EM-Ball von adidas: Der nächste Tango

Oben rechts ins Eck. Einmal, 20-mal, 100-mal. Mit erstaunlicher Präzision fliegt der Ball wieder und wieder in den Winkel – als würde ein Roboter das Ganze steuern. Kein Wunder, denn so ist es auch. Weitgehend. Die Kunstschüsse sind Teil des Testprogramms, das jeder neu entwickelte Ball aus dem Hause adidas zu durchlaufen hat. Der Roboter hört auf den Namen "Robi-leg", er ist in der Lage, jeden erdenklichen Schuss beliebig oft und ohne jede Abweichung zu reproduzieren. Innenseite, Pieke, Vollspann, Außenrist, Regen, Wärme, Kälte – alles kein Problem für den Roboterfuß. Den Rest muss der Ball machen – den Rest macht der Ball. Bei Hunderten Schüssen in Herzogenaurach saust er aus 22 Metern mit einer maximalen Abweichung von 20 Zentimetern ins Ziel. Traumtor reiht sich an Traumtor. Test bestanden. Diesen Test, den finalen Test. Doch bevor die Bälle in den Genuss der Behandlung durch den Roboterfuß kommen, müssen sie alle erdenklichen Prüfungen erfolgreich absolvieren.

Der Reihe nach, zurückspulen, alles auf Anfang. Es ist Mittag in Franken, die Sonne brennt. Im Souterrain des "Lace", des neuen architektonischen Schmuckstücks auf den adidas-Campus "World of Sports" in Herzogenaurach, wird für gewöhnlich hinter verschlossenen Türen und unter strenger Geheimhaltung gearbeitet. Heute gewährt der DFB-Ausrüster einen Blick hinter die Kulissen. Also hineinspaziert in die Welt von adidas, willkommen in der Brutstätte des nächsten Tangos.

Das erste Bild im adidas-Labor verursacht kalte Schauer. Dem Betrachter bietet sich ein Szenario, das einem schlechten Krimi ähnelt. Die Klinge eines Teppichmessers schneidet langsam durch ledrige Haut. Es erfordert einige Anstrengung und nicht wenig Zeit, bis der Corpus geöffnet ist. Stefan Bichler kostet die Prozedur jedes Mal einige Überwindung. "Mir blutet das Herz", sagt er. Sein Job besteht aus vielen Facetten. Bichler ist Produktentwickler bei adidas. Und nicht selten hat er die unangenehme Aufgabe, zu zerstören, was sonst mit Füßen getreten wird. "Aber auch das gehört zur Kontrolle. Wir müssen auch das Innenleben des Balles überprüfen", sagt er. Wie fühlt sich der Schaum an? Sind die Panele ordentlich verklebt? Weist der Ball an der Innenseite Unwuchten auf? Das Fazit: Es ist wie fast immer, der Ball ist in Ordnung.

Derselbe Raum, ein anderer Ball. Oliver Dittmann halt ihn in seinen Händen. Er hebt ihn über seinen Kopf und lässt ihn fallen. Die Höhe des Rücksprungs wird getestet. Vergleichsweise einfach, auf den ersten Blick. Kein Vergleich zum technischen Aufwand, der sich im Robi-leg findet. Auf den zweiten Blick wird der Irrtum deutlich. Ohne Technik funktioniert auch hier wenig. Auf dem Boden ist ein Sensor postiert, die Höhe des Rücksprungs wird über die Dauer zwischen den akustischen Signalen gemessen, die der Ball beim ersten und zweiten Zusammenstoß mit dem Boden verursacht.

Die Spur führt nach Franken

Mehr als zwei Jahre wurde in der ganzen Welt am Tango 12 gearbeitet. In Herzogenaurach wird zwar nicht mehr genäht, die Fäden laufen dennoch in Franken zusammen. Hier wurde die erste Idee kreiert, hier wurden die neuen Materialien getestet und weiterentwickelt. Das Ergebnis ist ein Hightech-Produkt, das mit dem Tango der ersten Generation lediglich den Zweck gemein hat: Der Tango 12 fügt sich zusammen aus 13 thermisch verklebten, sogenannten 3D-Panels. Der Ball besteht zu 70 Prozent aus Polyurethan und zu 30 Prozent aus Kunstleder. Unter der Außenhaut befinden sich eine gewebte Karkasse sowie eine neuartige Blase, die ein größeres Luftruckhaltevermögen und eine verringerte Wasseraufnahme bewirken.

In Herzogenaurach wurde auch das Design ersonnen. Für die Zeichnungen auf dem Ball ist Julia Otto verantwortlich. Sie sitzt in einem Besprechungszimmer im Erdgeschoss, liebevoll blickt sie auf den Tango 12 und erläutert das Kunstwerk aus optischer Sicht. "Für uns ist es wichtig, dass die Gastgeberländer im Design des Balls vorkommen", sagt Otto. Über die Landesfarben von Polen und der Ukraine wurde dies erreicht. Der Bezug zu den Ausrichtern geht noch weiter. Bei näherer Betrachtung sind die Begriffe "Verbundenheit", "Kampfgeist" und "Leidenschaft" in Detailgrafiken visualisiert, die auf die ornamentale Kunst des Papierschneidens zurückgehen, ein traditionelles Handwerk, das sowohl in Polen als auch in der Ukraine betrieben wird. "Auch im Design des Balls steckt viel Herzblut", sagt Otto, "wir haben uns viele Gedanken gemacht und sind stolz, dass wir dieses Design gefunden haben."

Viel Lob für Tango 12



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Oben rechts ins Eck. Einmal, 20-mal, 100-mal. Mit erstaunlicher Präzision fliegt der Ball wieder und wieder in den Winkel – als würde ein Roboter das Ganze steuern. Kein Wunder, denn so ist es auch. Weitgehend. Die Kunstschüsse sind Teil des Testprogramms, das jeder neu entwickelte Ball aus dem Hause adidas zu durchlaufen hat. Der Roboter hört auf den Namen "Robi-leg", er ist in der Lage, jeden erdenklichen Schuss beliebig oft und ohne jede Abweichung zu reproduzieren. Innenseite, Pieke, Vollspann, Außenrist, Regen, Wärme, Kälte – alles kein Problem für den Roboterfuß. Den Rest muss der Ball machen – den Rest macht der Ball. Bei Hunderten Schüssen in Herzogenaurach saust er aus 22 Metern mit einer maximalen Abweichung von 20 Zentimetern ins Ziel. Traumtor reiht sich an Traumtor. Test bestanden. Diesen Test, den finalen Test. Doch bevor die Bälle in den Genuss der Behandlung durch den Roboterfuß kommen, müssen sie alle erdenklichen Prüfungen erfolgreich absolvieren.

Der Reihe nach, zurückspulen, alles auf Anfang. Es ist Mittag in Franken, die Sonne brennt. Im Souterrain des "Lace", des neuen architektonischen Schmuckstücks auf den adidas-Campus "World of Sports" in Herzogenaurach, wird für gewöhnlich hinter verschlossenen Türen und unter strenger Geheimhaltung gearbeitet. Heute gewährt der DFB-Ausrüster einen Blick hinter die Kulissen. Also hineinspaziert in die Welt von adidas, willkommen in der Brutstätte des nächsten Tangos.

Das erste Bild im adidas-Labor verursacht kalte Schauer. Dem Betrachter bietet sich ein Szenario, das einem schlechten Krimi ähnelt. Die Klinge eines Teppichmessers schneidet langsam durch ledrige Haut. Es erfordert einige Anstrengung und nicht wenig Zeit, bis der Corpus geöffnet ist. Stefan Bichler kostet die Prozedur jedes Mal einige Überwindung. "Mir blutet das Herz", sagt er. Sein Job besteht aus vielen Facetten. Bichler ist Produktentwickler bei adidas. Und nicht selten hat er die unangenehme Aufgabe, zu zerstören, was sonst mit Füßen getreten wird. "Aber auch das gehört zur Kontrolle. Wir müssen auch das Innenleben des Balles überprüfen", sagt er. Wie fühlt sich der Schaum an? Sind die Panele ordentlich verklebt? Weist der Ball an der Innenseite Unwuchten auf? Das Fazit: Es ist wie fast immer, der Ball ist in Ordnung.

Derselbe Raum, ein anderer Ball. Oliver Dittmann halt ihn in seinen Händen. Er hebt ihn über seinen Kopf und lässt ihn fallen. Die Höhe des Rücksprungs wird getestet. Vergleichsweise einfach, auf den ersten Blick. Kein Vergleich zum technischen Aufwand, der sich im Robi-leg findet. Auf den zweiten Blick wird der Irrtum deutlich. Ohne Technik funktioniert auch hier wenig. Auf dem Boden ist ein Sensor postiert, die Höhe des Rücksprungs wird über die Dauer zwischen den akustischen Signalen gemessen, die der Ball beim ersten und zweiten Zusammenstoß mit dem Boden verursacht.

Die Spur führt nach Franken

Mehr als zwei Jahre wurde in der ganzen Welt am Tango 12 gearbeitet. In Herzogenaurach wird zwar nicht mehr genäht, die Fäden laufen dennoch in Franken zusammen. Hier wurde die erste Idee kreiert, hier wurden die neuen Materialien getestet und weiterentwickelt. Das Ergebnis ist ein Hightech-Produkt, das mit dem Tango der ersten Generation lediglich den Zweck gemein hat: Der Tango 12 fügt sich zusammen aus 13 thermisch verklebten, sogenannten 3D-Panels. Der Ball besteht zu 70 Prozent aus Polyurethan und zu 30 Prozent aus Kunstleder. Unter der Außenhaut befinden sich eine gewebte Karkasse sowie eine neuartige Blase, die ein größeres Luftruckhaltevermögen und eine verringerte Wasseraufnahme bewirken.

In Herzogenaurach wurde auch das Design ersonnen. Für die Zeichnungen auf dem Ball ist Julia Otto verantwortlich. Sie sitzt in einem Besprechungszimmer im Erdgeschoss, liebevoll blickt sie auf den Tango 12 und erläutert das Kunstwerk aus optischer Sicht. "Für uns ist es wichtig, dass die Gastgeberländer im Design des Balls vorkommen", sagt Otto. Über die Landesfarben von Polen und der Ukraine wurde dies erreicht. Der Bezug zu den Ausrichtern geht noch weiter. Bei näherer Betrachtung sind die Begriffe "Verbundenheit", "Kampfgeist" und "Leidenschaft" in Detailgrafiken visualisiert, die auf die ornamentale Kunst des Papierschneidens zurückgehen, ein traditionelles Handwerk, das sowohl in Polen als auch in der Ukraine betrieben wird. "Auch im Design des Balls steckt viel Herzblut", sagt Otto, "wir haben uns viele Gedanken gemacht und sind stolz, dass wir dieses Design gefunden haben."

Viel Lob für Tango 12

Zurück ins Labor. In insgesamt sieben verschiedenen Kategorien muss der Ball den vorgegebenen Standard erfüllen. Und jeder Schritt ist detailliert vorgegeben, jede Kleinigkeit ist standardisiert. Nicht einmal Raumtemperatur (22 Grad) und Luftfeuchtigkeit (65 Prozent) sind beliebig. Dittmann legt den Ball auf eine Waage, mit einem Gewicht von 429 Gramm bewegt sich der Tango 12 im unteren Drittel des von der FIFA vorgegebenen Fensters von 420 bis 455 Gramm. Das gilt auch für den Umfang von 68,9 Zentimetern (68,5-69,5cm) und die Sprunghöhe von 142 Zentimetern (135-155cm). Mit lediglich vier Prozent Luftdruckverlust und 0,3 Prozent Wasseraufnahme liegt der neue Ball weit unter den Anforderungen von 20 beziehungsweise zehn Prozent. Auch bei der Rundheit übererfüllt der Tango 12 das Soll der FIFA. Der Weltverband verlangt, dass der Ball mindestens 98,5 Prozent rund sein muss, adidas hat die Vorgabe erhöht, der Tango 12 muss mindestens 98,8 Prozent Rundheit aufweisen. "Noch mehr wäre nicht gut", sagt Dittmann, "wenn der Ball eine perfekte Kugel wäre, wäre er instabil im Flugverhalten."

Runder, schneller, schöner – die Reaktionen auf den Tango 12 sind ausnahmslos positiv. "Es ist sehr erfolgversprechend, mit diesem Ball zu spielen", sagt Bundestrainer Joachim Löw. Und selbst die sonst so kritischen Torhüter, sind vom Ball begeistert. "Der Tango ist top", sagt Nationaltorwart Manuel Neuer. Kein Wunder, dass adidas-Vorstandschef Herbert Hainer stolz auf den nächsten Tango ist. "Das ist der beste Ball, der jemals bei einer EM zum Einsatz kam", sagt er.

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Hitzetest, Stresstest, Waschgang

Soweit die Theorie, unter Idealbedingungen stimmen die Werte. Aber wie sieht es aus, wenn der Ball extremen Witterungsbedingungen ausgesetzt ist? In Herzogenaurach wird dies simuliert. Auf bis zu minus 10 Grad wird der Ball abgekühlt, auf bis zu 35 Grad erhitzt und anschließend der Testprozedur unterzogen. Das Ergebnis: Die Werte variieren nur um Nuancen. Auch nach den Stresstests, die sich mit einem lauten Knall ankünden. Bruchteile später: Peng, der nächste Knall, und noch einmal. Es dröhnt in den Ohren. Peng. Mit einer Geschwindigkeit von 50 km/h wird der Tango 12 in einem stählernen Käfig auf eine Metallplatte geschleudert, 3.500-mal. Peng. Dann ist die Prozedur überstanden, die Ohren sind strapaziert, der Ball nicht. Auch nicht nach dem nächsten Test, dem Waschgang. Nach dem "Shooter-Test" wandert der Tango 12 in eine überdimensionale Waschmaschine. Die Innenseiten sind mit Schmirgelpapier verkleidet, fünf Stunden lang rotiert der Ball, dabei wird er ständig mit Wasser berieselt. "Wir müssen sicher sein, dass die Spieler mit dem Ball unter allen Bedingungen die besten Voraussetzungen haben", sagt Dittmann. "Deswegen müssen wird den Tango extremen Belastungen aussetzen."

Da hat es der Ball bei der EM besser. In solchen Extremen bewegen sich die Konditionen in Polen und der Ukraine nicht. In allen Stadien wird auf Rasen und nicht auf Schmirgelpapier gespielt, 3.500 Tritte in kurzer Zeit wird es nicht geben, auch finden sich weit und breit weder Teppichmesser noch Waschmaschine. Gut für den Ball, gut für die Spieler, gut für die Fans, fast langweilig aus Sicht der Entwickler und Tester. Einspruch. Langweilig? Von wegen! "Natürlich ist es auch für uns immer wieder ein spannender Moment, wenn der Ball zum ersten Mal bei einem Länderspiel zum Einsatz kommt", sagt Dittmann. Wenn er nicht vom Robi-leg, sondern von Mario Götze und Marco Reus getreten wird. Vielleicht ja auch oben rechts ins Eck.