Hingst: "Die Außenseiterrolle steht uns ganz gut"

Das Halbfinale der EURO 2013 in Schweden steht an. In der Vorschlussrunde warten am Mittwoch (ab 20.30 Uhr, live im ZDF und bei Eurosport) ausgerechnet die Gastgeberinnen. Das Turnier geht nun in die heiße Phase, und die Deutschen sind erstmals in der Außenseiterrolle bei einem EM-Spiel.

Doch diese kann auch Vorteile bringen. Da lohnt es sich, mit Kennerblick den Wettbewerb zu begleiten. Exklusiv für DFB.de schreiben die ehemaligen Nationalspielerinnen Ariane Hingst, Renate Lingor, Sandra Smisek und Silke Rottenberg einen EM-Blog - heute Hingst.

Liebe Fans der Frauen-Nationalmannschaft!

Zum ersten Mal sind die Rollen vertauscht. Deutschland gegen Schweden - in der Vergangenheit war in dieser Konstellation immer Deutschland der Favorit. Diesmal ist es umgekehrt. Die Gastgeberinnen haben im Laufe der EM in fast allen Spielen überzeugt, und ich bin auch sicher, dass sie mit dem Druck vor heimischer Kulisse und der hohen Erwartungshaltung gut umgehen können. Trainerin Pia Sundhage hat eine spielstarke Mannschaft geformt, die mit Freude Fußball spielt, die zugleich aber über einen sehr ausgeprägten Siegeswillen verfügt. Keine Frage: Im EM-Halbfinale sind wir diesmal nur Außenseiterinnen.

Und genau darin liegt eine Chance! Für unsere Mannschaft könnte ein Vorteil sein, dass der große Druck diesmal nicht bei ihr liegt. Von unserem jungen Team kann niemand erwarten, dass es die Schwedinnen in Grund und Boden spielt, ich glaube, dass uns die Rolle des Außenseiters ganz gut stehen könnte. Und noch etwas stimmt mich optimistisch: Schweden hat eine Mannschaft, die offensiv ausgerichtet ist, ein Team mit hoher fußballerischer Klasse, das seine Stärken darin hat, Fußball zu spielen. Die Schwedinnen suchen meist fußballerische Lösungen, und genau gegen solche Mannschaften haben wir uns zuletzt leichter getan. Ich erinnere nur an das 4:2 gegen Weltmeister Japan im Rahmen der EM-Vorbereitung oder an das Spektakel beim 3:3 gegen die USA.

Für mich ist die Paarung Deutschland gegen Schweden natürlich mit vielen Erinnerungen verbunden. Vor 16 Jahren gab es diese Paarung im Halbfinale einer EM in Schweden schon einmal. Ich wurde kurz vor Schluss eingewechselt, diese Maßnahme hatte nur einen Sinn: Zeit schinden. Es hat funktioniert, wir haben das 1:0 ins Ziel gerettet. Ich war damals noch relativ frisch im Kreis der Nationalmannschaft, für mich war alles neu und aufregend.

Im Laufe meiner Karriere habe ich gegen Schweden viele große Spiele erlebt, nicht nur das EM-Halbfinale 1997. Bei der EM 2001 in Deutschland hieß unser Finalegegner Schweden, 2003 gab es die Paarung Deutschland gegen Schweden im WM-Endspiel, 2004 haben wir mit einem Sieg über die Schwedinnen Bronze bei den Olympischen Spielen gewonnen.

Als ich ab 2007 für zwei Jahre in Stockholm gemeinsam mit Nadine Angerer für Djugraden gespielt habe, haben wir unsere Teamkolleginnen immer mit dieser Historie konfrontiert. Wir haben die berühmte Weisheit von Gary Lineker abgewandelt und unsere Mitspielerinnen damit aufzogen, dass Fußball ein einfaches Spiel ist, an dessen Ende die Schwedinnen immer gegen Deutschland verlieren. Das war natürlich nicht böse gemeint, es waren die üblichen Frotzeleien unter Mitspielerinnen.

Aber, die Spiele waren immer knapp. Ich kann mich an kaum eine Partie erinnern, in der wir mit mehr als einem Tor Vorsprung gewonnen hätten. Das Standardergebnis war ein 1:0, und oft sind die Tore erst spät oder sogar erst in der Verlängerung gefallen. Warum das so war? Durch meine Zeit in Schweden habe ich einen Erklärungsansatz. Eines der ersten schwedischen Worte, das ich gelernt habe, war "bra". Man konnte sich fast gar nicht wehren vor lauter "bra". Ich musste nur fünf Meter geradeaus laufen, schon hat irgendwer "bra" gerufen.

Irgendwann habe ich verstanden, dass "bra" das schwedische Wort für "gut" ist. Da wusste ich: Die Schweden sind ein harmoniebedürftiges Volk. Und diese Erkenntnis hat sich in den zwei Jahren gefestigt. Kritik wird immer in Watte gepackt, die Schweden sind ziemlich gut darin, die Dinge schön zu färben. Und vielleicht hat dies auch Einfluss auf den Siegeswillen. Ich glaube behaupten zu können, dass den Schwedinnen früher der letzte Biss gefehlt hat.

Für "Natze" und mich war die schwedische Harmonie erst einmal fremd und ungewohnt, und manchmal haben wir uns auch darüber lustig gemacht. Wir haben nach und nach versucht, dies bei Djugarden zu ändern. Ich weiß noch, dass nicht alle immer verstanden haben, wenn wir etwas schlecht genannt haben, das schlecht war. Wir haben ihnen dann erklären müssen, dass diese Kritik niemals böse gemeint, sondern unsere Art ist, der Mannschaft und den einzelnen Spielerinnen dabei zu helfen, sich zu entwickeln. Und ich glaube, dass sie das immer besser verstanden haben.

Für das Spiel am Mittwoch hoffe ich, dass ich den Schwedinnen nicht zu viel beigebracht habe. Ich will mir nicht vorwerfen lassen müssen, dass das Halbfinale für das Team von Silvia Neid Endstation war, weil ich den Schwedinnen beigebracht habe, dass im Fußball nicht immer alles "bra" ist. Aber im Ernst: Ich drücke unsere Mannschaft alle verfügbaren Daumen, ich glaube an ihr Talent und daran, dass sie im Halbfinale über sich hinauswachsen kann.

Eure Ariane Hingst

Ariane Hingst ist zweimalige Welt- und viermalige Europameisterin. Dazu holte sie viermal die deutsche Meisterschaft und gewann zweimal den DFB-Pokal. 174 Spiele absolvierte die Berlinerin für die Nationalmannschaft, aktuell spielt sie für Canberra United in Australien. Zum Halbfinale der EURO gegen Schweden erinnert sie sich an ihre Zeit in Skandinavien.

Das meinen DFB.de-User

"Hallo, ich drücke der deutschen Mannschaft alle Daumen. Mir gefällt der Artikel von Ariane Hingst, weil ich selber seit 13 Jahren in Schweden wohne und genau weiß, was sie meint. Vorwärts Mädels ... auf ins Finale! Gruß von Andreas aus Schweden." (Andreas Grosse, Söråker/Schweden)

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Das Halbfinale der EURO 2013 in Schweden steht an. In der Vorschlussrunde warten am Mittwoch (ab 20.30 Uhr, live im ZDF und bei Eurosport) ausgerechnet die Gastgeberinnen. Das Turnier geht nun in die heiße Phase, und die Deutschen sind erstmals in der Außenseiterrolle bei einem EM-Spiel.

Doch diese kann auch Vorteile bringen. Da lohnt es sich, mit Kennerblick den Wettbewerb zu begleiten. Exklusiv für DFB.de schreiben die ehemaligen Nationalspielerinnen Ariane Hingst, Renate Lingor, Sandra Smisek und Silke Rottenberg einen EM-Blog - heute Hingst.

Liebe Fans der Frauen-Nationalmannschaft!

Zum ersten Mal sind die Rollen vertauscht. Deutschland gegen Schweden - in der Vergangenheit war in dieser Konstellation immer Deutschland der Favorit. Diesmal ist es umgekehrt. Die Gastgeberinnen haben im Laufe der EM in fast allen Spielen überzeugt, und ich bin auch sicher, dass sie mit dem Druck vor heimischer Kulisse und der hohen Erwartungshaltung gut umgehen können. Trainerin Pia Sundhage hat eine spielstarke Mannschaft geformt, die mit Freude Fußball spielt, die zugleich aber über einen sehr ausgeprägten Siegeswillen verfügt. Keine Frage: Im EM-Halbfinale sind wir diesmal nur Außenseiterinnen.

Und genau darin liegt eine Chance! Für unsere Mannschaft könnte ein Vorteil sein, dass der große Druck diesmal nicht bei ihr liegt. Von unserem jungen Team kann niemand erwarten, dass es die Schwedinnen in Grund und Boden spielt, ich glaube, dass uns die Rolle des Außenseiters ganz gut stehen könnte. Und noch etwas stimmt mich optimistisch: Schweden hat eine Mannschaft, die offensiv ausgerichtet ist, ein Team mit hoher fußballerischer Klasse, das seine Stärken darin hat, Fußball zu spielen. Die Schwedinnen suchen meist fußballerische Lösungen, und genau gegen solche Mannschaften haben wir uns zuletzt leichter getan. Ich erinnere nur an das 4:2 gegen Weltmeister Japan im Rahmen der EM-Vorbereitung oder an das Spektakel beim 3:3 gegen die USA.

Für mich ist die Paarung Deutschland gegen Schweden natürlich mit vielen Erinnerungen verbunden. Vor 16 Jahren gab es diese Paarung im Halbfinale einer EM in Schweden schon einmal. Ich wurde kurz vor Schluss eingewechselt, diese Maßnahme hatte nur einen Sinn: Zeit schinden. Es hat funktioniert, wir haben das 1:0 ins Ziel gerettet. Ich war damals noch relativ frisch im Kreis der Nationalmannschaft, für mich war alles neu und aufregend.

Im Laufe meiner Karriere habe ich gegen Schweden viele große Spiele erlebt, nicht nur das EM-Halbfinale 1997. Bei der EM 2001 in Deutschland hieß unser Finalegegner Schweden, 2003 gab es die Paarung Deutschland gegen Schweden im WM-Endspiel, 2004 haben wir mit einem Sieg über die Schwedinnen Bronze bei den Olympischen Spielen gewonnen.

Als ich ab 2007 für zwei Jahre in Stockholm gemeinsam mit Nadine Angerer für Djugraden gespielt habe, haben wir unsere Teamkolleginnen immer mit dieser Historie konfrontiert. Wir haben die berühmte Weisheit von Gary Lineker abgewandelt und unsere Mitspielerinnen damit aufzogen, dass Fußball ein einfaches Spiel ist, an dessen Ende die Schwedinnen immer gegen Deutschland verlieren. Das war natürlich nicht böse gemeint, es waren die üblichen Frotzeleien unter Mitspielerinnen.

Aber, die Spiele waren immer knapp. Ich kann mich an kaum eine Partie erinnern, in der wir mit mehr als einem Tor Vorsprung gewonnen hätten. Das Standardergebnis war ein 1:0, und oft sind die Tore erst spät oder sogar erst in der Verlängerung gefallen. Warum das so war? Durch meine Zeit in Schweden habe ich einen Erklärungsansatz. Eines der ersten schwedischen Worte, das ich gelernt habe, war "bra". Man konnte sich fast gar nicht wehren vor lauter "bra". Ich musste nur fünf Meter geradeaus laufen, schon hat irgendwer "bra" gerufen.

Irgendwann habe ich verstanden, dass "bra" das schwedische Wort für "gut" ist. Da wusste ich: Die Schweden sind ein harmoniebedürftiges Volk. Und diese Erkenntnis hat sich in den zwei Jahren gefestigt. Kritik wird immer in Watte gepackt, die Schweden sind ziemlich gut darin, die Dinge schön zu färben. Und vielleicht hat dies auch Einfluss auf den Siegeswillen. Ich glaube behaupten zu können, dass den Schwedinnen früher der letzte Biss gefehlt hat.

Für "Natze" und mich war die schwedische Harmonie erst einmal fremd und ungewohnt, und manchmal haben wir uns auch darüber lustig gemacht. Wir haben nach und nach versucht, dies bei Djugarden zu ändern. Ich weiß noch, dass nicht alle immer verstanden haben, wenn wir etwas schlecht genannt haben, das schlecht war. Wir haben ihnen dann erklären müssen, dass diese Kritik niemals böse gemeint, sondern unsere Art ist, der Mannschaft und den einzelnen Spielerinnen dabei zu helfen, sich zu entwickeln. Und ich glaube, dass sie das immer besser verstanden haben.

Für das Spiel am Mittwoch hoffe ich, dass ich den Schwedinnen nicht zu viel beigebracht habe. Ich will mir nicht vorwerfen lassen müssen, dass das Halbfinale für das Team von Silvia Neid Endstation war, weil ich den Schwedinnen beigebracht habe, dass im Fußball nicht immer alles "bra" ist. Aber im Ernst: Ich drücke unsere Mannschaft alle verfügbaren Daumen, ich glaube an ihr Talent und daran, dass sie im Halbfinale über sich hinauswachsen kann.

Eure Ariane Hingst

Ariane Hingst ist zweimalige Welt- und viermalige Europameisterin. Dazu holte sie viermal die deutsche Meisterschaft und gewann zweimal den DFB-Pokal. 174 Spiele absolvierte die Berlinerin für die Nationalmannschaft, aktuell spielt sie für Canberra United in Australien. Zum Halbfinale der EURO gegen Schweden erinnert sie sich an ihre Zeit in Skandinavien.

Das meinen DFB.de-User

"Hallo, ich drücke der deutschen Mannschaft alle Daumen. Mir gefällt der Artikel von Ariane Hingst, weil ich selber seit 13 Jahren in Schweden wohne und genau weiß, was sie meint. Vorwärts Mädels ... auf ins Finale! Gruß von Andreas aus Schweden." (Andreas Grosse, Söråker/Schweden)