Gesichter der Bundesliga: Rehhagels Meistercoup

50 Jahre, 50 Gesichter: Für DFB.de erzählt der Autor und Historiker Udo Muras die Geschichte der Bundesliga an Persönlichkeiten nach, die die deutsche Eliteliga prägten. Jahr für Jahr. Heute: Otto Rehhagel, der Aufsteiger 1. FC Kaiserslautern 1997/1998 zur Meisterschaft führt.

Er nannte sich stets selbst gern ein "Kind der Bundesliga", denn als sie am 24. August 1963 das Laufen lernte, war Otto Rehhagel am Ball. Zunächst für Hertha BSC, dann für den 1. FC Kaiserslautern. Die in den Jahren 1965 bis 1972 entstandenen Freundschaften zu FCK-Verantwortlichen führten dazu, dass das Kind der Bundesliga 1996 sogar noch einmal in die Niederungen der 2. Liga hinab stieg.

"Der kleinkarierte Mist muss aufhören"

Nach dem ersten Abstieg des Bundesliga-Dinos FCK brauchte die Pfalz einen Messias und Otto Rehhagel war sich nicht zu schade, obwohl er zuletzt den großen FC Bayern trainiert hatte, nun mal nach Meppen zu fahren. 1997 waren die Lauterer in der Bundesliga zurück und Rehhagel hatte seit deren Bestehen nur zwei Spielzeiten verpasst (1972/1973 und 1996/1997). Ein Verein mit einem solchen Trainer war kein normaler Aufsteiger, erst recht nicht, als im Sommer ein Spieler von Inter Mailand in die Pfalz kam: Ciriaco Sforza nahm seinen zweiten Anlauf beim FCK.

Dennoch sprach Routinier Rehhagel in der Vorbereitung im Nordschwarzwald nur vom Klassenverbleib und zuweilen wurde mit seinem Rücktritt spekuliert wegen interner Streitigkeiten mit Sportdirektor Hans-Peter Briegel. Als Präsident Jürgen "Atze" Friedrich, der mit Otto noch gespielt hatte, seinen Rücktritt in den Raum stellte, grollte Rehhagel: "Wenn Friedrich zurücktritt, muss ich meine Position überdenken. Der kleinkarierte Mist muss aufhören."

Aber dann rollte zum Glück der Ball und die sensationellste Bundesliga-Saison nahm ihren Lauf. Schon der Start war aussagekräftig: Ausgerechnet zu den Bayern musste der FCK – und er gewann 1:0. Rehhagel hüpfte wie ein Kind über die Tartanbahn, ließ sich abends im Sportstudio feiern und genoss seinen Triumph an der Stätte seiner bis dahin größten Schmach. Die Bayern hatten ihn nach nur zehn Monaten gefeuert. Und doch blieb er bescheiden: "Wir kämpfen nur um den Klassenerhalt. Es wird noch Jahre dauern, bis der FCK den Absturz in die 2. Liga endgültig aufgearbeitet hat."

Es war sein schönster Irrtum. Ab dem vierten Spieltag blieb der Aufsteiger Tabellenführer, daran änderte auch die erste Niederlage gegen Ex-Klub Werder (1:3) nichts. Zum Rückrundenstart wiederholten die Lauterer ihr Kunststück und schlugen die Bayern erneut, nun mit 2:0. Uli Hoeneß blieb angesichts von Rehhagels Erfolgssträhne nur Trotz: "Er kann noch siebenmal mit Lautern Meister werden, trotzdem wird er kein Trainer für den FC Bayern." Als die Lauterer mit vier Punkten Vorsprung auf die Bayern in die Winterpause einliefen, änderte Otto die Ziele: "Wir wollen in einen internationalen Wettbewerb."

Dass ein Aufsteiger auch noch in einer Saison zum Titel marschierte, in der in der Liga neben der "Supermacht" FC Bayern auch zwei amtierende Europapokalsieger spielten (BVB und Schalke), macht den Erfolg noch bemerkenswerter. Spieler wie Schjönberg, Harry Koch oder Olaf Marschall hatten nie große Angebote, aber beim FCK spielten sie die Saison ihres Lebens. Wie schon in Bremen und später mit Griechenland formte Rehhagel aus durchschnittlichem Spielermaterial einen Haufen Champions. Auch weil er im Gegensatz zu seiner Zeit bei Bayern bei einem weit besserem Kader nicht die Macht hatte. In Kaiserslautern quatschte ihm nach dem Rücktritt von Briegel im Oktober niemand mehr rein. Bezeichnend, dass der Sportdirektor-Posten nicht neu besetzt wurde und Briegel sagte: "Es hätte mich nicht gewundert, wenn es Beate gemacht hätte." Er meinte Rehhagels Frau.

Star ist der Trainer

Der Star war der Trainer in Kaiserslautern und bei diesen Resultaten kam niemand auf die Idee, dieses Prinzip zu hinterfragen. Schon im Winter 1997/1998 wählte ihn der Kicker zum Mann des Jahres und titelte seine Story: "König Otto, der Kaiser von Lautern." Seine Weisheiten wie "Die Wahrheit liegt auf dem Platz" haben Hochkonjunktur in jenen Tagen, wo Konzepttrainer noch unbekannt und sich niemand daran stört, dass Trainer auf die 60 zugehen.

Seine Erfahrung und Gelassenheit ist in der Rückrunde von entscheidender Bedeutung. Als seine Jungs die "Meisterflatter" bekommen und nur noch sieben Spiele gewinnen, behält Rehhagel die Ruhe. Werder-Manager Willi Lemke, mit dem er 14 Jahre durch dick und dünn gegangen war, adelt Rehhagel als "besten Psychologen unter den Bundesliga-Trainern". Dieter Kürten, Moderator des Sportstudios, huldigt ihm als "König der Trainer" und Günter Netzer findet, es sei "die größte Leistung, die je im deutschen Fußball vollbracht wurde. Das ist nicht wiederholbar".

Wichtiger als jedes Lob ist der Titel, der ihm am 2. Mai 1998, einen Spieltag vor Saisonende, sicher ist. Nach einem 4:0 gegen Mitaufsteiger VfL Wolfsburg wird der FCK zum vierten Mal Deutscher Meister. Auf der Anzeigetafel im Fritz-Walter-Stadion wird Rehhagel mit Krone gezeichnet, daneben steht "Danke Otto!!!". Der Meister-Trainer wiegelt ein bisschen ab ("Ich habe doch nur aus meinem Fundus geschöpft") und sagt gerührt: "Ein unglaubliches Märchen ist zu Ende gegangen." Davon wird das Kind der Bundesliga noch seinen Ur-Enkeln erzählen.

Otto Rehhagels Bundesligabilanz: 201 Spiele, 22 Tore; 832 Spiele als Trainer, drei Meisterschaften (1988, 1993, 1998).

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50 Jahre, 50 Gesichter: Für DFB.de erzählt der Autor und Historiker Udo Muras die Geschichte der Bundesliga an Persönlichkeiten nach, die die deutsche Eliteliga prägten. Jahr für Jahr. Heute: Otto Rehhagel, der Aufsteiger 1. FC Kaiserslautern 1997/1998 zur Meisterschaft führt.

Er nannte sich stets selbst gern ein "Kind der Bundesliga", denn als sie am 24. August 1963 das Laufen lernte, war Otto Rehhagel am Ball. Zunächst für Hertha BSC, dann für den 1. FC Kaiserslautern. Die in den Jahren 1965 bis 1972 entstandenen Freundschaften zu FCK-Verantwortlichen führten dazu, dass das Kind der Bundesliga 1996 sogar noch einmal in die Niederungen der 2. Liga hinab stieg.

"Der kleinkarierte Mist muss aufhören"

Nach dem ersten Abstieg des Bundesliga-Dinos FCK brauchte die Pfalz einen Messias und Otto Rehhagel war sich nicht zu schade, obwohl er zuletzt den großen FC Bayern trainiert hatte, nun mal nach Meppen zu fahren. 1997 waren die Lauterer in der Bundesliga zurück und Rehhagel hatte seit deren Bestehen nur zwei Spielzeiten verpasst (1972/1973 und 1996/1997). Ein Verein mit einem solchen Trainer war kein normaler Aufsteiger, erst recht nicht, als im Sommer ein Spieler von Inter Mailand in die Pfalz kam: Ciriaco Sforza nahm seinen zweiten Anlauf beim FCK.

Dennoch sprach Routinier Rehhagel in der Vorbereitung im Nordschwarzwald nur vom Klassenverbleib und zuweilen wurde mit seinem Rücktritt spekuliert wegen interner Streitigkeiten mit Sportdirektor Hans-Peter Briegel. Als Präsident Jürgen "Atze" Friedrich, der mit Otto noch gespielt hatte, seinen Rücktritt in den Raum stellte, grollte Rehhagel: "Wenn Friedrich zurücktritt, muss ich meine Position überdenken. Der kleinkarierte Mist muss aufhören."

Aber dann rollte zum Glück der Ball und die sensationellste Bundesliga-Saison nahm ihren Lauf. Schon der Start war aussagekräftig: Ausgerechnet zu den Bayern musste der FCK – und er gewann 1:0. Rehhagel hüpfte wie ein Kind über die Tartanbahn, ließ sich abends im Sportstudio feiern und genoss seinen Triumph an der Stätte seiner bis dahin größten Schmach. Die Bayern hatten ihn nach nur zehn Monaten gefeuert. Und doch blieb er bescheiden: "Wir kämpfen nur um den Klassenerhalt. Es wird noch Jahre dauern, bis der FCK den Absturz in die 2. Liga endgültig aufgearbeitet hat."

Es war sein schönster Irrtum. Ab dem vierten Spieltag blieb der Aufsteiger Tabellenführer, daran änderte auch die erste Niederlage gegen Ex-Klub Werder (1:3) nichts. Zum Rückrundenstart wiederholten die Lauterer ihr Kunststück und schlugen die Bayern erneut, nun mit 2:0. Uli Hoeneß blieb angesichts von Rehhagels Erfolgssträhne nur Trotz: "Er kann noch siebenmal mit Lautern Meister werden, trotzdem wird er kein Trainer für den FC Bayern." Als die Lauterer mit vier Punkten Vorsprung auf die Bayern in die Winterpause einliefen, änderte Otto die Ziele: "Wir wollen in einen internationalen Wettbewerb."

Dass ein Aufsteiger auch noch in einer Saison zum Titel marschierte, in der in der Liga neben der "Supermacht" FC Bayern auch zwei amtierende Europapokalsieger spielten (BVB und Schalke), macht den Erfolg noch bemerkenswerter. Spieler wie Schjönberg, Harry Koch oder Olaf Marschall hatten nie große Angebote, aber beim FCK spielten sie die Saison ihres Lebens. Wie schon in Bremen und später mit Griechenland formte Rehhagel aus durchschnittlichem Spielermaterial einen Haufen Champions. Auch weil er im Gegensatz zu seiner Zeit bei Bayern bei einem weit besserem Kader nicht die Macht hatte. In Kaiserslautern quatschte ihm nach dem Rücktritt von Briegel im Oktober niemand mehr rein. Bezeichnend, dass der Sportdirektor-Posten nicht neu besetzt wurde und Briegel sagte: "Es hätte mich nicht gewundert, wenn es Beate gemacht hätte." Er meinte Rehhagels Frau.

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Star ist der Trainer

Der Star war der Trainer in Kaiserslautern und bei diesen Resultaten kam niemand auf die Idee, dieses Prinzip zu hinterfragen. Schon im Winter 1997/1998 wählte ihn der Kicker zum Mann des Jahres und titelte seine Story: "König Otto, der Kaiser von Lautern." Seine Weisheiten wie "Die Wahrheit liegt auf dem Platz" haben Hochkonjunktur in jenen Tagen, wo Konzepttrainer noch unbekannt und sich niemand daran stört, dass Trainer auf die 60 zugehen.

Seine Erfahrung und Gelassenheit ist in der Rückrunde von entscheidender Bedeutung. Als seine Jungs die "Meisterflatter" bekommen und nur noch sieben Spiele gewinnen, behält Rehhagel die Ruhe. Werder-Manager Willi Lemke, mit dem er 14 Jahre durch dick und dünn gegangen war, adelt Rehhagel als "besten Psychologen unter den Bundesliga-Trainern". Dieter Kürten, Moderator des Sportstudios, huldigt ihm als "König der Trainer" und Günter Netzer findet, es sei "die größte Leistung, die je im deutschen Fußball vollbracht wurde. Das ist nicht wiederholbar".

Wichtiger als jedes Lob ist der Titel, der ihm am 2. Mai 1998, einen Spieltag vor Saisonende, sicher ist. Nach einem 4:0 gegen Mitaufsteiger VfL Wolfsburg wird der FCK zum vierten Mal Deutscher Meister. Auf der Anzeigetafel im Fritz-Walter-Stadion wird Rehhagel mit Krone gezeichnet, daneben steht "Danke Otto!!!". Der Meister-Trainer wiegelt ein bisschen ab ("Ich habe doch nur aus meinem Fundus geschöpft") und sagt gerührt: "Ein unglaubliches Märchen ist zu Ende gegangen." Davon wird das Kind der Bundesliga noch seinen Ur-Enkeln erzählen.

Otto Rehhagels Bundesligabilanz: 201 Spiele, 22 Tore; 832 Spiele als Trainer, drei Meisterschaften (1988, 1993, 1998).