Heimliche Helden: SG Wattenscheid 09 - Beckum statt Bayern

Der kleine Fußball ist in Deutschland riesengroß. In fast 26.000 Vereinen wird unter dem Dach des DFB Fußball gespielt. Das Rampenlicht gehört normalerweise den Stars aus der Bundesliga und der Nationalmannschaft. Die heimlichen Helden aber spielen und engagieren sich woanders an der Basis.

Ihnen widmet sich DFB.de jeden Dienstag in seiner Serie. Sie zeigt wie besonders der deutsche Fußballalltag ist. Heute: Oberligist Wattenscheid 09, der zu Beginn der 90er-Jahre in der Bundesliga für Furore sorgte.

1991: Sieg gegen Bayern für den Klassenverbleib

Es ist der 1. Juni 1991. Die SG Wattenscheid 09 feiert den Höhepunkt ihrer Vereinsgeschichte. Der kleine Bochumer Vorstadtklub stellt dem großen FC Bayern München im Meisterschaftsendspurt ein Bein und schlägt den Rekordmeister mit 3:2. Das Siegtor erzielt in der Schlussminute Mittelfeldspieler Thorsten Fink. Die Bayern werden nicht Meister, der Titel geht an den 1. FC Kaiserslautern. "Für uns ging es um Überlebenspunkte, da war der Sieg gegen die Bayern ein Highlight", erinnert sich der damalige Trainer Hannes Bongartz.

Die "Überlebenspunkte" helfen. Wattenscheid verhindert in seinem ersten Bundesligajahr den Abstieg. "Jedes Mal, wenn wir nicht abgestiegen sind, war das für uns wie der Gewinn der Champions League", erzählt Bongartz. Heute spielt der Klub nur noch in der Oberliga Westfalen.

Bongartz: "Die Bayern hatten immer Probleme mit uns"

Der Wattenscheider Sensationserfolg war für den damaligen Bayern-Manager Uli Hoeneß ein Schlag ins Gesicht. Er hatte den Aufstieg der SGW mit den Worten kommentiert, es sei "das Schlimmste, was der Bundesliga passieren konnte". Eine Aussage, die woanders für Aufregung gesorgt hätte. Nicht so in Wattenscheid. "Ach was, das hat uns nicht geärgert", sagt Bongartz. "Es ist doch logisch, dass ein Manager wie Uli Hoeneß anders denkt, eher wirtschaftlich als sportlich. Und da war Wattenscheid keine große Nummer. Trotzdem hatten die Bayern immer Probleme mit uns."

Bongartz hatte großen Anteil daran, dass Wattenscheid von 1990 bis 1994 in der Bundesliga für Furore sorgte. Der viermalige Nationalspieler führte den Klub als Trainer in die Beletage des deutschen Fußballs und reüssierte dort in Personalunion bis zur Saison 1993/1994 auch als Manager.

Aufstieg ohne Mäzen Steilmann undenkbar

Neben Hannes Bongartz ist der Name Klaus Steilmann untrennbar mit der SG Wattenscheid 09 verbunden. Der 2009 verstorbene Textilunternehmer war Mäzen und größter Fan des Klubs, ohne ihn wäre der Aufstieg undenkbar gewesen. "Ohne Klaus Steilmann hätte es Wattenscheid 09 im Profifußball nie gegeben", unterstreicht Bongartz.

Steilmann, genannt "Der Boss", stieg Ende der 60er-Jahre ein und sponserte den Klub. "Er hat vom Arzt den Ratschlag bekommen, ein bisschen Sport zu treiben", erzählt Bongartz. "Da ist der Funken übergesprungen, von da an hat er den Verein finanziell unterstützt. Das große Ziel seiner Liebe war, mit dem Klub einmal in der Bundesliga zu spielen. Das hat er erreicht."

Historischer Erfolg: Wattenscheid eine Liga über VfL Bochum

Nach vier Jahren in der höchsten deutschen Spielklasse endete das Wattenscheider Märchen. Zuvor hatte der Klub Historisches erlebt. Nach dem Abstieg des VfL Bochum in die 2. Bundesliga hielt Wattenscheid als einzige Bochumer Mannschaft die Fahne der Stadt in der Bundesliga hoch. "Für uns war das eine Wahnsinnsgeschichte", so Bongartz. "Es besteht ja nicht gerade eine Liebesbeziehung zwischen Bochum und Wattenscheid."

Wattenscheid war bis 1975 selbstständig, ehe die 75.000-Einwohner-Stadt eingemeindet wurde. "Die großen Spiele absolvierten wir sogar im Ruhrstadion", erinnert sich Bongartz. "Wir haben damals geflachst, dass wir die Ersten waren, die es geschafft haben, dass das Ruhrstadion ausverkauft ist. Das war gegen Borussia Dortmund."

"So ist alles zusammengebrochen"

Im selben Jahr bekam Bongartz von Klaus Steilmann dessen Tochter Britta als Managerin vor die Nase gesetzt. Es kam zu Reibereien und atmosphärischen Störungen mit der jungen Frau, die unkonventionelle Ideen hatte und diese gegen alle Widerstände durchziehen wollte. Im Frühjahr 1994 musste Bongartz gehen. Geholfen hat es nichts, der Klub verschwand aus der Bundesliga.

Vorher waren bereits entscheidende Fehler gemacht worden. "Wir haben es damals versäumt, uns auf einen Abstieg vorzubereiten", meint Bongartz. "Wir hätten als Bundesligist ein Fundament legen müssen, um die Chance zu haben, wieder aufzusteigen. Das haben wir nicht gemacht. So ist alles zusammengebrochen."

Was bleibt, ist Stolz. Stolz auf vier Jahre Erstklassigkeit, aber auch auf die damalige Mannschaft. Wattenscheid war ein Ausbildungsklub und Sprungbrett für junge Spieler, die bei der SG ihre Bundesligakarriere starteten. Markus Schupp und Thorsten Fink wurden später mit dem FC Bayern Deutscher Meister, Maurice Banach sorgte mit seinen Treffern für Furore und wurde vom 1. FC Köln verpflichtet, ehe er bei einem Autounfall ums Leben kam.

Bongartz hält 3. Liga für möglich

"Wir haben ehrgeizige Jungs verpflichtet, die irgendwo in der zweiten Garde gekickt haben und in Wattenscheid einen idealen Nährboden vorgefunden haben, um sich zu entwickeln", sagt Bongartz. Da waren einige Juwelen dabei." Die Kehrseite der Medaille: "Wir mussten immer die besten Spieler abgeben, um wieder Einnahmen zu generieren. Das ist das Geschäft." So auch einige Jahre später, als die Altintop-Zwillinge sich ihre ersten Sporen bei der SGW verdienten, um dann zu Schalke 04 (Hamit) und zum 1. FC Kaiserslautern (Halil) zu wechseln.

Mittlerweile ist Wattenscheid in der Oberliga Westfalen beheimatet. Das ist fünfte Liga, Gegner des aktuellen Tabellenzweiten dort sind Teams wie TuS Erndtebrück, SC Roland Beckum, TSG Sprockhövel oder 1. FC Gievenbeck. Beckum statt Bayern! "Das tut vielleicht gar nicht so weh, wie man denkt", sagt Bongartz. "Ohne Wirtschaftskraft hast du im Profifußball keine Chance. Der Verein ist dort angekommen, wo er im Moment hingehört."

Dem 61-Jährigen ist aber nicht bange um die Zukunft des Klubs: "Der Verein wird wohl im Sommer in die Regionalliga aufsteigen. Dazu herrscht rund um den Klub wieder eine Euphorie." Perspektivisch hält Bongartz sogar einen weiteren Aufstieg für realistisch: "Auch die 3. Liga ist möglich, denn dank der Bundesligazeit ist die Infrastruktur für einen kleinen Klub wie Wattenscheid sehr gut." Wer weiß - vielleicht schlagen eines Tages sogar wieder die großen Bayern im Lohrheide-Stadion auf.

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Der kleine Fußball ist in Deutschland riesengroß. In fast 26.000 Vereinen wird unter dem Dach des DFB Fußball gespielt. Das Rampenlicht gehört normalerweise den Stars aus der Bundesliga und der Nationalmannschaft. Die heimlichen Helden aber spielen und engagieren sich woanders an der Basis.

Ihnen widmet sich DFB.de jeden Dienstag in seiner Serie. Sie zeigt wie besonders der deutsche Fußballalltag ist. Heute: Oberligist Wattenscheid 09, der zu Beginn der 90er-Jahre in der Bundesliga für Furore sorgte.

1991: Sieg gegen Bayern für den Klassenverbleib

Es ist der 1. Juni 1991. Die SG Wattenscheid 09 feiert den Höhepunkt ihrer Vereinsgeschichte. Der kleine Bochumer Vorstadtklub stellt dem großen FC Bayern München im Meisterschaftsendspurt ein Bein und schlägt den Rekordmeister mit 3:2. Das Siegtor erzielt in der Schlussminute Mittelfeldspieler Thorsten Fink. Die Bayern werden nicht Meister, der Titel geht an den 1. FC Kaiserslautern. "Für uns ging es um Überlebenspunkte, da war der Sieg gegen die Bayern ein Highlight", erinnert sich der damalige Trainer Hannes Bongartz.

Die "Überlebenspunkte" helfen. Wattenscheid verhindert in seinem ersten Bundesligajahr den Abstieg. "Jedes Mal, wenn wir nicht abgestiegen sind, war das für uns wie der Gewinn der Champions League", erzählt Bongartz. Heute spielt der Klub nur noch in der Oberliga Westfalen.

Bongartz: "Die Bayern hatten immer Probleme mit uns"

Der Wattenscheider Sensationserfolg war für den damaligen Bayern-Manager Uli Hoeneß ein Schlag ins Gesicht. Er hatte den Aufstieg der SGW mit den Worten kommentiert, es sei "das Schlimmste, was der Bundesliga passieren konnte". Eine Aussage, die woanders für Aufregung gesorgt hätte. Nicht so in Wattenscheid. "Ach was, das hat uns nicht geärgert", sagt Bongartz. "Es ist doch logisch, dass ein Manager wie Uli Hoeneß anders denkt, eher wirtschaftlich als sportlich. Und da war Wattenscheid keine große Nummer. Trotzdem hatten die Bayern immer Probleme mit uns."

Bongartz hatte großen Anteil daran, dass Wattenscheid von 1990 bis 1994 in der Bundesliga für Furore sorgte. Der viermalige Nationalspieler führte den Klub als Trainer in die Beletage des deutschen Fußballs und reüssierte dort in Personalunion bis zur Saison 1993/1994 auch als Manager.

Aufstieg ohne Mäzen Steilmann undenkbar

Neben Hannes Bongartz ist der Name Klaus Steilmann untrennbar mit der SG Wattenscheid 09 verbunden. Der 2009 verstorbene Textilunternehmer war Mäzen und größter Fan des Klubs, ohne ihn wäre der Aufstieg undenkbar gewesen. "Ohne Klaus Steilmann hätte es Wattenscheid 09 im Profifußball nie gegeben", unterstreicht Bongartz.

Steilmann, genannt "Der Boss", stieg Ende der 60er-Jahre ein und sponserte den Klub. "Er hat vom Arzt den Ratschlag bekommen, ein bisschen Sport zu treiben", erzählt Bongartz. "Da ist der Funken übergesprungen, von da an hat er den Verein finanziell unterstützt. Das große Ziel seiner Liebe war, mit dem Klub einmal in der Bundesliga zu spielen. Das hat er erreicht."

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Historischer Erfolg: Wattenscheid eine Liga über VfL Bochum

Nach vier Jahren in der höchsten deutschen Spielklasse endete das Wattenscheider Märchen. Zuvor hatte der Klub Historisches erlebt. Nach dem Abstieg des VfL Bochum in die 2. Bundesliga hielt Wattenscheid als einzige Bochumer Mannschaft die Fahne der Stadt in der Bundesliga hoch. "Für uns war das eine Wahnsinnsgeschichte", so Bongartz. "Es besteht ja nicht gerade eine Liebesbeziehung zwischen Bochum und Wattenscheid."

Wattenscheid war bis 1975 selbstständig, ehe die 75.000-Einwohner-Stadt eingemeindet wurde. "Die großen Spiele absolvierten wir sogar im Ruhrstadion", erinnert sich Bongartz. "Wir haben damals geflachst, dass wir die Ersten waren, die es geschafft haben, dass das Ruhrstadion ausverkauft ist. Das war gegen Borussia Dortmund."

"So ist alles zusammengebrochen"

Im selben Jahr bekam Bongartz von Klaus Steilmann dessen Tochter Britta als Managerin vor die Nase gesetzt. Es kam zu Reibereien und atmosphärischen Störungen mit der jungen Frau, die unkonventionelle Ideen hatte und diese gegen alle Widerstände durchziehen wollte. Im Frühjahr 1994 musste Bongartz gehen. Geholfen hat es nichts, der Klub verschwand aus der Bundesliga.

Vorher waren bereits entscheidende Fehler gemacht worden. "Wir haben es damals versäumt, uns auf einen Abstieg vorzubereiten", meint Bongartz. "Wir hätten als Bundesligist ein Fundament legen müssen, um die Chance zu haben, wieder aufzusteigen. Das haben wir nicht gemacht. So ist alles zusammengebrochen."

Was bleibt, ist Stolz. Stolz auf vier Jahre Erstklassigkeit, aber auch auf die damalige Mannschaft. Wattenscheid war ein Ausbildungsklub und Sprungbrett für junge Spieler, die bei der SG ihre Bundesligakarriere starteten. Markus Schupp und Thorsten Fink wurden später mit dem FC Bayern Deutscher Meister, Maurice Banach sorgte mit seinen Treffern für Furore und wurde vom 1. FC Köln verpflichtet, ehe er bei einem Autounfall ums Leben kam.

Bongartz hält 3. Liga für möglich

"Wir haben ehrgeizige Jungs verpflichtet, die irgendwo in der zweiten Garde gekickt haben und in Wattenscheid einen idealen Nährboden vorgefunden haben, um sich zu entwickeln", sagt Bongartz. Da waren einige Juwelen dabei." Die Kehrseite der Medaille: "Wir mussten immer die besten Spieler abgeben, um wieder Einnahmen zu generieren. Das ist das Geschäft." So auch einige Jahre später, als die Altintop-Zwillinge sich ihre ersten Sporen bei der SGW verdienten, um dann zu Schalke 04 (Hamit) und zum 1. FC Kaiserslautern (Halil) zu wechseln.

Mittlerweile ist Wattenscheid in der Oberliga Westfalen beheimatet. Das ist fünfte Liga, Gegner des aktuellen Tabellenzweiten dort sind Teams wie TuS Erndtebrück, SC Roland Beckum, TSG Sprockhövel oder 1. FC Gievenbeck. Beckum statt Bayern! "Das tut vielleicht gar nicht so weh, wie man denkt", sagt Bongartz. "Ohne Wirtschaftskraft hast du im Profifußball keine Chance. Der Verein ist dort angekommen, wo er im Moment hingehört."

Dem 61-Jährigen ist aber nicht bange um die Zukunft des Klubs: "Der Verein wird wohl im Sommer in die Regionalliga aufsteigen. Dazu herrscht rund um den Klub wieder eine Euphorie." Perspektivisch hält Bongartz sogar einen weiteren Aufstieg für realistisch: "Auch die 3. Liga ist möglich, denn dank der Bundesligazeit ist die Infrastruktur für einen kleinen Klub wie Wattenscheid sehr gut." Wer weiß - vielleicht schlagen eines Tages sogar wieder die großen Bayern im Lohrheide-Stadion auf.