Horst Eckel: "Das Motto der Musketiere zu eigen gemacht"

Am Dienstag jährt sich zum 52. Mal der Finaltag der WM 1954 in der Schweiz. Deutschland gewann sensationell im Finale in Bern gegen die favorisierten Ungarn 3:2. Anlässlich des Jubiläums sprach Horst Eckel über das damalige Turnier. Der Spieler aus Kaiserslautern war damals mit 22 Jahren der jüngste Akteur im deutschen Team.

Frage: Horst Eckel, wieder nähert sich der Tag, der 4. Juli, an dem 1954 Deutschland erstmals Weltmeister wurde. Sind diese traditionellen Werte, die immer noch mit dem deutschen Fußball verbunden werden - Disziplin, Solidarität, Kampfkraft, nicht aufgeben - 1954 in der Schweiz geboren worden?

Horst Eckel: Das weiß ich nicht. Ich war der jüngste Nationalspieler, habe keine Ahnung, wie es vor dem Krieg in der Nationalmannschaft zuging. Aber dieses "Elf Freunde müsst ihr sein", das hat uns weiter gebracht. Es waren ja Mannschaften dabei, die fußballerisch eindeutig besser waren als wir.

Frage: War Trainer Sepp Herberger der Vater des Erfolges?

Eckel: Ja. Er war, abgesehen von seinem fachlichen Wissen, ein Pädagoge, ein Gentleman. Er hat die Mannschaft zwei Jahre lang geformt, zusammengeschweißt, ohne sich von Rückschlägen beirren zu lassen, wie das heute so häufig der Fall ist.

Frage: Was war das Geheimnis seines Erfolges?

Eckel: Er wusste alles, einfach alles. In Zeiten, da es noch kein Fernsehen oder Video gab, war er über jeden Spieler des Gegners bis ins Detail informiert. Und alles stimmte! Ich rätsele heute noch, wie er überall seine zuverlässigen Quellen haben konnte.

Frage: Ein Beispiel?

Eckel: Er hatte als einziger und erster erkannt, dass Hidegkuti nur ein nomineller Stürmer war, aber die Gegner destabilisierte, indem er aus dem Mittelfeld kam. Da ich der jüngste war, früher Stürmer gewesen war, durfte ich als Halbrechter eigentlich auch in die Offensive gehen. Aber für das Endspiel hatte mir der Chef das streng verboten. Ich musste nur Hidegkuti blockieren. Das war der Schlüssel zum Erfolg.

Frage: Lassen Sie uns die einzelnen Spiele durchgehen. Zunächst die Türkei.

Eckel: Wir wussten, dass dieses erste Spiel das Wichtigste des Turniers war. Damals gab es in jeder Vierer-Gruppe zwei gesetzte Mannschaften, die nicht gegeneinander spielen mussten. Das Spiel gegen die Ungarn hatten wir von vornherein verloren gegeben; deshalb mussten wir die Türkei schlagen. Wir gerieten nach sechs Minuten in Rückstand, gewannen dann aber mit 4:1. Ein gesetztes Team 4:1 zu besiegen, das hat uns ungeheures Selbstbewusstsein gegeben. Und im zweiten Vorrundenduell gegen die Türken haben wir dann sogar 7:2 gewonnen.

Frage: Allerdings wurde das Spiel gegen die Ungarn mit 3:8 verloren.

Eckel: Vor dem Spiel hatte der Chef uns schon gesagt, dass er nur vier oder fünf Stammspieler aufbieten werde, um die Ungarn hinters Licht zu führen. Ich habe dann ja sogar Stürmer spielen müssen! Die Ungarn haben sich an den acht Toren berauscht, die sie gegen uns erzielt haben und bis zum Finale vergessen, dass wir mit unserer B-Mannschaft dreimal erfolgreich waren. Das war ihr Fehler.

Frage: Herberger hat also bewusst die Top-Elf geschont, um sich wieder auf die gesetzte Mannschaft von der Türkei zu konzentrieren?

Eckel: Genau! Die Türkei hatten gegen die damals sehr starken Spanier zweimal Unentschieden gespielt - und wir haben sie dann 7:2 geschlagen! Da wussten wir endgültig, dass wir weit kommen könnten.

Frage: Viertelfinale gegen Jugoslawien, Halbfinale gegen Österreich...

Eckel: Jugoslawien war technisch besser als wir, aber das war das Spiel von Boss Helmut Rahn, der nie wusste, wie gut er war. Wir auch nicht, der Gegner auch nicht. So hat er das entscheidende Tor zum 2:0 geschossen.

Frage: Österreich war auch ein spezielles Spiel, oder?

Eckel: Allerdings. Es ist ja bekannt, dass wir aus politischen Gründen vor dem Krieg gezwungen waren, eine gemeinsame Mannschaft zu bilden. Die Österreicher träumten nach dem Krieg immer noch von ihrem Wunderteam, und dann haben wir sie 6:1 nach Hause geschickt. Da haben wir uns gesagt, jetzt brauchen wir auch gegen Ungarn im Finale keine Angst mehr zu haben, zumal auch das Glück mit uns war.

Frage: Und? Brauchten Sie das Glück?

Eckel: Unser Glück war es, dass wir zwei Minuten nach dem 0:2 schon den Anschlusstreffer und nach nicht einmal 20 Minuten den Ausgleich erzielt haben. Wir haben uns nicht angegiftet, sondern uns das Motto der Musketiere zu eigen gemacht: Alle für einen, einer für alle. Nach dem 2:0 wurden die Ungarn arrogant.

Frage: Was hat Herberger in der Pause gesagt?

Eckel: Nicht viel, wir hatten unser Etappenziel, ein Unentschieden, ja erreicht. Aber es gab einen kleinen Disput zwischen Werner Kohlmeyer und Torhüter Toni Turek über das zweite Gegentor. Da meinte Herberger nur: "Wollt ihr palavern oder Weltmeister werden?" Da war Ruhe. [tw]


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Am Dienstag jährt sich zum 52. Mal der Finaltag der WM 1954 in der Schweiz. Deutschland gewann sensationell im Finale in Bern gegen die favorisierten Ungarn 3:2. Anlässlich des Jubiläums sprach Horst Eckel über das damalige Turnier. Der Spieler aus Kaiserslautern war damals mit 22 Jahren der jüngste Akteur im deutschen Team.



Frage: Horst Eckel, wieder nähert sich der Tag, der 4. Juli, an dem 1954 Deutschland erstmals Weltmeister wurde. Sind diese traditionellen Werte, die immer noch mit dem deutschen Fußball verbunden werden - Disziplin, Solidarität, Kampfkraft, nicht aufgeben - 1954 in der Schweiz geboren worden?



Horst Eckel: Das weiß ich nicht. Ich war der jüngste
Nationalspieler, habe keine Ahnung, wie es vor dem Krieg in der
Nationalmannschaft zuging. Aber dieses "Elf Freunde müsst ihr
sein", das hat uns weiter gebracht. Es waren ja Mannschaften dabei, die fußballerisch eindeutig besser waren als wir.



Frage: War Trainer Sepp Herberger der Vater des Erfolges?



Eckel: Ja. Er war, abgesehen von seinem fachlichen Wissen, ein Pädagoge, ein Gentleman. Er hat die Mannschaft zwei Jahre lang geformt, zusammengeschweißt, ohne sich von Rückschlägen beirren zu lassen, wie das heute so häufig der Fall ist.



Frage: Was war das Geheimnis seines Erfolges?



Eckel: Er wusste alles, einfach alles. In Zeiten, da es noch kein Fernsehen oder Video gab, war er über jeden Spieler des Gegners bis ins Detail informiert. Und alles stimmte! Ich rätsele heute noch, wie er überall seine zuverlässigen Quellen haben konnte.



Frage: Ein Beispiel?



Eckel: Er hatte als einziger und erster erkannt, dass
Hidegkuti nur ein nomineller Stürmer war, aber die Gegner destabilisierte, indem er aus dem Mittelfeld kam. Da ich der
jüngste war, früher Stürmer gewesen war, durfte ich als Halbrechter eigentlich auch in die Offensive gehen. Aber für das Endspiel hatte mir der Chef das streng verboten. Ich musste nur Hidegkuti blockieren. Das war der Schlüssel zum Erfolg.



Frage: Lassen Sie uns die einzelnen Spiele durchgehen. Zunächst die Türkei.



Eckel: Wir wussten, dass dieses erste Spiel das Wichtigste des Turniers war. Damals gab es in jeder Vierer-Gruppe zwei gesetzte Mannschaften, die nicht gegeneinander spielen mussten. Das Spiel gegen die Ungarn hatten wir von vornherein verloren gegeben; deshalb mussten wir die Türkei schlagen. Wir gerieten nach sechs Minuten in Rückstand, gewannen dann aber mit 4:1. Ein gesetztes Team 4:1 zu besiegen, das hat uns ungeheures Selbstbewusstsein gegeben. Und im zweiten Vorrundenduell gegen die Türken haben wir dann sogar 7:2 gewonnen.



Frage: Allerdings wurde das Spiel gegen die Ungarn mit 3:8 verloren.



Eckel: Vor dem Spiel hatte der Chef uns schon gesagt, dass er nur vier oder fünf Stammspieler aufbieten werde, um die Ungarn hinters Licht zu führen. Ich habe dann ja sogar Stürmer spielen müssen! Die Ungarn haben sich an den acht Toren berauscht, die sie gegen uns erzielt haben und bis zum Finale vergessen, dass wir mit unserer B-Mannschaft dreimal erfolgreich waren. Das war ihr Fehler.



Frage: Herberger hat also bewusst die Top-Elf geschont, um sich wieder auf die gesetzte Mannschaft von der Türkei zu konzentrieren?



Eckel: Genau! Die Türkei hatten gegen die damals sehr starken Spanier zweimal Unentschieden gespielt - und wir haben sie dann 7:2 geschlagen! Da wussten wir endgültig, dass wir weit kommen könnten.



Frage: Viertelfinale gegen Jugoslawien, Halbfinale gegen
Österreich...



Eckel: Jugoslawien war technisch besser als wir, aber das war das Spiel von Boss Helmut Rahn, der nie wusste, wie gut er war. Wir auch nicht, der Gegner auch nicht. So hat er das entscheidende Tor zum 2:0 geschossen.



Frage: Österreich war auch ein spezielles Spiel, oder?



Eckel: Allerdings. Es ist ja bekannt, dass wir aus
politischen Gründen vor dem Krieg gezwungen waren, eine gemeinsame Mannschaft zu bilden. Die Österreicher träumten nach dem Krieg immer noch von ihrem Wunderteam, und dann haben wir sie 6:1 nach Hause geschickt. Da haben wir uns gesagt, jetzt brauchen wir auch gegen Ungarn im Finale keine Angst mehr zu haben, zumal auch das Glück mit uns war.



Frage: Und? Brauchten Sie das Glück?



Eckel: Unser Glück war es, dass wir zwei Minuten nach dem 0:2 schon den Anschlusstreffer und nach nicht einmal 20 Minuten den Ausgleich erzielt haben. Wir haben uns nicht angegiftet, sondern uns das Motto der Musketiere zu eigen gemacht: Alle für einen, einer für alle. Nach dem 2:0 wurden die Ungarn arrogant.



Frage: Was hat Herberger in der Pause gesagt?



Eckel: Nicht viel, wir hatten unser Etappenziel, ein
Unentschieden, ja erreicht. Aber es gab einen kleinen Disput
zwischen Werner Kohlmeyer und Torhüter Toni Turek über das zweite Gegentor. Da meinte Herberger nur: "Wollt ihr palavern oder Weltmeister werden?" Da war Ruhe.