Wie kaum ein anderer Torhüter ist Neuer in der Lage, wie ein Spieler zu denken. So ahnt er Situationen und verhindert Chancen, bevor sie entstehen und bevor er sich mit den klassischen Mitteln der Torhüter auszeichnen kann. Nur zwei Großchancen musste Neuer in dieser Spielzeit vereiteln, ein Verdienst der gesamten Mannschaft, natürlich, im Falle Neuer und Bayern schließt die Gesamtheit den Torhüter ausdrücklich mit ein.

Am Samstag steht der elfte Spieltag der Bundesliga an, für die Bayern geht es zu Hause gegen Eintracht Frankfurt. Im Titelrennen können die Münchner einen wichtigen Schritt setzen, zudem will die Mannschaft von Trainer Jupp Heynckes nach der 1:2-Heimniederlage gegen Leverkusen auch daheim wieder zurück in die Spur. Es ist das Spitzenspiel, der Tabellenführer empfängt mit dem Tabellendritten die Überraschungsmannschaft der Saison. Für Manuel Neuer ist das Spiel gegen den Aufsteiger zudem aus einem anderen Grund etwas Besonderes. Neuer feiert Jubiläum: Er läuft zum 200. Mal in der Bundesliga auf.

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Erst Nummer zwei auf Schalke, nun auf der Weltfußballer-Liste

Mit 26 Jahren ist Neuer ein junger Spieler, zumal für einen Torhüter. Es ist gar nicht so schrecklich lange her, da war Frank Rost ernsthaft beleidigt, wie Trainer Mirko Slomka es wagen konnte, ihm diesen Jungspund vorzuziehen. Sein Bundesligadebüt hat Neuer am 19. August 2006 gefeiert. 20 Jahre vier Monate und 23 Tage war er damals alt. Schalke gewann, Neuer, blieb ohne Gegentor, die ersten ahnten, was folgen sollte. Allen voran Lothar Matuschak, Schalkes Torwart-Nachwuchstrainer. "Manu ist was Besonderes", sagte Matuschak schon damals. "Er schwebt über allen."

Ein gute Prognose. Neuer verdrängte Rost dauerhaft aus dem Schalker-Tor, er wurde mit der U 21 bei der EM 2009 in Schweden Europameister, bei der WM 2010 in Südafrika war er Deutschlands Nummer eins. Es folgte der Wechsel zum FC Bayern, für nicht wenige gilt er heute als weltbester Torhüter. Neben Mesut Özil ist er als einer von zwei Deutschen im Jahr 2012 für den Titel des Weltfußballers nominiert.

Nicht schlecht für einen, der in der C-Jugend wegen körperlicher Defizite aus der Westfalenauswahl gestrichen wurde. Die Liste seiner Fürsprecher ist lang und prominent. "Manuel Neuer ist unglaublich", sagte etwa Manchester-Trainer Alex Ferguson nach dem Hinspiel im Halbfinale der Champions League der Saison 2010/2011. Der "Sir" adelte Neuer. "Das war die beste Leistung, die ich je von einem Torwart in gesehen habe."

Weniger Paraden, mehr Leistung

Neuer mag über allen schweben, am Boden geblieben ist er gleichwohl. Der Torhüter muss nicht glänzen, er verzichtet gern auf Schlagzeilen, er lebt im Rampenlicht, zum Leben braucht er es nicht. Dem Wirbel um seinen Wechsel zum FC Bayern ist er im Urlaub in Kanada entflohen. Dort hat er die "Ruhe und Natur genossen". Und, dass er dort kein Star war, dass es sich unerkannt bewegen und Menschen ihm unvoreingenommen begegnet sind. Sein Status ist ihm nicht wichtig, auch Statussymbole sind es nicht. "Ich bin immer noch Manuel, so wie früher", sagt er, "von mir aus können gerne andere im Mittelpunkt stehen."

Sein Wechsel nach München fügt sich in dieses Bild. Neuer hat oft genug bewiesen, dass er in der Lage ist, im Wind zu bestehen. Zahlreiche Chancen für die Gegner führten zu zahlreichen Paraden, zahlreiche Offensiven hat er zur Verzweiflung getrieben. Seine neue Herausforderung ist die, der sich die meisten großen Torhüter irgendwann stellen: weniger Bälle halten, dafür entscheidende. In der Nationalmannschaft und bei den Bayern wird er seltener geprüft als früher auf Schalke. Und es klingt nur paradox, wenn Neuer sagt: "Das ist die größere Herausforderung."

Deutschlands Nummer eins hat gelernt, die Konzentration auch ohne akute Bedrohung am Maximum zu halten. "Daran musste ich mich erst gewöhnen", sagt Neuer. Er hat sich daran gewöhnt. Anders als an Gegentore – gegen die wird er immer allergisch bleiben.

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Immer donnerstags stellt team.dfb.de einen Spieler des A-Teams vor, für den am Wochenende Außergewöhnliches ansteht. Heute: Manuel Neuer, der am Samstag (ab 15.30 Uhr, live bei Sky) mit Bayern München auf Eintracht Frankfurt trifft und dann sein 200. Bundesligaspiel absolvieren dürfte.

Der ganze Ärger muss raus, der Frust, die Enttäuschung. Das darf doch nicht wahr sein - schon wieder ein Gegentor. Jedes Mal, wenn er hinter sich greifen muss, steigt Wut in ihm auf. Am Mittwochabend explodiert sie in einem wuchtigen Schlag mit der Faust. Mit der rechten Hand drischt er auf den Ball, das Spielgerät schlägt auf der Erde auf und sprint von dort gut zehn Meter in die Höhe. In der 58. Minute hatte Salomon Kalou für Lille das 1:5 erzielt, das Spiel war längt zu Gunsten der Bayern entschieden, der Schuss unhaltbar, das Tor nicht mehr als marginale französische Ergebniskosmetik.

Und doch genügte es für ein mittelschweres Erdbeben. "Ich habe immer den Ehrgeiz, ohne Gegentor zu bleiben", sagt Manuel Neuer. "Ich ärgere mich jedes Mal, wenn ich hinter mich greifen muss. Da spielt der Spielstand keine Rolle." Neuer kann sich glücklich schätzen, Fußball als Sport gewählt zu haben. Man stelle sich vor, er würde zwischen den Pfosten eines Wasserballtores schwimmen, oder, noch schlimmer, in der Halle beim Handball. Nicht auszudenken.

Spitzenspiel gegen den Aufsteiger

Für Neuer ist Fußball die richtige Sportart, der FC Bayern der richtige Verein und die deutsche die richtige Nationalmannschaft. Mit seiner Wahl hat Neuer wenig falsch gemacht und seiner Gegentorallergie weitgehend den Auslöser entzogen. In dieser Bundesligasaison hat Neuer in zehn Spielen erst vier Gegentore kassiert, siebenmal stand bei ihm seine Lieblingszahl: die Null. Großen Anteil daran hat er selber. Der Torhüter hat in dieser Saison 85 Prozent der Schüsse auf sein Tor pariert.

Nicht weniger erheblich ist eine Fähigkeit, die weniger offensichtlich ist: Neuer kann ein Fußballspiel lesen. Wie kaum ein anderer Torhüter ist Neuer in der Lage, wie ein Spieler zu denken. So ahnt er Situationen und verhindert Chancen, bevor sie entstehen und bevor er sich mit den klassischen Mitteln der Torhüter auszeichnen kann. Nur zwei Großchancen musste Neuer in dieser Spielzeit vereiteln, ein Verdienst der gesamten Mannschaft, natürlich, im Falle Neuer und Bayern schließt die Gesamtheit den Torhüter ausdrücklich mit ein.

Am Samstag steht der elfte Spieltag der Bundesliga an, für die Bayern geht es zu Hause gegen Eintracht Frankfurt. Im Titelrennen können die Münchner einen wichtigen Schritt setzen, zudem will die Mannschaft von Trainer Jupp Heynckes nach der 1:2-Heimniederlage gegen Leverkusen auch daheim wieder zurück in die Spur. Es ist das Spitzenspiel, der Tabellenführer empfängt mit dem Tabellendritten die Überraschungsmannschaft der Saison. Für Manuel Neuer ist das Spiel gegen den Aufsteiger zudem aus einem anderen Grund etwas Besonderes. Neuer feiert Jubiläum: Er läuft zum 200. Mal in der Bundesliga auf.

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Erst Nummer zwei auf Schalke, nun auf der Weltfußballer-Liste

Mit 26 Jahren ist Neuer ein junger Spieler, zumal für einen Torhüter. Es ist gar nicht so schrecklich lange her, da war Frank Rost ernsthaft beleidigt, wie Trainer Mirko Slomka es wagen konnte, ihm diesen Jungspund vorzuziehen. Sein Bundesligadebüt hat Neuer am 19. August 2006 gefeiert. 20 Jahre vier Monate und 23 Tage war er damals alt. Schalke gewann, Neuer, blieb ohne Gegentor, die ersten ahnten, was folgen sollte. Allen voran Lothar Matuschak, Schalkes Torwart-Nachwuchstrainer. "Manu ist was Besonderes", sagte Matuschak schon damals. "Er schwebt über allen."

Ein gute Prognose. Neuer verdrängte Rost dauerhaft aus dem Schalker-Tor, er wurde mit der U 21 bei der EM 2009 in Schweden Europameister, bei der WM 2010 in Südafrika war er Deutschlands Nummer eins. Es folgte der Wechsel zum FC Bayern, für nicht wenige gilt er heute als weltbester Torhüter. Neben Mesut Özil ist er als einer von zwei Deutschen im Jahr 2012 für den Titel des Weltfußballers nominiert.

Nicht schlecht für einen, der in der C-Jugend wegen körperlicher Defizite aus der Westfalenauswahl gestrichen wurde. Die Liste seiner Fürsprecher ist lang und prominent. "Manuel Neuer ist unglaublich", sagte etwa Manchester-Trainer Alex Ferguson nach dem Hinspiel im Halbfinale der Champions League der Saison 2010/2011. Der "Sir" adelte Neuer. "Das war die beste Leistung, die ich je von einem Torwart in gesehen habe."

Weniger Paraden, mehr Leistung

Neuer mag über allen schweben, am Boden geblieben ist er gleichwohl. Der Torhüter muss nicht glänzen, er verzichtet gern auf Schlagzeilen, er lebt im Rampenlicht, zum Leben braucht er es nicht. Dem Wirbel um seinen Wechsel zum FC Bayern ist er im Urlaub in Kanada entflohen. Dort hat er die "Ruhe und Natur genossen". Und, dass er dort kein Star war, dass es sich unerkannt bewegen und Menschen ihm unvoreingenommen begegnet sind. Sein Status ist ihm nicht wichtig, auch Statussymbole sind es nicht. "Ich bin immer noch Manuel, so wie früher", sagt er, "von mir aus können gerne andere im Mittelpunkt stehen."

Sein Wechsel nach München fügt sich in dieses Bild. Neuer hat oft genug bewiesen, dass er in der Lage ist, im Wind zu bestehen. Zahlreiche Chancen für die Gegner führten zu zahlreichen Paraden, zahlreiche Offensiven hat er zur Verzweiflung getrieben. Seine neue Herausforderung ist die, der sich die meisten großen Torhüter irgendwann stellen: weniger Bälle halten, dafür entscheidende. In der Nationalmannschaft und bei den Bayern wird er seltener geprüft als früher auf Schalke. Und es klingt nur paradox, wenn Neuer sagt: "Das ist die größere Herausforderung."

Deutschlands Nummer eins hat gelernt, die Konzentration auch ohne akute Bedrohung am Maximum zu halten. "Daran musste ich mich erst gewöhnen", sagt Neuer. Er hat sich daran gewöhnt. Anders als an Gegentore – gegen die wird er immer allergisch bleiben.