Hiddink: "Wir sind erst am Anfang"

Hiddink: Das ist kein Problem. In der heutigen Zeit sprechen die Koreaner, die Türken, die Russen fast alle zumindest Englisch. Mit den Spielern in der Türkei kann ich mich auf deutsch, englisch oder spanisch verständigen. Wenn man sich verstehen will, dann versteht man sich. Fußball ist international. Ich übe aber auch schon türkisch, und ich fordere auch die Spieler dazu auf, Sprachen zu lernen. Sie müssen trainieren, reisen viel, spielen. Aber sie haben auch Stunden, in denen sie nichts tun müssen. In dieser Zeit können sie doch auch die Kopfhörer aufsetzen und sich Sprachübungen anhören. Das bringt sie weiter.

DFB.de: Wissen Sie schon, was „Hiddink und die Türkei qualifizieren sich für die EM 2012“ auf türkisch heißt?

Hiddink: Nein, noch nicht. Das ist noch zu schwierig. Aber das möchte ich gerne noch lernen.

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Er ist viel rumgekommen in seinem Trainerleben. Guus Hiddink das Kunststück fertiggebracht, mit den Niederlanden, Südkorea, Australien und Russland bei großen Turnieren dabei zu sein.

Seit August dieses Jahres hat der Trainer einen neuen Auftrag: die Türkei zur EM 2012 in Polen und der Ukraine zu führen. Der Weg führt über Deutschland. Unweigerlich.

DFB.de-Redakteur Gereon Tönnihsen hat mit dem 63-jährigen Niederländer über deutsche Kreativität und türkische Leidenschaft, über Heimat, Neugier und Fernsehabende mit dem Aktuellen Sportstudio gesprochen.

DFB.de: Herr Hiddink, was bedeutet für Sie Heimat?

Guus Hiddink: Heimat ist für mich nicht unbedingt ein Ort, es sind die Menschen, mit denen ich zusammen bin, denen ich begegne. Ich bin in den vergangenen Jahren viel gereist, habe überall in der Welt gearbeitet. Von Seoul bis Sydney, von Moskau bis Istanbul. Die Niederlande sind natürlich meine Heimat, aber mir fehlt auch nichts, wenn ich nicht dort bin. Ich kann überall auf der Welt zu Hause sein.

DFB.de: Wie schafft man es, sich immer wieder in fremden Ländern zurechtzufinden?

Hiddink: Das ist nicht schwer. Ich war schon häufiger in Afrika, ob in Kenia, Tansania, Ruanda oder Südafrika – überall auf der Welt wird Fußball gespielt, egal wie. Da bastelt man sich ein Tor aus ein paar Stöcken, einen Ball aus Lumpen. Und alle spielen mit. Das zeigt, dass der Fußball eine unheimliche Kraft hat, er erleichtert die Integration. Außerdem laufe ich auch nicht mit geschlossenen Augen durch die Orte, an denen ich bin. Man muss vorsichtig sein mit Vorurteilen und Klischees. Meistens sind sie falsch.

DFB.de: Sie gewinnen also auch kulturelle Eindrücke?

Hiddink: Ja. Es ist nicht so, dass ich jeden Tag Zeit dafür habe. Aber als ich in Moskau war, bin ich ab und an durch die Stadt gegangen, habe mir Museen und Kirchen angeschaut, habe gelesen. Das mag ich, so lernt man viel. Die Sprache spielt natürlich auch eine Rolle. Deshalb versuche ich, so schnell wie möglich zumindest die Fußballsprache zu beherrschen, mit Wörtern und kurzen Sätzen. Danach lerne ich dann die Sprache mit Grammatik. Es ist wichtig und wertvoll, Sprachen zu beherrschen. Ich weiß, dass ich dann sicher nicht vorzüglich spreche, aber ich habe keine Angst, Fehler zu machen.

DFB.de: Sind Sie neugierig?

Hiddink: Ja, sehr. Neugierig auf andere Menschen, auf Spieler, auf Länder, auf Sprachen. Ich wollte immer viel sehen und erleben, als junger Mensch schon.

DFB.de: Sie sind unweit der deutsch-niederländischen Grenze aufgewachsen, in der Nähe von Bocholt und Kleve. Haben Sie dadurch auch ein Faible für den deutschen Fußball?

Hiddink: Ja, ich kann mich erinnern, dass wir samstagabends immer das Sportstudio geguckt haben. Wir konnten das im Fernsehen empfangen. Das hat mich immer interessiert. Ich konnte mich für einige Spieler begeistern, auch wenn ich keinen Lieblingsverein hatte. Vor allem die kreativen Spieler haben mir gefallen, wie Overath, Netzer oder Beckenbauer, aber auch Leute wie Hacki Wimmer oder „Bulle“ Roth. Heute verfolge ich die Bundesliga immer noch.

DFB.de: Ihre eigene Entwicklung als Fußballspieler war eher ungewöhnlich.

Hiddink: Das kann man sagen. Ich bin schon mit Anfang 20 bei De Graafschap Doetinchem Co-Trainer geworden. Das war eine Chance. Deshalb habe ich dann nicht mehr selbst gespielt. Ab und zu habe ich im Training mitgemacht, und irgendwann sagte der Trainer zu mir: „Mensch, Du bist besser als einige meiner Spieler. Ab jetzt spielst Du nur noch.“ Man hat mir einen Vertrag angeboten, den habe ich dann unterschrieben. Es gibt nichts Schöneres, als selbst zu spielen. Alles andere ist Ersatz.

DFB.de: Sie sind dann doch noch Trainer geworden. Was zeichnet Ihre Arbeit aus?

Hiddink: Ich habe als Spieler viele Trainer in verschiedenen Vereinen erlebt und mir gemerkt und aufgeschrieben, was ich an ihrem Training, ihrer Taktik, ihrer Menschenführung gut fand und was nicht. Außerdem bin ich ja auch Sportlehrer und habe mit schwer erziehbaren Kindern gearbeitet. Auch das hat mich weitergebracht und mir gezeigt, wie man mit schwierigen Gruppen und Situationen umgehen kann. Wichtig sind Respekt und Ehrlichkeit. Man darf als Trainer kein Diktator sein, aber man muss deutlich die Grenzen und Möglichkeiten aufzeigen, in denen sich die Spieler auf und neben dem Fußballplatz bewegen können. Das verlangt auch Eigeninitiative. Im Fußball kann man nicht machen, was man will. Jeder macht, was der andere will. Das müssen alle verstehen.

DFB.de: Wäre der Spieler Hiddink mit dem Trainer Hiddink klargekommen?

Hiddink: Ich glaube, dass der Trainer Hiddink mit dem Spieler Hiddink im ersten Jahr noch Probleme gehabt hätte. Ich war nicht einfach, ich bin im Spiel zu oft meinen eigenen Weg gegangen. Andererseits war ich aber auch immer fokussiert darauf, das Bestmögliche zu erreichen. Deshalb glaube ich, dass wir über kurz oder lang zueinander gefunden hätten. Wenn man gibt, was man hat, konnte und kann man immer mit mir klarkommen, egal in welcher Funktion.

DFB.de: Sie wirken bei Spielen eher ruhig und besonnen. Stimmt der Eindruck?

Hiddink: Der Eindruck täuscht. In meinen Inneren ist sehr viel Energie, viel Anspannung. Es ist wichtig, den Spielern zu verdeutlichen: Da wollen wir hin, da ist unser Ziel. Nur das zählt. Lässigkeit ist der größte Feind des Sports. Zu viel Druck aber auch.

DFB.de: 1990 sind Sie erstmals als Trainer ins Ausland gegangen, zu Fenerbahce Istanbul. Jetzt sind Sie zurück am Bosporus. Was hat sich seither dort verändert?

Hiddink: Die Klubs sind deutlich besser organisiert als früher, das Marketing ist besser, die Infrastruktur. Der Verband wird sehr professionell und modern geführt. Generell ist auch das Niveau des türkischen Fußballs deutlich höher geworden. Es ist mehr Tempo im Spiel. Technisch stark waren die Türken schon immer. Die Menschen dort lieben den Fußball. Es ist schade, dass es nicht geklappt hat, die EM 2016 in die Türkei zu holen. Die Pläne, die ich gesehen habe, waren hervorragend. Die Ambitionen und die Möglichkeiten sind vorhanden. Deshalb hoffe ich, dass in naher Zukunft ein großes Turnier dort stattfinden wird.

DFB.de: Mitte der 90er-Jahre waren Sie einige Monate ohne Anstellung. War das schwer für Sie?

Hiddink: Nein, diese Zeit hat mir gut getan. Ich hatte vorher den FC Valencia trainiert, das war sehr anstrengend. Deshalb habe ich bewusst einige Monate Pause gemacht. Ich konnte reisen, angeln. Wenn man nicht im täglichen Geschäft ist, kann man viel entspannter auf das Geschehen schauen.

DFB.de: Heißt das, Sie haben in diesen Monaten über sich gelernt, dass Sie den Fußball nicht brauchen?

Hiddink: Doch, schon, ich bin verliebt in das Spiel. Aber zum Überleben brauche ich es nicht. Man sollte immer im Kopf behalten, warum man spielt: Weil es Freude macht, und das sollte man dem Spiel auch ansehen. Effektiv und sachlich zu gewinnen, ist ganz bestimmt erfolgreich. Aber das Publikum will mehr sehen. Darum hat ja auch die deutsche Mannschaft in Südafrika so viele Sympathien gewonnen.

DFB.de: Mit Ausnahme der Niederlande waren Sie bei all ihren Stationen eine Art Aufbauhelfer. Wie hat man dabei Erfolg?

Hiddink: Aufbau heißt nicht: „So, wir bauen jetzt auf, aber verzeiht uns, dass wir erst mal keine guten Resultate erzielen.“ Die Mannschaft muss auch Leistung bringen. Auf- oder Umbau darf keine Entschuldigung sein. Meistens ist es ohnehin eher ein Umbau nach der Vorstellung, die man hat. Meine ist es, attraktiven und erfolgreichen Fußball zu spielen. Man muss in der ersten Zeit gut hinsehen, sich viele Spiele und Spieler anschauen, um dann ein neues, frisches Team aufzubauen. Das mache ich auch jetzt, in der Türkei und auch außerhalb. Es ist sehr schön, mit jungen Leuten zusammenzuarbeiten und sie weiterzuentwickeln. So lange ich Energie habe, kann ich noch ein bisschen durchhalten.

DFB.de: Vor einem Jahr verloren Sie als Trainer der russischen Nationalmannschaft in Moskau gegen Deutschland mit 0:1, verpassten später in der Relegation die WM. Liegt Ihnen diese Niederlage noch im Magen?

Hiddink: Ja, aber mehr die Tatsache, dass wir uns nicht qualifiziert haben als die Niederlage gegen Deutschland an sich. Wir haben in den Play-offs in Slowenien auswärts kein Tor gemacht, darum sind wir gescheitert. Das war eine Enttäuschung, weil es eine gute Mannschaft war. Wenn man arbeitet, denkt man nicht so viel daran. Aber manchmal, wenn man ein bisschen zurückblickt, merkt man, dass man eine große Chance verpasst hat.

DFB.de: Hat Sie die deutsche Mannschaft bei der WM überrascht?

Hiddink: Früher hieß es: „Man hat gegen Deutschland erst gewonnen, wenn die Spieler wieder im Mannschaftsbus sitzen. Bis dahin muss man aufpassen.“ Die Deutschen waren immer sehr effektiv, auch wenn das Spiel nicht immer schön war. Aber es hat offensichtlich ein Umbruch im Denken stattgefunden. Es werden jetzt mehr kreative Spieler berufen, die für den leichteren, ästhetischen Fußball stehen. Nicht nur das Resultat, sondern auch die Art und Weise, wie man es erzielt, sind wichtig geworden. Deswegen auch zurecht die weltweit große Anerkennung.

DFB.de: 2008 ist die Türkei erst im EM-Halbfinale an Deutschland gescheitert. Sie haben bei Ihrer Vorstellung gesagt, dass Sie dieses Spiel sehr beeindruckt habe und dass es auch ein Grund gewesen sei, das Angebot aus der Türkei anzunehmen. Warum?

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Hiddink: Die Mannschaft hat so viel Unerwartetes gezeigt, war mit vielen Ersatzspielern angetreten und hat den Deutschen doch alles abverlangt. Das fand ich bemerkenswert. Ihre Emotionen und ihre Leidenschaft sind außergewöhnlich. Auch, wenn das manchmal dazu führen kann, dass sie eine Gelbe Karte zu viel sehen. Leider hat die Türkei in den vergangenen Jahren ein bisschen den Anschluss verloren. Nur Besiktas spielt aktuell noch in der Europa League, Bursaspor in der Champions League. Die großen Klubs Fenerbahce, Galatasaray und Trabzonspor sind nicht mehr in Europa dabei. Dort müssen wir wieder besser werden.

DFB.de: Sie sind mit Siegen gegen Kasachstan (3:0) und Belgien (3:2) in die EM-Qualifikation gestartet. Ihr Projekt scheint gut anzulaufen.

Hiddink: Ja, aber wir sind erst am Anfang. Der Start in Kasachstan war nicht einfach. Alle Welt erwartet, dass man gewinnt. Die Frage ist dann immer: Wann und wie fällt das erste Tor? Das haben wir früh geschafft, dann ist es gut gelaufen. Auch Belgien war ein schwieriger Gegner, auch eine Mannschaft im Umbruch mit jungen und talentierten Spielern in ihren Reihen, die im Kommen sind. Umso wichtiger war es, dieses Spiel zu gewinnen. Auch die anderen Gegner sind stark: Deutschland qualifiziert sich immer für große Turniere, das kennt man nicht anders, und ist auch Favorit. Aber wir müssen auch zeigen, dass es unser Ziel ist, Erster in der Gruppe zu werden. Auch Österreich darf man nicht unterschätzen. Der Weg ist noch lang.

DFB.de: Welche Rolle spielen die Bundesligaaakteure in Ihrer Mannschaft?

Hiddink: Hamit Altintop hat gegen Kasachstan ein Weltklasse-Tor erzielt und gegen Belgien das wichtige 1:1 gemacht. Seine Kraft und Erfahrung sind sehr wertvoll. Auch Halil Altintop hat schon gespielt. Und Nuri Sahin ist einer von den Jungen in meinem Team. Wenn er sich so weiterentwickelt, wie er es im Moment tut, kann er sehr, sehr wichtig werden. Und: Diese Spieler sind hoch professionell. Auch, wenn sie mal nicht spielen, unterstützen sie ihre Kollegen.

DFB.de: Wie klappt die Verständigung mit den Spielern eigentlich?

Hiddink: Das ist kein Problem. In der heutigen Zeit sprechen die Koreaner, die Türken, die Russen fast alle zumindest Englisch. Mit den Spielern in der Türkei kann ich mich auf deutsch, englisch oder spanisch verständigen. Wenn man sich verstehen will, dann versteht man sich. Fußball ist international. Ich übe aber auch schon türkisch, und ich fordere auch die Spieler dazu auf, Sprachen zu lernen. Sie müssen trainieren, reisen viel, spielen. Aber sie haben auch Stunden, in denen sie nichts tun müssen. In dieser Zeit können sie doch auch die Kopfhörer aufsetzen und sich Sprachübungen anhören. Das bringt sie weiter.

DFB.de: Wissen Sie schon, was „Hiddink und die Türkei qualifizieren sich für die EM 2012“ auf türkisch heißt?

Hiddink: Nein, noch nicht. Das ist noch zu schwierig. Aber das möchte ich gerne noch lernen.