Grabowski: Lorant hat uns schon 1976 Umschaltspiel beigebracht

Grabowski: Im Training hat er unsere Schusstechnik verbessert. Wir spielten ja schon alle Bundesliga, aber er hat uns noch was Neues gezeigt. Lorant hat den Ball hingelegt und in seinem lustigen Deutsch gesagt: "Siehst du schwarzen Punkt hier. Musst du treffen. Darfst du nicht weit anlaufen, zwei Schritte." Und ich sage Ihnen eines: Ich habe den Ball genau in den Winkel gehauen, es war unfassbar. Darauf Lorant: "Hast du gesehen. Habe ich dir gesagt." Das war ein Trainer - unglaublich! Das eine Jahr war ein Highlight, das möchte ich nicht missen, das war toll. Er hat uns mit seinem Wissen imponiert. Und das Beste daran: Alles klappte. Es war sensationell. Sogar das mit Kaffee und Kuchen im Kabinengang.

DFB.de: Kaffee und Kuchen?

Grabowski: Ja. Schade, dass das niemand gefilmt hat. Lorant hat eingeführt, dass Anton Hübler (damals Eintracht-Zeugwart; Anm. d. Red.) im Kabinengang einen Tisch aufgebaut hat mit 15, 16 Tassen Espresso, Kuchenstückchen, Keksen. Wir kamen dann aus unserer Kabine, fertig umgezogen, mit Stollenschuhen, sind zu dem Tischchen und haben locker-lässig ein Tässchen Espresso getrunken, Kekse gegessen. Sie hätten mal den Gegner sehen sollen, wie der geguckt hat. Trinken die unmittelbar vorm Einlaufen noch Kaffee! Dann sind wir gemeinsam raus und haben gewonnen. Das war gigantisch. Das haben wir bei allen Spielen gemacht, bei Heim- und Auswärtsspielen.

DFB.de: Bei Ihrer Serie schlugen Sie die Bayern in München 3:0, gewannen 7:1 gegen Bremen, 8:1 gegen Essen, schossen 86 Tore - so viele wie kein anderes Team...

Grabowski: Ja, es hat einfach Spaß gemacht. Und wissen Sie, was unter Lorant noch anders war?

DFB.de: Verraten Sie es uns!

Grabowski: Die Eintracht galt immer als launische Diva. Nach einem glorreichen Heimsieg gegen Bayern kam todsicher im nächsten Spiel ein 0:1 bei Rot-Weiß Oberhausen. Doch das gab es in dieser Saison auch nicht. Wir haben die Begeisterung mitgenommen, ja, wir haben auch die eigenen Fans überrascht.

DFB.de: Und warum ist Gyula Lorant, wie Sie anfangs sagten, zu früh gegangen?



Besondere Begegnungen, besondere Zeitzeugen. Auf DFB.de erinnern sich prägende Figuren der Bundesliga an ganz spezielle Duelle, passend zum jeweils aktuellen Spieltag der Saison 2014/2015. Vor dem vierten Spieltag spricht Weltmeister Jürgen Grabowski im DFB.de-Interview mit Mitarbeiter Thomas Kilchenstein über die 22 Spiele anhaltende Serie von Eintracht Frankfurt in der Saison 1976/1977 unter Trainer Gyula Lorant, die gegen Schalke 04 riss. Am Samstag (ab 15.30 Uhr, live auf Sky) steht die Partie in Gelsenkirchen erneut auf dem Programm.

DFB.de: In der Saison 1976/1977 haben Sie 22 Spiele am Stück nicht verloren, und doch begann die Siegesserie von Eintracht Frankfurt im Grunde zu spät.

Jürgen Grabowski: Da haben Sie Recht. Im Prinzip ist Gyula Lorant zu spät gekommen und zu früh gegangen.

DFB.de: Wieso das denn?

Grabowski: Unsere Serie in der Saison 1976/1977 hatte uns auf Platz vier gespült, zwei Punkte hinter Meister Borussia Mönchengladbach. Und wir hatten das klar bessere Torverhältnis. Damals galt ja noch die Zweipunkteregel, und hätten wir unsere Serie einen Spieltag vorher gestartet, wären wir Deutscher Meister geworden.

DFB.de: Aber Lorant begann am 13. November 1976 mit einer Niederlage.

Grabowski: Das stimmt. Wir verloren 1:2 bei Werder Bremen. Das war am 13. Spieltag, wir lagen auf dem drittletzten Tabellenplatz mit 7:17 Punkten, danach waren wir nicht mehr zu bremsen. Am Ende der Saison hatten wir dann 42:26 Punkte.

DFB.de: Was war denn so außergewöhnlich an Gyula Lorant?

Grabowski: Er war ein außergewöhnlicher, ein intelligenter Mann. Und er hat uns gleich ein neues System verpasst. Der Gyula ist an die Tafel gegangen und hat es uns erläutert. Als wir Spieler aus der Sitzung rausgingen, hatte das keiner kapiert. Man hat nur Striche auf der Tafel gesehen, unfassbar. Und alle haben geunkt: "Oje, lieber Gott, was wird das geben?" Das erste Spiel unter Lorant haben wir prompt verloren.

DFB.de: Doch dann, eine Woche später gegen den 1. FC Kaiserslautern, setzte die Eintracht zu ihrem Triumphzug an.

Grabowski: Ja, weil das gepasst hatte - Lorant und Eintracht Frankfurt. Er hat sich zum Beispiel vier Spieler rausgepickt - Willi Neuberger, Bernd Hölzenbein, Bernd Nickel und mich -, das war die Achse, und die hat er mit auf die Reise genommen. Er hat die Starken stärker gemacht, er hat sie auf seine Linie eingeschworen. Er hat gesagt: "Wenn wir Spiele gewinnen wollen, müsst ihr vorangehen, ihr müsst das Ding in die Hand nehmen." Wir sind für ihn durch dick und dünn gegangen. Und er hat uns Selbstvertrauen eingeimpft ohne Ende. Ich erinnere mich an ein Spiel, gegen Schalke war das: Da hat Gyula in einem Interview vorher gesagt, Grabowski sei so gut wie Johan Cruyff. Was glauben Sie, mit welch breiter Brust ich aufgelaufen bin. Prompt habe ich ein schönes Tor geschossen. Lorant hat die Führungsspieler, wie man heute sagen würde, auf seine Seite gezogen. Und...

DFB.de: Ja?

Grabowski: Er hat es nicht so gemacht wie manche Trainer, die ihre Macht erst einmal sichern wollen, indem sie die Leitwölfe kleinmachen, um zu demonstrieren, was für Kerle sie sind. Der Lorant war kraft seiner Autorität ein Kerl. Er hat sich an die Starken gehalten. Die anderen haben gesehen, dass wir uns reinhauen, und haben mitgezogen. Deshalb hat es so gut funktioniert.

DFB.de: Aber Sie haben auch ein anderes System als damals üblich gespielt. Lorant hat die Raumdeckung eingeführt.

Grabowski: So eine richtige Raumdeckung war das nicht. Wir haben übergeben. Ein Beispiel: Wenn der gegnerische Linksaußen auf unseren rechten Verteidiger zulief, auf Peter Reichel, dann hat der den Zweikampf gesucht und außen zugemacht. Wenn der Linksaußen aber nach innen zog, ist Reichel nicht mitgegangen, sondern stehengeblieben und hat übergeben, etwa an Gert Trinklein im Mittelfeld. Und wenn der Stürmer noch weiter nach rechts zog, hat ihn ein anderer übernommen. Wir haben nicht wild attackiert und uns ausspielen lassen, sondern den Gegner im Mittelfeld spielen lassen. Das hat die nervös gemacht, nach dem Motto: Die greifen uns ja gar nicht an. Und wenn wir den Ball hatten, ging die Post ab. Der Rechtsaußen zog in die Mitte, der Mittelfeldspieler nach außen, wir haben rochiert, aber nicht vogelwild. Umschaltspiel würde man heute dazu sagen. Das war absolutes Neuland für uns, hat aber unglaublich Spaß gemacht, wir haben das super umgesetzt. Und Lorant hat uns immer wieder verblüfft.

DFB.de: Erzählen Sie!

Grabowski: Im Training hat er unsere Schusstechnik verbessert. Wir spielten ja schon alle Bundesliga, aber er hat uns noch was Neues gezeigt. Lorant hat den Ball hingelegt und in seinem lustigen Deutsch gesagt: "Siehst du schwarzen Punkt hier. Musst du treffen. Darfst du nicht weit anlaufen, zwei Schritte." Und ich sage Ihnen eines: Ich habe den Ball genau in den Winkel gehauen, es war unfassbar. Darauf Lorant: "Hast du gesehen. Habe ich dir gesagt." Das war ein Trainer - unglaublich! Das eine Jahr war ein Highlight, das möchte ich nicht missen, das war toll. Er hat uns mit seinem Wissen imponiert. Und das Beste daran: Alles klappte. Es war sensationell. Sogar das mit Kaffee und Kuchen im Kabinengang.

DFB.de: Kaffee und Kuchen?

Grabowski: Ja. Schade, dass das niemand gefilmt hat. Lorant hat eingeführt, dass Anton Hübler (damals Eintracht-Zeugwart; Anm. d. Red.) im Kabinengang einen Tisch aufgebaut hat mit 15, 16 Tassen Espresso, Kuchenstückchen, Keksen. Wir kamen dann aus unserer Kabine, fertig umgezogen, mit Stollenschuhen, sind zu dem Tischchen und haben locker-lässig ein Tässchen Espresso getrunken, Kekse gegessen. Sie hätten mal den Gegner sehen sollen, wie der geguckt hat. Trinken die unmittelbar vorm Einlaufen noch Kaffee! Dann sind wir gemeinsam raus und haben gewonnen. Das war gigantisch. Das haben wir bei allen Spielen gemacht, bei Heim- und Auswärtsspielen.

DFB.de: Bei Ihrer Serie schlugen Sie die Bayern in München 3:0, gewannen 7:1 gegen Bremen, 8:1 gegen Essen, schossen 86 Tore - so viele wie kein anderes Team...

Grabowski: Ja, es hat einfach Spaß gemacht. Und wissen Sie, was unter Lorant noch anders war?

DFB.de: Verraten Sie es uns!

Grabowski: Die Eintracht galt immer als launische Diva. Nach einem glorreichen Heimsieg gegen Bayern kam todsicher im nächsten Spiel ein 0:1 bei Rot-Weiß Oberhausen. Doch das gab es in dieser Saison auch nicht. Wir haben die Begeisterung mitgenommen, ja, wir haben auch die eigenen Fans überrascht.

DFB.de: Und warum ist Gyula Lorant, wie Sie anfangs sagten, zu früh gegangen?

Grabowski: Wir hatten bei Eintracht Frankfurt stets Trainer, die sehr lange arbeiteten. Trainerentlassungen gab es damals so gut wie keine in Frankfurt. Wir hatten Elek Schwartz drei Jahre, dann fünf Jahre Erich Ribbeck. Danach kam Dietrich Weise, auch er erfüllte seinen Dreijahresvertrag. In elf Jahren hatte Eintracht Frankfurt drei Trainer. Das war auch damals schon eine Ausnahme, ich möchte fast sagen: sensationell. Wir hatten uns auch für Hans-Dieter Roos stark gemacht, er war Co-Trainer unter Dietrich Weise. Es hat in der Saison aus irgendwelchen Gründen nicht gepasst. Und dann kam Gyula Lorant. Aber er konnte nicht so gut mit dem damaligen Vorstand Achaz von Thümen, das ist kein Geheimnis. Lorant war eher ein hemdsärmeliger, rustikaler Typ, ein Polterer. Er ist angeeckt. Von Thümen war Kanzler der Frankfurter Universität. Die passten nicht zusammen, die konnten nicht miteinander. Wenn das besser gepasst hätte, wäre Lorant mit Sicherheit länger bei der Eintracht geblieben.

DFB.de: Haben Sie danach Kontakt gehalten mit Lorant?

Grabowski: Wir kamen gut mit ihm klar. Wir haben öfter telefoniert. Ich habe schon verfolgt, wie es mit ihm weiterging. Er ist ja nach uns zu den Bayern gegangen, Dettmar Cramer kam zur Eintracht. Dann war er in Griechenland tätig - und ist mit nur 58 Jahren auf der Trainerbank bei PAOK Saloniki mit Herzinfarkt gestorben. Eine Katastrophe.

DFB.de: Und doch: Sie hatten während der Serie in der Bundesliga ein Pflichtspiel verloren. DFB-Pokalviertelfinale gegen Bayer Uerdingen - 3:6 nach Verlängerung.

Grabowski: Ja, Sie haben Recht. Wir hatten schon 3:1 geführt, Friedhelm Funkel (später erfolgreicher Trainer in Frankfurt; Anm. d. Red) erzielte ein Tor, der Ausgleich fiel in der 90. Minute. In der Verlängerung sind wir untergegangen. Wir hatten ja den Pokal zuvor zweimal gewonnen, 1974 und 1975. Wenn wir in Uerdingen gewonnen hätten, wären wir wieder ganz dick dabei gewesen.

DFB.de: Und warum, Herr Grabowski, ist die stolze Bundesligaserie dann auf Schalke gerissen? Weil Sie Ihre Form nicht über die Pause konservieren konnten?

Grabowski: Kann sein. Irgendwann reißt halt jede Serie einmal. Enttäuschend war es schon, zumal beim 2:3 damals das Schalker Siegtor ein, zwei Minuten vor Schluss fiel. Mit ein bisschen Glück hätte die Serie sogar gehalten. Andererseits wussten wir schon: Wir waren verwöhnt, 22 Spiele ohne Niederlage - das war halt eine tolle Geschichte.