Figge: "Es gibt kaum etwas Wertvolleres, als andere Kulturen kennenzulernen"

DFB.de: Mit welchem konkreten Auftrag waren Sie in Palästina?

Figge: Alle FIFA-Mitgliedsländer müssen über ein Verbandsgebäude und Trainingsplätze oder eine Akademie verfügen. Die FIFA hat hier unheimlich viel Hilfe geleistet, auch in Palästina. Die Akademie in Ramallah ist fantastisch. Der Komplex ist sehr schön gelegen, es fehlt an nichts, sogar Schwimmbad und Sauna gibt es dort. Auch die Trainingsplätze sind top. Meine Aufgabe war es unter anderem, die Abläufe im Verband zu ergründen und aus diesen Erkenntnissen ein Konzept zu erstellen, wie es in der Zukunft besser werden kann.

DFB.de: Welche Vorschläge haben Sie hinterlassen?

Figge: In Palästina gibt es eine erstklassige Fußball-Akademie, aber niemanden, der diese leiten würde. Auch fehlt es in allen Alterstufen bei den Elitemannschaften an Trainern, die über eine entsprechende Qualifizierung verfügen würden.

DFB.de: Sie haben aber nicht nur in der Verbandszentrale in Ramallah gearbeitet, Sie sind auch durchs Land gereist, haben Fußballspiele gesehen und Talente gesichtet. Wie sieht der Fußball in Palästina aus?

Figge: Es kommen fast keine Zuschauer. Wenn es hier einen Spieltag im Nationalstadion geben soll, müssen die Palästinenser bei den Israelis einen Antrag stellen, damit Polizisten für dieses Spiel abgestellt werden. Die Probleme sind aber auch hausgemacht, weil es niemanden gibt, der für die Liga einen verlässlichen Spielplan erstellt. Eine Vermarktung der Spiele fehlt komplett. Es bekommt fast keiner mit, dass Fußball gespielt wird. In den Zeitungen wird dies manchmal publik gemacht, aber ausländische Gäste haben keine Möglichkeit zu erfahren, wann und wo ein Spiel stattfindet.

DFB.de: Wie sehen die Plätze aus?

Figge: Ganz verschieden. Es gibt einige Plätze, die in einem furchtbaren Zustand sind, aber auch wahnsinnig gute Spielfelder, die von der FIFA errichtet wurden. Und es werden mehr. In den nächsten Jahren werden 40 Kleinfelder errichtet, zehn davon finanziert die FIFA. In Palästina gibt es mittlerweile eine Profiliga, das Niveau ist gar nicht so schlecht. Zu meinen Aufgaben hat es auch gehört, mit den Trainern in Kontakt zu kommen, diese zu einem Seminar einzuladen und mich mit ihnen auszutauschen. Das habe ich gemacht und dabei gemerkt, dass es in Palästina in einem Punkt ein ähnliches Problem gibt wie in vielen meiner vorherigen Stationen.



In einem Stall in Bethlehem wurde Jesus geboren. Die Geschichte ist bekannt und wird gerade aktuell Kindern weltweit berichtet. Weniger bekannt ist die Geschichte des Fußballs in den palästinensischen Autonomiegebieten. Nicht für Jochen Figge. Der Auslandsexperte des DFB war für zwölf Wochen im Westjordanland, er hat die Strukturen begutachtet, Talente gesichtet, Trainer geschult und Konzepte für die Zukunft entwickelt.

Im Interview mit DFB.de-Redakteur Steffen Lüdeke spricht Figge über seine Zeit in Ramallah, seine Erfahrungen in 35 Jahren als Entwicklungshelfer in Sachen Fußball und über weiße Weihnachten im Westjordanland.

DFB.de: Herr Figge, dieses Interview hätte schon vor einer Woche stattfinden sollen, Sie sind verspätet nach Deutschland zurückgekehrt. Was war los?

Jochen Figge: Wintereinbruch, Schneechaos – und ich war mittendrin. Fünf Tag lang ging überhaupt nichts, dann endlich kam ich weg aus Ramallah. Das war aber kein Drama, bei drei Monaten kommt es auf einen Tag früher oder später nicht an. Viel schlimmer ist es für die Menschen dort unten. Die Verhältnisse, die dort herrschen, kann man nur erfassen, wenn man sie mit eigenen Augen gesehen hat. In Worte lässt sich dies nur schwer fassen.

DFB.de: Wagen Sie doch einen Versuch.

Figge: Die landestypischen Probleme werden durch den Schneefall um ein Vielfaches vergrößert. Die Infrastruktur ist ohnehin mangelhaft, dann kommt es natürlich zum Chaos, wenn die schlechten Straßen auch noch glatt sind. Dort gibt es keine Räumfahrzeuge, niemand hat Winterreifen. Da ist das Chaos vorprogrammiert. Zumal es nur eine einzige Straße gibt, die Ramallah mit Jerusalem und Bethlehem verbindet - und diese Straße hat nur eine Spur. Da kann man sich schon fragen, wie man da aneinander vorbeikommen will: der eine oben und der andere unten, oder wie? (lacht) Es war für ein paar Tage völlig ausgeschlossen, zum Flughafen Ben Gurion in Tel Aviv zu kommen. Schon ohne Schnee ist das sehr umständlich, was eigentlich grotesk und nur den politischen Verhältnissen geschuldet ist. Die Entfernung zwischen Ramallah und dem Flughafen beträgt kaum 30 Kilometer, das ist ja eigentlich ein Katzensprung. Aber es bringt auch nichts, sich darüber groß aufzuregen. Ich habe viel in Afrika gearbeitet, viel im Nahen Osten, auch in Ländern wie Nordkorea. Da bekommt man ein dickes Fell.

DFB.de: Seit 1980 sind Sie in der ganzen Welt mit Hilfe des Fußballs für die Menschen im Einsatz. Sie haben auf allen Kontinenten und oft in Krisengebieten immer wieder neue Herausforderungen angenommen. Was reizt sie an dieser Tätigkeit?

Figge: Sie ist ein Geschenk. In Deutschland denken die Menschen fast immer in materiellen Kategorien, wir reden vom Einkommen, davon, was man sich leisten kann, von Armut und Reichtum. Ich definiere Reichtum nicht über das Geld. Reichtum misst sich für mich an Erfahrungen. Wenn man die Möglichkeit bekommt, auf allen Kontinenten dieser Welt gearbeitet zu haben, von Surinam bis Bangladesch, über Jamaika bis in die Mongolei, dann empfinde ich eine große Dankbarkeit. Mein Leben ist dadurch unendlich bereichert. Es gibt kaum etwas Wertvolleres, als andere Kulturen und Menschen in anderen Kulturen kennenzulernen. Die eigene Lebenserfahrung durch solche Erlebnisse zu erweitern, ist meine Antriebsfeder, mich weiter in diesem Bereich zu engagieren. Mir ist damit ein großer Reichtum gegeben worden.

DFB.de: Jetzt waren Sie in den palästinensischen Autonomiegebieten. Die FIFA will dort auf eine Vereinbarung zwischen dem israelischen und dem palästinensischen Fußball-Verband hinwirken, in dem u.a. eine Verbesserung der Reisemöglichkeiten geregelt wird. Wie hilfreich wäre dies für den Fußball in den palästinensischen Autonomiegebieten?

Figge: Aktuell ist es so, dass die Palästinenser von den Entscheidungen der Israelis abhängig sind. Gerade erst bei der Vorqualifikation der U 19 für die Asienmeisterschaften. Das Spiel zwischen Palästina und Syrien konnte nicht stattfinden, weil die Syrer nicht einreisen durften. Das zieht sich durch in viele Bereiche. Es ist zum Beispiel schwierig, wenn ein Ausbilder vom afrikanischen Verband nach Ramallah kommen will, um dort Trainer zu schulen. Dann ist keineswegs gesagt, dass er auch tatsächlich ankommt. Tatsächlich kommen immer nur Trainerausbilder aus Jordanien in die Verbandszentrale nach Ramallah. Ich will niemanden zu Nahe treten, aber das ist natürlich wenig zielführend. Erstens weil Vielfalt in allen Bereichen die Qualität erhöht, aber auch, weil zweitens den Ausbildern aus Jordanien mitunter das Know-how fehlt.

DFB.de: Von den Reisebeschränkungen sind auch Spieler aus dem Gaza-Streifen betroffen.

Figge: Das ist wieder eine ganz andere Problematik. Von und nach Gaza geht überhaupt nichts. Selbst ich durfte mich dorthin nicht bewegen. Wir hatten ursprünglich vor, dass ich das versuche, aber das haben wir dann bleiben lassen.

DFB.de: Aus Sicherheitsgründen?

Figge: Darum geht es mir fast nie.

DFB.de: Bei all Ihren Stationen hatten sie nie Angst?

Figge: Angst ist ein schlechter Ratgeber. Wenn man diesen Job macht, darf man nicht ängstlich sein. Ich habe das immer scherzhaft so erzählt: `Wenn ich so einen Job mache, dann werde ich immer gefragt, wie groß ich bin. Ich sage 1,72 m, dann sagen die: Gut, dann passt es, die Maschinengewehre hier stehen hier auf 1,80 m.´ Was ich damit sagen will: Ich habe wirklich schon gefährlichere Situation erlebt, als einen Besuch im Gaza-Streifen. Aber mir war einfach das Risiko zu groß, dass ich von dort nicht wieder nach Ramallah kommen würde. Ich hatte dort ja schließlich einen Job zu erledigen.

DFB.de: Mit welchem konkreten Auftrag waren Sie in Palästina?

Figge: Alle FIFA-Mitgliedsländer müssen über ein Verbandsgebäude und Trainingsplätze oder eine Akademie verfügen. Die FIFA hat hier unheimlich viel Hilfe geleistet, auch in Palästina. Die Akademie in Ramallah ist fantastisch. Der Komplex ist sehr schön gelegen, es fehlt an nichts, sogar Schwimmbad und Sauna gibt es dort. Auch die Trainingsplätze sind top. Meine Aufgabe war es unter anderem, die Abläufe im Verband zu ergründen und aus diesen Erkenntnissen ein Konzept zu erstellen, wie es in der Zukunft besser werden kann.

DFB.de: Welche Vorschläge haben Sie hinterlassen?

Figge: In Palästina gibt es eine erstklassige Fußball-Akademie, aber niemanden, der diese leiten würde. Auch fehlt es in allen Alterstufen bei den Elitemannschaften an Trainern, die über eine entsprechende Qualifizierung verfügen würden.

DFB.de: Sie haben aber nicht nur in der Verbandszentrale in Ramallah gearbeitet, Sie sind auch durchs Land gereist, haben Fußballspiele gesehen und Talente gesichtet. Wie sieht der Fußball in Palästina aus?

Figge: Es kommen fast keine Zuschauer. Wenn es hier einen Spieltag im Nationalstadion geben soll, müssen die Palästinenser bei den Israelis einen Antrag stellen, damit Polizisten für dieses Spiel abgestellt werden. Die Probleme sind aber auch hausgemacht, weil es niemanden gibt, der für die Liga einen verlässlichen Spielplan erstellt. Eine Vermarktung der Spiele fehlt komplett. Es bekommt fast keiner mit, dass Fußball gespielt wird. In den Zeitungen wird dies manchmal publik gemacht, aber ausländische Gäste haben keine Möglichkeit zu erfahren, wann und wo ein Spiel stattfindet.

DFB.de: Wie sehen die Plätze aus?

Figge: Ganz verschieden. Es gibt einige Plätze, die in einem furchtbaren Zustand sind, aber auch wahnsinnig gute Spielfelder, die von der FIFA errichtet wurden. Und es werden mehr. In den nächsten Jahren werden 40 Kleinfelder errichtet, zehn davon finanziert die FIFA. In Palästina gibt es mittlerweile eine Profiliga, das Niveau ist gar nicht so schlecht. Zu meinen Aufgaben hat es auch gehört, mit den Trainern in Kontakt zu kommen, diese zu einem Seminar einzuladen und mich mit ihnen auszutauschen. Das habe ich gemacht und dabei gemerkt, dass es in Palästina in einem Punkt ein ähnliches Problem gibt wie in vielen meiner vorherigen Stationen.

DFB.de: Nämlich?

Figge: Es fehlt vielen Spielern an der notwenigen Physis. Viele Spieler sind einfach nicht fit genug, und wenn man nicht fit ist, kann man nicht vernünftig Fußball spielen. Wenn ein Spieler schon nach 60 Minuten einem Muskelkrampf bekommt, wenn er einen Einwurf macht, dann kann etwas nicht stimmen.

DFB.de: Bei welcher Gelegenheit haben Sie dies so erlebt?

Figge: Das gab es nicht selten, eher war dies die Regel. Und wenn man sich das Training anguckt, dann ist es kein Wunder, dass dies so ist. Ich habe mir viele Einheiten angeschaut, prägend war ein Training von Jugendlichen an der Eliteschule des Verbandes. Da wurde mit einem zu kleinen Ball trainiert, das waren Zwölfjährige, und sie haben mit einem Ball für Kleinkinder trainiert. Die Übungen bestanden im Wesentlichen darin, dass sich die Spieler den Ball im Stand hin und her gespielt haben. In einer Technik, die erschreckend war. Ich habe dann den Trainer gebeten, er möge mal einen Pass mit der Innenseite ausführen. Das konnte er nicht. Der Trainer. Ich habe ihm dann erst erklären müssen, erstens wie das geht und zweitens, dass Kinder am liebsten auch im Training spielen und sich miteinander in einem Wettkampf messen wollen. Trainingspiele gab es nie. Für diesen Trainer war auch Neuland, das man einen Platz in mehrere Felder unterteilen kann, etwa in dem man quer über das Feld sieben gegen sieben spielt. Alle waren von dieser Idee begeistert. Mich hat die Begeisterung erstaunt, schließlich habe ich damit ja nicht die Relativitätstheorie erfunden. Aber so ähnliche Geschichten habe ich auf vielen meinen Stationen erlebt. Man wundert sich immer wieder, mit welchen Kleinigkeiten man den Menschen helfen kann.

DFB.de: Ihr erstes Projekt führte Sie nach Guinea. Um diesen Auftrag zu erhalten haben Sie wahrheitswidrig behauptet, dass Sie die französische Sprache fließend beherrschen.

Figge: Woher wissen Sie das denn?

DFB.de: Offenkundig aus einer vertrauenswürdigen Quelle.

Figge: Es stimmt und ist schnell erklärt. Ich hab 1978 zusammen mit Otto Pfister die Fußball-Lehrer-Lizenz gemacht. Er hat davon gehört, dass der DFB jemanden sucht, der Interesse an der Tätigkeit in Guinea hätte. Er hat mich gefragt, ich habe zugestimmt und wenig später hat sich der DFB dann gemeldet. Und was hätte ich denn sagen sollen. Dass ich aus meinem Besuchen im Casino weiß, was 'rien ne va plus' heißt? Es ist doch klar, dass man sich von der Sprache so einen Job nicht verderben lässt. Ich bin dann mehrmals in der Woche zu einem Sprachkurs gegangen, haben dann kurz vorher noch einen Crashkurs, mich richtig reingekniet und dann ging das. In Guinea habe ich dann sehr erfolgreich drei Jahre lang die Nationalmannschaft trainiert, so schlecht kann mein Französisch nicht gewesen sein.

DFB.de: Aber bevor Sie nach Ramallah gegangen sind, mussten Sie nicht versichern, fließend arabisch zu können?

Figge: Nein, das hat auch niemand erwartet. (lacht) Man kommt dort mit Englisch schon sehr gut zurecht.