Es geschah am 29. Spieltag: HSV-Triumph in München

"Es geschah am 29. Spieltag": In der DFB.de-Serie am Donnerstag blickt der Historiker und Autor Udo Muras zurück auf ein besonderes Ereignis am jeweiligen Spieltag einer früheren Saison. Heute: 1982 siegt der HSV siegt nach 1:3-Rückstand noch 4:3 beim FC Bayern und entscheidet so das Meisterrennen für sich.

Datum: 24. April 1982
Ort: Olympiastadion München
Partie: Bayern München - Hamburger SV 3:4

Wenn in der Bundesliga-Geschichte je eine Begegnung den heute so inflationär angewandeten Begriff vom "Topspiel" verdient gehabt hat, dann gewiss das zwischen den großen Rivalen der frühen Achtziger. Wenn Bayern und der HSV aufeinandertrafen, dann störten alle anderen Partien nur. 1979 war der HSV Meister geworden, 1980 und 1981 hatten die Bayern die Nase vorn. Im Frühjahr 1982 trafen sich die Giganten der Bundesliga im Münchner Olympia-Stadion zum nächsten Show-Down. Zweiter gegen Erster, Meister gegen Vize-Meister. 78.000 Zuschauer fieberten der Leistungsschau des deutschen Fußballs entgegen, was den Bayern 1,6 Millionen DM Einnahmen brachte.

Sieben WM-Kandidaten standen auf dem Feld, natürlich saß Bundestrainer Jupp Derwall auf der Tribüne. Beide Mannschaften hatten bereits anstrengende Wochen hinter sich und waren am Mittwoch zuvor gemeinsam nach rauschenden Ballnächten in ein Europapokalfinale eingezogen: die Bayern (4:0 gegen ZSKA Sofia) im Landesmeister-Cup, der HSV (5:1 gegen Radnicki Nisch) im UEFA-Pokal. Zudem hatten die Bayern das DFB-Pokal-Finale erreicht, der HSV scheiterte im Halbfinale.

Aber der HSV wirkte etwas stabiler in diesen Frühlingstagen 1982, seit neun Spielen war die Happel-Elf ungeschlagen. Die Bayern dagegen hatten sieben Tage zuvor in Frankfurt die Tabellenführung verloren und offenbarten ungewohnte Abwehrprobleme. Im Waldstadion quittierten sie bereits das zweite 3:4 des Monats (zuvor in Sofia) und Trainer Pal Csernai erwog einen Torwartwechsel, doch der Muskelfaserriss von Manfred Müller war noch nicht auskuriert und so stand einmal mehr Walter Junghans zwischen diesem Pfosten.

Beckenbauer musste passen, Kaltz biss auf die Zähne

Auch Franz Beckenbauer, am Abend seiner Karriere noch in Diensten des HSV, musste gegen seinen Ex-Klub passen. Kollege Manfred Kaltz dagegen biss auf die Zähne: "Wegen einer Zerrung in der Kniekehle werde ich doch nicht pausieren, schon gar nicht im Spiel, das vielleicht die Entscheidung um die Meisterschaft bringt."

Pal Csernai rechnete auch mit einer Entscheidung, auch wenn er es nicht hoffte: "Eine Niederlage wäre das Aus im Titelrennen. Drei Punkte Rückstand in sechs Spielen könnten wir nicht mehr aufholen." Mehr Bayern-Arroganz sprach dagegen aus Weltklassestürmer Karl-Heinz Rummenigge, als er HSV-Manager Günter Netzer vor Anpfiff in den Katakomben begegnete: "Günter, Du bist so blass. Hast Du Angst?"



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"Es geschah am 29. Spieltag": In der DFB.de-Serie am Donnerstag blickt der Historiker und Autor Udo Muras zurück auf ein besonderes Ereignis am jeweiligen Spieltag einer früheren Saison. Heute: 1982 siegt der HSV siegt nach 1:3-Rückstand noch 4:3 beim FC Bayern und entscheidet so das Meisterrennen für sich.

Datum: 24. April 1982
Ort: Olympiastadion München
Partie: Bayern München - Hamburger SV 3:4

Wenn in der Bundesliga-Geschichte je eine Begegnung den heute so inflationär angewandeten Begriff vom "Topspiel" verdient gehabt hat, dann gewiss das zwischen den großen Rivalen der frühen Achtziger. Wenn Bayern und der HSV aufeinandertrafen, dann störten alle anderen Partien nur. 1979 war der HSV Meister geworden, 1980 und 1981 hatten die Bayern die Nase vorn. Im Frühjahr 1982 trafen sich die Giganten der Bundesliga im Münchner Olympia-Stadion zum nächsten Show-Down. Zweiter gegen Erster, Meister gegen Vize-Meister. 78.000 Zuschauer fieberten der Leistungsschau des deutschen Fußballs entgegen, was den Bayern 1,6 Millionen DM Einnahmen brachte.

Sieben WM-Kandidaten standen auf dem Feld, natürlich saß Bundestrainer Jupp Derwall auf der Tribüne. Beide Mannschaften hatten bereits anstrengende Wochen hinter sich und waren am Mittwoch zuvor gemeinsam nach rauschenden Ballnächten in ein Europapokalfinale eingezogen: die Bayern (4:0 gegen ZSKA Sofia) im Landesmeister-Cup, der HSV (5:1 gegen Radnicki Nisch) im UEFA-Pokal. Zudem hatten die Bayern das DFB-Pokal-Finale erreicht, der HSV scheiterte im Halbfinale.

Aber der HSV wirkte etwas stabiler in diesen Frühlingstagen 1982, seit neun Spielen war die Happel-Elf ungeschlagen. Die Bayern dagegen hatten sieben Tage zuvor in Frankfurt die Tabellenführung verloren und offenbarten ungewohnte Abwehrprobleme. Im Waldstadion quittierten sie bereits das zweite 3:4 des Monats (zuvor in Sofia) und Trainer Pal Csernai erwog einen Torwartwechsel, doch der Muskelfaserriss von Manfred Müller war noch nicht auskuriert und so stand einmal mehr Walter Junghans zwischen diesem Pfosten.

Beckenbauer musste passen, Kaltz biss auf die Zähne

Auch Franz Beckenbauer, am Abend seiner Karriere noch in Diensten des HSV, musste gegen seinen Ex-Klub passen. Kollege Manfred Kaltz dagegen biss auf die Zähne: "Wegen einer Zerrung in der Kniekehle werde ich doch nicht pausieren, schon gar nicht im Spiel, das vielleicht die Entscheidung um die Meisterschaft bringt."

Pal Csernai rechnete auch mit einer Entscheidung, auch wenn er es nicht hoffte: "Eine Niederlage wäre das Aus im Titelrennen. Drei Punkte Rückstand in sechs Spielen könnten wir nicht mehr aufholen." Mehr Bayern-Arroganz sprach dagegen aus Weltklassestürmer Karl-Heinz Rummenigge, als er HSV-Manager Günter Netzer vor Anpfiff in den Katakomben begegnete: "Günter, Du bist so blass. Hast Du Angst?"

Nun, er sollte jedenfalls Gelegenheit bekommen sich um seinen HSV zu fürchten. Das von Werner Föckler geleitete Spitzenspiel verlief vorerst ganz im Münchner Sinne. Die Hamburger spielten ungewohnt zurückhaltend, was auch Ernst Happel verstimmte: "Ich hatte keine Defensive angeordnet." Nach 23 Minuten feierte Bayern nach einem prächtigen Kopfball von Dieter Hoeneß die Führung und die Wissenschaft einen Triumph. Ein Institut für Bio-Rhythmik hatte die vermeintliche Tagesform aller Spieler untersucht und Dieter Hoeneß ein "Superspiel" prophezeit. Hoeneß ("Ich glaube an solche Dinge") schien es zu beflügeln.

Verteidiger Horsmann schießt eines seiner seltenen Tore

Ganz ohne wissenschaftliche Motivation schlug der ohnehin stets zuversichtliche HSV-Mittelfeldspieler Jimmy Hartwig nach 32 Minuten zurück, nach Flanke von Ditmar Jakobs köpfte er zum 1:1. Obwohl auch sein Einsatz unter besonderen Vorzeichen stand: "Der Trainer hat mir erst am Hotel-Lift gesagt: 'Spezl, heut spielst gegen Rummenigge.' Da hab ich gedacht, das kann ja heiter werden."

Doch Rummenigge wird kein Tor schießen an diesem verregneten April-Samstag vor 30 Jahren, anderen gehört die Bühne. Udo Horsmann etwa, der unscheinbare Linksverteidiger der Bayern, schließt nach 36 Minuten ein Solo mit einem harten Flachschuss zum 2:1 ab und erfüllt seine Anforderungen: "Es wird Zeit dass ich mal wieder ein Tor mache." Drei Tore bei Halbzeit, zwei für die Gastgeber und ein ansehnliches Spiel – da prasselt für die Akteure viel Beifall von den Rängen auf dem Gang in die Kabinen.

Der Kicker wird später dennoch feststellen, dass "haarsträubende Fehler auf beiden Seiten, wie sie bei einem Spiel zweier absoluter Spitzenteams nicht zu erwartet wären", das Niveau getrübt hätten. Womit wir in der 65. Minute wären, als ein unglaubliches Tor fiel. Dieter Hoeneß, der Mann mit dem günstigen Bio-Rhythmus, verlängerte eine Dremmler-Flanke mit dem Hinterkopf und der Ball kam keineswegs fest auf das HSV-Tor. Das hütete Uli Stein, dem die Wissenschaftler einen "absoluten Tiefpunkt" vorausgesagt hatten.

"Erst das dumme dritte Tor hat uns so richtig wach gemacht"

Und nun war er gekommen, der Tiefpunkt. Stein glaubte der Ball würde am Tor vorbeihüpfen, aber er schlug neben dem Pfosten ein. 3:1 – Tor, Sieg Meisterschaft? Es sah ganz danach aus. Doch nun endlich spielte der HSV wie ein Meister. "Erst das dumme dritte Tor hat uns so richtig wach gemacht", erzählt Kaltz später. Zeit war ja noch. Das Signal zur Wende gab Thomas von Heesen, damals auch auf dem Sprung zum Nationalspieler, der er doch nie werden sollte. Dabei hatte sein Tor absolute WM-Reife: Am eigenen Strafraum schnappte er sich den Ball nach Rummenigges Fehlpass und als er sich wieder von ihm trennte, lag er hinter Junghans im Bayern-Tor.

Ein 60-Meter-Solo brachte die Wende, Bayern geriet ins Wanken. Csernai nicht, weder er noch Kollege Happel wechselten aus, niemand zog den Joker. Der HSV brauchte auch keinen, sein Matchwinner tauchte noch rechtzeitig auf: Kopfball-Ungeheuer Horst Hrubesch, der Führende in der Torjägerliste. 75 Minuten war er nicht zu sehen, dann kam er nach Doppelpass von Lars Bastrup aus 13 Metern mal mit dem Fuß zum Abschluss – 3:3. Alles offen, plötzlich war der HSV wieder Tabellenführer. Walter Junghans klagte: "Statt den Vorsprung zu halten, wurde der Ball planlos nach vorne gespielt."

Kopfball-Ungeheuer Hrubesch sorgt für die Entscheidung

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Auch Paul Breitner, obwohl in guter Verfassung, konnte das Bayern-Unheil nicht mehr abwenden. Es sollte noch schlimmer kommen: in der 90. Minute bekamen die Hamburger einen Freistoß, den Felix Magath auf den Kopf von Hrubesch zirkelte. Egal, dass Horsmann und Klaus Augenthaler ihn bedrängten – Hrubesch setzte sich durch. 3:4 mit dem Schlusspfiff – was für ein Finale furioso. Erstmals seit 43 Spielen hatten die Bayern zuhause wieder verloren, der HSV stellte die Weichen für die Meisterschaft. Bayern-Präsident Fritz Scherer wollte Happel auf der Pressekonferenz schon gratulieren und einen Champagner überreichen. Der Grantler aus Wien lehnte dankend ab ("Wir dürfen jetzt nicht übermütig werden"), sagte aber ungewohnt forsch: "Wenn wir jetzt nicht Meister werden, dann werden wir es nie!"

Die Bayern leckten ihre Wunden, Csernai hakte die Meisterschaft ab und sagte: "Jetzt konzentrieren wir uns auf unsere beiden Endspiele." Immerhin der DFB-Pokal (4:2 gegen Nürnberg) sollte noch heraus springen für den Rekordmeister, der dem HSV auch 1983 den Vortritt im Meisterrennen lassen musste. Aber einen Sieg in München gönnte er ihm 24 Jahre lang nicht mehr. Eine bedeutsame Entscheidung fiel übrigens bereits an diesem Tag: Die deutsche Sängerin Nicole gewann am Abend im englischen Harrogate den Eurovision Song Context mit "Ein bisschen Frieden". Damit hielt sie sich auch in Deutschland fünf Wochen auf Platz eins – genauso lang wie der HSV.

Was sonst noch am 29. Spieltag geschah:

1965/1966: 1860 München gewinnt in Neunkirchen 9:1. Auswärtstorrekord in der Bundesliga (noch 2x eingestellt).

1967/1968: Höchster Bundesliga-Sieg des MSV Duisburg (7:0 gegen Kaiserslautern).

1973/1974: Bundesliga-Debüt von Trainer Otto Rehhagel (mit Offenbach 2:2 gegen Bochum).

1974/1975: Abstieg des Wuppertaler SV nach 1:1 in Braunschweig.

1979/1980: HSV-Trainer Branko Zebec sitzt in Dortmund (2:2) betrunken auf der Bank.

1996/1997: Werder-Torwart Oliver Reck wird in Leverkusen (1:2) von einem Schoko-Riegel getroffen, spielt aber durch.

1999/2000: Golfball-Attentat auf Bayern-Torwart Oliver Kahn in Freiburg. Er spielt auch durch.

2001/2002: Werder-Torwart Frank Rost trifft nach einer Ecke beim 4:3 gegen Hansa Rostock.

2003/2004: Schalkes Mike Hanke trifft gegen Leverkusen aus dem Anstoßkreis, da Torwart Butt vom Torjubel noch nicht zurückgekehrt ist.

2008/2009: Nach einer 0:1-Heimniederlage gegen Schalke entlässt Bayern München Trainer Jürgen Klinsmann.

2009/2010: Mit sieben Platzverweisen wird der Bundesliga-Rekord für einen Spieltag eingestellt.