Gesichter der Bundesliga: Bayer "Vizekusen" dank Oberleitner

50 Jahre, 50 Gesichter: Für DFB.de erzählt der Autor und Historiker Udo Muras die Geschichte der Bundesliga an Persönlichkeiten nach, die die deutsche Eliteliga prägten. Jahr für Jahr. Heute: 1999/2000 sorgt das Fußball-Dorf Unterhaching für Furore - und sein Stürmer Markus Oberleitner dafür, dass aus Leverkusen "Vizekusen" wird.

Als die Spielvereinigung Unterhaching, eine selbstständige Gemeinde am Rande Münchens, 1999 in die Bundesliga aufstieg, wurde sie nicht gerade mit offenen Armen empfangen. Sie und der nicht minder exotische Mitaufsteiger SSV Ulm drohten den Zuschauerboom zu gefährden. Unattraktiv, wenige Zuschauer, überflüssig. "So ärgerlich wie Potenzschwäche, Lepra und Mundgeruch", schrieb ein missgünstiger Journalist über den einstigen B-Ligisten.

Motivation genug für die Hachinger, es allen zu zeigen. Auch in der Mannschaft standen Spieler, die die Bundesliga scheinbar nicht brauchte. Ein Haufen Nobodies oder Gescheiterter. Wie Markus Oberleitner, in dessen Vita 13 Bundesligaspiele für den Absteiger Fortuna Düsseldorf standen - 1996/1997 war das gewesen.

Keine Einsatzchance unter Trapattoni

Als jene Saison anfing, stand er allerdings auf dem Mannschaftsfoto des amtierenden UEFA-Pokalsiegers Bayern München. Denn "der Obi" war auf Anraten von Weltmeister Paul Breitner und Zustimmung von Trainer Otto Rehhagel im Frühjahr 1996 verpflichtet worden.

Doch als Oberleitner, der auch seine Profikarriere in Unterhaching begonnen hatte, zum ersten Training erschien, war ein anderer Trainer da: Giovanni Trapattoni. Der kannte ihn nicht und ließ ihn auf der Bank schmoren - oder gleich auf der Tribüne. In der Winterpause widmete die Sportbild dem 23-Jährigen eine Titelgeschichte: "Ich habe keine Sekunde gespielt". In der erzählte Oberleitner von seinem tristen Reservistendasein und der Unmöglichkeit, mit Trapattoni zu sprechen, "denn er spricht und versteht nicht so gut Deutsch, wie vielleicht viele meinen."

Bayern und Oberleitner - es war ein Missverständnis. Als ihm dann auch Lothar Matthäus riet, sich ausleihen zu lassen, packte "Obi" seine Sachen. Nach dem Abstieg mit Fortuna ging er nach Unterhaching zurück, wo er im zweiten Jahr aufstieg. Und so wurde die Geschichte, die nun kommt, erst möglich.

Ironie gegen Daum: Haching läuft über Scherben

Es ist der 20. Mai 2000, Fußball-Deutschland blickt auf Unterhaching, wo Bayer Leverkusen am letzten Spieltag den noch fehlenden Punkt zur ersten Deutschen Meisterschaft überhaupt einfahren will. Der DFB hat die Meisterschale in den Sportpark gebracht, ins benachbarte Münchner Olympiastadion, wo die Bayern auf ein Wunder hoffen, kommt ein Duplikat. Transparente für die Siegerehrung sind vorbereitet, Leverkusen wird doch nicht ausgerechnet in Unterhaching scheitern?

Die Spielvereinigung hat zwar im Gegensatz zu den Ulmern den Klassenverbleib geschafft und schon sensationelle 41 Punkte geholt, aber ihr Trainer Lorenz-Günther Köstner sagt: "Leverkusen wird zu 99,9 Prozent Meister." ImHachinger Team ist die Stimmung anders. Für einen Spot von Sat.1 läuft der Kader frech über Scherben, um die Methoden von Bayer-Trainer Christoph Daum auf die Schippe zu nehmen.

Und die Ex-Bayern haben ihre eigenen Pläne. Ludwig Kögl, Matthias Zimmermann, Dennis Grassow und eben Markus Oberleitner haben trotz zum Großteil frustrierender Erfahrungen im Münchner Profikader - außer dem am Spieltag erkrankten Kögl spielte keiner je in der Bundesliga für Bayern - noch ein FCB-Herz.

"Wir konnten ganz locker drauflos spielen"

Als Bayerns Trainer Ottmar Hitzfeld geschickt den Hachingern unterstellt, sie würden nur noch mit halber Kraft trainieren, weil sie quasi in den Ferien seien, protestiert Oberleitner öffentlich: "Von wegen, wir trainieren wie immer." Für ihn gibt es zwei Möglichkeiten: sich an den Bayern zu rächen und schwach zu spielen oder ihnen zu zeigen, was sie an ihm hätten haben können. Der offensive Mittelfeldspieler entscheider sich für die sportliche Lösung und bietet ein starkes Spiel (Kicker-Note 2,5).

Vor zwei Monaten hat Oberleitner dem Magazin 11 Freunde erzählt: "Unter der Saison hätten wir wahrscheinlich eine böse Klatsche von denen bekommen. Das war eine bärenstarke Mannschaft. Aber am letzten Spieltag war das etwas anderes. Das ganze Land hat nach Unterhaching geschaut. Wir konnten ganz locker drauflos spielen." Und das taten sie - auch der "Obi".

Seitz auf Oberleitner, Innenpfosten, Tor!

Nur sechs Bundesligatore stehen in seiner Vita, aber eines davon hat Bundesligageschichte geschrieben. Nachdem Michael Ballack schon vor der Pause ein legendäres Eigentor unterlaufen ist, drängen die Leverkusener noch über 50 Minuten auf den Ausgleich. Dann kommt die 72. Minute, der spezielle Moment in der Karriere des Markus Oberleitner. Auf Flanke von Jochen Seitz köpft der Stürmer unhaltbar zum 2:0 an den Innenpfosten, von wo der Ball ins Tor springt. Dann folgt ekstatischer Jubel. Oberleitner: "Ich bin nach dem Tor rumgesprungen wie ein Schmetterling."

Jeder spürt: Es ist die Entscheidung. Nicht nur 10.000 Haching-Fans jubeln in diesem Moment, auch Stefan Effenberg reißt mitten im Bayern-Spiel gegen Bremen die Arme hoch, als er mit Verzögerung davon erfährt. Dann ist es zu Ende, der DFB bringt die echte Meisterschale ein paar Kilometer weiter nach München.

Die Leverkusener vergießen Tränen, auch Daum in den Armen seines Sohnes. Oberleitner ist gerührt von dem, was er da mit angerichtet hat: "Das hat mir schon weh getan, als ich den Herrn Daum habe weinen sehen. Vielleicht lastet wirklich ein Fluch auf Leverkusen."

Hachings "Meisterfeier" mit Meister FC Bayern

Man wird dies in den nächsten Jahren noch öfter hören. Aber das erste Kapitel der "Vizekusen"-Saga wurde in Unterhaching geschrieben, als Markus Oberleitner, der so gerne mit Bayern Meister hatte werden wollte, seine erste Meisterfeier erlebte. Die Bayern hatten den kleinen Nachbarn spontan eingeladen, und "Obi" war für eine strahlende Nacht obenauf. Nun hatte er seinen Frieden mit Bayern gemacht.

Heute ist Markus Oberleitner Immobilienmakler in München und leitet den jüngsten Nachwuchs von Unterhaching, von der U 9 bis zur U 13.

Markus Oberleitners Bundesligabilanz: 76 Spiele, 6 Tore.

[um]

[bild1]

50 Jahre, 50 Gesichter: Für DFB.de erzählt der Autor und Historiker Udo Muras die Geschichte der Bundesliga an Persönlichkeiten nach, die die deutsche Eliteliga prägten. Jahr für Jahr. Heute: 1999/2000 sorgt das Fußball-Dorf Unterhaching für Furore - und sein Stürmer Markus Oberleitner dafür, dass aus Leverkusen "Vizekusen" wird.

Als die Spielvereinigung Unterhaching, eine selbstständige Gemeinde am Rande Münchens, 1999 in die Bundesliga aufstieg, wurde sie nicht gerade mit offenen Armen empfangen. Sie und der nicht minder exotische Mitaufsteiger SSV Ulm drohten den Zuschauerboom zu gefährden. Unattraktiv, wenige Zuschauer, überflüssig. "So ärgerlich wie Potenzschwäche, Lepra und Mundgeruch", schrieb ein missgünstiger Journalist über den einstigen B-Ligisten.

Motivation genug für die Hachinger, es allen zu zeigen. Auch in der Mannschaft standen Spieler, die die Bundesliga scheinbar nicht brauchte. Ein Haufen Nobodies oder Gescheiterter. Wie Markus Oberleitner, in dessen Vita 13 Bundesligaspiele für den Absteiger Fortuna Düsseldorf standen - 1996/1997 war das gewesen.

Keine Einsatzchance unter Trapattoni

Als jene Saison anfing, stand er allerdings auf dem Mannschaftsfoto des amtierenden UEFA-Pokalsiegers Bayern München. Denn "der Obi" war auf Anraten von Weltmeister Paul Breitner und Zustimmung von Trainer Otto Rehhagel im Frühjahr 1996 verpflichtet worden.

Doch als Oberleitner, der auch seine Profikarriere in Unterhaching begonnen hatte, zum ersten Training erschien, war ein anderer Trainer da: Giovanni Trapattoni. Der kannte ihn nicht und ließ ihn auf der Bank schmoren - oder gleich auf der Tribüne. In der Winterpause widmete die Sportbild dem 23-Jährigen eine Titelgeschichte: "Ich habe keine Sekunde gespielt". In der erzählte Oberleitner von seinem tristen Reservistendasein und der Unmöglichkeit, mit Trapattoni zu sprechen, "denn er spricht und versteht nicht so gut Deutsch, wie vielleicht viele meinen."

Bayern und Oberleitner - es war ein Missverständnis. Als ihm dann auch Lothar Matthäus riet, sich ausleihen zu lassen, packte "Obi" seine Sachen. Nach dem Abstieg mit Fortuna ging er nach Unterhaching zurück, wo er im zweiten Jahr aufstieg. Und so wurde die Geschichte, die nun kommt, erst möglich.

Ironie gegen Daum: Haching läuft über Scherben

Es ist der 20. Mai 2000, Fußball-Deutschland blickt auf Unterhaching, wo Bayer Leverkusen am letzten Spieltag den noch fehlenden Punkt zur ersten Deutschen Meisterschaft überhaupt einfahren will. Der DFB hat die Meisterschale in den Sportpark gebracht, ins benachbarte Münchner Olympiastadion, wo die Bayern auf ein Wunder hoffen, kommt ein Duplikat. Transparente für die Siegerehrung sind vorbereitet, Leverkusen wird doch nicht ausgerechnet in Unterhaching scheitern?

Die Spielvereinigung hat zwar im Gegensatz zu den Ulmern den Klassenverbleib geschafft und schon sensationelle 41 Punkte geholt, aber ihr Trainer Lorenz-Günther Köstner sagt: "Leverkusen wird zu 99,9 Prozent Meister." ImHachinger Team ist die Stimmung anders. Für einen Spot von Sat.1 läuft der Kader frech über Scherben, um die Methoden von Bayer-Trainer Christoph Daum auf die Schippe zu nehmen.

Und die Ex-Bayern haben ihre eigenen Pläne. Ludwig Kögl, Matthias Zimmermann, Dennis Grassow und eben Markus Oberleitner haben trotz zum Großteil frustrierender Erfahrungen im Münchner Profikader - außer dem am Spieltag erkrankten Kögl spielte keiner je in der Bundesliga für Bayern - noch ein FCB-Herz.

"Wir konnten ganz locker drauflos spielen"

Als Bayerns Trainer Ottmar Hitzfeld geschickt den Hachingern unterstellt, sie würden nur noch mit halber Kraft trainieren, weil sie quasi in den Ferien seien, protestiert Oberleitner öffentlich: "Von wegen, wir trainieren wie immer." Für ihn gibt es zwei Möglichkeiten: sich an den Bayern zu rächen und schwach zu spielen oder ihnen zu zeigen, was sie an ihm hätten haben können. Der offensive Mittelfeldspieler entscheider sich für die sportliche Lösung und bietet ein starkes Spiel (Kicker-Note 2,5).

Vor zwei Monaten hat Oberleitner dem Magazin 11 Freunde erzählt: "Unter der Saison hätten wir wahrscheinlich eine böse Klatsche von denen bekommen. Das war eine bärenstarke Mannschaft. Aber am letzten Spieltag war das etwas anderes. Das ganze Land hat nach Unterhaching geschaut. Wir konnten ganz locker drauflos spielen." Und das taten sie - auch der "Obi".

[bild2]

Seitz auf Oberleitner, Innenpfosten, Tor!

Nur sechs Bundesligatore stehen in seiner Vita, aber eines davon hat Bundesligageschichte geschrieben. Nachdem Michael Ballack schon vor der Pause ein legendäres Eigentor unterlaufen ist, drängen die Leverkusener noch über 50 Minuten auf den Ausgleich. Dann kommt die 72. Minute, der spezielle Moment in der Karriere des Markus Oberleitner. Auf Flanke von Jochen Seitz köpft der Stürmer unhaltbar zum 2:0 an den Innenpfosten, von wo der Ball ins Tor springt. Dann folgt ekstatischer Jubel. Oberleitner: "Ich bin nach dem Tor rumgesprungen wie ein Schmetterling."

Jeder spürt: Es ist die Entscheidung. Nicht nur 10.000 Haching-Fans jubeln in diesem Moment, auch Stefan Effenberg reißt mitten im Bayern-Spiel gegen Bremen die Arme hoch, als er mit Verzögerung davon erfährt. Dann ist es zu Ende, der DFB bringt die echte Meisterschale ein paar Kilometer weiter nach München.

Die Leverkusener vergießen Tränen, auch Daum in den Armen seines Sohnes. Oberleitner ist gerührt von dem, was er da mit angerichtet hat: "Das hat mir schon weh getan, als ich den Herrn Daum habe weinen sehen. Vielleicht lastet wirklich ein Fluch auf Leverkusen."

Hachings "Meisterfeier" mit Meister FC Bayern

Man wird dies in den nächsten Jahren noch öfter hören. Aber das erste Kapitel der "Vizekusen"-Saga wurde in Unterhaching geschrieben, als Markus Oberleitner, der so gerne mit Bayern Meister hatte werden wollte, seine erste Meisterfeier erlebte. Die Bayern hatten den kleinen Nachbarn spontan eingeladen, und "Obi" war für eine strahlende Nacht obenauf. Nun hatte er seinen Frieden mit Bayern gemacht.

Heute ist Markus Oberleitner Immobilienmakler in München und leitet den jüngsten Nachwuchs von Unterhaching, von der U 9 bis zur U 13.

Markus Oberleitners Bundesligabilanz: 76 Spiele, 6 Tore.