Horst Eckel: Ein Held für die Ewigkeit

Fast 60 Jahre sind vergangen, seit jenem Juli-Tag im Wankdorf-Stadion. Horst Eckel ist trotzdem immer noch ein gefragter Mann. Denn was er und seine Mannschaft gegen die hochfavorisierten Ungarn leisteten, war nicht weniger als ein Fußballwunder. Der Fan Club Nationalmannschaft powered by Coca-Cola freut sich daher den 81-Jährigen vor dem Länderspiel gegen Paraguay als „Prominentes Mitglied“ auszuzeichnen. Ein gegebener Anlass, um Erinnerungen an das vielleicht größte deutsche Fußballspiel aller Zeiten aufleben zu lassen.

Aus dem Benjamin von Bern ist ein älterer Herr geworden. Man sieht es ihm nicht an, aber Horst Eckel ist tatsächlich schon 81. 1954 war er der jüngste Held und einer von fünf Lauterern neben Fritz und Ottmar Walter, Werner Liebrich und Werner Kohlmeyer. Im Hotel Belvédère am Thuner See bezogen Hans Schäfer und er damals ein Zimmer, die Nummer 103. Heute sind der Kölner und der Pfälzer die letzten Lebenden aus der Mannschaft, die erstmals den Coupe Jules Rimet heimbrachte. Deren Sieg die eigentliche Geburtsstunde der BRD war. Das sehen jedenfalls viele so.

„Nein, nein, das machen wir im Stehen“, sagt Horst Eckel. Den angebotenen Stuhl jedenfalls schlägt er aus. Eckel will an diesem Tag ein Seminar eröffnen. 30 Teilnehmer, ein Kamerateam, ein Radioreporter. Mag das Publikum überschaubar sein: Hinsetzen auf der Bühne ist für alte Männer. Der „Windhund“, wie ihn früher die Mitspieler nannten, ist drahtig geblieben.

Schon damals, Ende der 40er-Jahre, als der Sohn eines Bahnbeamten aus der Kreisliga nach Kaiserslautern wechselte, tagsüber erst im Sägewerk und später am Fließband einer Fabrik schuftete, stand er um fünf Uhr auf. Trainiert wurde nur zweimal in der Woche. Also umrundete er noch vor dem Morgengrauen seinen Heimatort Vogelbach. „Von nix kommt nix“ blieb sein Motto, das an die zwingenden Weisheiten seines späteren Trainers erinnerte. Der Sport, sagt Eckel, sei „wie eine Bank, an die ich mein ganzes Leben etwas überwiesen habe, jetzt zahlt sich das aus“.

Sich zurücknehmen und die Aufgabe schultern

Jedes zweite Wochenende setzt er sich bis heute ins Auto und fährt selbst nach Kaiserslautern. Früher radelte er die 30 Kilometer auf den Betzenberg, um dort sein Idol Fritz Walter zu sehen. Heute wird für Eckel und einige andere grau gewordene „Rote Teufel“ ein Tisch im VIP-Bereich reserviert. „Der 1. FC Kaiserslautern, das ist mein Verein und wird es immer bleiben“, sagt er.

1949 hatte er den Schritt vom Kreisligaklub SC Vogelbach zum FCK gewagt. Schnell „adoptierte“ ihn Walter. Eckel erinnert sich: „Fritz hat früh erkannt: ‚Da habe ich einen jungen Mann, der für mich etwas mitlaufen kann.’ Schon beim zweiten Mal hat er mich beim Trainingsspiel gewählt, als Ersten überhaupt.“

Zum Saisonende 1951/52 wurde er umgeschult, vom Stürmer zum Außenläufer, wohl auf Wunsch Sepp Herbergers. In der Schweiz sollten nur Eckel und Fritz Walter alle sechs Spiele bestreiten. Sie wurden unzertrennlich, verstanden sich blind. Eckel sagt: „Wenn ich ein Problem hatte, ging ich zu Fritz, und umgekehrt hat er als Erstes das Gespräch mit mir gesucht.“ Sportreporter Rudi Michel hat Eckel mal einen „ballbesessenen Alleskönner“ genannt. Sicher war es immer eine Stärke Eckels, sich zurückzunehmen und die Aufgabe zu schultern.

Er konnte alles und machte das, was gefordert war

Er konnte alles und machte genau das, was gefordert war. Als Herberger ihn nicht auf Ferenc Puskás, sondern auf Nándor Hidegkuti ansetzte, wurde er zum Albtraum des ungarischen Spielgestalters. Eckels grandiose Leistung sollte das WM-Endspiel mitentscheiden.

Im nächsten Sommer werden 60 Jahre vergangen sein seit jenem 4. Juli 1954. Eine versunkene Zeit. 320 Mark im Monat verdiente Eckel, auf der Busfahrt zum Spiel sang die deutsche Mannschaft. Heute nicht mehr vorstellbar: Der Engländer William Ling pfiff das WM-Finale sieben Minuten zu früh an. Nach acht Minuten führten die Ungarn 2:0, nach 18 Minuten glich Rahn per Volleyabnahme aus. Es war was los im Wankdorf.

Eckel: „Als es 0:2 stand, hatten wir doch keine Zeit, wir konnten nicht groß sprechen. Gerade in diesem Moment aber zeigte sich, was für eine Mannschaft wir waren.“ Kurz vor der Pause schlitzte ein Stollen des Ungarn Lantos Eckels rechten Oberschenkel auf, eine klaffende Wunde, fast 20 Zentimeter lang. Darauf heute angesprochen, lacht er: „Nichts Schlimmes, in einem WM-Finale spürt man das kaum.“

Dabei war es ein Drama. „Das geht nicht mehr, Horst“, sagte Masseur Deuser, als er die Blutung stillte und den Oberschenkel verband. „Ich kann doch die annere nicht alleinlasse“, entgegnete Eckel. Ling pfiff, Eckel rettete sich in die Halbzeit. Und biss sich durch.

„Szenen des WM-Endspiels sehe ich klar vor mir“

In der 84. Minute fiel DAS Tor. Und jeder denke an die Reportage von Herbert Zimmermann. „Aus dem Hintergrund müsste Rahn schießen – Rahn schießt – Tooooor! Tooooor! Tooooor! Tooooor!“ Und danach, Horst Eckel? „Ja, das waren die längsten sechs Minuten, zumindest in meiner Laufbahn als Fußballer. Herberger rief nichts rein, damals gab’s keine Tafel mit der Nachspielzeit. Die Zeit ging einfach nicht rum.“

Horst Eckel spielte noch lange Fußball, bis 1968. Zwei Jahre nach der Laufbahn quälte er sich wieder, diesmal auf Empfehlung des Freundes und FCK-Teamkollegen Karl Schmidt. Horst Eckel studierte Pädagogik, er wurde Sportlehrer. Mit seiner Frau Hannelore ist er seit 1957 verheiratet, das Paar hat zwei Töchter.

„Es ist komisch“, schmunzelt er, „wenn mich meine Frau in den Keller schickt, habe ich unten vergessen, was ich hochbringen soll. Aber Szenen aus dem WM-Endspiel sehe ich bis heute klar vor mir. Ist alles bis heute präsent.“ Wie uns allen – selbst wenn wir gar nicht dabei waren. Auch das ist ein Sieg der „Helden von Bern“.

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Fast 60 Jahre sind vergangen, seit jenem Juli-Tag im Wankdorf-Stadion. Horst Eckel ist trotzdem immer noch ein gefragter Mann. Denn was er und seine Mannschaft gegen die hochfavorisierten Ungarn leisteten, war nicht weniger als ein Fußballwunder. Der Fan Club Nationalmannschaft powered by Coca-Cola freut sich daher den 81-Jährigen vor dem Länderspiel gegen Paraguay als „Prominentes Mitglied“ auszuzeichnen. Ein gegebener Anlass, um Erinnerungen an das vielleicht größte deutsche Fußballspiel aller Zeiten aufleben zu lassen.

Aus dem Benjamin von Bern ist ein älterer Herr geworden. Man sieht es ihm nicht an, aber Horst Eckel ist tatsächlich schon 81. 1954 war er der jüngste Held und einer von fünf Lauterern neben Fritz und Ottmar Walter, Werner Liebrich und Werner Kohlmeyer. Im Hotel Belvédère am Thuner See bezogen Hans Schäfer und er damals ein Zimmer, die Nummer 103. Heute sind der Kölner und der Pfälzer die letzten Lebenden aus der Mannschaft, die erstmals den Coupe Jules Rimet heimbrachte. Deren Sieg die eigentliche Geburtsstunde der BRD war. Das sehen jedenfalls viele so.

„Nein, nein, das machen wir im Stehen“, sagt Horst Eckel. Den angebotenen Stuhl jedenfalls schlägt er aus. Eckel will an diesem Tag ein Seminar eröffnen. 30 Teilnehmer, ein Kamerateam, ein Radioreporter. Mag das Publikum überschaubar sein: Hinsetzen auf der Bühne ist für alte Männer. Der „Windhund“, wie ihn früher die Mitspieler nannten, ist drahtig geblieben.

Schon damals, Ende der 40er-Jahre, als der Sohn eines Bahnbeamten aus der Kreisliga nach Kaiserslautern wechselte, tagsüber erst im Sägewerk und später am Fließband einer Fabrik schuftete, stand er um fünf Uhr auf. Trainiert wurde nur zweimal in der Woche. Also umrundete er noch vor dem Morgengrauen seinen Heimatort Vogelbach. „Von nix kommt nix“ blieb sein Motto, das an die zwingenden Weisheiten seines späteren Trainers erinnerte. Der Sport, sagt Eckel, sei „wie eine Bank, an die ich mein ganzes Leben etwas überwiesen habe, jetzt zahlt sich das aus“.

Sich zurücknehmen und die Aufgabe schultern

Jedes zweite Wochenende setzt er sich bis heute ins Auto und fährt selbst nach Kaiserslautern. Früher radelte er die 30 Kilometer auf den Betzenberg, um dort sein Idol Fritz Walter zu sehen. Heute wird für Eckel und einige andere grau gewordene „Rote Teufel“ ein Tisch im VIP-Bereich reserviert. „Der 1. FC Kaiserslautern, das ist mein Verein und wird es immer bleiben“, sagt er.

1949 hatte er den Schritt vom Kreisligaklub SC Vogelbach zum FCK gewagt. Schnell „adoptierte“ ihn Walter. Eckel erinnert sich: „Fritz hat früh erkannt: ‚Da habe ich einen jungen Mann, der für mich etwas mitlaufen kann.’ Schon beim zweiten Mal hat er mich beim Trainingsspiel gewählt, als Ersten überhaupt.“

Zum Saisonende 1951/52 wurde er umgeschult, vom Stürmer zum Außenläufer, wohl auf Wunsch Sepp Herbergers. In der Schweiz sollten nur Eckel und Fritz Walter alle sechs Spiele bestreiten. Sie wurden unzertrennlich, verstanden sich blind. Eckel sagt: „Wenn ich ein Problem hatte, ging ich zu Fritz, und umgekehrt hat er als Erstes das Gespräch mit mir gesucht.“ Sportreporter Rudi Michel hat Eckel mal einen „ballbesessenen Alleskönner“ genannt. Sicher war es immer eine Stärke Eckels, sich zurückzunehmen und die Aufgabe zu schultern.

Er konnte alles und machte das, was gefordert war

Er konnte alles und machte genau das, was gefordert war. Als Herberger ihn nicht auf Ferenc Puskás, sondern auf Nándor Hidegkuti ansetzte, wurde er zum Albtraum des ungarischen Spielgestalters. Eckels grandiose Leistung sollte das WM-Endspiel mitentscheiden.

Im nächsten Sommer werden 60 Jahre vergangen sein seit jenem 4. Juli 1954. Eine versunkene Zeit. 320 Mark im Monat verdiente Eckel, auf der Busfahrt zum Spiel sang die deutsche Mannschaft. Heute nicht mehr vorstellbar: Der Engländer William Ling pfiff das WM-Finale sieben Minuten zu früh an. Nach acht Minuten führten die Ungarn 2:0, nach 18 Minuten glich Rahn per Volleyabnahme aus. Es war was los im Wankdorf.

Eckel: „Als es 0:2 stand, hatten wir doch keine Zeit, wir konnten nicht groß sprechen. Gerade in diesem Moment aber zeigte sich, was für eine Mannschaft wir waren.“ Kurz vor der Pause schlitzte ein Stollen des Ungarn Lantos Eckels rechten Oberschenkel auf, eine klaffende Wunde, fast 20 Zentimeter lang. Darauf heute angesprochen, lacht er: „Nichts Schlimmes, in einem WM-Finale spürt man das kaum.“

Dabei war es ein Drama. „Das geht nicht mehr, Horst“, sagte Masseur Deuser, als er die Blutung stillte und den Oberschenkel verband. „Ich kann doch die annere nicht alleinlasse“, entgegnete Eckel. Ling pfiff, Eckel rettete sich in die Halbzeit. Und biss sich durch.

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„Szenen des WM-Endspiels sehe ich klar vor mir“

In der 84. Minute fiel DAS Tor. Und jeder denke an die Reportage von Herbert Zimmermann. „Aus dem Hintergrund müsste Rahn schießen – Rahn schießt – Tooooor! Tooooor! Tooooor! Tooooor!“ Und danach, Horst Eckel? „Ja, das waren die längsten sechs Minuten, zumindest in meiner Laufbahn als Fußballer. Herberger rief nichts rein, damals gab’s keine Tafel mit der Nachspielzeit. Die Zeit ging einfach nicht rum.“

Horst Eckel spielte noch lange Fußball, bis 1968. Zwei Jahre nach der Laufbahn quälte er sich wieder, diesmal auf Empfehlung des Freundes und FCK-Teamkollegen Karl Schmidt. Horst Eckel studierte Pädagogik, er wurde Sportlehrer. Mit seiner Frau Hannelore ist er seit 1957 verheiratet, das Paar hat zwei Töchter.

„Es ist komisch“, schmunzelt er, „wenn mich meine Frau in den Keller schickt, habe ich unten vergessen, was ich hochbringen soll. Aber Szenen aus dem WM-Endspiel sehe ich bis heute klar vor mir. Ist alles bis heute präsent.“ Wie uns allen – selbst wenn wir gar nicht dabei waren. Auch das ist ein Sieg der „Helden von Bern“.