Heimliche Helden: Tore wie am Fließband

Der kleine Fußball ist in Deutschland riesengroß. In fast 26.000 Vereinen wird unter dem Dach des DFB Fußball gespielt. Das Rampenlicht gehört normalerweise den Stars aus der Bundesliga und der Nationalmannschaft. Die heimlichen Helden aber spielen und engagieren sich woanders, an der Basis.

Ihnen widmet sich DFB.de jeden Dienstag in seiner Serie. Sie zeigt, wie besonders der deutsche Fußballalltag ist. Heute: Ein Team aus der Kreisliga B ist Deutschlands beste Seniorenmannschaft in dieser Saison. Der Duisburger Klub Rheinland Hamborn gewann alle seine 30 Spiele und erzielte genau 250 Treffer, allein 23 in einem Spiel.

"Zurück bekommste halt nichts"

Typen wie Frank Bosse werden ja heutzutage gar nicht mehr gebaut, kein Zweifel. Mittags um 12 Uhr sind die Häuserreihen in Duisburg-Hamborn an der Grillostraße so grau wie immer – und ein bisschen wie der ganze Stadtteil. Die Asche, die sich Fußballplatz nennt, schimmert rotbraun, alles ist ein bisschen uneben für den gepflegten Ball, den sie hier angeblich spielen sollen. Bald soll sie erneuert werden. Vereinsboss Bosse (54) hat dafür gekämpft, nein, anders: Eigentlich wollte er einen Kunstrasen. "Vielleicht mal als Anerkennung von der Stadt. 110 Jahre ist der Verein doch gerade alt geworden. Und wir waren ja nun auch erfolgreich", sagt er, aber natürlich weiß Bosse, dass er diese Form der Anerkennung nicht bekommen wird. Neue Asche ist das höchste der Gefühle, Duisburg hat nichts zu verschenken.

So gut stehen die Zeichen hier nicht. "Zurück bekommste halt nichts", sagt der Mann, der Rheinland Hamborn 03 ist. Das linke Ohr schmückt ein goldener Ring, er sticht ins Auge, weil sonst nicht viel auffällig ist an Bosse. "Ich bin der arme Verwandte vom Boss", sagt er und lächelt wegen dieses Witzes, den er gewiss schon oft gemacht hat. Bosse ist Betriebsschlosser beim Thyssen-Konzern. Er hat in den Sonntagmorgen hineingearbeitet. Vor diesem Tag, an dem die ganze schöne Rheinland-Saison kulminiert, ist er von der Arbeit gar nicht erst nach Hause gefahren. Gleich um sechs Uhr in der Früh an die Grillostraße, wenn nicht er, wer denn sonst. Heute kommen sie doch alle, Rheinland Hamborn 03, der Klub aus dem alten Arbeiterbezirk, hat seinen großen Tag, da muss doch alles sauber sein. Mindestens aufgeräumt.

250 Mitglieder im Verein, Sponsoren gibt es nicht

Später, wenn die erste Fußball-Mannschaft längst übernommen hat, wird Bosse zur Halbzeit den Heimweg antreten. Er ist gesundheitlich angeschlagen, die Niere läuft auf 30 Prozent, die Therapie nimmt ihn mit. "Muss jetzt zurückstecken, ich merke es", sagt Bosse und verabschiedet sich. Er hat die grünen Aufstiegsshirts bedrucken lassen, die seit dem frühen Morgen gefaltet im Vereinsheim liegen, das ein Container ist mit dem gesammelten Charme, den die Kreisliga B zu bieten hat. Die Kisten Bier stapeln sich vor der Vitrine von einfachen Pokalen, an der Wand hängen die Mannschaftsbilder aus den Jahren so schief nebeneinander, dass Loriot seinen Spaß daran gehabt hätte. Im blauen Müllsack sammelt Bosse leere Getränke-Dosen, man ahnt es, das Pfand. Jeder Cent ist wichtig. "Früher", sagt Bosse, "gab es hier noch die Ein-Euro-Jobber, die haben wirklich geholfen." Und jetzt? "Gestrichen."

250 Mitglieder hat der Verein, deren Beitrag muss den Betrieb sichern. Sponsoren gibt es nicht. "Die bekommste doch kaum mehr", sagt Bosse, der den Job seit mehr als 25 Jahren macht. Bald will er wiedergewählt werden. Leute wie er funktionieren genau so: Für die Arbeit gibt es keinen Dank. Nur Ärger, wenn etwas fehlt. Aber ganz ohne? "Wie heißt es: Die Mannschaft spielt so gut, wie der Vorstand ist", sagt Bosse. Es ist der einzige Moment, in dem er der Bescheidenheit kündigt. Wenn dieses Wort zählt, muss der Vorstand seinen Job richtig gut machen.

Beeindruckende Überlegenheit

Die Tabelle der Kreisliga B, Gruppe 3, im Fußball-Bezirk Duisburg-Mülheim-Dinslaken ist ein Dokument von beeindruckender Überlegenheit. 30 Spiele hat Rheinland Hamborn in dieser Saison gemacht, 30-mal haben sie gewonnen, und meist haben sie ihre Gegner dabei ein bisschen gedemütigt. 250 Tore. 250 Tore! Rheinland Hamborn ist die beste Seniorenmannschaft im deutschen Fußball.

Vielleicht hat Donald Islami in dieser Auswahl aus Türken, Albanern, Russen und Deutschen in den orangefarbenen Trikots (obwohl Grün-Schwarz die Vereinsfarben sind) den undankbarsten Part. Islami ist Verkaufsberater bei einem Duisburger Autohaus, aber hier und jetzt gibt er den Torwart. 26 Gegentreffer trüben die Bilanz, und man ahnt, was er gleich sagen wird: "So viel ist nicht zu tun. Und dann ist oft der erste Ball drin. Ist nicht immer schön", findet Islami, der vom Tag der offenen Tür im Autohaus zum Fußballplatz gehetzt ist. Aus dem grauen Anzug in die Kluft des Keepers. Die anderen? Stürmen.

"Wir sind mehr als einfach nur befreundet"

An diesem letzten Spieltag der Saison nimmt Islami zwei Treffer hin, aber was macht das schon. Vorne schießen die Kollegen 13 gegen den BSV Beeck 05. Schon nach wenigen Minuten ist das Ganze hier entschieden, Beecks Spieler winken genervt ab. Und der Betrachter fragt sich, was der eine oder andere Spieler aus Hamborn hier denn nun eigentlich macht. In der Kreisliga B, die viel Tieferes unter sich nicht mehr hergibt. Einer wie Andrej Walther, der nach vier Minuten zum 2:0 trifft, was nichts weniger als sein 50. Saisontor war. Walther, 21 Jahre alt, könnte locker einige Klassen höher dribbeln, passen, das Spiel schnell machen. Und ein bisschen Geld verdienen mit dem Kicken. Wie Bilal Kayaoglu, der mehr als 40 Tore von den 250 geschossen hat. Sein Bruder Nurettin spielt bei Kayserispor in der ersten türkischen Liga, heute ist er zurück nach Hamborn gekommen und schaut dem Bruder in der Kreisliga B zu.

Tatsächlich ist es ein ungewöhnliches Prinzip, das die Mannschaft zusammenhält. "Wir sind mehr als einfach nur befreundet", sagt Kapitän Kaya Özcan. Trainer Meric Elgap hat vor zwei Jahren sein Team aufgebaut. Aus Freunden, Bekannten, Kollegen, fast alle wohnen in Hamborn, viele sind zusammen aufgewachsen, und einige haben sogar schon in der Landesliga gespielt. Klar, Anfragen gibt es immer. Rekorde machen interessant. "Aber wir haben uns geschworen, dass keiner gehen wird", sagt Özcan. Auch die Kreisliga A soll nur eine Station sein. Selbst wenn Bosse immer aus dem Nichts dazwischengrätscht, wenn ein Spieler von solchen Ambitionen spricht. "Wer hoch stapelt, fällt tief", sagt Bosse dann, obwohl er weiß, dass der nächste Aufstieg wenig mit Hochstapelei, sondern viel mit Realität zu tun hat.

Am Spielfeldrand zahlen 80 Zuschauer jeweils zwei Euro, es wird gegrillt, der Geruch von türkischen Frikadellen weht über den Platz in die Nasen der Protagonisten. Özcan erzählt, wie sie hier in Hamborn irgendwann gemerkt haben, dass sie auf Rekordkurs steuern. "Wir haben im Internet recherchiert, und wir haben uns gesagt: Jetzt wollen wir den Rekord. So viele Tore schießen, wie es geht. Damit der Rekord einer bleibt. Keine Gnade", sagt Özcan. "Davon können wir doch unseren Kindern und Enkeln noch erzählen." Den höchsten Sieg gab es gegen den VfvB Ruhrort/Laar II: ein 23:0.

Erster in der Fairness-Tabelle

Özcan geht in die Kabine. Vorbei an der Tafel, auf der die Regeln der Fairness angeschlagen sind wie die Thesen Luthers an den Türen der Wittenberger Kirche. Schon in der vergangenen Saison, als dieses Team noch in der Aufstiegsrelegation gescheitert ist, war Rheinland Hamborn das fairste Team der Liga. Und jetzt? Eine einzige Gelb-Rote Karte, wieder Platz eins. "Wir haben nichts anderes nötig", sagt der Kapitän, und er hat recht, schon allein, weil hier alle so schnell unterwegs sind, dass der Kontakt mit dem Gegner Ausnahme und nicht Regel ist.

"Kreisliga A, wir kommen! Rheinland Aufstieg 2012/2013" – als die Spieler und Betreuer die grünen Shirts anlegen und sich nach dem Schlusspfiff mit Bier und Eimern voller Wasser bespritzen, ist Bosse schon nicht mehr da. Die Arbeit ist getan, feiern können jetzt die anderen. Zu türkischer Musik tanzen die Spieler vor der Kabine, vereint sind die Nationen, vereint ist das Wissen, es endlich geschafft zu haben. Egal, ob Bundesliga oder Kreisliga B.

Der Mann im Hintergrund

Morgen werden sie Bosse erzählen, dass sie bis in die Nacht hinein gefeiert haben. Er hat Tage zuvor den Rasen auf der Anlage selbst gemäht. Er hatte die Kabinen gereinigt. Und die Tür zur dritten Umkleide abgeschlossen, damit die nicht auch noch genutzt wird, "da achtet doch keiner drauf, die muss ich doch alle sauber machen". Meistens hilft ihm Zorlu Ismail. Der Betreuer des Teams ist ein verlässlicher Mann, Bosse nennt ihn "meinen kleinen Ismail". Unterstützung bekommt er auch von Vereinswirtin Anna-Maria Lolies. Alles für den Klub.

Kurz vor dem Spiel ist Bosse noch einmal in sein kleines Büro gegangen, es ist ein Raum wie ein Verschlag, an der Wand hängt eine billige Kopie der großen Meisterschale. "Hier wird meine kleine Vereinsgeschichte geschrieben", hat er gesagt. Vor ihm die Spielerpässe seiner Helden, die jetzt in die Kreisliga A aufrücken. Er hat auf ein Foto seiner Tochter geblickt und kurz gelächelt. Gäbe es Menschen wie Bosse nicht – man müsste sie erfinden. Menschen, die solche Rekorde möglich machen.

[dfb]

[bild1]

Der kleine Fußball ist in Deutschland riesengroß. In fast 26.000 Vereinen wird unter dem Dach des DFB Fußball gespielt. Das Rampenlicht gehört normalerweise den Stars aus der Bundesliga und der Nationalmannschaft. Die heimlichen Helden aber spielen und engagieren sich woanders, an der Basis.

Ihnen widmet sich DFB.de jeden Dienstag in seiner Serie. Sie zeigt, wie besonders der deutsche Fußballalltag ist. Heute: Ein Team aus der Kreisliga B ist Deutschlands beste Seniorenmannschaft in dieser Saison. Der Duisburger Klub Rheinland Hamborn gewann alle seine 30 Spiele und erzielte genau 250 Treffer, allein 23 in einem Spiel.

"Zurück bekommste halt nichts"

Typen wie Frank Bosse werden ja heutzutage gar nicht mehr gebaut, kein Zweifel. Mittags um 12 Uhr sind die Häuserreihen in Duisburg-Hamborn an der Grillostraße so grau wie immer – und ein bisschen wie der ganze Stadtteil. Die Asche, die sich Fußballplatz nennt, schimmert rotbraun, alles ist ein bisschen uneben für den gepflegten Ball, den sie hier angeblich spielen sollen. Bald soll sie erneuert werden. Vereinsboss Bosse (54) hat dafür gekämpft, nein, anders: Eigentlich wollte er einen Kunstrasen. "Vielleicht mal als Anerkennung von der Stadt. 110 Jahre ist der Verein doch gerade alt geworden. Und wir waren ja nun auch erfolgreich", sagt er, aber natürlich weiß Bosse, dass er diese Form der Anerkennung nicht bekommen wird. Neue Asche ist das höchste der Gefühle, Duisburg hat nichts zu verschenken.

So gut stehen die Zeichen hier nicht. "Zurück bekommste halt nichts", sagt der Mann, der Rheinland Hamborn 03 ist. Das linke Ohr schmückt ein goldener Ring, er sticht ins Auge, weil sonst nicht viel auffällig ist an Bosse. "Ich bin der arme Verwandte vom Boss", sagt er und lächelt wegen dieses Witzes, den er gewiss schon oft gemacht hat. Bosse ist Betriebsschlosser beim Thyssen-Konzern. Er hat in den Sonntagmorgen hineingearbeitet. Vor diesem Tag, an dem die ganze schöne Rheinland-Saison kulminiert, ist er von der Arbeit gar nicht erst nach Hause gefahren. Gleich um sechs Uhr in der Früh an die Grillostraße, wenn nicht er, wer denn sonst. Heute kommen sie doch alle, Rheinland Hamborn 03, der Klub aus dem alten Arbeiterbezirk, hat seinen großen Tag, da muss doch alles sauber sein. Mindestens aufgeräumt.

250 Mitglieder im Verein, Sponsoren gibt es nicht

Später, wenn die erste Fußball-Mannschaft längst übernommen hat, wird Bosse zur Halbzeit den Heimweg antreten. Er ist gesundheitlich angeschlagen, die Niere läuft auf 30 Prozent, die Therapie nimmt ihn mit. "Muss jetzt zurückstecken, ich merke es", sagt Bosse und verabschiedet sich. Er hat die grünen Aufstiegsshirts bedrucken lassen, die seit dem frühen Morgen gefaltet im Vereinsheim liegen, das ein Container ist mit dem gesammelten Charme, den die Kreisliga B zu bieten hat. Die Kisten Bier stapeln sich vor der Vitrine von einfachen Pokalen, an der Wand hängen die Mannschaftsbilder aus den Jahren so schief nebeneinander, dass Loriot seinen Spaß daran gehabt hätte. Im blauen Müllsack sammelt Bosse leere Getränke-Dosen, man ahnt es, das Pfand. Jeder Cent ist wichtig. "Früher", sagt Bosse, "gab es hier noch die Ein-Euro-Jobber, die haben wirklich geholfen." Und jetzt? "Gestrichen."

250 Mitglieder hat der Verein, deren Beitrag muss den Betrieb sichern. Sponsoren gibt es nicht. "Die bekommste doch kaum mehr", sagt Bosse, der den Job seit mehr als 25 Jahren macht. Bald will er wiedergewählt werden. Leute wie er funktionieren genau so: Für die Arbeit gibt es keinen Dank. Nur Ärger, wenn etwas fehlt. Aber ganz ohne? "Wie heißt es: Die Mannschaft spielt so gut, wie der Vorstand ist", sagt Bosse. Es ist der einzige Moment, in dem er der Bescheidenheit kündigt. Wenn dieses Wort zählt, muss der Vorstand seinen Job richtig gut machen.

Beeindruckende Überlegenheit

Die Tabelle der Kreisliga B, Gruppe 3, im Fußball-Bezirk Duisburg-Mülheim-Dinslaken ist ein Dokument von beeindruckender Überlegenheit. 30 Spiele hat Rheinland Hamborn in dieser Saison gemacht, 30-mal haben sie gewonnen, und meist haben sie ihre Gegner dabei ein bisschen gedemütigt. 250 Tore. 250 Tore! Rheinland Hamborn ist die beste Seniorenmannschaft im deutschen Fußball.

Vielleicht hat Donald Islami in dieser Auswahl aus Türken, Albanern, Russen und Deutschen in den orangefarbenen Trikots (obwohl Grün-Schwarz die Vereinsfarben sind) den undankbarsten Part. Islami ist Verkaufsberater bei einem Duisburger Autohaus, aber hier und jetzt gibt er den Torwart. 26 Gegentreffer trüben die Bilanz, und man ahnt, was er gleich sagen wird: "So viel ist nicht zu tun. Und dann ist oft der erste Ball drin. Ist nicht immer schön", findet Islami, der vom Tag der offenen Tür im Autohaus zum Fußballplatz gehetzt ist. Aus dem grauen Anzug in die Kluft des Keepers. Die anderen? Stürmen.

"Wir sind mehr als einfach nur befreundet"

An diesem letzten Spieltag der Saison nimmt Islami zwei Treffer hin, aber was macht das schon. Vorne schießen die Kollegen 13 gegen den BSV Beeck 05. Schon nach wenigen Minuten ist das Ganze hier entschieden, Beecks Spieler winken genervt ab. Und der Betrachter fragt sich, was der eine oder andere Spieler aus Hamborn hier denn nun eigentlich macht. In der Kreisliga B, die viel Tieferes unter sich nicht mehr hergibt. Einer wie Andrej Walther, der nach vier Minuten zum 2:0 trifft, was nichts weniger als sein 50. Saisontor war. Walther, 21 Jahre alt, könnte locker einige Klassen höher dribbeln, passen, das Spiel schnell machen. Und ein bisschen Geld verdienen mit dem Kicken. Wie Bilal Kayaoglu, der mehr als 40 Tore von den 250 geschossen hat. Sein Bruder Nurettin spielt bei Kayserispor in der ersten türkischen Liga, heute ist er zurück nach Hamborn gekommen und schaut dem Bruder in der Kreisliga B zu.

Tatsächlich ist es ein ungewöhnliches Prinzip, das die Mannschaft zusammenhält. "Wir sind mehr als einfach nur befreundet", sagt Kapitän Kaya Özcan. Trainer Meric Elgap hat vor zwei Jahren sein Team aufgebaut. Aus Freunden, Bekannten, Kollegen, fast alle wohnen in Hamborn, viele sind zusammen aufgewachsen, und einige haben sogar schon in der Landesliga gespielt. Klar, Anfragen gibt es immer. Rekorde machen interessant. "Aber wir haben uns geschworen, dass keiner gehen wird", sagt Özcan. Auch die Kreisliga A soll nur eine Station sein. Selbst wenn Bosse immer aus dem Nichts dazwischengrätscht, wenn ein Spieler von solchen Ambitionen spricht. "Wer hoch stapelt, fällt tief", sagt Bosse dann, obwohl er weiß, dass der nächste Aufstieg wenig mit Hochstapelei, sondern viel mit Realität zu tun hat.

Am Spielfeldrand zahlen 80 Zuschauer jeweils zwei Euro, es wird gegrillt, der Geruch von türkischen Frikadellen weht über den Platz in die Nasen der Protagonisten. Özcan erzählt, wie sie hier in Hamborn irgendwann gemerkt haben, dass sie auf Rekordkurs steuern. "Wir haben im Internet recherchiert, und wir haben uns gesagt: Jetzt wollen wir den Rekord. So viele Tore schießen, wie es geht. Damit der Rekord einer bleibt. Keine Gnade", sagt Özcan. "Davon können wir doch unseren Kindern und Enkeln noch erzählen." Den höchsten Sieg gab es gegen den VfvB Ruhrort/Laar II: ein 23:0.

Erster in der Fairness-Tabelle

Özcan geht in die Kabine. Vorbei an der Tafel, auf der die Regeln der Fairness angeschlagen sind wie die Thesen Luthers an den Türen der Wittenberger Kirche. Schon in der vergangenen Saison, als dieses Team noch in der Aufstiegsrelegation gescheitert ist, war Rheinland Hamborn das fairste Team der Liga. Und jetzt? Eine einzige Gelb-Rote Karte, wieder Platz eins. "Wir haben nichts anderes nötig", sagt der Kapitän, und er hat recht, schon allein, weil hier alle so schnell unterwegs sind, dass der Kontakt mit dem Gegner Ausnahme und nicht Regel ist.

"Kreisliga A, wir kommen! Rheinland Aufstieg 2012/2013" – als die Spieler und Betreuer die grünen Shirts anlegen und sich nach dem Schlusspfiff mit Bier und Eimern voller Wasser bespritzen, ist Bosse schon nicht mehr da. Die Arbeit ist getan, feiern können jetzt die anderen. Zu türkischer Musik tanzen die Spieler vor der Kabine, vereint sind die Nationen, vereint ist das Wissen, es endlich geschafft zu haben. Egal, ob Bundesliga oder Kreisliga B.

Der Mann im Hintergrund

[bild2]

Morgen werden sie Bosse erzählen, dass sie bis in die Nacht hinein gefeiert haben. Er hat Tage zuvor den Rasen auf der Anlage selbst gemäht. Er hatte die Kabinen gereinigt. Und die Tür zur dritten Umkleide abgeschlossen, damit die nicht auch noch genutzt wird, "da achtet doch keiner drauf, die muss ich doch alle sauber machen". Meistens hilft ihm Zorlu Ismail. Der Betreuer des Teams ist ein verlässlicher Mann, Bosse nennt ihn "meinen kleinen Ismail". Unterstützung bekommt er auch von Vereinswirtin Anna-Maria Lolies. Alles für den Klub.

Kurz vor dem Spiel ist Bosse noch einmal in sein kleines Büro gegangen, es ist ein Raum wie ein Verschlag, an der Wand hängt eine billige Kopie der großen Meisterschale. "Hier wird meine kleine Vereinsgeschichte geschrieben", hat er gesagt. Vor ihm die Spielerpässe seiner Helden, die jetzt in die Kreisliga A aufrücken. Er hat auf ein Foto seiner Tochter geblickt und kurz gelächelt. Gäbe es Menschen wie Bosse nicht – man müsste sie erfinden. Menschen, die solche Rekorde möglich machen.