Hummels: "Technik, Ruhe, Härte - Wir sind stark"

DFB.de: Chile haben Sie schon gelobt. Wer gehört für Sie daneben zu den Favoriten der WM?

Hummels: Die Klassiker. Brasilien zuerst und dann Italien muss man nennen, bei Turnieren sind die Italiener immer gefährlich. Natürlich Spanien, die Niederlande und Frankreich. England hat viel Potenzial, auch wenn es der Mannschaft bei den vergangenen Turnieren nie gelungen ist, dieses Potenzial voll abzurufen. Es gibt viele Nationen, die viel können. Wir gehören dazu. Für mich gibt es keinen absoluten Top-Favoriten. Auch wir sind dies nicht, bei allem Selbstbewusstsein kann man das so nicht formulieren.

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Platz zwei in der Meisterschaft, Platz zwei im DFB-Pokal. Jeweils ein Platz zu weit unten nach dem Geschmack von Mats Hummels. Der Verteidiger von Borussia Dortmund hat hohe Ansprüche – an sich und an seine Mannschaften.

Mit dem DFB-Team will er diesen in Brasilien genügen, bei der Fußball-Weltmeisterschaft. Nach der EURO 2012 wird die WM 2014 Hummels' zweites großes Turnier, im Interview mit DFB.de-Redakteur Steffen Lüdeke spricht der 25-Jährige über die Vorbereitung in Südtirol, den Konkurrenzkampf im Team und seine Erwartungen an Brasilien.

DFB.de: Herr Hummels, vor einer Woche haben Sie mit Borussia Dortmund im Finale des DFB-Pokals in der Verlängerung mit 0:2 gegen die Bayern verloren. Die Umstände sind bekannt, aus Ihrer und der Sicht waren diese sehr unglücklich. Haben Sie das Endspiel mittlerweile vollständig abgehakt?

Mats Hummels: Bis heute ist es so, dass viele Leute mich und uns zu trösten versuchen. Mir wird oft bestätigt, dass wir Pech gehabt haben. Das war ja auch so, aber es hilft alles nichts. Wenn man ein Spiel klar verliert, kommt man schneller drüber weg. So wird es noch eine Weile ärgerlich bleiben. Auch wenn man bedenkt, dass wir auch im Champions-League-Finale 2013 unter Fehlentscheidungen gelitten haben. Ich will nicht nach Ausreden suchen, aber in beiden Fällen lässt sich dieser Fakt nicht leugnen. Und ich bin zu ehrgeizig, als dass mich dies nicht noch immer wurmen würde.

DFB.de: An eine übergeordnete Gerechtigkeit glauben Sie nicht? Glück und Pech gleichen sich im Laufe einer langen Saison aus, sagt man. Erst Recht muss dies dann für eine hoffentlich noch lange Karriere gelten.

Hummels: Leider nicht, dafür bin ich zu rational. An Karma oder so etwas glaube ich nicht. Das Thema habe ich zu Hause manchmal. (lacht) Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass es eine Instanz gibt, die Glück und Pech steuert. Ich will aber auch nicht lamentieren. Das Pokalfinale habe ich zwar noch nicht zu 100 Prozent, aber doch so gut wie abgehakt. Ich bin jetzt hier bei der Nationalmannschaft, mein Fokus gilt Gegenwart und Zukunft der Nationalmannschaft.

DFB.de: Seit Mittwoch sind Sie in Südtirol. Wie gefällt es Ihnen im Passeiertal?

Hummels: Das Hotel ist unfassbar. Es ist eines der Schönsten, in denen ich jemals war. Und als Fußballer sind wir ja privilegiert, ich kann das beurteilen, ich habe ich schon viele schöne Hotels erlebt. Die Bedingungen sind insgesamt traumhaft. Bei der Radtour am Mittwochnachmittag haben wir gesehen, wie schön die Umgebung ist. Hier lässt es sich gut aushalten, gut erholen und – in unserem Fall – gut fit machen.

DFB.de: Turniervorbereitungen bedeuten für die Spieler viel Arbeit, es müssen die Grundlagen für das Turnier gelegt werden. Wenn Sie morgens aufwachen, beginnt ein hartes Programm. Starten Sie dennoch voller Vorfreude in den Tag?

Hummels: Wir spielen ja im Grunde immer Fußball, reine Läufe machen wir so gut wie nie. Sobald ein Ball und Tore im Spiel sind, habe ich immer Lust. Wenn keine Tore im Spiel sind, muss ich mich manchmal ein bisschen mehr motivieren, aber auch das ist kein Problem. Vor allem mit dem großen Ziel im Hinterkopf, das uns alle hier antreibt. Wir haben die Möglichkeit, eine WM in Brasilien zu spielen. Da fällt es keinem schwer, sich komplett zu verausgaben.

DFB.de: Was muss in Südtirol passieren, damit sie am Ende der zehn Tage das Trainingslager als Erfolg beurteilen können?

Hummels: Sportlich müssen wir noch einige Dinge verbessern, insbesondere unser taktisches Verhalten. In den Vereinen haben wir teilweise andere Ansätze, da benötigen wir einige Zeit, bis die Abläufe komplett automatisiert sind. Die Fitness ist natürlich ein großes Thema, für mich daneben und vor allem auch das Teambuilding. In den vergangenen zwei, drei Jahren haben wir in diesem Bereich große Schritte nach vorne gemacht. Wir alle kennen uns viel besser, wir sind viel entspannter, können den anderen viel besser einschätzen. Ich kann sagen, dass es in der Mannschaft zwischenmenschlich absolut passt. Aber nur, weil Dinge schon gut sind, heißt das nicht, dass sie nicht noch besser werden könnten. Deswegen ist so ein Trainingslager immer auch die Chance, noch enger als Team zusammenzuwachsen. Das passiert auf dem Platz, vor allem aber daneben.

DFB.de: Etwa an der Tischtennisplatte. Es wird von legendären Duellen zwischen Ihnen und Marco Reus erzählt. Haben Sie hier schon die Gelegenheit gehabt, diese Duelle fortzusetzen?

Hummels: Nein, aber das wird sich noch ergeben. Bei der EM 2012 haben Marco, Mario (Götze, Anm. d. Red.) und ich tatsächlich einige sehr harte Partien gehabt. Wenn ich nicht irre, habe ich damals nicht so häufig gewinnen können. Diesmal will ich als Sieger hervorgehen, und das wird auch so sein. Hoffentlich. Das ist wirklich von großer Bedeutung. (lacht)

DFB.de: Mit Erik Durm, Kevin Volland, Shkodran Mustafi, Matthias Ginter und Christoph Kramer sind einige Spieler dabei, die erst seit Kurzem dabei sind. Wie erleben Sie die Neuen bislang, welchen Eindruck haben Sie gewonnen?

Hummels: Zu allererst – das sind alles wirklich sehr gute Fußballer. Ich bin beeindruckt, da kommt einiges an guten Spielern nach in Deutschland. Positiv ist außerdem, dass sie offen sind, dass sie sich nicht zurückziehen, sondern integrieren wollen. Sie haben gemerkt, dass dies bei dieser Mannschaft kein Problem ist. Hier gehen alle aufeinander zu, und das ist für die Neuen sehr hilfreich. So habe ich das damals auch erlebt, als ich zum ersten Mal bei der Nationalmannschaft sein durfte.

DFB.de: Das klingt alles extrem harmonisch. Sie sagen, dass es zwischenmenschlich passt, dass die Stimmung im Team gut ist. Hat der teaminterne Konkurrenzkampf keine negativen Auswirkungen? Sie sind davon doch selbst betroffen. Alleine mit Ihnen, Per Mertesacker und Jerome Boateng hat der Bundestrainer mindestens drei erstklassige Optionen für zwei Positionen.

Hummels: Das stimmt, aber ich finde nicht, dass der Konkurrenzkampf Einfluss auf das Verhältnis untereinander haben muss. Per und Jerome sind nicht nur zwei gute, sondern zwei sehr gute Typen, mit denen ich prima klarkomme. Natürlich will jeder von uns Dreien spielen, jeder will sich durchsetzen. Das gilt genauso auch für Benni Höwedes, Matthias Ginter und Shkodran Mustafi, die für die Innenverteidigung in Frage und diese Position auf hohem Niveau spielen können. Und ich bin sicher, dass die Enttäuschung bei demjenigen groß sein wird, den es trifft, der nicht von Beginn auf dem Feld steht. Das kann aber keinen Einfluss auf die Achtung des anderen haben. Unser Umgang war immer respektvoll und freundschaftlich, daran wird sich durch die Entscheidungen des Bundestrainers nichts ändern.

DFB.de: In dieser Saison haben Sie für den BVB in einigen Spielen aufgrund von Verletzungen gefehlt. In der Bundesliga haben Sie von 34 möglichen nur 23 Spiele bestritten. Überspielt sind Sie nicht, oder?

Hummels: Überspielt bin ich nicht, das stimmt. Mein körperlicher Zustand nach dem Ende der Saison vor einem Jahr war ein ganz anderer. Nach dem Champions-League-Finale wäre es für mich extrem schwer geworden, ein großes Turnier wie EM oder WM zu spielen. Was das angeht, war die Verletzung dann sogar positiv. Im Grunde auch für den Kopf. Nach der Verletzungspause bin ich an alle Dinge mit einer optimalen Einstellung herangegangen. Wenn man eine zeitlang nicht Fußball spielen konnte, lässt man sich danach von Kleinigkeiten nicht mehr so leicht stören. Mir hat das geholfen, relativ schnell mein altes Niveau wieder zu erreichen.

DFB.de: Sie haben nicht nur einige Bundesliga-Spiele verpasst, auch im Länderspiel gegen Chile konnten Sie nicht mitwirken. Deutschland hat 1:0 gewonnen, Chile aber beeindruckenden Fußball gespielt.

Hummels: Das ist nicht überraschend. Gerade was das Taktische angeht, ist Chile eine der stärksten Nationen im Fußball. Seit einigen Jahren wurde dort einiges aufgebaut. Und sie habe individuell hohe Qualität. Spieler wie Vidal, Sanchez und Isla haben herausragende Fähigkeiten, nicht umsonst spielen sie bei Topclubs in Europa. Wir sind auch gut, wir sind selbstbewusst, aber es wäre vermessen zu sagen, dass wir eine Mannschaft wie Chile immer nach Belieben dominieren können.

DFB.de: Sie haben kürzlich gesagt, dass die aktuelle Nationalmannschaft die spielerisch Beste aller Zeiten sei.

Hummels: Nicht ganz. Aber von allen Mannschaften, die ich erlebt habe. Also was den Zeitraum der vergangenen 25 Jahre betrifft.

DFB.de: Woran machen Sie die hohe Qualität fest.

Hummels: Am Training. Wenn man sieht, mit welchem Niveau alle Spieler agieren können. Wie sich die Spieler im eins-gegen-eins verhalten. Welche Ruhe sie am Ball haben. Wie sich alle unter Druck befreien können. Wie sie das Spiel auslösen können. Welchen Willen sie ausstrahlen. Welche Zweikampfhärte sie haben. Das Team vereint viele Fähigkeiten, insgesamt ist das wirklich beeindruckend.

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DFB.de: Welche der Fähigkeiten werden für den Erfolg bei der WM entscheidend sein?

Hummels: Es ist immer eine Mischung. Die individuelle Klasse in der Offensive haben wir auf jeden Fall, dort passiert vieles intuitiv, anders als in der Defensive, wo viele Dinge einstudiert sind. Ganz wesentlich werden in Brasilien die klassischen Tugenden sein, also Kämpfen, Willen, Einsatz. Die klimatischen Bedingungen werden Einfluss auf das Spiel haben. Wer sich davon nicht beeinflussen lässt, hat gute Chancen beim Turnier erfolgreich zu sein.

DFB.de: Die Fans in Deutschland erwarten den Titel. Wie sehr sind Sie durch diesen Druck beeinflusst?

Hummels: Ganz ehrlich?

DFB.de: Bitte!

Hummels: Für mich spielt keine große Rolle, was andere von mir oder von uns als Mannschaft erwarten. Ich gehe in jedes Spiel mit derselben Einstellung: Ich bin unzufrieden, wenn wir nicht gewinnen. Natürlich ist mir bewusst, dass die Fans enttäuscht sind, wenn wir Spiele verlieren und noch mehr, wenn wir früh ausscheiden. Ich mache mich aber davon frei, dass dies meine Leistung beeinflussen könnte. Die Erwartungen anderer haben auf das, was ich auf dem Platz zeigen möchte, keinen Einfluss.

DFB.de: Chile haben Sie schon gelobt. Wer gehört für Sie daneben zu den Favoriten der WM?

Hummels: Die Klassiker. Brasilien zuerst und dann Italien muss man nennen, bei Turnieren sind die Italiener immer gefährlich. Natürlich Spanien, die Niederlande und Frankreich. England hat viel Potenzial, auch wenn es der Mannschaft bei den vergangenen Turnieren nie gelungen ist, dieses Potenzial voll abzurufen. Es gibt viele Nationen, die viel können. Wir gehören dazu. Für mich gibt es keinen absoluten Top-Favoriten. Auch wir sind dies nicht, bei allem Selbstbewusstsein kann man das so nicht formulieren.