Im Vergleich zu seinen Vorgängern sind fünf Jahre DFB-Präsident eigentlich eine kurze Zeit, denn zuletzt waren Hermann Neuberger stolze 17 Jahre und Egidius Braun immerhin neun Jahre im Amt. Doch wenn heute Gerhard Mayer-Vorfelder am Ende seines Wirkens als Nummer 1 in der DFB-Hierarchie angelangt ist, kann er trotzdem auf ein erfolgreiches und ereignisreiches Engagement zurückblicken. Denn hinter ihm liegt eine turbulente Zeit, in der viele Weichen gestellt werden mussten, mit Elan, Ideenreichtum und Durchsetzungsvermögen. Von Routine keine Spur.
Die zahlreichen Innovationen, die in seiner Ära eingeleitet wurden, begannen eigentlich schon vor seiner Wahl. Auf dem außerordentlichen Bundestag am 30. September 2000 in Mainz war der Grundlagenvertrag verabschiedet worden. Damit wurden die 36 Profivereine, die bis dahin wie die Amateurklubs einem Landesverband angehört hatten, als Ligaverband eine eigenständige Gruppierung unter dem Dach des DFB. Die Kompromisse, die einschließlich gegenseitiger finanzieller Verpflichtungen eingegangen wurden, und die detaillierten Zuständigkeitsbeschreibungen machten den Vertrag zu einem gleichermaßen vorbildlichen wie sensiblen Werk, das nur mit gutem Willen auf Seiten der Amateure und der Profis von der neu gegründeten Deutschen Fußball Liga mit Leben erfüllt werden konnte.
Einer der Schwerpunkte seiner Arbeit war von Beginn an die Talentförderung. Gerhard Mayer-Vorfelder wusste, dass der Fußball nicht mit der WM 2006 aufhören würde und in den Jahren der WM-Vorfreude wichtige Entscheidungen für mittel- bis langfristige Entwicklungen getroffen werden mussten. Inzwischen trainieren in allen Teilen Deutschlands 17.000 Kinder und Jugendliche im Alter von elf bis 17 Jahren flächendeckend einmal pro Woche an insgesamt 390 Stützpunkten, um ergänzend zum Alltag in den Vereinen technisch und taktisch geschult zu werden. Insgesamt 1200 Trainer sind für dieses Angebot verantwortlich, jährlich investiert der DFB etwa acht Millionen Euro in dieses Projekt. Für "MV", stets ein Mann mit einer klaren Meinung, ist das Talentförderprogramm bis zur Stunde eine "Herzensangelegenheit". Zumal er schnell erkannt hatte, dass es eingebettet sein muss in ein Bündel weiterer Maßnahmen, die von ihm zu Gunsten einer effektiven und zukunftsträchtigen Nachwuchsarbeit initiiert wurden. Beispielsweise neue Aktivitäten im Schulfußball, die Unterstützung der Sportbetonten Schulen im Osten oder die Einführung einer dreigliedrigen A-Junioren-Bundesliga mit 42 Vereinen und der Nachwuchs- Leistungszentren in den Profiklubs. Diese Basisarbeit war Gerhard Mayer-Vorfelder förmlich auf den Leib geschnitten, denn nicht alles war ein Selbstläufer, aber wenn er von etwas überzeugt ist, setzt er sich eben dafür couragiert und diplomatisch zugleich ein. Die Konsequenz dieser Politik offenbarte ansatzweise bereits in jüngster Vergangenheit erkennbar Früchte, auf Grund der gesammelten Erfahrungen werden weitere Reformen wie die anstehende Entscheidung über die Einführung einer B-Junioren-Bundesliga folgen. Schon jetzt besteht kein Zweifel daran, dass nach einem vorübergehenden Tief der Aufschwung der Talentförderung im deutschen Fußball immer eng mit dem Namen Mayer- Vorfelder verknüpft sein wird. Natürlich muss das Geld für die gesamten Nachwuchs-Programme ebenso wie für die mittlerweile zwölf deutschen Nationalmannschaften im Nachwuchs-Bereich und die vielfältigen Ausbildungs-Angebote für ehrenamtliche Mitarbeiter irgendwo verdient werden. Auch da ist es Gerhard Mayer-Vorfelder samt seinen Kollegen im Präsidium gelungen, das sichere Fundament des DFB zu festigen. Der Fernsehvertrag mit ARD und ZDF, der unter anderem die Übertragung aller Männer- und Frauen-Länderspiele regelt, wurde nach der erfolgreichen WM 2002 vorzeitig bis 2009 verlängert, was damals im Zeichen mancher Unsicherheiten auf dem TV-Markt ein besonderes Kunststück war. Mit Ausrüster adidas besteht ein Kontrakt bis 2010 und im ereignisreichen WM-Sommer 2006 wurde der Vertrag mit Generalsponsor Mercedes-Benz ebenfalls frühzeitig bis 2012 verlängert. Von jeher war "MV" außerdem ein ständiger Begleiter der Nationalmannschaften, allen voran des A-Teams. Kein Wunder, dass für ihn die WM 2006 der Höhepunkt seiner Tätigkeit als DFB-Präsident war. Als Delegationsleiter der deutschen Mannschaft erlebte er die tollen Tage in Berlin und den anderen WM-Metropolen hautnah mit. So wie zuvor schon den Gewinn der Vize-Weltmeisterschaft 2002 in Japan und Südkorea. Als Aufsichtsrats-Vorsitzender des WM-Organisationskomitees 2006 hatte er darüber hinaus am organisatorischen und finanziellen Erfolg des unvergesslichen Turniers in Deutschland erheblichen Anteil. Zumal es Gerhard Mayer-Vorfelder war, der am 2. Juni 1993 dem damaligen FIFA-Präsidenten Joao Havelange die deutsche Bewerbung zur Ausrichtung der WM 2006 übergab. Als dann FIFA-Präsident Joseph S. Blatter am 6. Juli 2000 den mittlerweile historischen Satz "And the winner is Deutschland" der internationalen Gästeschar in den Züricher Messehallen zurief, hatte der DFB sein erstes Ziel erreicht. Doch nicht nur sportlich und organisatorisch sollte die WM bleibende Erinnerungen hinterlassen. Unter dem Motto "Die Welt zu Gast bei Freunden" sollte das Mega-Ereignis auch neue Eindrücke vom modernen, toleranten, fröhlichen und multikulturellen Deutschland rund um den Globus vermitteln. Voller Stolz zog Gerhard Mayer- Vorfelder daher kürzlich als Fazit dessen, was er einst mit Egidius Braun, Horst R. Schmidt, Wolfgang Niersbach und Franz Beckenbauer gemeinsam anschob: "Es ist enorm wichtig, dass viele WM-Besucher ein positives Deutschland-Bild entdeckt haben, das sie nun in die Welt hinaustragen werden. Und genauso großartig ist, dass sich das ganze Volk in natürlicher und unverkrampfter Weise zu Schwarz-Rot-Gold und zur Nationalhymne bekannt hat — in einem Patriotismus, der keinerlei nationalistische Züge trug." Mit dem außerordentlichen DFB-Bundestag am Freitag in Frankfurt am Main geht nun die Ära von Gerhard Mayer- Vorfelder als Präsident zu Ende. Der ehemalige württembergische Finanz- und Kultusminister, der seit Oktober 2004 gemeinsam mit Dr. Theo Zwanziger erstmals in der über 100-jährigen Geschichte des Verbandes eine Doppelspitze bildete, wird trotzdem dem Fußball eng verbunden bleiben. Der stets vitale "MV", der als erster DFB-Repräsentant gleichzeitig als Mitglied in die FIFA- und UEFA-Exekutive gewählt wurde, wird mit Sicherheit noch viele Jahre als interessierter Beobachter auf den Stadiontribünen sitzen. Zumal er zur Freude all seiner Freunde eine im Februar dieses Jahres unausweichliche Herzoperation bestens überstanden hat. Selbst wenn — und wer kann das im öffentlichen Leben schon für sich beanspruchen? — nicht immer alles nach seinen Wünschen und Vorstellungen verlief: Gerhard Mayer-Vorfelder, für viele oft zu Unrecht ein Feindbild, schaut ohne Groll zurück. Er war und ist überzeugt von dem Weg, den er gegangen ist, als Macher in der Politik und im Fußball. Aus gutem Grund gehört daher Frank Sinatras Song "I did it my way" zu seinem Lieblings-Repertoire. Diesem Credo wird er sich weiterhin verpflichtet fühlen, ob es nun demnächst ruhiger um ihn wird oder er durch markante Aussagen im Gespräch bleiben wird. Auf die Frage, was von seiner Amtszeit als DFB-Präsident bleiben wird, hat "MV" selbst eher zurückhaltend und bescheiden eine sehr gute Antwort gegeben: "Spuren im Sand, keine Zeichen für die Ewigkeit." Dazu waren die Zeit zu kurz und die vergangenen fünf Jahre zu bewegt.
[bild1]Gerhard Mayer-Vorfelder kandidiert auf dem außerordentlichen Bundestag des Deutschen Fußball-Bundes heute in Frankfurt am Main nicht mehr als DFB-Präsident. Damit endet eine 38-jährige Karriere als Fußball-Funktionär, die 1968 als Vorstandsmitglied des Württembergischen Fußball- Verbandes begann. Seit 2001 war "MV" der erste Mann im DFB, bereits im Sommer 2000 hatte er nach der Erkrankung von Egidius Braun die Geschäftsführung im Präsidium übernommen. Rainer Kalb, Autor beim Sport-Informations-Dienst (sid), blickt auf die Ära Mayer-Vorfelder zurück.
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