"Familienbande": Wenn der Onkel zum Vorbild wird

Wie kommen Kinder zum Fußball? Viele eifern ihren Idolen nach, seit Generationen ist das so. Fritz Walter, Uwe Seeler, Franz Beckenbauer oder Gerd Müller. Lothar Matthäus oder Oliver Kahn, heute Mesut Özil, Philipp Lahm oder Thomas Müller. Und immer häufiger auch Birgit Prinz oder Lira Bajramaj. Sie alle motivieren Jungen und Mädchen zum Kicken.

Oft genug haben sie das Vorbild aber schon im Vorgarten - den Vater, den großen Bruder, die ältere Schwester. Fußball ist Familiensache, Leidenschaft und Talent werden oft über Generationen vererbt. Dafür gibt es auch viele prominente Beispiele. Das zeigt "Familienbande", die neue Serie auf DFB.de.

Der 27. Februar 1999 war ein typischer Wintertag in Deutschland. Kalt, aber trocken. Kein Schnee. Kevin Müller war warm angezogen, er war damals acht Jahre. So stand er auf der Tribüne, als die 87. Minute im Bundesligaspiel zwischen Hansa Rostock und Bayern München lief. Spielstand: 0:2. Das weiß er noch ganz genau, schließlich folgte dann eine der prägendsten Erinnerungen an seine Kindheit. Kevin spielte für die Nordostdeutschen in der F-Jugend, er war noch nicht lange bei Hansa.

"Mein Onkel war schon immer mein Vorbild"

An diesem Samstagnachmittag war das Duell mit dem Deutschen Rekordmeister kurz vor Schluss schon längst entschieden. Aber das war nicht das Außergewöhnliche. Es war das, was dann passierte: Bayerns Stürmer Giovanne Elber erzielte den wahrscheinlich schönsten Treffer seines Lebens. Er luchste Hansas Schlussmann den Ball bei einem Ausflug direkt vor der Eckfahne ab und lupfte ihn von dort ins Tor – traumhaft. Bei Rostock stand damals Martin Pieckenhagen im Tor, Kevins Onkel. Mittlerweile ist Kevin Müller 20 Jahre alt und selbst Torhüter bei Hansa Rostock. Er hat es seinem Onkel nachgemacht, Müller ist Stammkeeper bei dem Zweitligisten. Es ist eine der schönsten Familiengeschichten derzeit im deutschen Fußball.

"Natürlich bin ich stolz darauf. Ich war schon immer Torhüter und mein Onkel war schon immer mein Vorbild. Jetzt trete ich seine Nachfolge bei Hansa an. Das war immer mein Traum", sagt Müller, dessen Mutter die Schwester von Pieckenhagens Frau ist. Inzwischen weiß er, wie lange man braucht, um solch einen Patzer zu verarbeiten. Er kann erahnen, wie sich sein Onkel gefühlt haben muss. Damals fand der kleine Kevin Elbers Aktion einfach nur genial. Er war noch zu jung, um die Tragweite zu erkennen.

Auch Martin Pieckenhagen kann sich an jene Szene noch ganz genau erinnern, natürlich kann er das: "Es war ein langer Ball in Richtung unserer linken Eckfahne, ich lief heraus und wollte Elber an der Fahne so blocken, dass es Abstoß gibt. Aber Elber umlief meinen Block so elegant, dass ich die Balance verlor und stürzte." Und dann geschah, was bis heute fast unvorstellbar ist, wenn es nicht bildlich überliefert wäre: "Er lief über den Ball, stoppte ihn mit der Sohle an der Eckfahne, drehte sich um und schoss mit seinem linken Fuß direkt aufs Tor. Und was soll ich sagen? Der Ball landete im langen Eck im Winkel. Ich konnte das natürlich aus meiner Position sehr gut verfolgen und muss gestehen, dass dieses Tor technisch so gut war, dass mir nichts anderes übrig blieb, als ihm für diesen Treffer noch in der gleichen Sekunde zu applaudieren – trotz meines Fehlers."

"Für Deutschland zu spielen, ist immer eine besondere Ehre"

Mittlerweile kennt Müller selbst auch das Gefühl, wenn es nicht so gut läuft. Auch er hat sich in dieser Saison schon den einen oder anderen Patzer erlaubt. Dass das gerade bei einem jungen Schlussmann nicht ausbleibt, nehmen sie in Rostock gerne in Kauf. Sie sind hochzufrieden mit ihm an der Ostsee. Müller gilt als extrem talentiert. Sogar für die U 20-Auswahl des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) hat er einige Einsätze gehabt. Darauf ist er besonders stolz: "Es ist immer ein großartiges Gefühl, das Trikot mit dem Adler auf der Brust zu tragen. Für Deutschland zu spielen, ist eine besondere Ehre. Das schafft nicht jeder, das kann mir keiner mehr nehmen."

Müller spricht für sein Alter extrem abgeklärt. Man kann kaum glauben, dass er im März erst 21 Jahre wird. Seine Freundin ist fast zehn Jahre älter, außerdem ist Müller im vergangenen Jahr zum ersten Mal Vater geworden. Auch das gibt ihm Ruhe, gibt ihm Halt. Fußball ist wichtig, aber es gibt Wichtigeres. Das weiß er spätestens seit der Geburt seines Sohnes. Das wird ihm jeden Abend klar, wenn er mit einem kindlich-strahlenden Lächeln in Empfang genommen wird.

In dieser Woche kann auch Kevin Müller endlich mal wieder strahlen. Am Sonntag hat er mit Hansa einen extrem wichtigen 4:2-Sieg gegen den MSV Duisburg gefeiert. Es ist keine Vorentscheidung, kein Befreiungsschlag im Abstiegskampf für den Tabellenletzten. Aber es ist ein Hoffnungsschimmer. "Ich glaube fest an die Rettung. Wir waren mit unseren Gegnern oft genug gleichwertig. Aber daraus haben wir zu selten Kapital geschlagen, zu oft dennoch verloren oder nur einen Punkt geholt", sagt Müller.

Pieckenhagen: "Drücke Hansa und Kevin die Daumen"

Schon am Sonntag geht es weiter für den Aufsteiger, dann muss Rostock bei Alemannia Aachen antreten. Normalerweise tauscht sich Müller oft mit seinem Onkel aus. Sie telefonieren, sprechen über gute und schlechte Aktionen, über die Familie, über alles mögliche. Im Moment ist das schwierig. Martin Pieckenhagen ist im Ausland unterwegs. Trotzdem verfolgt er den Werdegang seines Neffen natürlich ganz genau: "Ich kann seine Spiele leider aus beruflichen Gründen nicht immer live beobachten, aber wenn immer es mir möglich ist, sitze ich im Stadion und drücke Hansa und natürlich Kevin die Daumen."

Der ehemalige Profi traut Kevin Müller durchaus zu, den Sprung in die Bundesliga zu schaffen: "Ich wünsche ihm, dass er es schafft, sich zu etablieren. Da ich weiß, dass Kevin an sich selbst die größten Anforderungen stellt, braucht er auch ein sportliches Umfeld, das ihn dementsprechend unterstützt, fördert und fordert." Und ist er denn stolz darauf, dass es einen Nachfolger aus der Familie im Hansa-Tor gibt? "Stolz ist vielleicht das falsche Wort", antwortet Pieckenhagen: "Ich finde es gut, dass er sich bis hier durchgesetzt hat und dass nicht nur durch Glück und Talent, sondern mit einer starken, jahrelangen Leistung."

"Mein Herz hängt an Hansa"

Pieckenhagen weiß, wovon er spricht. Bis zum Ende der vergangenen Saison stand der 40-Jährige bei Mainz 05 unter Vertrag. In seiner Karriere absolvierte er insgesamt 215 Spiele in der Bundesliga und 19 Begegnungen in der 2. Bundesliga sowie zwei Europapokalduelle. Außerdem stand er fünf Jahre beim niederländischen Erstligisten Heracles Almelo unter Vertrag.

So weit ist Kevin Müller noch nicht. Er steht gerade am Anfang seiner Karriere. Wie die wohl weitergehen wird? Schließlich läuft sein Vertrag am Saisonende aus. "Es ist alles offen. Ich habe mich mit den Verantwortlichen darauf geeinigt, dass jetzt die ganze Konzentration dem Kampf um den Klassenerhalt gilt", sagt der Torhüter: "Danach ist immer noch genug Zeit, um alles Weitere zu besprechen. Aber eines ist auch ganz klar: Mein Herz hängt an Hansa, und das wird immer so bleiben. Ich bin in Rostock geboren und habe alle Nachwuchsmannschaften durchlaufen. Das verbindet."

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Wie kommen Kinder zum Fußball? Viele eifern ihren Idolen nach, seit Generationen ist das so. Fritz Walter, Uwe Seeler, Franz Beckenbauer oder Gerd Müller. Lothar Matthäus oder Oliver Kahn, heute Mesut Özil, Philipp Lahm oder Thomas Müller. Und immer häufiger auch Birgit Prinz oder Lira Bajramaj. Sie alle motivieren Jungen und Mädchen zum Kicken.

Oft genug haben sie das Vorbild aber schon im Vorgarten - den Vater, den großen Bruder, die ältere Schwester. Fußball ist Familiensache, Leidenschaft und Talent werden oft über Generationen vererbt. Dafür gibt es auch viele prominente Beispiele. Das zeigt "Familienbande", die neue Serie auf DFB.de.

Der 27. Februar 1999 war ein typischer Wintertag in Deutschland. Kalt, aber trocken. Kein Schnee. Kevin Müller war warm angezogen, er war damals acht Jahre. So stand er auf der Tribüne, als die 87. Minute im Bundesligaspiel zwischen Hansa Rostock und Bayern München lief. Spielstand: 0:2. Das weiß er noch ganz genau, schließlich folgte dann eine der prägendsten Erinnerungen an seine Kindheit. Kevin spielte für die Nordostdeutschen in der F-Jugend, er war noch nicht lange bei Hansa.

"Mein Onkel war schon immer mein Vorbild"

An diesem Samstagnachmittag war das Duell mit dem Deutschen Rekordmeister kurz vor Schluss schon längst entschieden. Aber das war nicht das Außergewöhnliche. Es war das, was dann passierte: Bayerns Stürmer Giovanne Elber erzielte den wahrscheinlich schönsten Treffer seines Lebens. Er luchste Hansas Schlussmann den Ball bei einem Ausflug direkt vor der Eckfahne ab und lupfte ihn von dort ins Tor – traumhaft. Bei Rostock stand damals Martin Pieckenhagen im Tor, Kevins Onkel. Mittlerweile ist Kevin Müller 20 Jahre alt und selbst Torhüter bei Hansa Rostock. Er hat es seinem Onkel nachgemacht, Müller ist Stammkeeper bei dem Zweitligisten. Es ist eine der schönsten Familiengeschichten derzeit im deutschen Fußball.

"Natürlich bin ich stolz darauf. Ich war schon immer Torhüter und mein Onkel war schon immer mein Vorbild. Jetzt trete ich seine Nachfolge bei Hansa an. Das war immer mein Traum", sagt Müller, dessen Mutter die Schwester von Pieckenhagens Frau ist. Inzwischen weiß er, wie lange man braucht, um solch einen Patzer zu verarbeiten. Er kann erahnen, wie sich sein Onkel gefühlt haben muss. Damals fand der kleine Kevin Elbers Aktion einfach nur genial. Er war noch zu jung, um die Tragweite zu erkennen.

Auch Martin Pieckenhagen kann sich an jene Szene noch ganz genau erinnern, natürlich kann er das: "Es war ein langer Ball in Richtung unserer linken Eckfahne, ich lief heraus und wollte Elber an der Fahne so blocken, dass es Abstoß gibt. Aber Elber umlief meinen Block so elegant, dass ich die Balance verlor und stürzte." Und dann geschah, was bis heute fast unvorstellbar ist, wenn es nicht bildlich überliefert wäre: "Er lief über den Ball, stoppte ihn mit der Sohle an der Eckfahne, drehte sich um und schoss mit seinem linken Fuß direkt aufs Tor. Und was soll ich sagen? Der Ball landete im langen Eck im Winkel. Ich konnte das natürlich aus meiner Position sehr gut verfolgen und muss gestehen, dass dieses Tor technisch so gut war, dass mir nichts anderes übrig blieb, als ihm für diesen Treffer noch in der gleichen Sekunde zu applaudieren – trotz meines Fehlers."

"Für Deutschland zu spielen, ist immer eine besondere Ehre"

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Mittlerweile kennt Müller selbst auch das Gefühl, wenn es nicht so gut läuft. Auch er hat sich in dieser Saison schon den einen oder anderen Patzer erlaubt. Dass das gerade bei einem jungen Schlussmann nicht ausbleibt, nehmen sie in Rostock gerne in Kauf. Sie sind hochzufrieden mit ihm an der Ostsee. Müller gilt als extrem talentiert. Sogar für die U 20-Auswahl des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) hat er einige Einsätze gehabt. Darauf ist er besonders stolz: "Es ist immer ein großartiges Gefühl, das Trikot mit dem Adler auf der Brust zu tragen. Für Deutschland zu spielen, ist eine besondere Ehre. Das schafft nicht jeder, das kann mir keiner mehr nehmen."

Müller spricht für sein Alter extrem abgeklärt. Man kann kaum glauben, dass er im März erst 21 Jahre wird. Seine Freundin ist fast zehn Jahre älter, außerdem ist Müller im vergangenen Jahr zum ersten Mal Vater geworden. Auch das gibt ihm Ruhe, gibt ihm Halt. Fußball ist wichtig, aber es gibt Wichtigeres. Das weiß er spätestens seit der Geburt seines Sohnes. Das wird ihm jeden Abend klar, wenn er mit einem kindlich-strahlenden Lächeln in Empfang genommen wird.

In dieser Woche kann auch Kevin Müller endlich mal wieder strahlen. Am Sonntag hat er mit Hansa einen extrem wichtigen 4:2-Sieg gegen den MSV Duisburg gefeiert. Es ist keine Vorentscheidung, kein Befreiungsschlag im Abstiegskampf für den Tabellenletzten. Aber es ist ein Hoffnungsschimmer. "Ich glaube fest an die Rettung. Wir waren mit unseren Gegnern oft genug gleichwertig. Aber daraus haben wir zu selten Kapital geschlagen, zu oft dennoch verloren oder nur einen Punkt geholt", sagt Müller.

Pieckenhagen: "Drücke Hansa und Kevin die Daumen"

Schon am Sonntag geht es weiter für den Aufsteiger, dann muss Rostock bei Alemannia Aachen antreten. Normalerweise tauscht sich Müller oft mit seinem Onkel aus. Sie telefonieren, sprechen über gute und schlechte Aktionen, über die Familie, über alles mögliche. Im Moment ist das schwierig. Martin Pieckenhagen ist im Ausland unterwegs. Trotzdem verfolgt er den Werdegang seines Neffen natürlich ganz genau: "Ich kann seine Spiele leider aus beruflichen Gründen nicht immer live beobachten, aber wenn immer es mir möglich ist, sitze ich im Stadion und drücke Hansa und natürlich Kevin die Daumen."

Der ehemalige Profi traut Kevin Müller durchaus zu, den Sprung in die Bundesliga zu schaffen: "Ich wünsche ihm, dass er es schafft, sich zu etablieren. Da ich weiß, dass Kevin an sich selbst die größten Anforderungen stellt, braucht er auch ein sportliches Umfeld, das ihn dementsprechend unterstützt, fördert und fordert." Und ist er denn stolz darauf, dass es einen Nachfolger aus der Familie im Hansa-Tor gibt? "Stolz ist vielleicht das falsche Wort", antwortet Pieckenhagen: "Ich finde es gut, dass er sich bis hier durchgesetzt hat und dass nicht nur durch Glück und Talent, sondern mit einer starken, jahrelangen Leistung."

"Mein Herz hängt an Hansa"

Pieckenhagen weiß, wovon er spricht. Bis zum Ende der vergangenen Saison stand der 40-Jährige bei Mainz 05 unter Vertrag. In seiner Karriere absolvierte er insgesamt 215 Spiele in der Bundesliga und 19 Begegnungen in der 2. Bundesliga sowie zwei Europapokalduelle. Außerdem stand er fünf Jahre beim niederländischen Erstligisten Heracles Almelo unter Vertrag.

So weit ist Kevin Müller noch nicht. Er steht gerade am Anfang seiner Karriere. Wie die wohl weitergehen wird? Schließlich läuft sein Vertrag am Saisonende aus. "Es ist alles offen. Ich habe mich mit den Verantwortlichen darauf geeinigt, dass jetzt die ganze Konzentration dem Kampf um den Klassenerhalt gilt", sagt der Torhüter: "Danach ist immer noch genug Zeit, um alles Weitere zu besprechen. Aber eines ist auch ganz klar: Mein Herz hängt an Hansa, und das wird immer so bleiben. Ich bin in Rostock geboren und habe alle Nachwuchsmannschaften durchlaufen. Das verbindet."