"Erinnerung ist noch immer sehr emotional"

Moldenhauer: Ja, damals war ich zum ersten Mal als DFB-Vertreter im Einsatz. Hermann Neuberger hatte keine Zeit, deshalb hat er mich zum Endspiel nach Lissabon geschickt, Bremen gegen Monaco. Ich habe gestaunt, ich saß neben Fürst Rainier und Prinz Albert. Die haben immer nur auf mein Namensschild geschaut, weil sie nichts mit mir anfangen konnten.

DFB.de: Am 21. November 1990 kam es dann zur Fußball-Einheit. Wie haben Sie diesen Tag in Leipzig erlebt?

Moldenhauer: Ich hatte damals zum richtigen Zeitpunkt die richtige Idee. Ich habe gedacht: Es ist so ein fantastischer Tag, was kannst du als bleibende Erinnerung mitbringen? DDR war für viele Trabi-Land. Darum habe ich einen besorgt, ihn schwarz-rot-gold lackieren lassen, die Verbandslogos anbringen lassen. Wenn die Menschen heute an diesen Tagen denken, denken sie an den Handschlag am Trabi. Das ist geblieben.

DFB.de: Waren Sie nervös an diesen entscheidenden Tagen?

Moldenhauer: Es war unglaublich. Zunächst schließt man ein Kapitel ab. Es waren immerhin 40 Jahre Fußball mit Länderspielen, mit Europapokalspielen, mit einer eigenen Liga, mit großen Spielern. All das hatte den Menschen in der DDR viel bedeutet, mir ja auch. Das war sehr emotional. Als die Auflösung des Verbands vormittags beschlossen war, bin ich in Leipzig in mein Hotelzimmer gegangen und brauchte erst mal ein paar Momente für mich allein. Und nachmittags haben wir dann den Nordostdeutschen Fußball-Verband gegründet. Ein neues Kapitel. Dann saßen wir abends mit den DFB-Leuten in Auerbachs Keller zusammen. Und waren ein Teil des Ganzen. Am anderen Tag hat dann beim außerordentlichen Bundestag die Vereinigung stattgefunden.

DFB.de: Gibt es etwas, das Ihnen in besonderer Erinnerung geblieben ist?

Moldenhauer: Ich weiß noch von unserem gemeinsamen Abend, dass die Delegierte von DFV und DFB in unterschiedlichen Hotels untergebracht waren. Auf einmal gingen die Türen auf und aus beiden Hotels kamen die Leute zusammen. „Wir sind das Volk“ haben einige sogar gerufen. Bei einem Glas Bier oder Wein fand dann schon so etwas wie die Vereinigung statt. Dieser Abend ist, glaube ich, vielen lange in Erinnerung geblieben.

DFB.de: Sie sind NOFV-Präsident, waren lange auch DFB-Vizepräsident. Wie fällt Ihre Zwischenbilanz aus nach den ersten 20 gemeinsamen Jahren?



[bild1]

Hans-Georg Moldenhauer war der letzte Präsident des DFV, bevor es zur Wiedervereinigung kam. Im DFB.de-Interview mit Redakteur Gereon Tönnihsen spricht der heutige DFB-Ehrenvizepräsident über die Zeit des Zusammenschluss des DFV und des DFB und seine ganz persönlichen Erinnerungen an diese Zeit.

DFB.de: Herr Dr. Moldenhauer, mit welchen Gefühlen denken Sie in an die Erlebnisse der Jahre 1989/1990 zurück?

Dr. Moldenhauer: Die Erinnerung an damals ist noch immer sehr emotional. In der ersten Zeit, als die Mauer gefallen war, haben wir gleich versucht, Kontakte zu knüpfen. Es gab zum Beispiel Treffen, heute in Magdeburg, morgen in Hildesheim. Die Einheit war am Horizont schon zu sehen. Und dann kam die Frage auf: Wie geht es denn jetzt weiter? Ich war damals im Bezirksfachausschuss in Magdeburg, also in der Vertretung des Breitensports, tätig, die Profivereine waren direkt an den DFV angeschlossen. Im März 1990 war der erste Verbandstag mit freien Wahlen. Wir wollten uns positionieren. Ich habe dann die anderen Vorsitzenden der Bezirksfachausschüsse dann nach Magdeburg geladen, dort haben wir uns getroffen. Ich hatte zehn Punkte formuliert, die wir beim Verbandstag vorbringen wollten. Entscheidender Punkt war die möglichst schnelle Einheit des deutschen Fußballs. Diesen Plan haben wir dann nach Berlin zum DFV geschickt mit der Bitte um Berücksichtigung für den Verbandstag. Meine Kollegen drängten dann darauf, dass ich als Breitensport-Vertreter ins Präsidium aufgenommen werden sollte. Es war eine wilde Demokratie damals. Aber ich wurde tatsächlich als Gast ohne Stimmrecht zu den Präsidiumssitzungen geladen.

DFB.de: Im März wurden Sie dann DFV-Präsident – eine kalkulierte Entscheidung?

Moldenhauer: Nein, es hieß dann von Seiten meiner Kollegen: Wir haben Demokratie, also kann sich nicht nur einer zur Wahl stellen. Dann kam die Frage: Machst du das? Und ich habe gesagt: Mach’ ich. Damit war ich ein von der Basis benannter Kandidat. Ich hatte gar nicht damit gerechnet, gewählt zu werden. Es ging vielmehr darum, Dampf unterm Kessel zu machen, für unsere Forderungen einzustehen. Es gab zwei Kandidaten, Günter Schneider vom DFV, ein Profi und Kandidat des Präsidiums, und mich. Ich war der Außenseiter, habe überhaupt keinen Wahlkampf gemacht. Vielleicht war gerade das mein Vorteil. Viele wollten nicht mehr gesagt bekommen, wenn sie wählen sollten. Und plötzlich war ich Präsident des DFV der DDR.

DFB.de: Wie ging es weiter?

Moldenhauer: Die Wahl war an einem Samstag, ich habe mir dann erst mal den Montag freigenommen und bin in die DFV-Zentrale gefahren. Dort saßen 67 Hauptamtliche. Die wollten wissen, wie es weitergeht. Nach dem Motto „Wir sitzen alle in einem Boot – wie können wir das Schiff lenken?“ Entscheidend war vor allem die Frage: Wie können wir unseren Verband in die schwierige Aufgabe der Wiedervereinigung einbringen? Dabei durfte es nicht um Personen gehen, um einzelne Interessen. Wir hatten eine Verantwortung gegenüber Spielern, Klubs, gegenüber jedem Mitglied.

DFB.de: Sie haben sich von Beginn an für eine möglichst schnelle Wiedervereinigung auch im Fußball eingesetzt. Warum?

Moldenhauer: Aus vielerlei Gründen: Es herrschte Reisefreiheit, viele Spieler sind in den Westen gewechselt, es drohte ein Ausbluten der Vereine. Auch war es wichtig, so schnell wie möglich, Strukturen aufzubauen, im Leistungsbereich, aber auch im Breitensport: Trainer, Training, Schulen. Das konnte nur durch eine Zusammenarbeit mit dem DFB gelingen.

DFB.de: Mussten Sie viel Überzeugungsarbeit leisten?

Moldenhauer: Ja, das hatte ich so nicht erwartet. Ich hatte gedacht, alle denken so wie ich. Aber es gab noch einige, gerade aus dem Leistungsbereich, die sagten: Warum können wir nicht so ein Modell fahren wie in Großbritannien, mit zwei selbstständigen Verbänden. Diesen Argumenten sind damals viele gefolgt. Es war ja auch klar, dass die eigenen Startplätze im Europapokal wegfallen würde, dass es nicht einfach werden würde, sich in den Spielbetrieb der Bundesliga einzugliedern. Die meisten Leute haben wir überzeugen können.

DFB.de: Wie bereitet man einen Verband auf so ein umwälzendes Ereignis vor?

Moldenhauer: Naja, viel geschlafen habe ich in der Zeit nicht. Es hat viele Gespräche mit den Bezirken gegeben, denn es ging zunächst vor allem darum, die Landesverbände aufzubauen, um ein tragfähiges Gerüst zu haben. Nur so kann ja auch der geregelte Spielbetrieb funktionieren. Wir hatten zum Beispiel schon eine Fußball-Auswahl Thüringens noch bevor es das Bundesland gab. Der DFB hat uns ausgestattet, etwa mit Computern, die wir vorher noch nicht in dieser Zahl hatten. Außerdem gab es Patenschaften der Landesverbände: Zum Beispiel Niedersachsen mit Sachsen-Anhalt oder Schlewsig-Holstein mit Mecklenburg-Vorpommern. Auch bei den Vereinen im Spitzenbereich: Werder Bremen mit Hansa Rostock, der Hamburger SV und Bayern München mit Dynamo Dresden. Auch bei vielen kleineren Vereinen wurden schnell Kontakte geknüpft, gerade in grenznahen Gebieten hat es schon sehr früh Spiele gegeben. So hat man sich Stück für Stück angenähert.

[bild2]

DFB.de: Was ist denn das Entscheidende in solcher einer Zeit: Strukturelle Aufbauarbeit oder Aufbauarbeit in den Köpfen der Menschen?

Moldenhauer: Beides ist ohne das andere nicht denkbar. Es war wichtig, ein Ziel vor Augen zu haben, die Einheit Deutschlands. Diese wollten die meisten von uns so schnell und so gut wie möglich erreichen. Auch im Fußball. Uns war klar, dass dies nicht immer ohne Probleme ablaufen würde, dafür war es eine zu große Aufgabe. Man muss sich das vorstellen: Wir haben mitten in der Saison beschlossen, wie in den neuen Landesverbänden unbürokratisch die Spielklassen unterhalb der Oberliga neu geordnet werden. Dabei kommt es zu Reibungen. Auch in der Oberliga galt es einiges zu ordnen: Wir sind mit der letzten DDR-Meisterschaft als Landesmeisterschaft gestartet und haben als Regionalmeisterschaft des DFB aufgehört. Da war es meine Aufgabe, im Dialog mit der UEFA zu erreichen, dass die Mannschaften in der kommenden Saison noch im internationalen Wettbewerb mitspielen konnten. Das heißt, Deutschland war dann in einer Saison mit zehn Mannschaften im Europapokal vertreten, sechs aus dem Westen, vier aus dem Osten.

DFB.de: Mit dem krönenden Abschluss, dass Werder Bremen sogar den Pokal der Pokalsieger gewonnen hat.

Moldenhauer: Ja, damals war ich zum ersten Mal als DFB-Vertreter im Einsatz. Hermann Neuberger hatte keine Zeit, deshalb hat er mich zum Endspiel nach Lissabon geschickt, Bremen gegen Monaco. Ich habe gestaunt, ich saß neben Fürst Rainier und Prinz Albert. Die haben immer nur auf mein Namensschild geschaut, weil sie nichts mit mir anfangen konnten.

DFB.de: Am 21. November 1990 kam es dann zur Fußball-Einheit. Wie haben Sie diesen Tag in Leipzig erlebt?

Moldenhauer: Ich hatte damals zum richtigen Zeitpunkt die richtige Idee. Ich habe gedacht: Es ist so ein fantastischer Tag, was kannst du als bleibende Erinnerung mitbringen? DDR war für viele Trabi-Land. Darum habe ich einen besorgt, ihn schwarz-rot-gold lackieren lassen, die Verbandslogos anbringen lassen. Wenn die Menschen heute an diesen Tagen denken, denken sie an den Handschlag am Trabi. Das ist geblieben.

DFB.de: Waren Sie nervös an diesen entscheidenden Tagen?

Moldenhauer: Es war unglaublich. Zunächst schließt man ein Kapitel ab. Es waren immerhin 40 Jahre Fußball mit Länderspielen, mit Europapokalspielen, mit einer eigenen Liga, mit großen Spielern. All das hatte den Menschen in der DDR viel bedeutet, mir ja auch. Das war sehr emotional. Als die Auflösung des Verbands vormittags beschlossen war, bin ich in Leipzig in mein Hotelzimmer gegangen und brauchte erst mal ein paar Momente für mich allein. Und nachmittags haben wir dann den Nordostdeutschen Fußball-Verband gegründet. Ein neues Kapitel. Dann saßen wir abends mit den DFB-Leuten in Auerbachs Keller zusammen. Und waren ein Teil des Ganzen. Am anderen Tag hat dann beim außerordentlichen Bundestag die Vereinigung stattgefunden.

DFB.de: Gibt es etwas, das Ihnen in besonderer Erinnerung geblieben ist?

Moldenhauer: Ich weiß noch von unserem gemeinsamen Abend, dass die Delegierte von DFV und DFB in unterschiedlichen Hotels untergebracht waren. Auf einmal gingen die Türen auf und aus beiden Hotels kamen die Leute zusammen. „Wir sind das Volk“ haben einige sogar gerufen. Bei einem Glas Bier oder Wein fand dann schon so etwas wie die Vereinigung statt. Dieser Abend ist, glaube ich, vielen lange in Erinnerung geblieben.

DFB.de: Sie sind NOFV-Präsident, waren lange auch DFB-Vizepräsident. Wie fällt Ihre Zwischenbilanz aus nach den ersten 20 gemeinsamen Jahren?

Moldenhauer: Es wird leider immer als erstes darauf geschaut, wie viele Vereine derzeit in der Bundesliga spielen. Natürlich kann uns das Niveau im Moment nicht zufrieden stellen, es ist sogar der Tiefstand, was die Zahl der Mannschaften angeht. Aber das, wofür der Verband sorgen kann, nämlich zum Beispiel stabile Landesverbände aufzubauen, das kann sich wirklich sehen lassen. Wir haben 90 Stützpunkte in den Ost-Bundesländern, 15 sportbetonte Schulen, 300 Honorartrainer über den DFB im Einsatz. Die Fußballschule in Leipzig wäre damals geschlossen worden, doch mit Hilfe des DFB haben wir sie retten können. Ich habe sie dann fünf Jahre geleitet, dann hat sie der Sächsische Fußballverband übernommen. In der Summe haben wir etwa 35 Millionen Euro aus dem Westen bekommen, das meiste wurde in die Infrastruktur gesteckt. Das war sehr wichtig. Deshalb wissen wir, dass der eingeschlagene Weg der richtige war und ist.