Es geschah am 31. Spieltag: Klinsmanns Tritt in die Tonne

"Es geschah am 31. Spieltag": In der DFB.de-Serie am Donnerstag blickt der Historiker und Autor Udo Muras zurück auf ein besonderes Ereignis am jeweiligen Spieltag einer früheren Saison. Heute: Jürgen Klinsmann wird gegen den Tabellenletzten ausgewechselt - und reagiert seinen Frust an einer Werbetonne ab.

Datum: 10. Mai 1997
Ort: Olympiastadion München
Partie: Bayern München - SC Freiburg 0:0

Wenn der Erste zu Hause gegen den Letzten spielt, ist die Favoritenrolle geklärt, und eigentlich stellt sich nur die Frage nach der Höhe des Sieges. 63.000 Zuschauer waren an jenem Samstag im Mai 1997 in der Erwartung eines Schützenfestes gekommen, obwohl diese in der Ära Trapattoni eher selten waren. Unter ihm zog die italienische Catenaccio-Mentalität ein, und wenn Bayern 1:0 führte, wechselte "Trap" oft gleich Verteidiger gegen Stürmer ein. Hauptsache gewinnen.

Im Titelrennen mit Verfolger Bayer Leverkusen durften sich die Bayern keinen Ausrutscher leisten, schon gar nicht gegen Freiburg. Aber es sollte einen geben – und einen Ausraster dazu, der Geschichte schrieb. An diesem 31. Spieltag 1996/1997 wurde das Kuriositäten-Kabinett der Bundesliga um eine Episode bereichert, die so legendär wurde wie das Helmer-Phantomtor, der Kutzop-Elfmeter oder die Möller-Schwalbe. Die Rede ist vom Tonnentritt des Jürgen Klinsmann, dem spektakulärsten Wutausbruchs eines ausgewechselten Spielers in 49 Jahren.

Nun war Jürgen Klinsmann natürlich auch nicht irgendein Spieler. 1997 trug der Welt-und Europameister die Spielführerbinde der Nationalmannschaft, entsprechend war sein Selbstverständnis. Aber der Stern des 32-jährigen sank allmählich. Zwar standen 13 Saisontore zu Buche, doch seine Form schwankte. Zwei Wochen zuvor machte eine Zeitschrift eine Leser-Umfrage und stellte despektierliche Fragen wie: "Wie bewerten Sie Klinsmanns Fähigkeit, den Ball zuzupassen?" Die meisten Leser votierten für "Mittel" (52%), vor "gut" (38%) und "schwach" (10%). Eine knappe Mehrheit fand, er sei über seinen Zenit (53%).

Nationalmannschafts-Kapitän muss Bundeliga-Debütant weichen

Mit Giovanni Trapattoni, bereits in Mailand sein Trainer, rieb er sich schon während der ganzen Saison. Als der Italiener ihn in der Vorwoche im Münchner Derby bereits zum elften Mal auswechselte, zischte Klinsmann: "Was wäre passiert, wenn sie das früher mit einem Rummenigge oder Hoeneß gemacht hätten? Wahrscheinlich bin ich zu brav." Da kündigte sich der Wutausbruch schon an, der im Spiel gegen Freiburg noch einen letzten Anstoß brauchte. Zur Pause stand es immer noch 0:0, Trapattoni wechselte Brecher-Typ Carsten Jancker ein und befahl Klinsmann, nun auf den linken Flügel auszuweichen. Denn mit Ruggiero Rizzitelli stand ein dritter Stürmer auf dem Platz, es wurde eng vor dem Freiburger Tor, das Hannovers heutiger Sportdirektor Jörg Schmadtke glänzend hütete.

Die Degradierung zur Randfigur passte Klinsmann nicht und "da haben wir uns angebrüllt." Das ließ sich der Mister nicht bieten. In der 80. Minute beorderte er Bundesliga-Debütant Carsten Lakies aus der eigenen Amateurabteilung an den Spielfeldrand und gab das Signal zum Auswechseln. Der Assistent hielt die Tafel mit der Nummer 18 hoch und Mario Basler eilte an die Außenlinie. Ein Versehen, er trug die 13. Die 18 aber hatte Klinsmann, für den nun das Dutzend an Auswechslungen in der Saison voll war. Und das Maß auch. Schimpfend ging er vom Feld und statt den Trainer abzuschlagen, machte er mit den Händen das "finito"-Zeichen.



[bild1]

"Es geschah am 31. Spieltag": In der DFB.de-Serie am Donnerstag blickt der Historiker und Autor Udo Muras zurück auf ein besonderes Ereignis am jeweiligen Spieltag einer früheren Saison. Heute: Jürgen Klinsmann wird gegen den Tabellenletzten ausgewechselt - und reagiert seinen Frust an einer Werbetonne ab.

Datum: 10. Mai 1997
Ort: Olympiastadion München
Partie: Bayern München - SC Freiburg 0:0

Wenn der Erste zu Hause gegen den Letzten spielt, ist die Favoritenrolle geklärt, und eigentlich stellt sich nur die Frage nach der Höhe des Sieges. 63.000 Zuschauer waren an jenem Samstag im Mai 1997 in der Erwartung eines Schützenfestes gekommen, obwohl diese in der Ära Trapattoni eher selten waren. Unter ihm zog die italienische Catenaccio-Mentalität ein, und wenn Bayern 1:0 führte, wechselte "Trap" oft gleich Verteidiger gegen Stürmer ein. Hauptsache gewinnen.

Im Titelrennen mit Verfolger Bayer Leverkusen durften sich die Bayern keinen Ausrutscher leisten, schon gar nicht gegen Freiburg. Aber es sollte einen geben – und einen Ausraster dazu, der Geschichte schrieb. An diesem 31. Spieltag 1996/1997 wurde das Kuriositäten-Kabinett der Bundesliga um eine Episode bereichert, die so legendär wurde wie das Helmer-Phantomtor, der Kutzop-Elfmeter oder die Möller-Schwalbe. Die Rede ist vom Tonnentritt des Jürgen Klinsmann, dem spektakulärsten Wutausbruchs eines ausgewechselten Spielers in 49 Jahren.

Nun war Jürgen Klinsmann natürlich auch nicht irgendein Spieler. 1997 trug der Welt-und Europameister die Spielführerbinde der Nationalmannschaft, entsprechend war sein Selbstverständnis. Aber der Stern des 32-jährigen sank allmählich. Zwar standen 13 Saisontore zu Buche, doch seine Form schwankte. Zwei Wochen zuvor machte eine Zeitschrift eine Leser-Umfrage und stellte despektierliche Fragen wie: "Wie bewerten Sie Klinsmanns Fähigkeit, den Ball zuzupassen?" Die meisten Leser votierten für "Mittel" (52%), vor "gut" (38%) und "schwach" (10%). Eine knappe Mehrheit fand, er sei über seinen Zenit (53%).

Nationalmannschafts-Kapitän muss Bundeliga-Debütant weichen

Mit Giovanni Trapattoni, bereits in Mailand sein Trainer, rieb er sich schon während der ganzen Saison. Als der Italiener ihn in der Vorwoche im Münchner Derby bereits zum elften Mal auswechselte, zischte Klinsmann: "Was wäre passiert, wenn sie das früher mit einem Rummenigge oder Hoeneß gemacht hätten? Wahrscheinlich bin ich zu brav." Da kündigte sich der Wutausbruch schon an, der im Spiel gegen Freiburg noch einen letzten Anstoß brauchte. Zur Pause stand es immer noch 0:0, Trapattoni wechselte Brecher-Typ Carsten Jancker ein und befahl Klinsmann, nun auf den linken Flügel auszuweichen. Denn mit Ruggiero Rizzitelli stand ein dritter Stürmer auf dem Platz, es wurde eng vor dem Freiburger Tor, das Hannovers heutiger Sportdirektor Jörg Schmadtke glänzend hütete.

Die Degradierung zur Randfigur passte Klinsmann nicht und "da haben wir uns angebrüllt." Das ließ sich der Mister nicht bieten. In der 80. Minute beorderte er Bundesliga-Debütant Carsten Lakies aus der eigenen Amateurabteilung an den Spielfeldrand und gab das Signal zum Auswechseln. Der Assistent hielt die Tafel mit der Nummer 18 hoch und Mario Basler eilte an die Außenlinie. Ein Versehen, er trug die 13. Die 18 aber hatte Klinsmann, für den nun das Dutzend an Auswechslungen in der Saison voll war. Und das Maß auch. Schimpfend ging er vom Feld und statt den Trainer abzuschlagen, machte er mit den Händen das "finito"-Zeichen.

Zum Saisonende würde er ohnehin gehen, nun schien er seinen Abschied als Bayern-Spieler vier Wochen vorzuverlegen. Doch noch steckte Frust in ihm und der musste raus. Zum Glück an einem leblosen Gegenstand. Eine mannshohe Werbetonne eines Batterie-Herstellers stand neben der Ersatzbank und hier landete Klinsmann nun doch noch einen Treffer. Mit Wucht trat er mit seinem rechten Fuß ein Loch in die Mitte der Tonne, das N in "Sanyo" war entstellt. Seinen Frust merkte man ihm mehr als deutlich an, seinen Schmerz nicht. Erst Jahre später gestand Klinsmann: "Was keiner wusste: ich habe mir bei dem Tritt gewaltig den Knöchel aufgeschürft an der Tonne. Doch davon ließ ich mir, vor Scham über den Ausbruch, nichts anmerken."

Berühmte Werbetonne wurde für 3000 Euro versteigert

Kein Wunder, im Inneren befanden sich Metallverstrebungen und lange Nägel. Während der Wirbel in der Presse noch tagelang anhielt – die Bild titelte am Montag "Der Amok-Tritt" – hatte sich Klinsmann schon wieder beruhigt. Er entschuldigte sich noch im Stadion bei Trapattoni, der sagte nur: "Schon vergessen." Auch vor der Presse spricht Klinsmann, der sich seiner Vorbildfunktion als DFB-Kapitän schlagartig wieder bewusst wurde, von "einem Riesenfehler" und "einer Überreaktion, es tut mir leid." Nicht mal eine Strafe musste er bezahlen, mit der Entschuldigung sei die Sache erledigt, sagte Manager Uli Hoeneß.

Aber das war sie nicht. Am Abend saßen die Bayern in einem Restaurant zusammen, die abwandernden Spieler Klinsmann, Ziege, Kreuzer und Witeczek gaben bereits ihren Ausstand und natürlich blühte der Flachs über den Tonnentritt. Es wurde noch ein bisschen weiter gelacht, als Klinsmann ein paar Wochen später einen Präsentkorb voller Batterien von Sanyo bekam als Dank für die Gratiswerbung. Der Marketing-Leiter hoffte sogar, Klinsmann könne die Tonne signieren, "auf jeden Fall werden wir sie als Ausstellungsstück aufbewahren." Nun, sie landete dann doch bei ebay.

[bild2]

Heute ist sie im Besitz eines Stuttgarter Feinkosthändlers, der sie im September 2006 für 3000 Euro ersteigerte. Das Geld floss übrigens in Klinsmanns Stiftung für notleidende Kinder. Auch Sanyo spendete einen Betrag, weil Klinsmann zu seinem Abschiedsspiel selbstironisch wieder in eine Tonne des gleichen Modells trat. So nahm einer der berühmtesten Ausraster des deutschen Fußballs noch ein gutes Ende. Das galt übrigens auch für die Bayern-Saison 1996/1997. Den Titel mussten sie nicht in die Tonne treten, schon zwei Wochen später waren sie Deutscher Meister.

Was sonst noch am 31. Spieltag geschah

1965/1966: Borussia Mönchengladbach – Werder Bremen 0:7. Höchste Gladbacher Heimniederlage, Werders höchster Auswärtssieg.

1970/1971: Bayern München – 1. FC Köln 7:0: Höchste Kölner Bundesliga-Niederlage.

1981/1982: Erster Abstieg von Gründungs-Mitglied MSV Duisburg nach 1:2 in Leverkusen.

1982/1983: Bayern München entlässt Trainer Pal Csernai nach 0:1 gegen Kaiserslautern.

1987/1988: Werder Bremen ist nach einem 1:0 in Frankfurt Meister.

1992/1993: Höchste Heimniederlage von Borussia Dortmund (0:4 gegen VfB Stuttgart).

1993/1994: VfB-Torwart Eike Immel bestreitet beim 1:0 in Schalke sein 500. Bundesliga-Spiel – so jung war noch keiner bei diesem Jubiläum (33 Jahre, fünf Monate).

1998/1999: Erster Abstieg von Borussia Mönchengladbach nach 1:2 in Freiburg.

1998/1999, 2004/2005, 2007/2008 und 2009/2010: Bayern München wird vorzeitig Deutscher Meister.