Gesichter der Bundesliga: Jörg Berger, der Retter

50 Jahre, 50 Gesichter: Für DFB.de erzählt der Autor und Historiker Udo Muras die Geschichte der Bundesliga an Persönlichkeiten nach, die die deutsche Eliteliga prägten. Jahr für Jahr. Heute: Jörg Berger, der 1999 bei Eintracht Frankfurt sein Retter-Image zementiert.

Aufsteiger Eintracht Frankfurt erlebte 1998/1999 eine äußerst turbulente Saison. Mit Horst Ehrmantraut, seinem Assistenten Bernhard Lippert und Reinhold Fanz hatten sich bis April bereits drei Trainer an der Aufgabe versucht, den direkten Wiederabstieg zu verhindern. Nach einem noch gnädigen 1:3 bei den Bayern warf der Vorstand ein weiteres Mal den Rettungsanker, entließ Fanz und Manager Gernot Rohr und präsentierte am 19. April 1999 den Retter schlechthin: Jörg Berger.

"Berger kann nicht nur Brände löschen, sondern auch welche entfachen"

Der 1979 aus der DDR geflohene Trainer hatte schon dreimal bewiesen, dass er ein Fachmann für aussichtslose Fälle ist: 1989 erstmals in Frankfurt, 1991/1992 in Köln und 1993/1994 auf Schalke verhinderte er den Abstieg. Nur in Karlsruhe war es 1998 mal schief gegangen, aber Bergers Image blieb davon unbeschadet. "Jörg ist wie Red Adair, der berühmte Feuerwehrmann", hieß es. "Doch er kann nicht nur Brände löschen, sondern solche auch in der Truppe entfachen."

Nun, sieben Spiele vor Saisonschluss bei vier Punkten und acht Toren Rückstand auf Platz 15, trat er den nächsten Himmelfahrtsjob an. Zunächst verteilte Berger Zuckerbrot und sagte in seinem Antrittsinterview: "Man merkt, dass es keine schwierige Mannschaft ist und dass die Spieler willig sind. Wenn wir die Begeisterung aus dem Training auf das Spiel übertragen können, dann sieht es positiv aus."

Um die Eintracht retten zu können, müsse die Mannschaft nur wieder "Geschlossenheit" erlangen. Und er wusste: "Der Abstieg wird im Kopf entschieden." Also versuchte er, die Köpfe zu erreichen.

Klare Ansagen, alte Schule

Jörg Berger war ein Mann der klaren Ansprachen und in seinem Vokabular sicher noch ein Vertreter der alten Schule. "Gras fressen" und "Ärmel hochkrempeln" kommt den modernen Konzepttrainern heute nicht mehr über die Lippen, aber der Zweck heiligte die Mittel, und Bergers Vita schaffte eine natürliche Autorität. Ein Zitat von Ansgar Brinkmann lautete: "Wir haben an seinen Lippen geklebt und wären sogar 90 Minuten rückwärts gelaufen, wenn er es gesagt hätte." Doch nicht rückwärts war die Parole, sondern vorwärts - oder besser noch: aufwärts.

Dafür reduzierte er den Kader von 30 auf 18 Spieler, mit denen er die Rettung schaffen wollte - die anderen trainierten extra. Er schuf sich eine "Special force Klassenverbleib" und suchte die Nähe der Führungsspieler Oka Nikolov, Ralf Weber, Olaf Janssen und Jan-Aage Fjörtoft. Aber es dauerte, ehe sein Zauber wirkte. Der Auftakt gegen den KSC (2:2) war ernüchternd, und nach dem 0:2 in Freiburg fehlten gar schon sechs Punkte zum "rettenden Ufer".

Auch das dritte Spiel (2:2 gegen den HSV) brachte den ersehnten Sieg nicht, aber dann begann sie, die wundersame Aufholjagd. Die Eintracht gewann beim späteren Pokalsieger Werder Bremen, sie schlug Borussia Dortmund und auch bei Bergers Ex-Klub Schalke gab es drei Punkte - 3:2 nach 0:2.

Fünf Teams, ein Absteiger

Und so erhielt die Bundesliga ihr packendstes Abstiegsdrama in 50 Jahren - denn fünf Mannschaften spielten noch einen Absteiger aus. Berger machte auf Zuversicht: "Wir sind mit der prekären Situation seit Wochen vertraut, die anderen müssen damit erstmal zurecht kommen."

Doch mit dem, was dann kam, war auch der alte Fahrensmann Jörg Berger nicht vertraut. Die Ereignisse des 29. Mai 1999 sind längst Legende, drei verschiedene Mannschaften nahmen zwischenzeitlich den 16. Platz ein.

Am längsten stand dort die Eintracht aus Frankfurt, doch durch das Übersteigertor Fjörtofts zum 5:1-Endstand gegen Kaiserslautern überholte sie in letzter Minute noch den 1. FC Nürnberg. Im Waldstadion spielten sich unvorstellbare Jubelszenen ab, und mittendrin steckte der Trainer. Der wurde wieder einmal als das gefeiert, was er offenbar am besten konnte - als Retter.

Krebstod mit erst 65 Jahren

"Dieser Mann hätte sogar die Titanic gerettet", witzelte Fjörtoft, und Berger wiederholte sein Credo: "Nur wer das Unmögliche glaubt, kann das Mögliche erreichen." Bei Frankfurts Oberbürgermeisterin Petra Roth stapelten sich die Bittbriefe der Fans, man möge Berger doch ein Denkmal errichten. Das war leider nicht möglich, und es war wohl besser so. Ein halbes Jahr später wurde er entlassen, denn die Eintracht war Letzter und brauchte einen neuen Retter.

Jörg Berger, der 2010 an Darmkrebs verstarb, hatte 15 Trainerstationen. Wenn er irgendwo kein Denkmal braucht, dann in Frankfurt. Denn durch seine wundersamen Taten im Mai 1999 hat er sich ein unsichtbares und gleichsam unzerstörbares Monument gesetzt.

Jörg Bergers Bundesligabilanz: 327 Spiele, vier erfolgreiche Rettungen.

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50 Jahre, 50 Gesichter: Für DFB.de erzählt der Autor und Historiker Udo Muras die Geschichte der Bundesliga an Persönlichkeiten nach, die die deutsche Eliteliga prägten. Jahr für Jahr. Heute: Jörg Berger, der 1999 bei Eintracht Frankfurt sein Retter-Image zementiert.

Aufsteiger Eintracht Frankfurt erlebte 1998/1999 eine äußerst turbulente Saison. Mit Horst Ehrmantraut, seinem Assistenten Bernhard Lippert und Reinhold Fanz hatten sich bis April bereits drei Trainer an der Aufgabe versucht, den direkten Wiederabstieg zu verhindern. Nach einem noch gnädigen 1:3 bei den Bayern warf der Vorstand ein weiteres Mal den Rettungsanker, entließ Fanz und Manager Gernot Rohr und präsentierte am 19. April 1999 den Retter schlechthin: Jörg Berger.

"Berger kann nicht nur Brände löschen, sondern auch welche entfachen"

Der 1979 aus der DDR geflohene Trainer hatte schon dreimal bewiesen, dass er ein Fachmann für aussichtslose Fälle ist: 1989 erstmals in Frankfurt, 1991/1992 in Köln und 1993/1994 auf Schalke verhinderte er den Abstieg. Nur in Karlsruhe war es 1998 mal schief gegangen, aber Bergers Image blieb davon unbeschadet. "Jörg ist wie Red Adair, der berühmte Feuerwehrmann", hieß es. "Doch er kann nicht nur Brände löschen, sondern solche auch in der Truppe entfachen."

Nun, sieben Spiele vor Saisonschluss bei vier Punkten und acht Toren Rückstand auf Platz 15, trat er den nächsten Himmelfahrtsjob an. Zunächst verteilte Berger Zuckerbrot und sagte in seinem Antrittsinterview: "Man merkt, dass es keine schwierige Mannschaft ist und dass die Spieler willig sind. Wenn wir die Begeisterung aus dem Training auf das Spiel übertragen können, dann sieht es positiv aus."

Um die Eintracht retten zu können, müsse die Mannschaft nur wieder "Geschlossenheit" erlangen. Und er wusste: "Der Abstieg wird im Kopf entschieden." Also versuchte er, die Köpfe zu erreichen.

Klare Ansagen, alte Schule

Jörg Berger war ein Mann der klaren Ansprachen und in seinem Vokabular sicher noch ein Vertreter der alten Schule. "Gras fressen" und "Ärmel hochkrempeln" kommt den modernen Konzepttrainern heute nicht mehr über die Lippen, aber der Zweck heiligte die Mittel, und Bergers Vita schaffte eine natürliche Autorität. Ein Zitat von Ansgar Brinkmann lautete: "Wir haben an seinen Lippen geklebt und wären sogar 90 Minuten rückwärts gelaufen, wenn er es gesagt hätte." Doch nicht rückwärts war die Parole, sondern vorwärts - oder besser noch: aufwärts.

Dafür reduzierte er den Kader von 30 auf 18 Spieler, mit denen er die Rettung schaffen wollte - die anderen trainierten extra. Er schuf sich eine "Special force Klassenverbleib" und suchte die Nähe der Führungsspieler Oka Nikolov, Ralf Weber, Olaf Janssen und Jan-Aage Fjörtoft. Aber es dauerte, ehe sein Zauber wirkte. Der Auftakt gegen den KSC (2:2) war ernüchternd, und nach dem 0:2 in Freiburg fehlten gar schon sechs Punkte zum "rettenden Ufer".

Auch das dritte Spiel (2:2 gegen den HSV) brachte den ersehnten Sieg nicht, aber dann begann sie, die wundersame Aufholjagd. Die Eintracht gewann beim späteren Pokalsieger Werder Bremen, sie schlug Borussia Dortmund und auch bei Bergers Ex-Klub Schalke gab es drei Punkte - 3:2 nach 0:2.

Fünf Teams, ein Absteiger

Und so erhielt die Bundesliga ihr packendstes Abstiegsdrama in 50 Jahren - denn fünf Mannschaften spielten noch einen Absteiger aus. Berger machte auf Zuversicht: "Wir sind mit der prekären Situation seit Wochen vertraut, die anderen müssen damit erstmal zurecht kommen."

Doch mit dem, was dann kam, war auch der alte Fahrensmann Jörg Berger nicht vertraut. Die Ereignisse des 29. Mai 1999 sind längst Legende, drei verschiedene Mannschaften nahmen zwischenzeitlich den 16. Platz ein.

Am längsten stand dort die Eintracht aus Frankfurt, doch durch das Übersteigertor Fjörtofts zum 5:1-Endstand gegen Kaiserslautern überholte sie in letzter Minute noch den 1. FC Nürnberg. Im Waldstadion spielten sich unvorstellbare Jubelszenen ab, und mittendrin steckte der Trainer. Der wurde wieder einmal als das gefeiert, was er offenbar am besten konnte - als Retter.

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Krebstod mit erst 65 Jahren

"Dieser Mann hätte sogar die Titanic gerettet", witzelte Fjörtoft, und Berger wiederholte sein Credo: "Nur wer das Unmögliche glaubt, kann das Mögliche erreichen." Bei Frankfurts Oberbürgermeisterin Petra Roth stapelten sich die Bittbriefe der Fans, man möge Berger doch ein Denkmal errichten. Das war leider nicht möglich, und es war wohl besser so. Ein halbes Jahr später wurde er entlassen, denn die Eintracht war Letzter und brauchte einen neuen Retter.

Jörg Berger, der 2010 an Darmkrebs verstarb, hatte 15 Trainerstationen. Wenn er irgendwo kein Denkmal braucht, dann in Frankfurt. Denn durch seine wundersamen Taten im Mai 1999 hat er sich ein unsichtbares und gleichsam unzerstörbares Monument gesetzt.

Jörg Bergers Bundesligabilanz: 327 Spiele, vier erfolgreiche Rettungen.