Es geschah am 23. Spieltag: Ein Hattrick und ein Torverzicht

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"Es geschah am 23. Spieltag": In der DFB.de-Serie am Donnerstag blickt der Historiker und Autor Udo Muras zurück auf ein besonderes Ereignis am jeweiligen Spieltag einer früheren Saison. Heute: Leverkusens Arne-Larsen Ökland erledigt die Bayern mit drei Toren - und verzichtet auf ein viertes.

Datum: Samstag, 7. März 1981
Ort: Ulrich-Haberland-Stadion Leverkusen
Partie: Bayer Leverkusen – FC Bayern 3:0

Erst zum zweiten Mal in seiner Bundesliga-Historie empfing Bayer 04 Leverkusen den FC Bayern München. Schon die Premiere im Vorjahr hatte dem späteren Meister nicht geschmeckt, die Werkself mit 1:0 gewonnen. Das sollte sich aus Münchner Sicht möglichst nicht wiederholen, im Zweikampf mit Tabellenführer HSV zählte jeder Punkt. Beim seit zwölf Spielen sieglosen Tabellendreizehnten aus Leverkusen lautete die Bayern-Parole folglich Auswärtssieg, auch wenn das dem Team von Trainer Pal Csernai in den fünf Gastspielen zuvor nicht gelungen war.

Das Ulrich-Haberland-Stadion meldete an diesem ersten Samstag im März 1981 Rekordbesuch mit 16.000 Zuschauern, war aber keineswegs ausverkauft. Ein volles Haus bei einem Bayern-Gastspiel war damals noch keine Selbstverständlichkeit. Csernai bot alle Stars jener Epoche auf, der man später das Etikett der „Breitnigge-Zeit“ anhaftete. Die Nationalspieler Paul Breitner und Karl-Heinz Rummenigge verkörperten Weltklasse und regierten den FC Bayern in den frühen Achtzigern, in ihrem Windschatten avancierten auch Spieler wie Wolfgang Dremmler und Kurt Niedermayer zu Nationalspielern. Andere wie Klaus Augenthaler sollten es noch werden.

Und Leverkusen? Eine Ansammlung von Namenlosen. Nur Thomas Hörster sollte es viele Jahre später zum Nationalspieler bringen, mit Dieter Herzog saß noch ein gealterter Weltmeister von 1974 auf der Bank. Zehn Deutsche und ein Ausländer trugen das Trikot der Werkself, völlig normal in diesen Zeiten. Mehr als zwei Legionäre erlaubten die Statuten nicht. Aber der Exot, für den Bayer im Sommer 200.000 D-Mark hingelegt hatte, um ihn vom FC Bryne auszulösen, war sein Geld wert. Spätestens seit jenem Samstag, als die Fußballwelt Arne-Larsen Ökland kennenlernen sollte.

Schlagartig wurde er berühmt. Binnen 24 Minuten schoss der Norweger unter den Augen seines eigens angereisten Nationaltrainers gegen desolat verteidigende Bayern drei Tore und damit einen klassischen Hattrick. Erbost wechselte Csernai beide Innenverteidiger aus und stellte Klaus Augenthaler und Jan-Einar Aas, der noch am selben Tag verkauft wurde, an den Pranger.

Wer so etwas bewirkt, verdient Beifall. Das allein hätte Ökland schon gereicht, um ein paar Tage im Gespräch zu bleiben. Doch beständigen Nachruf verdiente sich der gelernte Steuerrevisor durch ein Tor, das nicht zählte. Durch ein absolutes Bundesliga-Novum, das ihm den Fairplay-Preis der FIFA eingebracht hätte, wenn es den schon gegeben hätte.

Es lief die 72. Minute, als etwas geschah „was es in der Bundesliga so noch nie gegeben hat“, wie ARD-Kommentator Fritz von Thurn und Taxis sagte. Wieder einmal kam von rechts eine Flanke von Wolfgang Vöge vor das Bayern-Tor, und Ökland war schneller als sein Widersacher. Aus kurzer Distanz schoss er den Ball ans Außennetz, das sich kräftig beulte. Die Zuschauer auf der Tribüne jubelten, und auch Schiedsrichter Werner Horeis hatte aus seiner Perspektive den Eindruck, der Ball sei im Tor gewesen. Er zeigte zur Mitte, wo alsbald auch der Ball zum Wiederanstoß lag.

Doch die Bayern-Leader Breitner und Rummenigge protestierten so heftig, dass Ökland das Gewissen plagte. Der 26-Jährige ging zu Horeis und soll ihm gesagt haben: „Ich will Ihnen helfen, weil Sie so gut gepfiffen haben. Es war kein Tor, ich habe nur das Außennetz getroffen.“ Horeis drückte Ökland die Hand und annullierte das Tor. Kalle Rummenigge schüttelte den Kopf, bedankte sich dann aber auch bei Ökland, der hinterher natürlich von der Presse umringt war. „Wenn es kein Tor war, muss ich das auch sagen“, sagte er Ungewöhnliches für Reporterohren, die solche Sätze im harten Bundesligageschäft wohl noch nie gehört hatten.

Natürlich kam dann die Frage auf, ob er auch beim Stande von 0:0 auf sein Tor verzichtet hätte. „Doch, ich glaube schon“, sagte Ökland, der mit seinen Gedanken schon ganz woanders war. Er wollte unbedingt seine Frau anrufen, damit die den Videorekorder programmiere. Ausschnitte seines großen Auftritts kamen ja anschließend in der ARD-Sportschau, und die konnte der Held des Tages nicht sehen, da er bereits ins ZDF-Sportstudio eingeladen war. Doch in der Aufregung fiel ihm seine eigene Telefonnummer nicht mehr ein. Wie das eben so kommt, wenn man unverhofft im Rampenlicht steht. Das Medien-Echo war gewaltig. „Seit Samstag darf man wieder an die Fairness in der Bundesliga glauben“, schrieb etwa die Münchner tz. Und Schiedsrichter Horeis lobte: „Ich habe Hochachtung vor einem Spieler, der so wie Ökland handelt.“

1988 eiferte ihm der Bremer Frank Ordenewitz nach, als er ein Handspiel im Strafraum zugab, was zum Elfmeter und Gegentor führte. Auch da muss einschränken gesagt werden, dass Werder bereits Meister war. Dennoch erhielt „Otze“ den Fairplay-Preis. Arne-Larsen Ökland, der 1983 nach 43 Bundesliga-Toren in seine Heimat zurück kehrte, brauchte keinen Preis, um unvergessen zu bleiben. Gelegentlich wird er vor Spielen zwischen Leverkusen und den Bayern noch interviewt. 1995 etwa sagte er dem Kicker: „Es ist nicht immer einfach, zum Schiedsrichter zu gehen und zu sagen, dass etwas anders war, als er es gesehen hat. Aber ich finde, Ehrlichkeit und Gerechtigkeit müssen immer vorgehen, sonst verliert der Sport seine Popularität.“

Was sonst noch am 23. Spieltag geschah

1963/1964: Schützenfest an der Grünwalder Straße – 1860 München schlägt den HSV 9:2.

1972/1973: Der 1. FC Köln setzt aus Personalnot in Braunschweig (0:2) Manager Karl-Heinz Thielen ein. Ein Bundesliga-Novum.

1975/1976: Otto Rehhagel sitzt beim 0:2 in Karlsruhe erstmals auf Bremens Bank. Kollege Max Merkel fliegt auf Schalke nach 2:3 bei den Bayern.

1976/1977: 1. FC Köln und TeBe Berlin erfinden ein neues Bundesliga-Ergebnis – 8:4!

1983/1984: Dieter Hoeneß schießt beim 6:0 gegen Braunschweig fünf Tore in 22 Minuten – Rekord.

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1989/1990: Kalli Feldkamps Comeback als Kaiserslautern-Trainer missglückt – 1:3 gegen den HSV.

1989/1990: Eintracht Frankfurt gegen FC Bayern München 1:2. Erster Bayern-Sieg im Waldstadion seit 19 Jahren.

1995/1996: Höchste Heimniederlage des VfB Stuttgart – 0:5 gegen Dortmund.

1997/1998: Erster Hertha-Sieg gegen Bayern München nach 20 Jahren, mit 2:1 – Berlins Michael Preetz trifft für beide Mannschaften.

1999/2000: Wolfsburg und der HSV trennen sich 4:4 – VfL-Spieler Zoltan Sebescen schießt drei Tore.

2007/2008: VfB Stuttgart demontiert Titelaspirant Werder 6:3 – Mario Gomez schießt drei Tore.

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"Es geschah am 23. Spieltag": In der DFB.de-Serie am Donnerstag blickt der Historiker und Autor Udo Muras zurück auf ein besonderes Ereignis am jeweiligen Spieltag einer früheren Saison. Heute: Leverkusens Arne-Larsen Ökland erledigt die Bayern mit drei Toren - und verzichtet auf ein viertes.

Datum: Samstag, 7. März 1981
Ort: Ulrich-Haberland-Stadion Leverkusen
Partie: Bayer Leverkusen – FC Bayern 3:0

Erst zum zweiten Mal in seiner Bundesliga-Historie empfing Bayer 04 Leverkusen den FC Bayern München. Schon die Premiere im Vorjahr hatte dem späteren Meister nicht geschmeckt, die Werkself mit 1:0 gewonnen. Das sollte sich aus Münchner Sicht möglichst nicht wiederholen, im Zweikampf mit Tabellenführer HSV zählte jeder Punkt. Beim seit zwölf Spielen sieglosen Tabellendreizehnten aus Leverkusen lautete die Bayern-Parole folglich Auswärtssieg, auch wenn das dem Team von Trainer Pal Csernai in den fünf Gastspielen zuvor nicht gelungen war.

Das Ulrich-Haberland-Stadion meldete an diesem ersten Samstag im März 1981 Rekordbesuch mit 16.000 Zuschauern, war aber keineswegs ausverkauft. Ein volles Haus bei einem Bayern-Gastspiel war damals noch keine Selbstverständlichkeit. Csernai bot alle Stars jener Epoche auf, der man später das Etikett der „Breitnigge-Zeit“ anhaftete. Die Nationalspieler Paul Breitner und Karl-Heinz Rummenigge verkörperten Weltklasse und regierten den FC Bayern in den frühen Achtzigern, in ihrem Windschatten avancierten auch Spieler wie Wolfgang Dremmler und Kurt Niedermayer zu Nationalspielern. Andere wie Klaus Augenthaler sollten es noch werden.

Und Leverkusen? Eine Ansammlung von Namenlosen. Nur Thomas Hörster sollte es viele Jahre später zum Nationalspieler bringen, mit Dieter Herzog saß noch ein gealterter Weltmeister von 1974 auf der Bank. Zehn Deutsche und ein Ausländer trugen das Trikot der Werkself, völlig normal in diesen Zeiten. Mehr als zwei Legionäre erlaubten die Statuten nicht. Aber der Exot, für den Bayer im Sommer 200.000 D-Mark hingelegt hatte, um ihn vom FC Bryne auszulösen, war sein Geld wert. Spätestens seit jenem Samstag, als die Fußballwelt Arne-Larsen Ökland kennenlernen sollte.

Schlagartig wurde er berühmt. Binnen 24 Minuten schoss der Norweger unter den Augen seines eigens angereisten Nationaltrainers gegen desolat verteidigende Bayern drei Tore und damit einen klassischen Hattrick. Erbost wechselte Csernai beide Innenverteidiger aus und stellte Klaus Augenthaler und Jan-Einar Aas, der noch am selben Tag verkauft wurde, an den Pranger.

Wer so etwas bewirkt, verdient Beifall. Das allein hätte Ökland schon gereicht, um ein paar Tage im Gespräch zu bleiben. Doch beständigen Nachruf verdiente sich der gelernte Steuerrevisor durch ein Tor, das nicht zählte. Durch ein absolutes Bundesliga-Novum, das ihm den Fairplay-Preis der FIFA eingebracht hätte, wenn es den schon gegeben hätte.

Es lief die 72. Minute, als etwas geschah „was es in der Bundesliga so noch nie gegeben hat“, wie ARD-Kommentator Fritz von Thurn und Taxis sagte. Wieder einmal kam von rechts eine Flanke von Wolfgang Vöge vor das Bayern-Tor, und Ökland war schneller als sein Widersacher. Aus kurzer Distanz schoss er den Ball ans Außennetz, das sich kräftig beulte. Die Zuschauer auf der Tribüne jubelten, und auch Schiedsrichter Werner Horeis hatte aus seiner Perspektive den Eindruck, der Ball sei im Tor gewesen. Er zeigte zur Mitte, wo alsbald auch der Ball zum Wiederanstoß lag.

Doch die Bayern-Leader Breitner und Rummenigge protestierten so heftig, dass Ökland das Gewissen plagte. Der 26-Jährige ging zu Horeis und soll ihm gesagt haben: „Ich will Ihnen helfen, weil Sie so gut gepfiffen haben. Es war kein Tor, ich habe nur das Außennetz getroffen.“ Horeis drückte Ökland die Hand und annullierte das Tor. Kalle Rummenigge schüttelte den Kopf, bedankte sich dann aber auch bei Ökland, der hinterher natürlich von der Presse umringt war. „Wenn es kein Tor war, muss ich das auch sagen“, sagte er Ungewöhnliches für Reporterohren, die solche Sätze im harten Bundesligageschäft wohl noch nie gehört hatten.

Natürlich kam dann die Frage auf, ob er auch beim Stande von 0:0 auf sein Tor verzichtet hätte. „Doch, ich glaube schon“, sagte Ökland, der mit seinen Gedanken schon ganz woanders war. Er wollte unbedingt seine Frau anrufen, damit die den Videorekorder programmiere. Ausschnitte seines großen Auftritts kamen ja anschließend in der ARD-Sportschau, und die konnte der Held des Tages nicht sehen, da er bereits ins ZDF-Sportstudio eingeladen war. Doch in der Aufregung fiel ihm seine eigene Telefonnummer nicht mehr ein. Wie das eben so kommt, wenn man unverhofft im Rampenlicht steht. Das Medien-Echo war gewaltig. „Seit Samstag darf man wieder an die Fairness in der Bundesliga glauben“, schrieb etwa die Münchner tz. Und Schiedsrichter Horeis lobte: „Ich habe Hochachtung vor einem Spieler, der so wie Ökland handelt.“

1988 eiferte ihm der Bremer Frank Ordenewitz nach, als er ein Handspiel im Strafraum zugab, was zum Elfmeter und Gegentor führte. Auch da muss einschränken gesagt werden, dass Werder bereits Meister war. Dennoch erhielt „Otze“ den Fairplay-Preis. Arne-Larsen Ökland, der 1983 nach 43 Bundesliga-Toren in seine Heimat zurück kehrte, brauchte keinen Preis, um unvergessen zu bleiben. Gelegentlich wird er vor Spielen zwischen Leverkusen und den Bayern noch interviewt. 1995 etwa sagte er dem Kicker: „Es ist nicht immer einfach, zum Schiedsrichter zu gehen und zu sagen, dass etwas anders war, als er es gesehen hat. Aber ich finde, Ehrlichkeit und Gerechtigkeit müssen immer vorgehen, sonst verliert der Sport seine Popularität.“

Was sonst noch am 23. Spieltag geschah

1963/1964: Schützenfest an der Grünwalder Straße – 1860 München schlägt den HSV 9:2.

1972/1973: Der 1. FC Köln setzt aus Personalnot in Braunschweig (0:2) Manager Karl-Heinz Thielen ein. Ein Bundesliga-Novum.

1975/1976: Otto Rehhagel sitzt beim 0:2 in Karlsruhe erstmals auf Bremens Bank. Kollege Max Merkel fliegt auf Schalke nach 2:3 bei den Bayern.

1976/1977: 1. FC Köln und TeBe Berlin erfinden ein neues Bundesliga-Ergebnis – 8:4!

1983/1984: Dieter Hoeneß schießt beim 6:0 gegen Braunschweig fünf Tore in 22 Minuten – Rekord.

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1989/1990: Kalli Feldkamps Comeback als Kaiserslautern-Trainer missglückt – 1:3 gegen den HSV.

1989/1990: Eintracht Frankfurt gegen FC Bayern München 1:2. Erster Bayern-Sieg im Waldstadion seit 19 Jahren.

1995/1996: Höchste Heimniederlage des VfB Stuttgart – 0:5 gegen Dortmund.

1997/1998: Erster Hertha-Sieg gegen Bayern München nach 20 Jahren, mit 2:1 – Berlins Michael Preetz trifft für beide Mannschaften.

1999/2000: Wolfsburg und der HSV trennen sich 4:4 – VfL-Spieler Zoltan Sebescen schießt drei Tore.

2007/2008: VfB Stuttgart demontiert Titelaspirant Werder 6:3 – Mario Gomez schießt drei Tore.