Frank Wingerter: 90 Stunden für 90 Minuten

"Ja, schon", sagt Frank Wingerter. "Das war eine der außergewöhnlichsten Reisen, die ich je gemacht habe." Das Mitglied im Fan Club Nationalmannschaft powered by Coca-Cola meint damit, die Zugfahrt zum WM-Qualifikationsspiel im März in Baku. Rund 90 Stunden war er dafür auf Schienen unterwegs.

Doch zwei Dinge vorweg: Frank Wingerter hat keine Flugangst und auch nicht zu viel Zeit. Nein, der 44-Jährige aus Landau in der Pfalz hat einfach nur das Verlangen, das so viele Menschen verspüren. Nämlich, mal aus dem Alltag auszubrechen. Oder wie es der Buchhalter lachend formuliert: "Ich hatte Lust auf ein kleines Abenteuer."

Die Idee dazu ist schon relativ alt. Vor acht Jahren, als die DFB-Auswahl zum ersten Mal in Aserbaidschan antreten musste, kam Frank Wingerter erstmals der Gedanke, mit dem Zug nach Baku zu fahren! Was damals zur Umsetzung fehlt, war ein Begleiter. "Alleine wollte ich nicht", sagt er. Weil dann doch einige Unwägbarkeiten und Ungewissheiten mit einem solchen Trip verbunden sind.

Also holte sich der Pfälzer die fehlende Sicherheit. Indem er seinen Kumpel Dirk Deutschländer motivierte. Eine gute Wahl, da der bei der Bahn arbeitet. Von daher war der Plan schnell geschmiedet. Das Projekt "90 Stunden auf Schienen" wurde gelauncht.

Warmmachen auf der Kurzstrecke

Am 15. März ging es los. Zum Warmmachen mit einer Kurzstrecke. Von Landau nach Düsseldorf. Um Dirk Deutschländer einzusammeln. Einen Tag später begann die Reise in ferne Länder. Zunächst lief auch alles glatt. Duisburg, Berlin, Warschau lauteten die ersten Stationen.

Interessant wurde es in Terespol. In der polnischen Grenzstadt zu Weißrussland mussten die beiden Abenteurer umsteigen. Eine Stunde hatten sie dafür. Also alles easy. Routiniert schlenderten die beiden zum Gleis. Sie hatten ja noch mehr als eine Viertelstunde bis zur Abfahrt. Was sie nicht wussten, weil es im Bahnhof nur auf Polnisch und Russisch durchgesagt wurde, war, dass sie viel früher dort hätten sein sollen. Weil die Grenzkontrolle schon 20 Minuten vor der Abfahrt beendet wurde. Wer die verpasste, kam nicht mehr in den Zug rein. Da half alles argumentieren, diskutieren und bitten nichts.

Aber so leicht wollten die beiden nicht aufgeben. Sie schnappten sich ein Taxi und wollten sich nach Brest, auf der anderen Seite der Grenze, chauffieren lassen. Weil ihr Zug dort auch einen Halt einlegen würde. Guter Plan! Doch leider nicht realisierbar. Denn: rund drei Stunden Wartezeit am Autobahngrenzübergang.

Die Reisekasse belastet

Dann also weiter Terespol. Und wieder zurück nach Hause? Nein, aufgeben war für Frank Wingerter und Dirk Deutschländer kein Thema. Denn wie es die Fügung wollte, fuhr in der Nach noch ein Zug nach Moskau. Das bedeutete zwar Mehrkosten von rund 180 Euro, aber das gab die Reisekasse her. "Wir waren dann auch rechtzeitig am Gleis", berichten die beiden von ihrer Lernfähigkeit.

Dennoch stiegen die beiden mit einem mulmigen Gefühl ein. "Wir hatten gehört, dass auf dem Landweg keine Einreise von Weißrussland nach Russland möglich sein soll", erzählt Frank Wingerter, der auf seinen Groundhopper-Reisen schon 34 Länderpunkte ergattert hat. Eine in diesem Fall unbegründete Sorge, weil der Nachtzug gar nicht kontrolliert wurde. So reisten die beiden Deutschland-Fans in der russischen Hauptstadt ein, gönnten sich dort eine Übernachtung und erholten sich beim Derby zwischen Lok und Spartak.

So konnte es am Samstag auf die letzte Etappe gehen: Moskau nach Baku. Durchgängiger Zug. 53 Stunden Fahrt. Die zu überbrücken, sollte kein Problem für unsere beiden Reisenden sein. Erzählen, lesen, entspannen, Landschaft schauen hatten sie sich vorgenommen. Alles gut. Wenn sie nicht irgendwann einen leichten Appetit verspürt hätten, der sich blöderweise zu einem Mordshunger auswuchs, weil sie feststellen mussten, dass der Zug über keinen Speisewagen verfügte. Auf eine zweitägige Fastenkur waren sie nicht vorbereitet und noch weniger Willens, sie zu durchleben.

Nulldiät bis Wolgograd

Dennoch: Die Nulldiät hielt eine Weile. Erst in Wolgograd wurden sie davon erlöst. "Mit der Schaffnerin hatten wir mit Händen und Füßen ausbaldowert, dass wir dort einen rund 40-minütigen Aufenthalt haben, den wir nutzen wollten, um schnell zu einem Supermarkt zu gehen", so Frank Wingerter. Als Einkäufer wurde Dirk Deutschländer ausgedeutet. "Weil er mir versprochen hatte, dass es in diesem Zug einen Speisewagen gibt!" Frank Wingerter blieb im Zug, um aufzupassen, dass der nicht wegfuhr, bevor Dirk Deutschländer zurückkam. Wie auch immer das hätte, funktionieren sollen.

Auch das Einkaufen gestaltet sich als nicht so einfach. Fremde Stadt, fremde Sprache, fremde Schrift – wie findet man da schnell einen Supermarkt? Erst recht am späten Abend. Dirk Deutschländer kehrte mit leeren Händen zurück. Die Not der leeren Mägen machte erfinderisch. Man schloss sich anderen Reisenden an, radebrechend und gestikulierend. "Das ging ganz gut", lautet Frank Wingerters Fazit. Was nicht verwundert, denn am Ende standen volle Einkaufstüten in ihrem Abteil.

Doch das wohlige Gefühl der Sättigung, das sich bald einstellte, sollte erneut kippen, in ein nervöses Kitzeln in der Magengegend. Ausgelöst durch die Frage: "Wir haben keinen Einreisestempel erhalten, kommen wir aus Russland raus?" Ein Thema, das auch die Schaffnerin, die die Pässe einkassiert hatte, rat- und rastlos zurückließ. Mit jedem Kilometer, der die Grenze näher rückte, wirkte die Dame unentspannter. Und dann ging alles ratzfatz. Die Schaffnerin verschwand mit den Zollbeamten in ihrem Kabuff, ein Ratsch-ratsch war zu hören, und danach erschien sie freudestrahlend mit gestempelten Pässen.

Pünktlich auf die Minute kam der Zug nach 53 Stunden am Bahnhof in Baku an, so dass dem Länderspiel-Vergnügen nichts mehr im Weg stand. Zurück sind Frank Wingerter und Dirk Deutschländer dann mit dem Flugzeug geflogen. Und beim Rückspiel gegen Aserbaidschan in Kaiserslautern ist die Anreise dann noch einmal leichter.

[jh]

"Ja, schon", sagt Frank Wingerter. "Das war eine der außergewöhnlichsten Reisen, die ich je gemacht habe." Das Mitglied im Fan Club Nationalmannschaft powered by Coca-Cola meint damit, die Zugfahrt zum WM-Qualifikationsspiel im März in Baku. Rund 90 Stunden war er dafür auf Schienen unterwegs.

Doch zwei Dinge vorweg: Frank Wingerter hat keine Flugangst und auch nicht zu viel Zeit. Nein, der 44-Jährige aus Landau in der Pfalz hat einfach nur das Verlangen, das so viele Menschen verspüren. Nämlich, mal aus dem Alltag auszubrechen. Oder wie es der Buchhalter lachend formuliert: "Ich hatte Lust auf ein kleines Abenteuer."

Die Idee dazu ist schon relativ alt. Vor acht Jahren, als die DFB-Auswahl zum ersten Mal in Aserbaidschan antreten musste, kam Frank Wingerter erstmals der Gedanke, mit dem Zug nach Baku zu fahren! Was damals zur Umsetzung fehlt, war ein Begleiter. "Alleine wollte ich nicht", sagt er. Weil dann doch einige Unwägbarkeiten und Ungewissheiten mit einem solchen Trip verbunden sind.

Also holte sich der Pfälzer die fehlende Sicherheit. Indem er seinen Kumpel Dirk Deutschländer motivierte. Eine gute Wahl, da der bei der Bahn arbeitet. Von daher war der Plan schnell geschmiedet. Das Projekt "90 Stunden auf Schienen" wurde gelauncht.

Warmmachen auf der Kurzstrecke

Am 15. März ging es los. Zum Warmmachen mit einer Kurzstrecke. Von Landau nach Düsseldorf. Um Dirk Deutschländer einzusammeln. Einen Tag später begann die Reise in ferne Länder. Zunächst lief auch alles glatt. Duisburg, Berlin, Warschau lauteten die ersten Stationen.

Interessant wurde es in Terespol. In der polnischen Grenzstadt zu Weißrussland mussten die beiden Abenteurer umsteigen. Eine Stunde hatten sie dafür. Also alles easy. Routiniert schlenderten die beiden zum Gleis. Sie hatten ja noch mehr als eine Viertelstunde bis zur Abfahrt. Was sie nicht wussten, weil es im Bahnhof nur auf Polnisch und Russisch durchgesagt wurde, war, dass sie viel früher dort hätten sein sollen. Weil die Grenzkontrolle schon 20 Minuten vor der Abfahrt beendet wurde. Wer die verpasste, kam nicht mehr in den Zug rein. Da half alles argumentieren, diskutieren und bitten nichts.

Aber so leicht wollten die beiden nicht aufgeben. Sie schnappten sich ein Taxi und wollten sich nach Brest, auf der anderen Seite der Grenze, chauffieren lassen. Weil ihr Zug dort auch einen Halt einlegen würde. Guter Plan! Doch leider nicht realisierbar. Denn: rund drei Stunden Wartezeit am Autobahngrenzübergang.

Die Reisekasse belastet

Dann also weiter Terespol. Und wieder zurück nach Hause? Nein, aufgeben war für Frank Wingerter und Dirk Deutschländer kein Thema. Denn wie es die Fügung wollte, fuhr in der Nach noch ein Zug nach Moskau. Das bedeutete zwar Mehrkosten von rund 180 Euro, aber das gab die Reisekasse her. "Wir waren dann auch rechtzeitig am Gleis", berichten die beiden von ihrer Lernfähigkeit.

Dennoch stiegen die beiden mit einem mulmigen Gefühl ein. "Wir hatten gehört, dass auf dem Landweg keine Einreise von Weißrussland nach Russland möglich sein soll", erzählt Frank Wingerter, der auf seinen Groundhopper-Reisen schon 34 Länderpunkte ergattert hat. Eine in diesem Fall unbegründete Sorge, weil der Nachtzug gar nicht kontrolliert wurde. So reisten die beiden Deutschland-Fans in der russischen Hauptstadt ein, gönnten sich dort eine Übernachtung und erholten sich beim Derby zwischen Lok und Spartak.

So konnte es am Samstag auf die letzte Etappe gehen: Moskau nach Baku. Durchgängiger Zug. 53 Stunden Fahrt. Die zu überbrücken, sollte kein Problem für unsere beiden Reisenden sein. Erzählen, lesen, entspannen, Landschaft schauen hatten sie sich vorgenommen. Alles gut. Wenn sie nicht irgendwann einen leichten Appetit verspürt hätten, der sich blöderweise zu einem Mordshunger auswuchs, weil sie feststellen mussten, dass der Zug über keinen Speisewagen verfügte. Auf eine zweitägige Fastenkur waren sie nicht vorbereitet und noch weniger Willens, sie zu durchleben.

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Nulldiät bis Wolgograd

Dennoch: Die Nulldiät hielt eine Weile. Erst in Wolgograd wurden sie davon erlöst. "Mit der Schaffnerin hatten wir mit Händen und Füßen ausbaldowert, dass wir dort einen rund 40-minütigen Aufenthalt haben, den wir nutzen wollten, um schnell zu einem Supermarkt zu gehen", so Frank Wingerter. Als Einkäufer wurde Dirk Deutschländer ausgedeutet. "Weil er mir versprochen hatte, dass es in diesem Zug einen Speisewagen gibt!" Frank Wingerter blieb im Zug, um aufzupassen, dass der nicht wegfuhr, bevor Dirk Deutschländer zurückkam. Wie auch immer das hätte, funktionieren sollen.

Auch das Einkaufen gestaltet sich als nicht so einfach. Fremde Stadt, fremde Sprache, fremde Schrift – wie findet man da schnell einen Supermarkt? Erst recht am späten Abend. Dirk Deutschländer kehrte mit leeren Händen zurück. Die Not der leeren Mägen machte erfinderisch. Man schloss sich anderen Reisenden an, radebrechend und gestikulierend. "Das ging ganz gut", lautet Frank Wingerters Fazit. Was nicht verwundert, denn am Ende standen volle Einkaufstüten in ihrem Abteil.

Doch das wohlige Gefühl der Sättigung, das sich bald einstellte, sollte erneut kippen, in ein nervöses Kitzeln in der Magengegend. Ausgelöst durch die Frage: "Wir haben keinen Einreisestempel erhalten, kommen wir aus Russland raus?" Ein Thema, das auch die Schaffnerin, die die Pässe einkassiert hatte, rat- und rastlos zurückließ. Mit jedem Kilometer, der die Grenze näher rückte, wirkte die Dame unentspannter. Und dann ging alles ratzfatz. Die Schaffnerin verschwand mit den Zollbeamten in ihrem Kabuff, ein Ratsch-ratsch war zu hören, und danach erschien sie freudestrahlend mit gestempelten Pässen.

Pünktlich auf die Minute kam der Zug nach 53 Stunden am Bahnhof in Baku an, so dass dem Länderspiel-Vergnügen nichts mehr im Weg stand. Zurück sind Frank Wingerter und Dirk Deutschländer dann mit dem Flugzeug geflogen. Und beim Rückspiel gegen Aserbaidschan in Kaiserslautern ist die Anreise dann noch einmal leichter.

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