Es geschah am 6. Spieltag: Die größte Aufholjagd der Historie

"Es geschah am 6. Spieltag": In der DFB.de-Serie am Donnerstag blickt der Historiker und Autor Udo Muras zurück auf ein besonderes Ereignis am jeweiligen Spieltag einer früheren Saison. Heute: Bayern siegt in Bochum nach 0:4 noch 6:5 - die größte Aufholjagd der Bundesliga-Historie.

Datum: Samstag, 18. September 1976

Ort: Ruhrstadion Bochum

Partie: VfL Bochum – Bayern München 5:6

Die Bayern kommen! Schon vor 35 Jahren war das Heimspiel gegen die Münchner für fast jeden Bundesligisten die Attraktion der Saison. Im September 1976 standen sie vielleicht nicht mehr auf der Höhe ihrer Schaffenskraft, aber fraglos auf dem Gipfel der Popularität. Hatten sie doch im Mai den Europacup-Hattrick im Landesmeister-Pokal vollbracht, was seitdem keiner Mannschaft je wieder gelungen ist. Unter dem enormen Kraftakt auf internationalen Parkett litt allerdings die Leistung im Alltag, schon seit zwei Jahren waren sie nicht mehr Meister geworden.

Die Chance, ihnen ein Bein zu stellen, war in jenen Tagen so groß wie nie für kleinere Klubs wie den VfL Bochum. Die Westdeutschen hätten sich die Bayern dennoch lieber zu einem späteren Zeitpunkt als Gast gewünscht, denn das Ruhr-Stadion wurde gerade umgebaut und obwohl der VfL ausverkauft meldete, war die Kulisse vergleichsweise dürftig: Nur 17.000 konnten die großen Bayern mit fünf aktuellen Weltmeistern sehen.

Sie kamen als Tabellenfünfter, Bochum war Elfter und die Favoritenfrage war geklärt: natürlich die Bayern, die sich in diesem September allmählich einschossen auf die neue Saison. 9:0 gegen Tennis Borussia in der Vorwoche, mittwochs noch ein 5:0 beim dänischen Meister Köge BK im Europacup – die Torfabrik lief auf Hochtouren im Spätsommer 1976. Doch das Finale um den Supercup hatten sie gegen den RSC Anderlecht gerade mit 1:4 verloren, überhaupt sollte Sepp Maier nie mehr Tore kassieren als in dieser Saison. Dieser FC Bayern war kein Wunderteam mehr, eher eine Wundertüte.

Die Bochumer hatten schon ihre beiden letzten Heimspiele gegen die Münchner gewonnen und erstarrten keineswegs in Ehrfurcht, während Bayern-Trainer Dettmar Cramer mahnte: „Meine Mannschaft neigt mehr als jede andere zur Überheblichkeit, was mit den Erfolgen der Vergangenheit zusammenhängt.“ Hatten diese Bayern überhaupt Lust auf Bochum? Danach sah es nicht wirklich aus. Leichtfertig vergab der Schwede Conny Torstensson gegen Torwart Werner Scholz die Chance zur Gästeführung, danach trumpfte der VfL auf. Dem früh für Verteidiger Christoph Franke eingewechselten Harry Ellbracht gelang das 1:0 (24.), Mittelstürmer Jupp Kaczor düpierte Franz Beckenbauer und erhöhte auf 2:0 (38.), und wiederum Ellbracht (43.) sorgte für einen schier sensationellen Pausenstand von 3:0.

Es hätte auch 4:0 heißen können, denn nach dem dritten Tor bestürmten die Bayern Schiedsrichter Horstmann aus Nordstemmen, weil dieser seinen Abseits winkenden Linienrichter schlicht ignoriert hatte. Auch Sepp Maier war im Pulk, während das Spiel schon wieder lief. Ein Bochumer, den die Chronisten nicht übermittelten, schoss frech aus der eigenen Hälfte aufs leere Tor und verfehlte nur knapp. Egal, sie schienen es sich ja leisten zu können.

In Bochums Kabine, erzählte Kaczor nach 35 Jahren dem Kicker, „herrschte natürlich eine euphorische Stimmung. Wahrscheinlich hat jeder bei sich gedacht: Heute hauen wir den Bayern den Laden voll.“ Trainer Heinz Höher hatte seine Mühe, die Spieler in ihrem Übermut zu bremsen. Kollege Dettmar Cramer versuchte dagegen, seine Recken aufzurichten: „Wenn es nur 0:2 stünde, wäre ich ganz sicher, dass wir noch gewinnen“. Es stand aber 0:3 – doch Cramer wollte rüberbringen, dass seine Elf die Qualität habe für eine Aufholjagd. Und so entließ er sie mit den Worten „Reden wir uns ein, dass es 0:0 steht“ wieder aufs Feld. Doch in der 53. Minute traf auch der dritte Bochumer Stürmer an diesem Tage, Hans-Joachim Pochstein.

Es war die Blütezeit der Radiokonferenz, und WDR-Reporter Armin Haufe meldete sich nach diesem Tor mit der Einleitung „Arme Bayern!“ aus dem Ruhr-Stadion. Auch Cramer bekam Mitleid mit seinen Europacup-Helden: „Beim 0:4 habe ich gedacht, jetzt lassen sie die Flügel hängen.“ Doch stattdessen wuchsen ihnen Flügel. Eine schlüssige Erklärung für die Ereignisse in den folgenden 35 Minuten gibt es bis heute nicht. Vielleicht war es die Folge von Überheblichkeit auf der einen und dem Mut der Verzweiflung auf der anderen Seite. „So was kannst du eigentlich nicht mehr vergeigen, selbst gegen die Bayern nicht“, gab Kaczor die Stimmung im VfL-Team wieder. Aber sie konnten.

Karl-Heinz Rummenigge, drei Wochen vor seinem ersten Länderspiel, machte den Anfang: 1:4 (55.). Dann wagte sich Vorstopper Katsche Schwarzenbeck nach vorne – 2:4 (57.). Dann endlich trat der Hauptverantwortliche für Bayern-Tore in Erscheinung: Gerd Müller, Rekord-Torschütze der Bundesliga und der Nationalmannschaft, verkürzte auf 3:4 (63.). Kaczor: „Da hätten wir uns vielleicht sagen sollen: Lass uns mal versuchen, hinten dicht zu machen. Aber im Ruhrstadion gab es immer nur das volle Programm: nach vorne.“

Und das ging nach hinten los: In der 74. Minute erhielten die Bayern einen Foulelfmeter, und Müller ließ sich die Chance nicht entgehen. Vom Anstoß eroberten sie sich wieder den Ball, und Weltmeister Uli Hoeneß überwand Scholz ein fünftes Mal. Fünf Auswärtstore in 20 Minuten – auch das ein echtes Bundesliga-Novum. Doch die Bochumer steckten nicht auf, Kaczor glich noch einmal aus (80.), Jupp Kapellmann fälschte unhaltbar ab. Per Fallrückzieher wäre Kaczor fast noch das 6:5 gelungen. Stattdessen schlug es im Gegenzug wieder bei Scholz ein – wieder war Uli Hoeneß der Schütze. Dann war die wilde Tor-Hatz zuende. Die Bundesliga hatte ihr erstes und bis dato einziges 5:6 – und den ersten und einzigen Sieg einer Mannschaft nach Vier-Tore-Rückstand.

"Unfassbar, so ein Spui", sagte Sepp Maier fassungslos im besten Bayerisch. Ein Spiel, das nur wenige sehen durften. Nicht nur wegen der Umbauarbeiten: Die ARD-Sportschau zeigte damals nur von drei Spielen Ausschnitte und hatte ihre Kameras an anderen Schauplätzen postiert. Natürlich war eine solche Partie mit dem Abpfiff noch nicht vorbei. In Bochums Kabine flossen Tränen, später am Tresen der Gerstensaft. Beinahe empört schrieb der Kicker: „Die Spieler waren noch beim gemeinsamen Abendessen völlig konsterniert. Einige griffen völlig enttäuscht und ausgelaugt sogar zum Alkohol.“

Präsident Ottokar Wüst ging durch die Reihen und versuchte, die Verlierer eines unglaublichen Spiels aufzumuntern: „Ihr habt 50 Minuten lang Superfußball gespielt. Wir sind auf dem richtigen Weg.“ Dettmar Cramer, der Philosoph auf der Trainerbank, sagte auf der Pressekonferenz: „Im Spiel am Tag der offenen Tore hat die bessere Mannschaft gewonnen.“ Dem Kicker sagt er vier Tage später mit Rückblick auf den Elf-Tore-Tag von Bochum: „Zum Spielverlauf kann ich nur sagen: Fußball ist das schönste Scheißspiel, das es gibt.“

Was sonst noch am 6. Spieltag geschah

1964/1965: Schalke 04 – Borussia Dortmund 2:6. Alle BVB-Tore in der ersten Hälfte. Höchste Pausenführung einer Gastmannschaft (0:6).

1969/1970: Ewiger Zuschauerrekord für ein Bundesligaspiel: Hertha BSC – 1. FC Köln (1:0) sehen am 26. September 1969 exakt 88.075 Menschen.

1973/1974: Schalke 04 – FC Bayern 5:5, Halbzeit 5:2.

1977/1978: Erstes Hamburger Derby in der Bundesliga – Außenseiter St. Pauli schlägt HSV im Volksparkstadion 2:0.

1979/1980: Der VfL Bochum schießt beim 2:2 in Dortmund sein erstes Saisontor – nach 475 Minuten. Länger musste kein Team je warten.

1984/1985: Köln – Dortmund 6:1, vier Tore von Klaus Allofs.

1989/1990: Tumulte beim Derby Köln – Leverkusen (1:1). Schiedsrichter Boos wird auf dem Feld von Kölner Spielern und Betreuern attackiert. Trainer Christoph Daum rechtfertigt das so: „Wenn man ein Messer in den Bauch gerammt bekommt, kann man nicht noch ruhig bleiben.“ Boos gab einen unberechtigten Elfmeter – wie er eingestand – gegen und einen Platzverweis für Köln.

1991/1992: Duisburgs Michael Tönnies gelingt beim 6:2 gegen Karlsruhe der schnellste Hattrick der Bundesliga, innerhalb von 15 Minuten.

1993/1994: Kölns Toni Polster fliegt in Leverkusen vom Platz und ist damit der 500. Rotsünder der Bundesliga.

1994/1995: Mario Basler (Werder Bremen) verwandelt gegen Duisburg eine Ecke direkt. Gladbachs Stefan Effenberg läuft gegen Bochum (7:1) mit einem aufgemalten Tigerkopf im Nacken auf.

1996/1997: Der HSV schlägt St. Pauli im Lokalderby mit 3:0 – mit nur neun Spielern nach Platzverweisen für Schnoor (4.) und Kmetsch (60.).

1998/1999: Wechselfehler am Betzenberg: Meister Kaiserslautern hat gegen Bochum drei Minuten lang vier statt der erlaubten drei Ausländer aus Nicht-EU-Ländern auf dem Platz, weshalb der Ägypter Hany Ramzy eine Zerrung simuliert und von Trainer Otto Rehhagel schnell ausgewechselt wird. Vergeblich: Das Spiel gegen Bochum (2:3) ist schon vor dem Abpfiff verloren.

2001/2002: Der Spieltag steht im Zeichen der Trauer um die Opfer des Terroranschlags auf das World Trade Center. In allen Stadien sieht man US-Fahnen, Tore werden kaum bejubelt.

2008/2009: Fußballfest im Weserstadion: Werder – Hoffenheim 5:4.

2010/2011: Mainz 05 gewinnt auch sein sechstes Saisonspiel – 2:1 bei Meister Bayern München.

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"Es geschah am 6. Spieltag": In der DFB.de-Serie am Donnerstag blickt der Historiker und Autor Udo Muras zurück auf ein besonderes Ereignis am jeweiligen Spieltag einer früheren Saison. Heute: Bayern siegt in Bochum nach 0:4 noch 6:5 - die größte Aufholjagd der Bundesliga-Historie.

Datum: Samstag, 18. September 1976

Ort: Ruhrstadion Bochum

Partie: VfL Bochum – Bayern München 5:6

Die Bayern kommen! Schon vor 35 Jahren war das Heimspiel gegen die Münchner für fast jeden Bundesligisten die Attraktion der Saison. Im September 1976 standen sie vielleicht nicht mehr auf der Höhe ihrer Schaffenskraft, aber fraglos auf dem Gipfel der Popularität. Hatten sie doch im Mai den Europacup-Hattrick im Landesmeister-Pokal vollbracht, was seitdem keiner Mannschaft je wieder gelungen ist. Unter dem enormen Kraftakt auf internationalen Parkett litt allerdings die Leistung im Alltag, schon seit zwei Jahren waren sie nicht mehr Meister geworden.

Die Chance, ihnen ein Bein zu stellen, war in jenen Tagen so groß wie nie für kleinere Klubs wie den VfL Bochum. Die Westdeutschen hätten sich die Bayern dennoch lieber zu einem späteren Zeitpunkt als Gast gewünscht, denn das Ruhr-Stadion wurde gerade umgebaut und obwohl der VfL ausverkauft meldete, war die Kulisse vergleichsweise dürftig: Nur 17.000 konnten die großen Bayern mit fünf aktuellen Weltmeistern sehen.

Sie kamen als Tabellenfünfter, Bochum war Elfter und die Favoritenfrage war geklärt: natürlich die Bayern, die sich in diesem September allmählich einschossen auf die neue Saison. 9:0 gegen Tennis Borussia in der Vorwoche, mittwochs noch ein 5:0 beim dänischen Meister Köge BK im Europacup – die Torfabrik lief auf Hochtouren im Spätsommer 1976. Doch das Finale um den Supercup hatten sie gegen den RSC Anderlecht gerade mit 1:4 verloren, überhaupt sollte Sepp Maier nie mehr Tore kassieren als in dieser Saison. Dieser FC Bayern war kein Wunderteam mehr, eher eine Wundertüte.

Die Bochumer hatten schon ihre beiden letzten Heimspiele gegen die Münchner gewonnen und erstarrten keineswegs in Ehrfurcht, während Bayern-Trainer Dettmar Cramer mahnte: „Meine Mannschaft neigt mehr als jede andere zur Überheblichkeit, was mit den Erfolgen der Vergangenheit zusammenhängt.“ Hatten diese Bayern überhaupt Lust auf Bochum? Danach sah es nicht wirklich aus. Leichtfertig vergab der Schwede Conny Torstensson gegen Torwart Werner Scholz die Chance zur Gästeführung, danach trumpfte der VfL auf. Dem früh für Verteidiger Christoph Franke eingewechselten Harry Ellbracht gelang das 1:0 (24.), Mittelstürmer Jupp Kaczor düpierte Franz Beckenbauer und erhöhte auf 2:0 (38.), und wiederum Ellbracht (43.) sorgte für einen schier sensationellen Pausenstand von 3:0.

Es hätte auch 4:0 heißen können, denn nach dem dritten Tor bestürmten die Bayern Schiedsrichter Horstmann aus Nordstemmen, weil dieser seinen Abseits winkenden Linienrichter schlicht ignoriert hatte. Auch Sepp Maier war im Pulk, während das Spiel schon wieder lief. Ein Bochumer, den die Chronisten nicht übermittelten, schoss frech aus der eigenen Hälfte aufs leere Tor und verfehlte nur knapp. Egal, sie schienen es sich ja leisten zu können.

In Bochums Kabine, erzählte Kaczor nach 35 Jahren dem Kicker, „herrschte natürlich eine euphorische Stimmung. Wahrscheinlich hat jeder bei sich gedacht: Heute hauen wir den Bayern den Laden voll.“ Trainer Heinz Höher hatte seine Mühe, die Spieler in ihrem Übermut zu bremsen. Kollege Dettmar Cramer versuchte dagegen, seine Recken aufzurichten: „Wenn es nur 0:2 stünde, wäre ich ganz sicher, dass wir noch gewinnen“. Es stand aber 0:3 – doch Cramer wollte rüberbringen, dass seine Elf die Qualität habe für eine Aufholjagd. Und so entließ er sie mit den Worten „Reden wir uns ein, dass es 0:0 steht“ wieder aufs Feld. Doch in der 53. Minute traf auch der dritte Bochumer Stürmer an diesem Tage, Hans-Joachim Pochstein.

Es war die Blütezeit der Radiokonferenz, und WDR-Reporter Armin Haufe meldete sich nach diesem Tor mit der Einleitung „Arme Bayern!“ aus dem Ruhr-Stadion. Auch Cramer bekam Mitleid mit seinen Europacup-Helden: „Beim 0:4 habe ich gedacht, jetzt lassen sie die Flügel hängen.“ Doch stattdessen wuchsen ihnen Flügel. Eine schlüssige Erklärung für die Ereignisse in den folgenden 35 Minuten gibt es bis heute nicht. Vielleicht war es die Folge von Überheblichkeit auf der einen und dem Mut der Verzweiflung auf der anderen Seite. „So was kannst du eigentlich nicht mehr vergeigen, selbst gegen die Bayern nicht“, gab Kaczor die Stimmung im VfL-Team wieder. Aber sie konnten.

Karl-Heinz Rummenigge, drei Wochen vor seinem ersten Länderspiel, machte den Anfang: 1:4 (55.). Dann wagte sich Vorstopper Katsche Schwarzenbeck nach vorne – 2:4 (57.). Dann endlich trat der Hauptverantwortliche für Bayern-Tore in Erscheinung: Gerd Müller, Rekord-Torschütze der Bundesliga und der Nationalmannschaft, verkürzte auf 3:4 (63.). Kaczor: „Da hätten wir uns vielleicht sagen sollen: Lass uns mal versuchen, hinten dicht zu machen. Aber im Ruhrstadion gab es immer nur das volle Programm: nach vorne.“

Und das ging nach hinten los: In der 74. Minute erhielten die Bayern einen Foulelfmeter, und Müller ließ sich die Chance nicht entgehen. Vom Anstoß eroberten sie sich wieder den Ball, und Weltmeister Uli Hoeneß überwand Scholz ein fünftes Mal. Fünf Auswärtstore in 20 Minuten – auch das ein echtes Bundesliga-Novum. Doch die Bochumer steckten nicht auf, Kaczor glich noch einmal aus (80.), Jupp Kapellmann fälschte unhaltbar ab. Per Fallrückzieher wäre Kaczor fast noch das 6:5 gelungen. Stattdessen schlug es im Gegenzug wieder bei Scholz ein – wieder war Uli Hoeneß der Schütze. Dann war die wilde Tor-Hatz zuende. Die Bundesliga hatte ihr erstes und bis dato einziges 5:6 – und den ersten und einzigen Sieg einer Mannschaft nach Vier-Tore-Rückstand.

"Unfassbar, so ein Spui", sagte Sepp Maier fassungslos im besten Bayerisch. Ein Spiel, das nur wenige sehen durften. Nicht nur wegen der Umbauarbeiten: Die ARD-Sportschau zeigte damals nur von drei Spielen Ausschnitte und hatte ihre Kameras an anderen Schauplätzen postiert. Natürlich war eine solche Partie mit dem Abpfiff noch nicht vorbei. In Bochums Kabine flossen Tränen, später am Tresen der Gerstensaft. Beinahe empört schrieb der Kicker: „Die Spieler waren noch beim gemeinsamen Abendessen völlig konsterniert. Einige griffen völlig enttäuscht und ausgelaugt sogar zum Alkohol.“

Präsident Ottokar Wüst ging durch die Reihen und versuchte, die Verlierer eines unglaublichen Spiels aufzumuntern: „Ihr habt 50 Minuten lang Superfußball gespielt. Wir sind auf dem richtigen Weg.“ Dettmar Cramer, der Philosoph auf der Trainerbank, sagte auf der Pressekonferenz: „Im Spiel am Tag der offenen Tore hat die bessere Mannschaft gewonnen.“ Dem Kicker sagt er vier Tage später mit Rückblick auf den Elf-Tore-Tag von Bochum: „Zum Spielverlauf kann ich nur sagen: Fußball ist das schönste Scheißspiel, das es gibt.“

Was sonst noch am 6. Spieltag geschah

1964/1965: Schalke 04 – Borussia Dortmund 2:6. Alle BVB-Tore in der ersten Hälfte. Höchste Pausenführung einer Gastmannschaft (0:6).

1969/1970: Ewiger Zuschauerrekord für ein Bundesligaspiel: Hertha BSC – 1. FC Köln (1:0) sehen am 26. September 1969 exakt 88.075 Menschen.

1973/1974: Schalke 04 – FC Bayern 5:5, Halbzeit 5:2.

1977/1978: Erstes Hamburger Derby in der Bundesliga – Außenseiter St. Pauli schlägt HSV im Volksparkstadion 2:0.

1979/1980: Der VfL Bochum schießt beim 2:2 in Dortmund sein erstes Saisontor – nach 475 Minuten. Länger musste kein Team je warten.

1984/1985: Köln – Dortmund 6:1, vier Tore von Klaus Allofs.

1989/1990: Tumulte beim Derby Köln – Leverkusen (1:1). Schiedsrichter Boos wird auf dem Feld von Kölner Spielern und Betreuern attackiert. Trainer Christoph Daum rechtfertigt das so: „Wenn man ein Messer in den Bauch gerammt bekommt, kann man nicht noch ruhig bleiben.“ Boos gab einen unberechtigten Elfmeter – wie er eingestand – gegen und einen Platzverweis für Köln.

1991/1992: Duisburgs Michael Tönnies gelingt beim 6:2 gegen Karlsruhe der schnellste Hattrick der Bundesliga, innerhalb von 15 Minuten.

1993/1994: Kölns Toni Polster fliegt in Leverkusen vom Platz und ist damit der 500. Rotsünder der Bundesliga.

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1994/1995: Mario Basler (Werder Bremen) verwandelt gegen Duisburg eine Ecke direkt. Gladbachs Stefan Effenberg läuft gegen Bochum (7:1) mit einem aufgemalten Tigerkopf im Nacken auf.

1996/1997: Der HSV schlägt St. Pauli im Lokalderby mit 3:0 – mit nur neun Spielern nach Platzverweisen für Schnoor (4.) und Kmetsch (60.).

1998/1999: Wechselfehler am Betzenberg: Meister Kaiserslautern hat gegen Bochum drei Minuten lang vier statt der erlaubten drei Ausländer aus Nicht-EU-Ländern auf dem Platz, weshalb der Ägypter Hany Ramzy eine Zerrung simuliert und von Trainer Otto Rehhagel schnell ausgewechselt wird. Vergeblich: Das Spiel gegen Bochum (2:3) ist schon vor dem Abpfiff verloren.

2001/2002: Der Spieltag steht im Zeichen der Trauer um die Opfer des Terroranschlags auf das World Trade Center. In allen Stadien sieht man US-Fahnen, Tore werden kaum bejubelt.

2008/2009: Fußballfest im Weserstadion: Werder – Hoffenheim 5:4.

2010/2011: Mainz 05 gewinnt auch sein sechstes Saisonspiel – 2:1 bei Meister Bayern München.