Gelsdorf: "Bei jungen Spielern ist ein langer Atem wichtig"

DFB.de: In der Youth League spielt Ihre A-Jugendmannschaft immer gegen den gleichen Verein wie Ihre Profis in der Champions League. Wie nahe sind sich Profis und Nachwuchsspieler bei Auswärtsreisen?

Gelsdorf: Die Jungs haben einen sehr engen Kontakt zu den Profis. Teilweise sitzen sie im selben Flieger und übernachten im gleichen Hotel. Aber so etwas haben wir auch schon früher gemacht.

DFB.de: Mit Schalke 04 hat sich lediglich ein deutscher Verein für die Endrunde qualifiziert. Bayern München, Borussia Dortmund und Bayer Leverkusen sind als Gruppendritte ausgeschieden. Lässt sich daraus etwas schließen?

Gelsdorf: Nein, das hat keine große Aussagekraft. Die Belastung für die einzelnen Mannschaften kann sehr unterschiedlich sein. Wenn unsere Jungs in einer englischen Woche stecken und die Gegner am Wochenende gar nicht gespielt haben, hat das natürlich einen Einfluss auf das Spiel. Erst nach zwei bis vier Jahren Youth League lässt sich ein Fazit ziehen, wo unsere Mannschaften im internationalen Vergleich stehen.

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Von 1976 bis 1986 spielte Jürgen Gelsdorf noch selbst für Bayer 04 Leverkusen. Nun kümmert sich der 61-Jährige um die Rohdiamanten der "Werkself". Im Jahre 2005, nach verschiedenen Trainerstationen in den ersten drei Ligen Deutschlands, wurde der frühere Abwehrspieler zum Leiter des Nachwuchsleistungszentrums von Bayer 04 Leverkusen ernannt.

Im exklusiven DFB.de-Interview spricht Jürgen Gelsdorf mit dem Journalisten Oliver Jensen über die Entwicklung von Nachwuchsspielern, über das Abwerben von Talenten und über die neue UEFA Youth League.

DFB.de: Herr Gelsdorf, in der A-Junioren Bundesliga belegt Bayer Leverkusen Tabellenplatz eins der Staffel West, in der B-Junioren Bundesliga immerhin Platz zwei. Das schaut nach einer erfolgreichen Momentaufnahme aus.

Jürgen Gelsdorf: Wir haben tolle Trainer und Betreuer, die wunderbare Arbeit leisten. Natürlich ist es schön, wenn zur Halbserie gute Tabellenplätze dabei herauskommen. Aber das ist nicht das oberste Ziel. Unsere Aufgabe ist es, die Jungs weiterzubilden und besser zu machen. Manchmal hat man eine gute Mannschaftskonstellation und steht oben, manchmal aber auch nicht.

DFB.de: In Ihren Nachwuchsmannschaften spielen viele talentierte Fußballer. Wann lässt sich erkennen, ob jemand den Sprung in die Bundesliga schaffen könnte?

Gelsdorf: Je älter der Spieler ist, desto besser lässt sich das beurteilen. Die körperliche und die persönliche Entwicklung ist gleichermaßen wichtig. Bei einem B-Jugendspieler ist das wahre Potential besser erkennbar als bei einem 12- oder 13-Jährigen. Wenn Sie in Deutschland über die Fußballplätze gehen, werden sie viele junge Talente entdecken, die die anderen schwindelig spielen. Aber das sagt überhaupt nichts aus.

DFB.de: Welche Charaktereigenschaften sind zwingend erforderlich?

Gelsdorf: Ehrgeiz und Leistungsorientiertheit sind gute Voraussetzungen. Letztendlich spielen viele Dinge eine Rolle. Bleibt ein Spieler verletzungsfrei? Hat er das Quentchen Glück? Welchen Einfluss üben Eltern und Freunde aus? All das ist genauso wichtig.

DFB.de: In Ihrer Nachwuchsabteilung spielte einmal der D-Jugendspieler Dennis Krol, der Ihnen vom FC Barcelona weggeschnappt wurde. Später kehrte er wieder nach Leverkusen zurück, konnte sich aber nicht durchsetzen und spielt nun beim Wuppertaler SV in der Oberliga Niederrhein. Warum hat es ein früher so hochgejubeltes Talent nicht in den Profifußball geschafft?

Gelsdorf: Es ist immer schwierig, wenn die gesamte Familie wegen des Fußballs ins Ausland verpflanzt wird. Die Eltern arbeiten oftmals nicht mehr und warten lediglich darauf, dass sich der Junge zum Profi entwickelt. Ein unheimlicher Druck lastet auf den Jugendlichen. Die gesamte Familie richtet sich danach aus, ob der Junge das Tor trifft oder nicht. Es gibt nur noch Fußball. So etwas halte ich für sehr fragwürdig.

DFB.de: Auch bei Bayer Leverkusen arbeiten die Nachwuchsspieler darauf hin, eines Tages mit dem Fußball ihr Geld zu verdienen.

Gelsdorf: Natürlich. Aber wir sind auch für die vielen jungen Menschen verantwortlich, die es nicht mit 18 oder 19 Jahren in den Profifußball schaffen. Jugendliche dürfen nicht nur ein Standbein haben. Schule und Berufsausbildung sind genauso wichtig wie der Sport.

DFB.de: Hat es in den letzten Jahren Fußballer gegeben, denen Sie eine Profikarriere kaum zugetraut hätten und die es letztendlich doch geschafft haben?

Gelsdorf: Selbstverständlich. Umso wichtiger ist es, bei den jungen Spielern einen langen Atem zu haben. Die Verweildauer ist in unserem Nachwuchsleistungszentrum sehr lange - möglicherweise länger als bei einigen anderen Vereinen. Wir haben viel Geduld. Ein gutes Beispiel ist Christopher Kramer. Wir wussten immer, dass das ein prima Junge mit tollem Charakter ist. Aber niemand war sicher, ob es für ganz oben reichen würde. Doch er hat sich sensationell entwickelt.

DFB.de: Welche Rolle spielt in der Nachwuchsarbeit das Abwerben von Talenten anderer Vereine?

Gelsdorf: Früher gab es ein Gentlemen's Agreement, dass ohne Zustimmung innerhalb Deutschlands kein Spieler von Leistungszentrum A zu Leistungszentrum B wechselt. Die Engländer haben das eines Tages aufgebrochen und die Spieler in Deutschland kommentarlos und ohne Entschädigung weggenommen. Dadurch haben auch die ersten deutschen Vereine damit angefangen. Heute gibt es das Gentlemen's Agreement nicht mehr. Aber in Westdeutschland haben viele Vereine die Absprache getroffen, dass wir uns nicht gegenseitig die Nachwuchsspieler wegjagen.

DFB.de: Themawechsel: Wie fällt nach der Gruppenphase der neu eingeführten UEFA Youth League Ihr erstes Fazit aus?

Gelsdorf: Ich denke, jede Fußballnation hat eine andere Sichtweise darauf. Spanien und Italien haben zum Beispiel ein anderes Schulsystem, auch in England und Schottland ticken die Uhren anders als in Deutschland.

DFB.de: Dann beurteilen Sie die Liga bitte aus deutscher Sicht.

Gelsdorf: Die Förderung der jungen Spieler ist hier ohnehin sehr gut. Wir haben im Bereich U 17 und U 19 eine Top-Bundesliga. Auch in den U-Nationalmannschaften wird viel unternommen. Unter der Berücksichtigung, dass wir neben dem Fußball auch der schulischen Ausbildung eine große Bedeutung zukommen lassen, ist die Belastung mit der zusätzlichen Youth League sehr hoch. Wir haben dadurch innerhalb eines halben Jahres sechs englische Wochen mehr.

DFB.de: Bis 2015 wird der Modus beibehalten, danach sind Änderungen möglich. Ihr Verbesserungsvorschlag wäre also, die Belastung zu reduzieren?

Gelsdorf: Richtig. Die jungen Spieler haben natürlich große Freude daran, bei internationalen Vereinen wie Ajax Amsterdam oder Manchester United zu spielen. Aber wir müssen die Belastung im Auge behalten. A-Jugendspieler befinden sich oftmals im Abitur-Stress. Die vielen Ausfallzeiten, die aus den Auswärtsreisen resultieren, machen das schwierig.

DFB.de: Ist das spielerische Niveau in der Youth League überhaupt höher als in der A-Junioren Bundesliga?

Gelsdorf: Das ist verschieden. Manchmal mag das Niveau etwas höher sein. Es gibt aber auch Mannschaften mit großem Namen, die sich auf dem Niveau eines mittleren Bundesligisten bewegen.

DFB.de: In der Youth League spielt Ihre A-Jugendmannschaft immer gegen den gleichen Verein wie Ihre Profis in der Champions League. Wie nahe sind sich Profis und Nachwuchsspieler bei Auswärtsreisen?

Gelsdorf: Die Jungs haben einen sehr engen Kontakt zu den Profis. Teilweise sitzen sie im selben Flieger und übernachten im gleichen Hotel. Aber so etwas haben wir auch schon früher gemacht.

DFB.de: Mit Schalke 04 hat sich lediglich ein deutscher Verein für die Endrunde qualifiziert. Bayern München, Borussia Dortmund und Bayer Leverkusen sind als Gruppendritte ausgeschieden. Lässt sich daraus etwas schließen?

Gelsdorf: Nein, das hat keine große Aussagekraft. Die Belastung für die einzelnen Mannschaften kann sehr unterschiedlich sein. Wenn unsere Jungs in einer englischen Woche stecken und die Gegner am Wochenende gar nicht gespielt haben, hat das natürlich einen Einfluss auf das Spiel. Erst nach zwei bis vier Jahren Youth League lässt sich ein Fazit ziehen, wo unsere Mannschaften im internationalen Vergleich stehen.