Großkreutz: "Ich nehme meine Rolle zu 100 Prozent an"

DFB.de: Joachim Löw hat in der Pressekonferenz gesagt, dass Philipp Lahm im Mittelfeld spielen wird. Glauben Sie, dass sich Ihre Chancen auf einen Einsatz im Spiel am Montag gegen Portugal - zum Beispiel als Rechtsverteidiger - dadurch erhöht haben?

Großkreutz: Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass ich nicht hoffe. Natürlich will ich spielen, das wollen wir alle hier. Aber ich bin hier, um der Mannschaft zu helfen. Egal, in welchem Bereich. Auch wenn ich nicht zum Einsatz kommen sollte, werde ich für das Team da sein. Ich werde meine Rolle zu 100 Prozent annehmen - ganz egal, wie sie ausfallen wird. Ich will mit der Mannschaft erfolgreich sein und den Titel holen. Das geht nur, wenn alle in allen Situation im Sinne der Mannschaft handeln.

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Kevin Großkreutz polarisiert. Wie wenig andere identifiziert sich der 25-Jährige mit seinem Verein, Borussia Dortmund. Manche mögen das, andere finden dies befremdlich. Großkreutz ist das egal. Er ist, wie er ist. Immer 100 Prozent, immer ehrlich, immer geradeaus. So gibt er sich nach seiner Rückkehr auch im Kreise der Nationalmannschaft.

Nach drei Jahre Pause hat sich Großkreutz durch starke Leistungen und große Flexibilität zurück in den Kader des A-Teams gespielt und gekämpft. In Brasilien erlebt er nun seine erste Weltmeisterschaft als deutscher Nationalspieler. Im DFB.de-Interview mit Redakteur Steffen Lüdeke hat Kevin Großkreutz über seinen Verein, seine Fehler und seine Chancen gesprochen.

DFB.de: Herr Großkreutz, wie froh sind Sie, dass es im Campo Bahia keinen Dönerladen gibt?

Kevin Großkreutz: Ganz ehrlich - ich finde das nicht sonderlich lustig. Es gibt hier auch keine Hotellobby, das wäre bestimmt als Nächstes gekommen. Aber ich finde nicht, dass diese Geschichten Thema des Gesprächs sein sollten.

DFB.de: Weil Sie damit abgeschlossen haben?

Großkreutz: Darum geht es nicht.

DFB.de: Worum geht es dann?

Großkreutz: Dass zu diesem Thema alles gesagt ist. Und schon gar nicht finde ich, dass es mir zusteht, bei einer Verharmlosung mitzumachen. Ins Lächerliche werde ich meinen Fehler bestimmt nicht ziehen. Ich habe einige Menschen enttäuscht, auch meine Familie und mich. Aber mehr, als um Entschuldigung bitten, kann ich nicht machen. Und das habe ich getan. Ich würde lieber über Sport reden. Über Fußball. Über die WM. Das sind meine Themen.

DFB.de: Dann reden wir über Fußball. In Dortmund haben Sie in den vergangenen zwei Jahren fast alle Positionen bekleidet. Wenn wir über Fußball reden und über Positionen sprechen: Als was für einen Fußballer sieht sich Kevin Großkreutz?

Großkreutz: Ich sehe mich als Fußballer. Nach dieser Saison kann ich für mich keine feste Position ausmachen, ich habe wirklich fast alles gespielt. Von rechter Verteidiger über linker Verteidiger über Positionen in der Offensive, ich habe ja auch als Linksaußen gespielt. Ich habe auch keine Lieblingsposition, meine Lieblingsposition ist auf dem Platz. Ich freue mich einfach, wenn ich spiele und wenn ich der Mannschaft helfen kann. Dort, wo der Trainer mich gebrauchen kann, gebe ich alles.

DFB.de: Gibt es eine Position, die Sie ablehnen würden, wenn der Bundestrainer Sie bittet, dort auszuhelfen?

Großkreutz: Bestimmt nicht. Ich fühle mich überall wohl und ich bin selbstbewusst und erfahren genug, um zu wissen, was ich auf jeder Position zu tun habe. Auch in der Nationalmannschaft.

DFB.de: Wir würden gerne über den Beginn Ihrer Nationalmannschaftskarriere sprechen. Sie hat ungewöhnlich angefangen.

Großkreutz: Hat Sie das?

DFB.de: Schon. Sie haben erst für das A-Team debütiert und danach für die U 21. Normalerweise verläuft der Weg umgekehrt.

Großkreutz: Ach so, stimmt. Das war nach meinem ersten Jahr in der Bundesliga, damals hat mich der Bundestrainer vor der WM in Südafrika für das Benefizländerspiel in Aachen gegen Malta eingeladen. Für mich war das eine Riesensache, eine große Ehre. Die WM habe ich dann aber verpasst. Nach der WM in Südafrika wurde ich vom U 21-Trainer angerufen und gefragt, ob ich Lust hätte, im Spiel gegen Island mitzumachen. Natürlich hatte ich. Das Spiel war allerdings weniger erfolgreich. Wir haben 1:4 verloren.

DFB.de: Immerhin, Sie habe das Tor geschossen.

Großkreutz: Stimmt, aber viel besser gemacht hat es das nicht.

DFB.de: Dass Sie Fan des BVB sind, ist allgemein bekannt. Wie sehr waren Sie früher Fan der Nationalmannschaft?

Großkreutz: Ich war und bin ein Riesenfan. Ich weiß noch sehr genau, wie es bei der WM 2006 in Dortmund war. Die Stadt ist fußballverrückt, nicht nur wenn der BVB spielt. Während des Turniers war es grandios, es war einfach die Hölle los. Gegen Polen war ich im Stadion, das werde ich nie vergessen. Und sonst war ich immer auf dem Friedensplatz. Es war einmalig. Es ist für mich noch immer komisch, dass ich der Mannschaft früher zugejubelt habe und jetzt Teil von ihr bin.

DFB.de: Dieses Gefühl kennen Sie doch vom BVB. Oder gibt es in diesem Punkt zwischen Verein und Nationalmannschaft Unterschiede?

Großkreutz: Nein, große Unterschiede gibt es nicht, aber merkwürdig kann es ja trotzdem sein. Überhaupt ist es hier sehr ähnlich wie im Verein. Wir haben bei der Nationalmannschaft wahnsinnig viel Spaß, der Teamgeist ist super. Das erinnert mich sehr an Dortmund.

DFB.de: In der Nationalmannschaft wird viel über den Bayern-Block und den Dortmund-Block gesprochen. Und über den Teamgeist. Man hat Sie hier im Training nicht selten mit Manuel Neuer lachen sehen. Sogar mit Julian Draxler und Benedikt Höwedes - zwei Schalkern - scheinen Sie sich zu verstehen…

Großkreutz: Mit allen ist es überragend. Auch die Konstellation in unserem Haus, in unserer WG, passt sehr gut. Wir sind sehr gemischt, was die Vereinszugehörigkeit angeht. Und ich finde das gut. Was die Kollegen in meinem Haus betrifft, ist es so, dass wir alle große Fans unserer Vereine sind. Das trennt uns nicht, das eint uns. Wir lachen viel zusammen, wir haben viel Spaß, wir machen viele Sprüche. Es passt. Außerdem ist es so, dass bei der Nationalmannschaft die Vereinszugehörigkeit keine Rolle spielt. Ich bin hier nicht als Dortmunder Nationalspieler, ich bin hier als deutscher Nationalspieler.

DFB.de: Drei Jahre lang waren Sie nicht bei der Nationalmannschaft. Hatten Sie immer die Hoffnung, dass Sie Ihr Weg wieder ins DFB-Team führen würde?

Großkreutz: Ich habe das eigentlich immer ziemlich entspannt gesehen. Ich habe immer alles gegeben und daran geglaubt, dass man irgendwann belohnt wird, wenn man hart arbeitet. Jetzt ist die Belohnung da.

DFB.de: Hat sich in den drei Jahren aus Ihrer Sicht im DFB-Team etwas geändert?

Großkreutz: Überhaupt nichts. Ich bin damals toll aufgenommen worden, hatte mit den Jungs viel Spaß. Genauso ist es jetzt wieder. Das Klima ist super, die Bedingungen stimmen - es gibt nichts, was besser sein könnte. So war es vor drei Jahren auch schon.

DFB.de: Hat sich bei Kevin Großkreutz in diesen drei Jahren etwas geändert?

Großkreutz: (überlegt) Ich glaube, nicht sonderlich. Ich bin noch derselbe Mensch, der ich vor drei Jahren auch war.

DFB.de: Und sportlich?

Großkreutz: Ich habe mehr Erfahrung. Ich spiele mittlerweile seit fünf Jahren in der Bundesliga, ich habe in großen internationalen Finals gestanden, habe einige nationale Titel gewonnen. Natürlich hat diese Erfahrung Einfluss auf mich als Fußballer. Ich bin heute vor wichtigen Spielen beispielsweise viel ruhiger als früher.

DFB.de: Seit fünf Tagen sind Sie mittlerweile in Brasilien. Wie gefällt es Ihnen im Land des fünfmaligen Weltmeisters?

Großkreutz: Extrem gut. Wir sind von den Brasilianern grandios empfangen worden, das war wirklich ein einmaliges Erlebnis. Das WM-Quartier ist top, der Platz ist super, das Wetter hervorragend. Alles passt.

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DFB.de: Haben Sie neben dem Sport auch ein Auge für die Menschen hier? Für die Verhältnisse, in denen die Menschen in Santo André leben?

Großkreutz: Ein wenig schon. Für mich war der Besuch in der Schule hier ein tolles Erlebnis, das mir viel gegeben hat. Wir haben Kindern, die nicht viel haben, ein Lachen ins Gesicht gebracht. Die Kinder waren überglücklich - nur weil wir da waren. Die Zeit in der Schule war für mich emotional. Eigentlich haben wir nichts gemacht, und trotzdem haben wir viel bewirkt.

DFB.de: Wie gehen Sie damit um, dass Sie die Kraft haben, Menschen nur durch Anwesenheit glücklich zu machen?

Großkreutz: Mir ist das nicht so bewusst und nicht geheuer. Ich bin ja nichts Besonderes, ich bin ein Mensch, wie alle anderen auch. Ganz normal. Diese Reaktionen sind deswegen schwer fassbar.

DFB.de: Viel wird über die Belastungen während des Turniers und die klimatischen Verhältnisse in Brasilen gesprochen. Wie erleben Sie die Bedingungen in Brasilien bisher?

Großkreutz: Es ist schon anders als in Deutschland. Mittags, wenn die Sonne rauskommt, ist es heftig. Aber ich glaube, dass wir uns darauf gut vorbereitet haben. Die Temperaturen und das Klima werden kein Problem für uns sein. Wir sind fit, wir können das ab.

DFB.de: Joachim Löw hat in der Pressekonferenz gesagt, dass Philipp Lahm im Mittelfeld spielen wird. Glauben Sie, dass sich Ihre Chancen auf einen Einsatz im Spiel am Montag gegen Portugal - zum Beispiel als Rechtsverteidiger - dadurch erhöht haben?

Großkreutz: Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass ich nicht hoffe. Natürlich will ich spielen, das wollen wir alle hier. Aber ich bin hier, um der Mannschaft zu helfen. Egal, in welchem Bereich. Auch wenn ich nicht zum Einsatz kommen sollte, werde ich für das Team da sein. Ich werde meine Rolle zu 100 Prozent annehmen - ganz egal, wie sie ausfallen wird. Ich will mit der Mannschaft erfolgreich sein und den Titel holen. Das geht nur, wenn alle in allen Situation im Sinne der Mannschaft handeln.