Einfach mal das M auf den Kopf stellen

Das Summen des Freizeichens. Das kurze Knacken, wenn die Leitung frei wird. "Hallo, hier Julius Westermann". Donnerstagnachmittag, noch vier Stunden bis zum Länderspiel. Die Stiftung "Die Mannschaft" hat 265 Fluthelferinnen und Fluthelfer eingeladen. Klar, jeweils zwei Tickets, An- und Rückreise sowie Übernachtung inklusive. Die Nationalmannschaft kooperierte mit der Deutschen Stiftung für Engagement und Ehrenamt (DSEE). Auf deren Internetseite konnten ehrenamtliche Helfer*innen sich für die Eintrittskarten bewerben. Vor dem WM-Qualifikationsspiel gegen Liechtenstein haben wir mit drei eingeladenen Fluthelfern gesprochen.

Julius Westermann, 19 Jahre jung, ist Ehrenamtler beim Roten Kreuz Lünen. Am 15. Juli half er den Flutgeschädigten. Einsatzort Erftstadt im Landkreis Ahrweiler. Was das Wasser anrichten kann, diese Bilder seien unvorstellbar gewesen, sagt er. "Der Fluss hat sich einfach alles zu eigen gemacht." 18 Stunden am Stück dauerte sein Einsatz. "Zuerst haben wir ein Altersheim evakuiert, später eine Sanitätsstation aufgebaut." Auf der Heimfahrt nach Lünen sei es sehr still gewesen. Wirklich alle im Bus haben fest geschlafen.

Am 14. und 15. Juli fielen in den stark betroffenen Regionen binnen 18 Stunden bis zu 150 Liter Regen pro Quadratmeter. In Rheinland-Pfalz starben 133 Menschen, die meisten im Ahrtal. Schnell sprach man vom Jahrhunderthochwasser – das dritte in Deutschland in den vergangenen zwanzig Jahren.

Ferienfreizeit für Kinder aus der Flutregion

Holger Marohn saß im schleswig-holsteinischen Bosau vor dem Fernseher, weit weg von der Flut. "Wie alle im Land, haben wir uns gefragt, was man tun kann." Bosau liegt malerisch am großen Plöner See, es gibt eine Jugendfreizeitstätte inklusive großem Zeltplatz. Viele Eltern in den Flutregionen mussten jetzt wahrscheinlich erstmal Keller trockenlegen, zerstörte Häuser leerräumen, dachten sich Marohn und seine Freunde. Eine Idee entstand.

"Am Samstag, zwei Tage nach der Flut, hatten wir das Konzept komplett entwickelt. Wir boten an, Kinder aus der Flutregion auf eine Ferienfreizeit einzuladen. Mit einem Bus fuhren wir runter ins Ahrtal und holten 43 Kinder ab." Man bat die Stadt um finanzielle Unterstützung. Unnötig. Bereits am Mittwoch waren die Kosten gegenfinanziert. "Hätten wir alles bezahlen müssen, die Ferienfreizeit hätte 25.000 Euro gekostet. Doch wir konnten alles mit Sach- und Geldspenden abdecken." Über Zoom und WhatsApp konnten die Eltern jeden Tag mit ihren Kindern reden und sich sehen. Nach einer Woche, als man im Ahrtal aus dem Gröbsten raus war, brachte man die Kinder wieder nachhause. "Die Eltern waren so dankbar, vielen standen die Tränen in den Augen."

Finanziert wurden die 265 Einladungen zum Liechtenstein-Spiel gemeinsam von der Nationalmannschaft und der DSEE. Oliver Bierhoff sagt: "Was uns antreibt ist, immer wenn Beistand notwendig ist, zu helfen. Mit Blick auf den Fußball freut es mich persönlich, dass soziales Engagement immer selbstverständlicher wird." DSEE-Vorstand Katarina Peranic lobt das Engagement in den Flutgebieten, noch lange nach der Unglücksnacht. "Nachbarschaftshilfe wird so vor Ort erlebbar." Zeit, dass sich was dreht. Einfach mal das M auf den Kopf stellen und aus dem "Me" ein "We" machen. Keine Ironieidiotie, kein Zynismus, singt die Band Kettcar. Die 140 Helfer*innen haben stattdessen in diesem Sommer, als Hilfe bitte nötig war, einfach angepackt.

Ehrenamtler*innen des THW aus ganz Deutschland im Einsatz

Einen Anruf haben wir noch. Rainer Engelke, 41, einer der vielen ehrenamtlichen Helfer des Technischen Hilfswerks, die bei der Flut geholfen haben. Der Maschinenbauingenieur war zwei Wochen in der Flutregion im Einsatz, hat mobile Trinkwasserversorgung aufgebaut, provisorische Brücken wurden errichtet, oft sei es auch einfach nur darum gegangen, Geröll wegzuräumen, Schlamm zu schippen. Dankbar sei er seinem Arbeitgeber, ganz spontan habe er frei bekommen. Mit Stolz erzählt er von zwei Millionen Einsatzstunden, die durch das THW in diesem Sommer geleistet wurden. "Das waren THWler aus ganz Deutschland. Abends in der Zeltstadt, das war ein gutes Gefühl. Man wusste, was man getan hat."

Holger Marohn ist Mitglied im Fan Club Nationalmannschaft. Julius Westermann weiß, wie er als 12-jähriger in einem Jugendzeltlager das WM-Finale verfolgte. Und für Rainer Engelke war es gestern Abend tatsächlich der allererste Länderspielbesuch. 9:0-Sieg. Geht auch schlechter.

[th]

Das Summen des Freizeichens. Das kurze Knacken, wenn die Leitung frei wird. "Hallo, hier Julius Westermann". Donnerstagnachmittag, noch vier Stunden bis zum Länderspiel. Die Stiftung "Die Mannschaft" hat 265 Fluthelferinnen und Fluthelfer eingeladen. Klar, jeweils zwei Tickets, An- und Rückreise sowie Übernachtung inklusive. Die Nationalmannschaft kooperierte mit der Deutschen Stiftung für Engagement und Ehrenamt (DSEE). Auf deren Internetseite konnten ehrenamtliche Helfer*innen sich für die Eintrittskarten bewerben. Vor dem WM-Qualifikationsspiel gegen Liechtenstein haben wir mit drei eingeladenen Fluthelfern gesprochen.

Julius Westermann, 19 Jahre jung, ist Ehrenamtler beim Roten Kreuz Lünen. Am 15. Juli half er den Flutgeschädigten. Einsatzort Erftstadt im Landkreis Ahrweiler. Was das Wasser anrichten kann, diese Bilder seien unvorstellbar gewesen, sagt er. "Der Fluss hat sich einfach alles zu eigen gemacht." 18 Stunden am Stück dauerte sein Einsatz. "Zuerst haben wir ein Altersheim evakuiert, später eine Sanitätsstation aufgebaut." Auf der Heimfahrt nach Lünen sei es sehr still gewesen. Wirklich alle im Bus haben fest geschlafen.

Am 14. und 15. Juli fielen in den stark betroffenen Regionen binnen 18 Stunden bis zu 150 Liter Regen pro Quadratmeter. In Rheinland-Pfalz starben 133 Menschen, die meisten im Ahrtal. Schnell sprach man vom Jahrhunderthochwasser – das dritte in Deutschland in den vergangenen zwanzig Jahren.

Ferienfreizeit für Kinder aus der Flutregion

Holger Marohn saß im schleswig-holsteinischen Bosau vor dem Fernseher, weit weg von der Flut. "Wie alle im Land, haben wir uns gefragt, was man tun kann." Bosau liegt malerisch am großen Plöner See, es gibt eine Jugendfreizeitstätte inklusive großem Zeltplatz. Viele Eltern in den Flutregionen mussten jetzt wahrscheinlich erstmal Keller trockenlegen, zerstörte Häuser leerräumen, dachten sich Marohn und seine Freunde. Eine Idee entstand.

"Am Samstag, zwei Tage nach der Flut, hatten wir das Konzept komplett entwickelt. Wir boten an, Kinder aus der Flutregion auf eine Ferienfreizeit einzuladen. Mit einem Bus fuhren wir runter ins Ahrtal und holten 43 Kinder ab." Man bat die Stadt um finanzielle Unterstützung. Unnötig. Bereits am Mittwoch waren die Kosten gegenfinanziert. "Hätten wir alles bezahlen müssen, die Ferienfreizeit hätte 25.000 Euro gekostet. Doch wir konnten alles mit Sach- und Geldspenden abdecken." Über Zoom und WhatsApp konnten die Eltern jeden Tag mit ihren Kindern reden und sich sehen. Nach einer Woche, als man im Ahrtal aus dem Gröbsten raus war, brachte man die Kinder wieder nachhause. "Die Eltern waren so dankbar, vielen standen die Tränen in den Augen."

Finanziert wurden die 265 Einladungen zum Liechtenstein-Spiel gemeinsam von der Nationalmannschaft und der DSEE. Oliver Bierhoff sagt: "Was uns antreibt ist, immer wenn Beistand notwendig ist, zu helfen. Mit Blick auf den Fußball freut es mich persönlich, dass soziales Engagement immer selbstverständlicher wird." DSEE-Vorstand Katarina Peranic lobt das Engagement in den Flutgebieten, noch lange nach der Unglücksnacht. "Nachbarschaftshilfe wird so vor Ort erlebbar." Zeit, dass sich was dreht. Einfach mal das M auf den Kopf stellen und aus dem "Me" ein "We" machen. Keine Ironieidiotie, kein Zynismus, singt die Band Kettcar. Die 140 Helfer*innen haben stattdessen in diesem Sommer, als Hilfe bitte nötig war, einfach angepackt.

Ehrenamtler*innen des THW aus ganz Deutschland im Einsatz

Einen Anruf haben wir noch. Rainer Engelke, 41, einer der vielen ehrenamtlichen Helfer des Technischen Hilfswerks, die bei der Flut geholfen haben. Der Maschinenbauingenieur war zwei Wochen in der Flutregion im Einsatz, hat mobile Trinkwasserversorgung aufgebaut, provisorische Brücken wurden errichtet, oft sei es auch einfach nur darum gegangen, Geröll wegzuräumen, Schlamm zu schippen. Dankbar sei er seinem Arbeitgeber, ganz spontan habe er frei bekommen. Mit Stolz erzählt er von zwei Millionen Einsatzstunden, die durch das THW in diesem Sommer geleistet wurden. "Das waren THWler aus ganz Deutschland. Abends in der Zeltstadt, das war ein gutes Gefühl. Man wusste, was man getan hat."

Holger Marohn ist Mitglied im Fan Club Nationalmannschaft. Julius Westermann weiß, wie er als 12-jähriger in einem Jugendzeltlager das WM-Finale verfolgte. Und für Rainer Engelke war es gestern Abend tatsächlich der allererste Länderspielbesuch. 9:0-Sieg. Geht auch schlechter.

###more###