Horst Zingraf: "Egoismus muss nicht immer negativ sein"

Der Blick zurück trügt nicht. In den Teams vergangener Welt- und Europameister standen von Beckenbauer bis Klinsmann immer starke Persönlichkeiten. Wären die großen Titel ohne sie errungen worden? War vielleicht gerade die Persönlichkeit dieser Spieler, waren ihr Mut, Durchsetzungskraft und Intelligenz, ihr Wille und ihre Teamfähigkeit, für die Titelgewinne 1974 und 1990 ausschlaggebend?

Diese Fragen werden bis zum Mittwoch beim 52. Internationalen Trainer-Kongress des Bundes Deutscher Fußball-Lehrer (BDFL) in Pforzheim gestellt, an dem 700 Trainer teilnehmen und der unter dem Motto "Möglichkeiten und Grenzen der Persönlichkeitsentwicklung im Fußball" steht.

Gerade mit der Frage, inwieweit die Persönlichkeit des Spielers gezielt gefördert werden kann, beschäftigen sich die Kongressreferenten, darunter auch DFB-Sportdirektor Matthias Sammer und der ehemalige Schalker Trainer Mirko Slomka. Zu Beginn der dreitägigen Veranstaltung sprach Internetredakteur Thomas Hackbarth im DFB.de-Exklusivinterview mit Horst Zingraf, als BDFL-Präsident ein Gastgeber des Kongresses.

Frage: Herr Zingraf, ist der Fußball wirklich eine Lebensschule? Und wenn ja, was haben Sie persönlich durch den Fußball gelernt?

Horst Zingraf: So einiges. Etwa, dass es ohne harte Arbeit keinen Erfolg gibt. Wie wichtig es ist, am Detail zu arbeiten. Dass sich andere in der Gruppe auf mich verlassen und auf mein Handeln bauen können. Schließlich Druckresistenz.

Frage: Kann der Trainer im Alleingang die Persönlichkeit seiner Spieler schulen - oder braucht er die Unterstützung von Psychologen und Motivationsexperten?

Zingraf: Zuerst muss der Trainer selbst eine Persönlichkeit sein. Die jungen Spieler spüren doch sofort, ob der, der vorne steht, glaubhaft ist. Daneben braucht der Trainer heute auch für die Förderung der Persönlichkeit ein profundes Wissen. Wer hier mit Halbwissen drangeht, wird scheitern. Manche Dinge muss der Trainer abgeben, aber dabei ist er immer im Zentrum des Netzes. Er muss in der Lage sein, zurücklaufende Informationen zu sammeln und zu verarbeiten. Die Förderung der Persönlichkeit ist kein Selbstzweck. Wir wollen die Ressourcen des Spielers besser ausschöpfen und letztendlich mehr Siege einfahren.

Frage: Können Sie die Charakteristika beschreiben, um die es geht?

Zingraf: Mannschaften ohne Persönlichkeiten gewinnen die leichten Spiele, aber nie eine Partie, die schon vom Gegner beherrscht wird. Wir wollen Jungs, die mit ihrem mutigen Engagement Spiele entscheiden, die auf der Kippe stehen. Der moderne Spieler muss Risiken eingehen, er muss innerlich bereit sein, nach einem versauten Ball vom ganzen Stadion ausgepfiffen zu werden. Physisch und im technischen Bereich haben wir Trainer viel ausgeschöpft. Jetzt schauen wir, was wir an mentaler Stärke und psychischer Stabilität noch herauskitzeln können.

Frage: Inwieweit hängt die Entwicklung der Persönlichkeit mit gesellschaftlichen Werten zusammen? Hat man etwa im DDR-Fußball nicht ganz andere Persönlichkeiten geformt als heute in der Bundesliga?

Zingraf: Ich glaube nicht, dass die Unterschiede so groß waren. Man denke nur an die Persönlichkeiten und herausragenden Spieler, die der DDR-Fußball hervorgebracht hat, allen voran der heutige DFB-Sportdirektor Matthias Sammer. Widerborstige, auch manchmal unbequeme Typen haben sich also auch in der DDR entwickelt. Kennzeichnend heute ist die starke Individualisierung unserer Gesellschaft. Wir haben immer mehr Talente, die eigentlich gar keine Teamspieler sind. Das ist nicht unbedingt negativ. Aus diesem gesunden Egoismus entstehen überraschende Einzelaktionen im Spiel. Der Trainer muss diese Individualisten - früher etwa Netzer, heute ein Spieler wie Ribery - in ein schlüssiges Gesamtkonzept integrieren. Die Flügel zu stutzen, bringt nur Durchschnitt.

Frage: Die DFB-Junioren sind Europameister in den drei bedeutendsten Altersstufen, bei der U 17, der U 19 und der U 21. Ist dies auch ein Indiz für die Qualität der Trainer in Deutschland?

Zingraf: Die beiden wichtigen Schritte nach vorne waren die Einrichtung der systematischen Talentförderung durch den DFB und die Gründung der Leistungszentren seitens der Liga. Die Umsetzung vor Ort geschieht durch den Trainer. Matthias Sammer sagt immer wieder: "Der Trainer ist der Schlüssel". Und natürlich hat er damit völlig Recht.

Frage: Was ist die größte Veränderung im Trainergeschäft in den vergangenen Jahren?

Zingraf: Sicher die Entwicklung vom Generalisten, der es als Schwäche gesehen hätte, nicht alles selbst zu machen, hin zum Leiter eines teils vielköpfigen Funktionsteams. Diese Differenzierung der Aufgabe beurteilen wir beim BDFL sehr positiv.

Frage: Und wie haben Sie die öffentliche Diskussion der vergangenen Saison gesehen über einige Trainer, die auf ihr vertragliches Optionsrecht pochten und vorzeitig den Verein verließen?

Zingraf: Als BDFL-Präsident bin ich natürlich für das Einhalten von Verträgen und für langfristiges Arbeiten. Eine stabile Verbindung zwischen Klub und Trainer wird durch das englische Modell, bei dem der Trainer auch die Aufgabe des Sportdirektors übernimmt, gefördert. Nur wenn man die Trainer stärkt, kann man Leistung und Misserfolg wirklich zuordnen. Auf der anderen Seite ist der moderne Fußball auch ein Geschäft. Die meisten Trainer, die öffentlich für den Vereinswechsel kritisiert wurden, haben doch nur eine Vertragsoption gezogen. Es ist nicht unmoralisch, alle Möglichkeiten eines Vertrages auszuloten.

Zur Person: Horst Zingraf

Der ehemalige Bundestrainer Jupp Derwall hatte Horst Zingraf, der bis 1973 Trainer in Saarbrücken gewesen war, zum BDFL gebracht. Der ehemalige Sport- und Deutschlehrer wurde später Dozent am Institut für Sportwissenschaften der Universität des Saarlandes und wechselte 1990 zum Sportartikelhersteller und DFB-Partner adidas.

Seit 2003 steht Horst Zingraf dem Bund Deutscher Fußball-Lehrer (BDFL) vor. Am Dienstag stellt er sich zur Wiederwahl als Präsident des 4300 Mitglieder zählenden Verbandes, in dem 75 Prozent der Lizenztrainer und 90 Prozent der Trainer aus den Profiligen organisiert sind.

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Der Blick zurück trügt nicht. In den Teams vergangener Welt- und Europameister standen von Beckenbauer bis Klinsmann immer starke Persönlichkeiten. Wären die großen Titel ohne sie errungen worden? War vielleicht gerade die Persönlichkeit dieser Spieler, waren ihr Mut, Durchsetzungskraft und Intelligenz, ihr Wille und ihre Teamfähigkeit, für die Titelgewinne 1974 und 1990 ausschlaggebend?

Diese Fragen werden bis zum Mittwoch beim 52. Internationalen Trainer-Kongress des Bundes Deutscher Fußball-Lehrer (BDFL) in Pforzheim gestellt, an dem 700 Trainer teilnehmen und der unter dem Motto "Möglichkeiten und Grenzen der Persönlichkeitsentwicklung im Fußball" steht.

Gerade mit der Frage, inwieweit die Persönlichkeit des Spielers gezielt gefördert werden kann, beschäftigen sich die Kongressreferenten, darunter auch DFB-Sportdirektor Matthias Sammer und der ehemalige Schalker Trainer Mirko Slomka. Zu Beginn der dreitägigen Veranstaltung sprach Internetredakteur Thomas Hackbarth im DFB.de-Exklusivinterview mit Horst Zingraf, als BDFL-Präsident ein Gastgeber des Kongresses.

Frage: Herr Zingraf, ist der Fußball wirklich eine Lebensschule? Und wenn ja, was haben Sie persönlich durch den Fußball gelernt?

Horst Zingraf: So einiges. Etwa, dass es ohne harte Arbeit keinen Erfolg gibt. Wie wichtig es ist, am Detail zu arbeiten. Dass sich andere in der Gruppe auf mich verlassen und auf mein Handeln bauen können. Schließlich Druckresistenz.

Frage: Kann der Trainer im Alleingang die Persönlichkeit seiner Spieler schulen - oder braucht er die Unterstützung von Psychologen und Motivationsexperten?

Zingraf: Zuerst muss der Trainer selbst eine Persönlichkeit sein. Die jungen Spieler spüren doch sofort, ob der, der vorne steht, glaubhaft ist. Daneben braucht der Trainer heute auch für die Förderung der Persönlichkeit ein profundes Wissen. Wer hier mit Halbwissen drangeht, wird scheitern. Manche Dinge muss der Trainer abgeben, aber dabei ist er immer im Zentrum des Netzes. Er muss in der Lage sein, zurücklaufende Informationen zu sammeln und zu verarbeiten. Die Förderung der Persönlichkeit ist kein Selbstzweck. Wir wollen die Ressourcen des Spielers besser ausschöpfen und letztendlich mehr Siege einfahren.

Frage: Können Sie die Charakteristika beschreiben, um die es geht?

Zingraf: Mannschaften ohne Persönlichkeiten gewinnen die leichten Spiele, aber nie eine Partie, die schon vom Gegner beherrscht wird. Wir wollen Jungs, die mit ihrem mutigen Engagement Spiele entscheiden, die auf der Kippe stehen. Der moderne Spieler muss Risiken eingehen, er muss innerlich bereit sein, nach einem versauten Ball vom ganzen Stadion ausgepfiffen zu werden. Physisch und im technischen Bereich haben wir Trainer viel ausgeschöpft. Jetzt schauen wir, was wir an mentaler Stärke und psychischer Stabilität noch herauskitzeln können.

Frage: Inwieweit hängt die Entwicklung der Persönlichkeit mit gesellschaftlichen Werten zusammen? Hat man etwa im DDR-Fußball nicht ganz andere Persönlichkeiten geformt als heute in der Bundesliga?

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Zingraf: Ich glaube nicht, dass die Unterschiede so groß waren. Man denke nur an die Persönlichkeiten und herausragenden Spieler, die der DDR-Fußball hervorgebracht hat, allen voran der heutige DFB-Sportdirektor Matthias Sammer. Widerborstige, auch manchmal unbequeme Typen haben sich also auch in der DDR entwickelt. Kennzeichnend heute ist die starke Individualisierung unserer Gesellschaft. Wir haben immer mehr Talente, die eigentlich gar keine Teamspieler sind. Das ist nicht unbedingt negativ. Aus diesem gesunden Egoismus entstehen überraschende Einzelaktionen im Spiel. Der Trainer muss diese Individualisten - früher etwa Netzer, heute ein Spieler wie Ribery - in ein schlüssiges Gesamtkonzept integrieren. Die Flügel zu stutzen, bringt nur Durchschnitt.

Frage: Die DFB-Junioren sind Europameister in den drei bedeutendsten Altersstufen, bei der U 17, der U 19 und der U 21. Ist dies auch ein Indiz für die Qualität der Trainer in Deutschland?

Zingraf: Die beiden wichtigen Schritte nach vorne waren die Einrichtung der systematischen Talentförderung durch den DFB und die Gründung der Leistungszentren seitens der Liga. Die Umsetzung vor Ort geschieht durch den Trainer. Matthias Sammer sagt immer wieder: "Der Trainer ist der Schlüssel". Und natürlich hat er damit völlig Recht.

Frage: Was ist die größte Veränderung im Trainergeschäft in den vergangenen Jahren?

Zingraf: Sicher die Entwicklung vom Generalisten, der es als Schwäche gesehen hätte, nicht alles selbst zu machen, hin zum Leiter eines teils vielköpfigen Funktionsteams. Diese Differenzierung der Aufgabe beurteilen wir beim BDFL sehr positiv.

Frage: Und wie haben Sie die öffentliche Diskussion der vergangenen Saison gesehen über einige Trainer, die auf ihr vertragliches Optionsrecht pochten und vorzeitig den Verein verließen?

Zingraf: Als BDFL-Präsident bin ich natürlich für das Einhalten von Verträgen und für langfristiges Arbeiten. Eine stabile Verbindung zwischen Klub und Trainer wird durch das englische Modell, bei dem der Trainer auch die Aufgabe des Sportdirektors übernimmt, gefördert. Nur wenn man die Trainer stärkt, kann man Leistung und Misserfolg wirklich zuordnen. Auf der anderen Seite ist der moderne Fußball auch ein Geschäft. Die meisten Trainer, die öffentlich für den Vereinswechsel kritisiert wurden, haben doch nur eine Vertragsoption gezogen. Es ist nicht unmoralisch, alle Möglichkeiten eines Vertrages auszuloten.

Zur Person: Horst Zingraf

Der ehemalige Bundestrainer Jupp Derwall hatte Horst Zingraf, der bis 1973 Trainer in Saarbrücken gewesen war, zum BDFL gebracht. Der ehemalige Sport- und Deutschlehrer wurde später Dozent am Institut für Sportwissenschaften der Universität des Saarlandes und wechselte 1990 zum Sportartikelhersteller und DFB-Partner adidas.

Seit 2003 steht Horst Zingraf dem Bund Deutscher Fußball-Lehrer (BDFL) vor. Am Dienstag stellt er sich zur Wiederwahl als Präsident des 4300 Mitglieder zählenden Verbandes, in dem 75 Prozent der Lizenztrainer und 90 Prozent der Trainer aus den Profiligen organisiert sind.